L 8 U 891/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 U 714/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 891/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15.01.2010 abgeändert und die Klage vollends abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Lendenwirbelsäulen-Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen ist.

Der Kläger absolvierte ab August 1982 eine Lehre zum Installateur für Heizung-Lüftung-Sanitär und war nach Abschluss der Lehre bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2008 als Heizungsbauer tätig, unterbrochen von Februar 1986 bis Oktober 1987 durch Arbeitslosigkeit, eine Tätigkeit als Briefträger und Zeiten des Wehrdienstes.

Im Mai 2007 zeigte die AOK - Die Gesundheitskasse O. bei der Beklagten unter der Diagnose einer zervikalen Bandscheibenverlagerung und bestehender Arbeitsunfähigkeit ab 11.12.2006 eine Berufskrankheit (Schreiben vom 14.05.2007) an. Die Beklagte trat in ein Feststellungsverfahren ein. Sie zog ärztliche Befundberichte bei, u.a. Arztbriefe der radiologischen Praxis Schulz und Kollegen vom 18.12.2006 (Computertomogramm(CT)Befund der Halswirbelsäule (HWS): Bandscheibenvorfall im Segment C 6/7, Einengung beider Neuroforamina im Segment C 5/6), von Dr. N. vom 05.06.2000 (Diagnose: Bandscheibenvorfall L 5/S1 rechts mit Fuß- und Großzehenheberschwäche rechts), der Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. N. vom 16.01.2006 (Magnetresonanztomographie(MRT)-Befund: Protrusion mit Sequestration in Höhe von C 6/7) sowie die Entlassungsberichte der Rehabilitationsklinik H., B.-B., vom 12.06.2007 und der P.-K., B. N., vom 19.09.2000. Nach Auswertung durch den Beratungsarzt Dr. F. (beratungsärztliche Stellungnahme vom 30.07.2007) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.09.2007 die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108/2109 der Berufskrankheiten-Liste (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Hals- bzw. Lendenwirbelsäule) ab. Im Bereich der HWS fänden sich in den Segmenten C5/6 und C6/7 Bandscheibenveränderungen, die nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien, weil beim Heizungsbauer die arbeitstechnischen Voraussetzungen (langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter) nicht gegeben seien. Im Bereich der LWS fänden sich weder von unten nach oben abnehmende degenerative Veränderungen noch sei ein Bandscheibenschaden und daraus resultierende Beschwerden und Funktionseinschränkungen belegt.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2008 zurückgewiesen wurde. Der Kläger erhob am 12.02.2008 Klage beim Sozialgericht Freiburg und machte geltend, er habe im Jahre 2000 im Bereich der LWS und im Jahr 2006 im Bereich der HWS jeweils einen Bandscheibenvorfall erlitten. Er habe schwere Stahlrohre und anderer Heizungsteile oft über mehrere Stockwerke tragen müssen. Erste Rückenbeschwerden seien zu Ende des 3. Lebensjahrzehnts aufgetreten.

Das Sozialgericht veranlasste die Vorlage einer Belastungsberechnung durch die Beklagte. In dem Bericht zur Expositionsermittlung vom 14.01.2009 führte Dipl.-Ing. St. aus, die Berechnung nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) habe ergeben, dass die Belastung des Klägers 19,6 x 106 Nh in der Zeit vom 01.08.1982 bis 31.01.2008 betragen habe, dies entspreche einem prozentualen Anteil von 78 % des Orientierungswertes von 25 x 106 Nh für Männer.

