L 3 R 149/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stendal (SAN)
Aktenzeichen
S 2 RJ 174/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 149/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erwerbsminderung
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

Die am ... 1959 geborene Klägerin absolvierte nach der Schulausbildung (Zehn-Klassen-Abschluss) vom 1. September 1975 bis zum 15. Juli 1977 erfolgreich eine Bäckerlehre. Sie arbeitete bis zur Geburt ihres ersten Kindes in dem erlernten Beruf und war von 1981 bis 1984 als Fahrzeugreinigerin bei der D. Reichsbahn beschäftigt.

Im November oder Dezember 1984 stürzte die Klägerin bei einer Reise aus dem fahrenden Zug. Sie geriet unter das Fahrzeug und erlitt hierbei schwere Verletzungen an ihrem linken Unterschenkel, der nachfolgend amputiert werden musste. Nach Abschluss der Behandlung erfolgte die Versorgung mit einer Unterschenkelprothese.

Die Klägerin war von 1984 bis 1990 in der Lotto-Toto-Annahmestelle einer Postfiliale und im Anschluss daran als Briefverteilerin im Innendienst - aus betrieblichen Gründen mit einer Arbeitszeit von vier Stunden an sechs Tagen der Woche - bei der D. Post AG mit einer tarifvertraglichen Einstufung in die Lohngruppe 2 versicherungspflichtig beschäftigt. Seit April 2001 war sie arbeitsunfähig mit einem Bezug von Sozialhilfe im Anschluss an den ausgeschöpften Krankengeldanspruch. Derzeit bezieht sie nach ihren Angaben Arbeitslosengeld II und einen Mietzuschuss.

Bei der Klägerin wurde ein Grad der Behinderung (GdB) ab dem 12. Juli 1991 von 50, ab dem 3. Mai 1994 von 60 und ab dem 15. April 1999 von 70 festgestellt.

Auf den ersten Rentenantrag vom 5. Oktober 1999 bewilligte die Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen-Anhalt, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist, der Klägerin mit Bescheid vom 2. Dezember 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. September 2002 bis zum 31. Dezember 2003 auf Grund einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes.

Die Klägerin beantragte am 5. September 2003 die Weitergewährung der Rente über den Wegfallzeitpunkt hinaus. Die Beklagte zog zunächst die Unterlagen aus dem vorangegangenen Verfahren bei. Nach dem Entlassungsbericht der Reha Klinik G. vom 28. Februar 2002 über die dort vom 6. bis zum 27. Februar 2002 durchgeführte stationäre Rehabilitationskur war die Klägerin sowohl als Briefverteilerin im Innendienst als auch für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig einsetzbar. Nach dem Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. B. vom 19. Oktober 2002 war der Klägerin die Fortbewegung zum Zeitpunkt der Untersuchung mit zwei Gehstützen möglich. Im Vordergrund ihrer Beschwerden stünden das massive Übergewicht (130 kg) und eine rezidivierende depressive Störung mit einer gegenwärtig mittelgradigen Episode. Insgesamt sei von einem gegenwärtig halb- bis unter vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Arbeiten auszugehen.

Auf den dem Streitverfahren zugrunde liegenden Weiterbewilligungsantrag vom 5. September 2003 holte die Beklagte einen Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. L. von Oktober 2003 ein, der eine allenfalls leichte Stabilisierung der depressiven Symptome angab; bereits bei kleinen äußeren Belastungen bestehe eine ängstlich-depressive Dekompensation. Der Facharzt für Chirurgie Dr. L. bescheinigte unter dem 8. Oktober 2003 eine nicht gebesserte Leistungsfähigkeit der Klägerin bei einer aus seiner Sicht weiterbestehenden Erwerbsminderung. In seinem Befundbericht vom 8. November 2003 gab er an, im Vordergrund stünden die Stumpfbeschwerden der Klägerin. Das Übergewicht begünstige auch bei optimaler Prothesenkonstruktion die ständige Ausbildung von Druckschwielen etc., sodass die Prothese nur zeitweilig getragen werde. Trotz Medikation lägen die Blutdruckwerte bei 170/100. Aus dem Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. M. vom 22. Oktober 2003 ergeben sich die fortbestehenden internistischen Diagnosen einer chronischen Pankreatitis bei Steatosis hepatitis, einer arteriellen Hypertonie mit kongestiver Herzinsuffizienz und einer Adipositas per magna.

Die Beklagte holte ein Gutachten von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. R. vom 12. Januar 2004 ein. Die Klägerin sei bei der Untersuchung bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen. Ihre Stimmung wirke am ehesten gleichgültig bei geringem Antrieb. Es handele sich um eine ich-schwache dependente Persönlichkeit mit fehlenden Spontanimpulsen und mangelnder Befähigung zur Introspektion und fehlender Motivation zur Veränderung ihrer Daseinsweise. Die Intelligenz befinde sich im Grenzbereich zur leichten intellektuellen Minderbefähigung. Der psychische Leidensdruck scheine eher gering zu sein. Die Klägerin sei stark übergewichtig (134 kg/164 cm) mit starken Fettschürzen an Rumpf und Oberschenkeln und dadurch bedingten Hautirritationen. Sie habe angegeben, die Unterschenkelprothese nicht selbst an- bzw. ablegen zu können. Die Kraftentfaltung der Extremitäten sei gering, die Kraft der Beine aber ausreichend zum Gehen. Ohne die mitgeführten Gehstützen könne sie nur schwer gehen; freies Stehen sei ihr möglich. Als Diagnosen lägen vor: Zustand nach traumatischer Unterschenkelamputation (links). Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung. Somatisierungsstörung. Adipositas. Es sei eine stationäre psychiatrische Rehabilitationskur erforderlich, um der Klägerin neue Impulse zu geben und ihre Verhaltensweisen zu korrigieren; es sei fraglich, ob sie insoweit hinreichend motiviert werden könne. Eine sitzende Tätigkeit, z.B. als Briefverteilerin, mit gelegentlichem Gehen und Stehen, ohne Tragen von Lasten und Zwangshaltungen könne die Klägerin auch zum Begutachtungszeitpunkt vollschichtig ausüben. Da sie ohnehin an zwei Gehstützen gehe, könnten die Stumpfbeschwerden während eines vorübergehenden Nichtgebrauchs der Prothese zur Abheilung gebracht werden. Die Klägerin könne noch Wegstrecken von mehr als 500 Metern in 20 Minuten zurücklegen, allerdings nicht viermal täglich. Sie könne die erforderlichen Wege auch mit einem Pkw zurücklegen.

Die Beklagte lehnte den Weitergewährungsantrag der Klägerin mit Bescheid vom 23. Januar 2004 ab. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Zur Begründung ihres hiergegen am 23. Februar 2004 eingelegten Widerspruchs führte die Klägerin im Wesentlichen aus, die medizinischen Feststellungen würden den Bedingungen des Arbeitslebens nicht gerecht. Ein Anspruch auf Weitergewährung der Rente ergebe sich u.a. deshalb, weil sie nicht in der Lage sei, eine Wegstrecke von mehr als 100 Metern zu bewältigen.

Die Beklagte holte sodann ein Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie/Spezielle Schmerztherapie/Akupunktur Dipl.-Med. H. vom 8. Juni 2004 ein. Die Klägerin habe bei der Untersuchung vor allem über Kniebeschwerden rechts beim Laufen mit zwei Unterarmgestützen und wiederholt auftretende Hautläsionen am Weichteilstumpf des linken Unterschenkels geklagt. Zur Begutachtung sei die Klägerin mit einem Pkw angereist und habe den Weg vom nahen Parkplatz (etwa 50 Meter) ohne Unterbrechung bewältigt. Das Gangbild sei an zwei Unterarmgehstützen im 4-Punkt-Gang nicht eingeschränkt, die peripheren Reflexe der oberen und unteren Extremitäten seien seitengleich und symmetrisch auslösbar gewesen. Sensibilitätsstörungen hätten nicht bestanden. Als Diagnosen lägen vor: Blande Gonarthrose rechts. Adipositas per magna (123 kg, 165 cm). Zustand nach posttraumatischer Unterschenkelamputation links von 1984. Monströse Spondylose L 5/S 1 bei Spondylolyse L 5. In Bewertung der erhobenen klinischen, röntgenologischen und funktionellen Befunde sei die Versorgung mit der Unterschenkelprothese links für die derzeitigen körperlichen Bedingungen der Klägerin als optimal - im Hinblick auf den Sitz der Prothese und deren Nutzung im Raum bei Wendungen - anzusehen. Hinderlich in der Umsetzung der Bewegungsdynamik in alltäglichen Abläufen sei die ausgeprägte Adipositas. Die radiologisch dargestellte monströse ventrale Spange L 5/S 1 sei bildgebend interessant, habe aber keinen pathofunktionalen Wert. Beschwerderelevant seien lediglich die reaktiven degenerativen Veränderungen im rechten Kniegelenk, die sich im Normbereich bewegten. Die Klägerin könne noch vollschichtig einer Beschäftigung im leichten bis mittelschweren Bereich nachgehen, die wegen der Adipositas im Sitzen ausgeübt werden solle. Sie sei noch in der Lage, viermal täglich eine Strecke von mehr als 500 Metern in 20 Minuten zurückzulegen. Sie könne auch als Briefverteilerin noch mehr als sechs Stunden täglich arbeiten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2004 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei noch fähig, sechs Stunden und mehr täglich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen, ohne starken Zeitdruck (z.B. Akkord), häufiges Heben, Tragen, Bücken, Hocken, Knien, Klettern und Steigen sowie ohne erhöhte Unfallgefahr (z.B. Absturzgefahr, ungesicherte Maschinen) unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Sie sei damit auch nicht berufsunfähig, da sie den erlernten Beruf als Bäcker nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe und damit auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar sei.