Außerdem holte das Sozialgericht das orthopädische Gutachten vom 06.04.2009 ein. Der Sachverständige Prof. Dr. C. ging in seinem Gutachten davon aus, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS) vorliege, eine Berufskrankheit nach Nr. 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS) wegen Fehlens der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben sei. Der Kläger leide an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der HWS und der LWS. Es bestünden ein Bandscheibenvorfall bei C 6/7 und eine Verschmälerung des Bandscheibenfaches (Chondrose) des Segments C5/6 mit Randwülsten an den Grund- und Deckplatten bei freier Beweglichkeit der HWS und ohne Nervenwurzelreizung sowie knöcherne Randwülste im Segment L 3/4, im Segment L 4/5 eine Signalminderung (black disc) mit rechtsseitiger Vorwölbung der Bandscheibe mit Einengung des Nervenaustrittsloches und eine Chondrose bei L 5/S1 mit mittig/rechtsseitiger Bandscheibenvorwölbung ohne Bedrängung von Nervenstrukturen. Danach sei nach den Konsensempfehlungen zur medizinischen Beurteilung bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS die Konstellation B2 gegeben, weil das Kriterium "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler Chondrose/Vorfall in L 5/S1 oder L 4/5 black disc im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten" erfüllt sei. Die Veränderung der HWS sei nicht als berufsbedingt zu bewerten, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorliegen. Nach den Konsensempfehlungen sei daher prinzipiell die Konstellation B6 zu diskutieren, wenn der Bandscheibenschaden an der HWS gleich stark ausgeprägt ist wie an der LWS. Für diese Konstellation habe die Arbeitsgruppe keine im Konsens stehende Bewertung abgegeben. Vorliegend sei unter klinischen Gesichtspunkten der Bandscheibenschaden an der HWS tendenziell schwächer ausgeprägt als der an der LWS, denn eine HWS-bedingte Arbeitsunfähigkeit sei erstmals 2007 dokumentiert. Die Erkrankung der HWS sei deutlich später als die Beschwerden der LWS aufgetreten. In seiner ergänzenden Äußerung vom 06.11.2009 legte der Sachverständige eine weitere Auswertung der anlässlich der gutachtlichen Untersuchungen im März 2009 gefertigten Röntgenbilder vor. Danach ergebe sich im Segment L 4/5 eine Chondrose Grad II und im Segment L 5/S1 eine Chondrose Grad III. Trotz gleichartiger morphologischer Erscheinungsformen der Bandscheibenschäden der HWS und LWS sei der Bandscheibenschaden der HWS aus den genannten Gründen tendenziell schwächer ausgeprägt.

Die Beklagte ist mit der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. T. vom 17.08.2009 der gutachtlichen Bewertung von Prof. Dr. C. entgegengetreten. Danach liege zwar hinsichtlich der LWS-Erkrankung eine ausreichende Exposition und plausible zeitliche Korrelation der Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung vor. Entgegen den Ausführungen des Sachverständigen entsprächen die Höhenminderungen der Bandscheiben in den Segmenten L 5/S1 und L 4/5 nur einer Chondrose Grad I bezogen auf das Referenzsegment L 2/3. Alternativ liege auch nicht der geforderte Bandscheibenvorfall in den unteren Wirbelsäulensegmenten vor. Zudem sei auch nicht von einer tendenziell schwächer ausgeprägten Bandscheibenschädigung der HWS auszugehen. Beim Kläger liege der radiologische Nachweis einer multisegmentalen Spondylose, einer ausgeprägten Osteochondrose und Spondylose im Segment C5/6 vor, was ein über die alterstypische Norm hinausgehender Verschleißprozess sei. Es liege allenfalls eine Konstellation B3 vor, für welche in der Arbeitsgruppe kein Konsens bestanden habe.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.01.2010 hob das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf, soweit die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 abgelehnt wurde und verurteilte die Beklagte, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 anzuerkennen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen stützte sich das Sozialgericht auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C ...

Gegen den ihr am 25.01.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 24.02.2010 Berufung eingelegt mit der Begründung, nach dem von Prof. Dr. C. erhobenen Befund bestehe beim Kläger ein bisegmentaler Befall der unteren LWS. Die Voraussetzungen der Konstellation B2 seien nicht erfüllt. Zudem überzeugten die Ausführungen des Sachverständigen nicht, weshalb bei gleichartiger morphologischer Veränderung von HWS und LWS die Konstellation B4 und nicht B6 vorliege, für die keine Konsensempfehlung bestehe. Selbst wenn bei L 3/4 tatsächlich eine Chondrose Grad I vorliegen sollte, genüge dies für die Konstellation B2 in der Alternative von Höhenminderung und/oder Prolaps in mindestens zwei angrenzenden Segmenten nicht. Auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18.08.2009 (L 3 U 202/04) werde verwiesen.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 15.01.2010 abzuändern und die Klage vollends abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das den angeführten landessozialgerichtlichen Entscheidungen zu entnehmende Kriterium für B2, dass mindestens drei Bandscheiben eine Höhenminderung aufweisen müssten, sei nach den Ausführungen von Prof. Dr. C. erfüllt. Denn dem von ihm vorgelegten Berechnungsprogramm sei zu entnehmen, dass die Segmente L 5/S1, L 4/5 eine Chondrose Grad II und das Segment L 3/4 eine Chondrose Grad I aufweise. Dass jeweils mindestens der Chondrosegrad II vorliegen müsse, sei den Konsensempfehlungen nicht zu entnehmen. Der Sachverständige habe zusätzlich zur Fallkonstellation B2 das Vorliegen der Konstellation B4 festgestellt, für die Konsens in der Arbeitsgruppe bestanden habe.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Gerichtsakte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und insgesamt zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts war im angefochtenen Umfang abzuändern und die Klage vollends abzuweisen, denn der Bescheid der Beklagten vom 07.09.2007 (Widerspruchsbescheid vom 16.01.2008), mit dem sie die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 ablehnte, ist auch insoweit rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Erkrankung der LWS als Berufskrankheit.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat die Bundesregierung die BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der derzeit u.a. folgende als Berufskrankheit anerkannte Krankheit aufgeführt ist:

Nr. 2108 Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Zur Feststellung einer Berufskrankheit muss generell die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität ist auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität zu bezeichnen (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009, aaO). Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 Rdnr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Nach diesen Grundsätzen ist die Einwirkungskausalität der versicherten Tätigkeit des Klägers als Heizungsbauer für eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 im Falle des Klägers zu bejahen. Bei dem bisher geltenden Gesamtdosiswert des MDD von 25 MNh handelt es sich um keinen Grenzwert, sondern um einen Orientierungswert, weshalb bei einem Unterschreiten des Orientierungswertes noch nicht zwingend die Einwirkungskausalität zu verneinen ist (vgl. BSG Urt. vom 19.08.2003 B 2 U 1/02 R, veröffentlicht in Juris). Nach den durch die Deutsche Wirbelsäulenstudie bekannt gewordenen Schwächen des MDD ist es angezeigt, den bisher geltenden Orientierungswert um die Hälfte zu reduzieren (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R, veröffentlicht in juris). Der von Dipl. Ing. St. errechnete Dosiswert von 19,6 MNh ist danach eine ausreichende Belastung, die grundsätzlich geeignet ist, eine bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS zu verursachen.

Dagegen ist die haftungsbegründende Kausalität der Berufskrankheit nach Nr. 2108 nicht im rechtlich gebotenen Grade wahrscheinlich.

Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den vom Sachverständigen Prof. Dr. C. erhobenen Befunden an der Wirbelsäule des Klägers. Dagegen ist die gutachtliche Einschätzung des Sachverständigen nicht überzeugend, denn sie ist nicht mit dem derzeitigen herrschenden Meinungsstand der medizinischen Wissenschaft vereinbar. Prof. Dr. C. hat sich zwar auf die Bewertungskriterien für die Zusammenhangsbeurteilung bezogen, für den Senat sind seine Ausführungen aber nicht in allen Punkten nachvollziehbar. Die im vollen Konsens aller Teilnehmer verabschiedeten Kriterien der unter dem 04.08.2005 veröffentlichten Konsensempfehlungen der interdisziplinären Arbeitsgruppe "Medizinische Beurteilungskriterien bei den Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 211 ff) entsprechen zur Überzeugung des Senats der gegenwärtigen herrschenden Meinung der Wissenschaft, wovon auch Prof. Dr. C. ausgegangen ist und worin die Beteiligten mit ihm übereinstimmen. Die Konsensempfehlungen verlangen als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs eine nachgewiesene bandscheibenbedingte Erkrankung, die ihrer Ausprägung nach altersuntypisch sein muss, bei ausreichender beruflicher Belastung mit plausibler zeitlicher Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (vgl. Konsensempfehlungen a. a. O., Nr. 1.4, S. 216). Danach spricht eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule eher für einen Ursachenzusammenhang der beruflichen Belastung, ein Befall der HWS und/oder der Brustwirbelsäule kann je nach Fallkonstellation gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen. Für den Vergleich zwischen LWS und darüber gelegenen Wirbelsäulenabschnitten sind hierbei Chondrosen und Vorfälle maßgeblich (Konsensempfehlungen a. a. O.).