Mit ihrer am 17. September 2004 bei dem Sozialgericht Stendal erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Beschwerden, die zur befristeten Rentengewährung geführt hätten, lägen weiterhin vor. Sie leide unter Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich bis in die Arme, an der Wirbelsäule sowie den Hüft- und Kniegelenken. Die immer wieder auftretenden Stumpfbeschwerden machten häufig das Tragen der Unterschenkelprothese unmöglich. Eine stehende oder gehende Tätigkeit könne sie grundsätzlich nicht verrichten; bei einer sitzenden Tätigkeit komme es zu Schmerzverstärkungen im Rückenbereich mit Ausstrahlung in die Oberschenkel.

Das Sozialgericht hat zunächst durch Einholung von Befundberichten von Dipl.-Med. L. vom 29. November 2004 und von Dr. L. vom 8. Dezember 2004 ermittelt. Dipl.-Med. L. hat angegeben, die Klägerin könne allenfalls leichte körperliche Arbeiten (vorwiegend im Sitzen) weniger als drei Stunden täglich verrichten. Auch die psychische Belastbarkeit sei erheblich reduziert. Dr. L. hat ausgeführt, die ständigen massiven Stumpfprobleme erschwerten bereits die alltägliche Versorgung der Klägerin. Eine zusätzliche Erwerbstätigkeit führe zu einer Verstärkung der Beschwerden, sodass mit Sicherheit eine langfristige oder dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zu erwarten sei.

Die vom Sozialgericht mit Beweisanordnung vom 7. Februar 2005 mit der Begutachtung der Klägerin beauftragte Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. gab den Gutachtenauftrag mit einer Stellungnahme vom 25. Mai 2005 ohne Beantwortung der Beweisfragen zurück. Der Ehemann der Klägerin habe den ersten Untersuchungstermin auf Grund von ihm selbst wahrzunehmender Arzttermine abgesagt. Bei der sodann anberaumten Untersuchung am 13. Mai 2005 habe die Klägerin weinend erklärt, die Treppe zu den Praxisräumen nicht bewältigen zu können, ohne dass dies für die beauftragte Sachverständige nach Aktenlage nachvollziehbar gewesen sei.

Das Sozialgericht hat sodann Befundberichte von dem Facharzt für Chirurgie/Gefäßchirurgie Dr. M. vom 3. August 2005 und von Dipl.-Med. L. vom 8. August 2005 eingeholt. Dr. M. hat berichtet, es sei stationär eine konservative Behandlung einer Entzündung am Unterschenkel durchgeführt worden. Neben der Adipositas per magna sei ein Alkoholabusus als neues Leiden hinzugetreten. Dipl.-Med. L. hat einen im Wesentlichen unveränderten Befund angegeben.

Das Sozialgericht hat sodann ein Gutachten von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 4. August 2005 eingeholt. Die Klägerin habe angegeben, unter ständigen Schmerzen im Stumpfbereich zu leiden. Die Wunde sei oft geschwollen bzw. aufgeplatzt. Sie habe Schmerzen im unteren Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Ausstrahlung in die Beine hinein und im Bereich beider Hüftgelenke (links stärker als rechts) und beider Knie sowie Nackenkopfschmerzen vom oberen Bereich der Halswirbelsäule (HWS) mit Ausstrahlung vorwiegend in den Hinterkopf. Das Gehen falle ihr selbst mit zwei Unterarmgehstützen schwer. Sie habe dabei starke Schmerzen. Bis zwei Monate vor der Untersuchung habe sie reichlich Alkohol getrunken. Es seien bis zu einem halben Liter/einer halben Flasche Schnaps sowie einige/mehrere Flaschen Bier täglich gewesen. Sie habe dann, als körperliche Beschwerden aufgetreten seien und sie sich schlechter gefühlt habe, ohne die von dem Hausarzt vorgeschlagene Therapie mit dem Trinken aufgehört. Sie sei schon als Jugendliche übergewichtig gewesen, habe einen gesteigerten Appetit und oft Heißhungerzustände. Im Jahr 2000 habe sie auf Grund einer Mobbingsituation am Arbeitsplatz einen Suizidversuch unternommen. Zurzeit leide sie unter Einschlaf- und Durchschlafstörungen und grübele oft über ihre Situation. Als belastend empfinde sie die Erbauseinandersetzungen in ihrer Familie. Sie sei in ihrer Vitalität geschwächt, habe wenig Antrieb und sitze überwiegend zu Hause herum.

Bei der Untersuchung habe sich bei der stark übergewichtigen Klägerin (130 kg/165 cm) ein Stauungsekzem am Unterschenkel gezeigt. Sie sei im psychischen Befund bewusstseinsmäßig klar und geordnet und hinsichtlich Ort, Zeit und Person voll orientiert. Der Antrieb sei nicht reduziert; sie wirke affektiv ausgeglichen und nicht depressiv. Die neurologische und technische Untersuchung habe keinen krankhaften Befund ergeben. Als Gesundheitsstörung liege ein weitgehend abgeklungenes reaktiv bedingtes depressives Syndrom vor. Es bestehe der Verdacht auf eine emotional labile Persönlichkeit und eine psychogene Essstörung mit zeitweise auftretenden Heißhungerattacken und einer hierdurch bedingten Adipositas per magna (Body-Mass-Index 48,1) sowie auf einen zeitweilig stattgehabten Alkoholabusus (zurzeit in einer abstinenten Phase). Die Klägerin leide unter einem chronischen HWS- und LWS-Syndrom im Rahmen degenerativer Veränderungen ohne sichere bandscheibenbedingte Störungen im Bereich der Arme und Beine bei einem Zustand nach Amputation des linken Unterschenkels. Durch das starke Übergewicht komme es zu Störungen und Überlastungen im Bereich der Knie- und Hüftgelenke sowie der LWS.

Die Klägerin könne die gewissen psychischen Auffälligkeiten, denen durchaus Krankheitswert beizumessen sei, durch willentliche Anstrengungen weitgehend überwinden und steuern. Sie sei in der Lage, vollschichtig leichte körperliche Arbeiten in einfacher Verantwortung, überwiegend im Sitzen, gelegentlich im Stehen und Gehen, in geschlossenen Räumen, in gleichbleibender Schicht und unter Ausschluss von Akkorddruck und Fließbandarbeit zu verrichten. Diese Arbeiten sollten nicht in Zwangshaltungen stattfinden und nicht ständig über Kopf, auf Leitern oder Gerüsten ausgeführt werden müssen oder mit dem Heben oder Tragen von nicht nur leichten Lasten verbunden sein. Sie sei z.B. noch als Briefverteilerin, Bürohilfsarbeiterin, Bibliothekshelferin oder Sortiererin bzw. Verpackerin kleiner Teile vollschichtig einsetzbar. Eine übermäßige Minderung der Anpassungs-, Umstellungs- und Konzentrationsfähigkeit liege nicht vor. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei eingeschränkt. Sie sei zurzeit nur in der Lage, Gehstrecken von 200 bis 250 Metern viermal täglich zurückzulegen. Sie könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen und innerorts einen Pkw bewegen. Der Sachverhalt sei aus medizinischer Sicht ausreichend geklärt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. März 2006 abgewiesen. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig im Rahmen eines üblichen Arbeitstages zu verrichten. Sie sei auf Grund ihrer erheblichen Adipositas, der chronischen Rückenschmerzen und des Zustands nach Unterschenkelamputation zurzeit nicht in der Lage, viermal täglich 500 Meter zu Fuß zurückzulegen. Zumutbar seien ihr allenfalls Gehstrecken von 200 bis 250 Metern viermal täglich. Eine ausreichende Wegefähigkeit sei indes noch dadurch sichergestellt, dass die Klägerin über eine gültige Fahrerlaubnis verfüge und einen privateigenen Pkw benutze. Auf die Frage, ob die Klägerin vom Parkplatz zum Arbeitsplatz gelangen könne, komme es nicht an, da nicht auf einen konkreten Arbeitsplatz abzustellen sei. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig. Als bisheriger Beruf sei der einer Zugreinigerin maßgebend, den sie gesundheitsbedingt nach einem Unfall habe aufgeben müssen. Hierbei handele es sich allenfalls um eine einfache angelernte Arbeit, sodass die Klägerin auf alle Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar sei.