Der Senat lässt bei seiner Beurteilung dahinstehen, ob die Berechnung der Verschmälerung der Bandscheibenfächer in den unteren Segmenten der LWS durch den Sachverständigen Prof. Dr. C. nach einer der in den Konsensempfehlungen dargelegten aussagekräftigen Messmethoden erfolgt ist und ob die von den von Dr. T. ermittelten Werten abweichenden Messwerte des Sachverständigen zutreffen. Denn selbst wenn danach von einem Chondrosen-Grad II im Segment L 4/5 und Grad III im Segment L 5/S1 auszugehen wäre, liegt die von Prof. Dr. C. bejahte Fallkonstellation B2, für die die Arbeitsgruppe im Konsens einen Zusammenhang als wahrscheinlich erachtet hatte, nicht vor. Vielmehr ist entgegen der Einschätzung des Sachverständigen von der Konstellation B3 auszugehen, für die kein Konsens in der Arbeitsgruppe bestand. Nach den Konsensempfehlungen ist allen Fallgruppen der Kategorie B eine bestimmte Lokalisation und Ausprägung des Bandscheibenschadens gemeinsam. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung muss die Segmente L 5/S1 und/oder L 4/5 betreffen. Es muss sich um eine Chondrose Grad II oder höher und/oder um einen Vorfall handeln. Für die Annahme der Konstellation B2 ist darüber hinaus Voraussetzung, dass keine wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren erkennbar sind, eine Begleitspondylose vordere und seitliche Randzackenbildung (Spondylose) an den Wirbelkörpern, die nicht von Chondrose oder einem Vorfall betroffen sind bzw. bereits zuvor entstanden waren (Konsensempfehlung Nr. 1.4 a.a.O.) fehlt und zusätzlich mindestens eines der nachstehenden Kriterien erfüllt ist: • Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L 5/S1 oder L 4/5 "black disk" im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten • Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren • Besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen

Eine besonders intensive Belastung bzw. ein besonderes Gefährdungspotenzial ist der Belastungsberechnung von Dipl.-Ing. St. nicht zu entnehmen. Im Zeitraum vom 01.08.1982 bis 30.09.1990 hatte der Kläger nur eine Teildosis von 5,1 x 106 Nh, also in neun Jahren noch nicht einmal die Hälfte des Orientierungswertes von 25 MNh erreicht. Besondere Belastungsspitzen sind den Berechnungen von Dipl.-Ing. St. ebenso wenig zu entnehmen. Die beratungsärztliche Beurteilung von Dr. Thal, der eine intensive Belastung und ein erhöhtes Gefährdungspotenzial nach der Expositionsanalyse von Dipl.-Ing. St. ausgeschlossen hat, ist insoweit auch für den Senat nachvollziehbar. Prof. Dr. C. hat hierauf auch nicht abgestellt.

Das vom Sachverständigen Prof. Dr. C. angenommene Zusatzkriterium einer Höhenminderung an mehreren Bandscheiben liegt ebenso wenig vor. Seine ursprüngliche Annahme, bereits mit der nachgewiesenen degenerativen Veränderungen in den beiden unteren LWS-Segmenten sei dieses Kriterium erfüllt, trifft nicht zu. Denn als Grundvoraussetzung der B-Konstellation muss eine mono- oder bisegmentale Chondrose Grad II oder höher (bzw. ein Bandscheibenvorfall, der beim Kläger für keines der LWS-Segmente diagnostiziert ist) bereits vorliegen und kann nicht zugleich ein Zusatzkriterium erfüllen. Diese Grundvoraussetzung erfüllt bei gegebener Begleitspondylose die Konstellation B1, was den wahrscheinlichen Zusammenhang begründet und bei fehlender Begleitspondylose und auch fehlenden Bedingungen der zusätzlichen Höhenminderungen nach Konstellation B2 die Konstellation B3, für die in der Arbeitsgruppe kein Konsens für einen Zusammenhang hergestellt werden konnte. Aus der Zusammenschau von Konstellation B1 und B3 ergibt sich, dass eine Höhenminderung an mehreren Bandscheiben im Sinne der Zusatzkriterien der Konstellation B2 nicht mit den Höhenminderungen der Bandscheibenfächer L 5/S1 und L 4/5 zu begründen ist, sondern drei betroffene Segmente voraussetzt.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die von Prof. Dr. C. diagnostizierte Chondrose Grad I in dem über den stärker betroffenen Segmenten L 4/5 und L 5/S1 liegenden Segment L 3/4 keine relevante zusätzliche Höhenminderung nach der Konstellation B2. Voraussetzung aller Konstellationen nach B ist die Ausprägung eines Bandscheibenschadens in einem Umfang, der eine belastungsinduzierte Entstehungsursache wahrscheinlich macht. Deshalb ist die "vor der Klammer" stehende Grundkonstellation u.a. eine Chondrose Grad II oder höher, was demgemäß auch für das Zusatzkriterium der Konstellation B2 gelten muss. Im Zeitpunkt der Untersuchung im März 2009 war der Kläger 42 Jahre alt. Zwar ist eine Chondrose der LWS Grad I nach den Konsensempfehlungen dann noch nicht als altersentsprechend zu bewerten, eine solche ist erst ab dem 50. Lebensjahr altersgemäß (Konsensempfehlungen Nr. 1.2, Seite 214). Die Feststellung eines altersuntypischen Befundes erlaubt noch keinen Rückschluss auf die Entstehungsursache (Konsensempfehlung Nr. 1.2, Seite 214). Da aber gerade die Abgrenzung schicksalhafter oder belastungsinduzierter Verlaufsformen altersvorauseilender degenerativer Veränderungen ein hinlängliches Bewertungsmuster erfordert, ist die in den Konsensempfehlungen mehrfach betonte besondere Ausprägung zu fordern, wie sie in der Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. T. auch zum Ausdruck kommt. Dies ergibt sich auch daraus, dass nicht nur eine Höhenminderung als solche, sondern quasi als Mindestvoraussetzung eines monosegmentalen Befalls in den beiden angrenzenden Segmenten mindestens eine Degeneration vorliegen muss, die bildgebend als black disc in Erscheinung tritt und somit auch Strukturveränderungen der Bandscheibendichte belegt. Außer der von Dr. T. angenommenen nur geringen Höhenminderung in den Wirbelkörper-Segmenten L 4/5 und L 5/S1 beschrieb er - insoweit auch weitgehend übereinstimmend mit Prof. Dr. C. - eine im Übrigen altersentsprechend aufgebaute Lendenwirbelsäule, was den Senat aus den oben genannten Gründen überzeugt. Selbst geringgradige Bandscheibendegenerationen im Sinne einer magnetresonanztomographischen black disk ist nach Dr. T. für die oberhalb von L 4/5 gelegenen Segmente nicht nachweisbar. Prof. Dr. C. beschreibt eine black disc auch nur für das Segment L 4/5, nicht für L 3/4.