Gegen den ihr am 20. März 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 4. April 2006 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Im Rahmen ihrer Begründung, eingegangen beim Senat am 20. Oktober 2006, verweist sie im Wesentlichen auf ihren seit dem Unfall im November 1984 bestehenden schlechten Gesundheitszustand, der sich seit dem Wegfall der bewilligten befristeten Rente weiter verschlechtert habe. Ihre Beschwerden lägen vor allem im chirurgisch-/ orthopädischen Bereich. Die Frage ihrer Fähigkeit, die erforderlichen Wegstrecken zur Arbeit zurückzulegen, sei vom Sozialgericht nicht aufgeklärt worden. Die Benutzung eines Pkw sei ihr nicht möglich. Sie verweist auf eine ärztliche Bescheinigung von Dr. L. vom 16. Oktober 2006, in der ihr eine auf Dauer bestehende Erwerbsunfähigkeit, ohne Aussicht auf Besserung attestiert wird.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 13. März 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Dezember 2003 hinaus, hilfsweise ihr ab dem 1. Januar 2004 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weiter hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Der Senat hat zunächst Befundberichte eingeholt. Dr. L. hat in seinem Befundbericht vom 3. März 2008 ausgeführt, die Klägerin leide seit ca. Juli 2005 auch unter Beschwerden auf Grund einer Gonarthrose. Im Übrigen sei keine erhebliche Verbesserung oder Verschlechterung ihrer Beschwerden eingetreten. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. hat in ihrem Befundbericht vom 4. März 2008 auf vermehrte Beschwerden der Klägerin mit einer kontinuierlichen Verschlechterung der Befunde hingewiesen.

Der Senat hat sodann ein Gutachten von der Fachärztin für Innere Medizin/Sozialmedizin/Betriebsmedizin Dr. H. vom 5. Januar 2010 eingeholt. Nach ihrer Gewichtsabnahme (zum Zeitpunkt der Untersuchung auf 80 kg) fühle sie sich nun wesentlich wohler; sie habe nun einen Freund, der sie täglich besuche. Mit der angepassten Prothese sei der Stumpf manchmal entzündet mit einer Art Ekzem mit Juckreiz und Rötung. Da der neue Silikonstumpf drücke, benötige sie zur Entlastung zurzeit zwei Unterarmgehstützen, ansonsten außen immer eine, weil sie sich aus Sicherheitsgründen damit besser fühle. Die 200 Meter von der Wohnung zum Park sei sie manchmal auch ohne Stützen gegangen. Bei Wetterumschwüngen habe sie Phantomschmerzen (an den Zehen 1-5 unerträgliche Schmerzen) und manchmal Nackenschmerzen unabhängig von Bewegungen z.B. nach dem Einkauf, die sie jeweils durch Massagen oder Diclac 50 zu lindern wisse. An der LWS habe sie Schmerzen beim Bücken und Wiederaufrichten. Sitzen könne sie unbegrenzt, Stehen maximal 20 Minuten, Gehen schätzungsweise eine halbe Stunde, z.B. während des Einkaufs. Sie wolle jetzt einen Rollator bei der Krankenkasse beantragen, damit sich der Einkauf im von ihrer Wohnung ca. 500 Meter entfernten "ALDI" leichter gestalte. Im Jahr 2008 sei es erstmals zu einem epileptischen Anfall - vermutlich nach einem übermäßigen Genuss von Alkohol - gekommen. Sie sei dabei gestürzt und habe sich ein Blutgerinsel im Hirn zugezogen, das durch ein inzwischen verheiltes Drainageloch im Schädel behandelt worden sei. Letzte Anfälle seien im September 2009 aufgetreten. Eine ambulante Behandlung werde durch die Hausärztin Dr. B. durchgeführt, die sie alle vier Wochen aufsuche und Dr. L ... Ein Fachärztin für Nervenheilkunde habe sie zuvor letztmals im Jahr 2008 aufgesucht. Sie nehme das Epilepsie-Medikament Carbadura ein. Zum Abend trinke sie gern eine Flasche Bier, im Verlauf von drei Tagen trinke sie außerdem 0,7 Liter "Klaren" aus Unzufriedenheit heraus, um Sorgen zu vergessen und um ruhiger zu werden. Zur Entwöhnung sei sie noch nie gewesen, habe auch noch nie Entzugssymptome verspürt. Der Führerschein sei ihr alkoholbedingt entzogen worden. In ihrer Tätigkeit als Briefverteilerin bei der D. Post AG habe sie weitgehend sitzend gearbeitet. Sie habe Briefe nach Zustellungsbezirken sortiert, Briefein- und -ausgänge geprüft oder "´mal Postpakete vom Wagen holen" müssen.