Es ergebe sich hieraus ein nicht verständliches Gefälle in der Umschreibung der zusammenhangsbegründenden medizinischen Befundlage, wenn einerseits zusätzlich eine Chondrose Grad I den Zusammenhang begründen könnte und andererseits für das gleiche Ergebnis alternativ ein Prolaps als Zusatzkriterium gefordert wird.

Doch selbst wenn von der Konstellation B2 auszugehen wäre, ist nach dem Gesamtbefund der Wirbelsäule die Konstellation B6 der Konsensempfehlungen gegeben, für die die Arbeitsgruppe keine im Konsens ergangene Beurteilungsempfehlung ausgesprochen hat. Der Sachverständige Prof. Dr. C. geht selbst davon aus, dass das Erscheinungsbild der degenerativen Veränderungen in der HWS und LWS des Klägers eine gleich starke Ausprägung aufweist, was die Konstellation B6 begründet. Seine an das erstmalige Auftreten von Beschwerden geknüpfte Beurteilung, dass im Sinne der Konstellation B4 der Bandscheibenschadens an der HWS schwächer ausgeprägt sei, ist für den Senat nicht überzeugend. Zum einen ist nach den Konsensempfehlungen zwischen Erkrankung und Bandscheibenschaden zu unterscheiden (der bildgebend dargestellte Bandscheibenschaden muss auch zu klinischen Beschwerden geführt haben, die eine Erkrankung verursachen, Konsensempfehlung Nr. 1.4 a.a.O.), wobei in den Konstellationen B4 ff ausdrücklich auf den Bandscheibenschaden abgestellt wird und in den Konstellationen B5 und B8 als Beurteilungskriterium neben dem Bandscheibenschaden zusätzlich eine klinische Erkrankung der HWS genannt wird. In den allgemeinen Ausführungen zur Zusammenhangsbeurteilung der Konsensempfehlungen (Nr. 1.4) wird zudem für den Vergleich zwischen LWS und darüber gelegenen Wirbelsäulenabschnitten die Beurteilung des Röntgenbefund als maßgebend dargelegt, da Abgrenzungskriterium Chondrosen und Bandscheibenvorfälle sind. Die Morphologie ist danach der Ausgangspunkt der zu treffenden Beurteilung. Außerdem ist die von Prof. Dr. C. auf das erstmalige Auftreten von Wirbelsäulenbeschwerden gestützte Überlegung nicht plausibel. Der früheste zu den Akten der Beklagten gelangte Wirbelsäulenbefund ist in einem auch im Sachverständigengutachten erwähnten Arztbrief vom 15.08.1991 enthalten, wonach damals eine "mäßige Verschmälerung der letzten Lendenbandscheibe bei Regelbefund im darüber liegenden Abschnitt" vorlag. Die damals geklagten Beschwerden gaben jedenfalls Anlass, einen Röntgenbefund zu erheben. Nach der Belastungsberechnung von Dipl. Ing. St. war aber zu diesem Zeitpunkt eine maßgebliche Wirbelsäulenbelastung, die nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen die Entstehung von Bandscheibenschäden erwarten lässt, nicht erreicht. Die von Dr. T. vorgenommene Einschätzung, die Fallgruppe B4 sei entgegen der Auffassung von Prof. Dr. C. nicht erfüllt, ist für den Senat daher überzeugend.

Ist deshalb von der Konstellation B6 auszugehen, ist von der interdisziplinären Arbeitsgruppe keine einvernehmliche Beurteilungsempfehlung ausgesprochen worden, weshalb nach der Rechtsprechung des Senats davon auszugehen ist, dass sich zu dieser Fallvariante noch keine herrschende medizinische Meinung gebildet hat und daher grundsätzlich nicht mehr für oder gegen einen wahrscheinlichen Zusammenhang spricht. Für den Senat war auch nicht mit der erforderlichen Überzeugung davon auszugehen, dass der einen oder anderen wissenschaftlichen Meinung zu folgen ist. Ebenso wie zu der Fallgruppe B3, für die auch kein Konsens in der Beurteilung besteht, sind im Anhang 1 und 2 der Konsensempfehlungen die gegensätzlichen wissenschaftlichen Positionen wiedergegeben. Die Autoren G. und Sch. führen für die abgrenzende Bewertung von anlagebedingten Degenerationserscheinen in der HWS zu degenerativen Veränderung in der LWS aus, dass zwar Mitreaktionen der belastungsfernen Hals- und Brustwirbelsäule in Studien bestätigt worden seien, jedoch eine Betonung der berufsbedingten Bandscheibenveränderung an der Lendenwirbelsäule immer erkennbar bleibe. Daher sei bei gleichen oder stärker ausgeprägten Veränderungen der HWS in der Abwägung ein deutliches Indiz gegen eine beruflich bedingte LWS-Erkrankung zu sehen. Dies sei kein Ausschlusskriterium, weil in der Mischform anlagebedingter und berufsbedingter Änderungen in der vorhandenen Begleitspondylose ein positives Indiz für die berufliche Verursachung zu sehen sei, weshalb der Ursachenzusammenhang auch insoweit bejaht werden könne. Demgegenüber haben die Autoren S. und B.-A. dargelegt, dass Studien über Beschäftigte mit hoher beruflicher Belastung durch Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung das erhöhte Risiko für die Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS bestätigten, wenn gleichzeitig mittel- bis schwergradige Bandscheibenschäden der Halswirbelsäule und/oder der Brustwirbelsäule vorlägen. Der Schluss sei nicht logisch, dass ein Beschäftigter mit anlagebedingter HWS-Erkrankung auch zwingend eine anlagebedingte LWS-Erkrankung aufweise. Für die fehlende berufliche Ursache in diesen Fällen gebe es keine wissenschaftliche Evidenz. Ein Beschäftigter könne an der Wirbelsäule sowohl eine anlagebedingte (an der HWS) als auch eine beruflich bedingte Bandscheibenerkrankung haben.

Der Senat erachtet beide Auffassungen für hinreichend überzeugend und vermag nicht zu erkennen, welche der Auffassungen in der wissenschaftlichen, derzeit noch kontroversen Diskussion über die Auswertung vorhandener epidemiologische Studien der Vorzug zu geben ist.

Der Senat geht davon aus, dass beide referierten Meinungen den jeweiligen wissenschaftlichen Meinungsstand in der aktuellen Diskussion vollständig wiedergeben. Die Beteiligten haben nach entsprechendem gerichtlichem Hinweis hierzu auch nichts Weiteres vorgetragen. Es bestand deshalb auch keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten - nach Sachlage ein Gutachten nach Aktenlage - zum wissenschaftlichen Diskussionsstand und zur abschließenden Entscheidungsfindung einzuholen.

Bei dieser Ausgangslage ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die haftungsbegründende Kausalität der streitigen Berufskrankheit Nr. 2108 nicht gegeben. Dem Kläger obliegt die Feststellungslast für die medizinischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Tatsachengrundlage für seinen geltend gemachten Anspruch begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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