Bei der Untersuchung habe sich die Klägerin in einem beeinträchtigten Allgemein- und Kräftezustand vorgestellt. Eine leichtgradige Einschränkung der Beweglichkeit mit Bewegungsschmerz bestehe im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) und der LWS. Die Klägerin gehe mit zwei Unterarmgehstützen in Konfektionsschuhen langsam, das linke Bein etwas nachziehend. Im Rahmen des Sechs-Minuten-Gehtests in der Ebene habe die Klägerin 180 Meter an Unterarmgehstützen absolviert, aber über Schmerzen im Nackenbereich nach 160 Metern geklagt. Der Unterschenkelstumpf sei gut beweglich, mit einer dunkellividen Färbung und einzelnen nicht blutenden oberflächlichen Fissuren oberhalb des Stumpfs und einem trockenen, schuppenden Ekzem in der Kniekehle. Die Untersuchung von Nervensystem und Psyche habe seitengleiche, untermittellebhafte Muskeleigenreflexe gezeigt. Die Klägerin sei zur Untersuchung mit der Bahn angereist und pünktlich erschienen. Im Verhalten sei sie angepasst, freundlich, kooperativ und affektiv gut schwingungsfähig gewesen; in der Grundstimmung habe sie ausgeglichen gewirkt. Aufmerksamkeit und Konzentration seien ungestört gewesen. Wahrnehmungsstörungen, inhaltliche oder formale Störungen des Gedankengangs hätten nicht bestanden. Das Umstellungsvermögen der Klägerin im Rahmen der Untersuchung sei etwas erschwert, der Antrieb sei nicht eingeschränkt gewesen.

Bei der Klägerin bestünden folgende körperliche und seelische Krankheiten, Gebrechen und Schwächen: Zustand nach Unterschenkelamputation 1984 links mit Prothesenversorgung. Chronisches Lumbalsyndrom, muskulär und degenerativ bedingt bei über das Altersmaß hinausgehender degenerativer Veränderung (Spondylose lumbosakral) ohne neurologische Ausfälle mit leichtgradiger Funktionsstörung. Chronisches Zervikalsyndrom bei muskulärer Dysbalance, ohne neurologische Ausfälle, ohne Funktionsstörungen. Arterielle Hypertonie, Erstdiagnose 1999, ohne linksventrikuläre Hypertrophie, ohne hypertensive Entgleisung. Zustand nach evtl. alkoholinduziertem epileptischem Anfall 2008 und 2009 (anamnestisch) bei chronischem Alkoholabusus. Wetterabhängiger Phantomschmerz an den Zehen 1 bis 5.

Die von der Klägerin vorgetragenen körperlichen Beschwerden seien mit Untersuchungsbefunden zu objektivieren. Labortechnisch habe sich auch der von der Klägerin zugegebene vermehrte Alkoholkonsum in Form eines Leberparenchymschadens bestätigt. Die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende seelische Störungen bestünden nicht. Die Klägerin verfüge über eine normale lebenspraktische Alltagsintelligenz und sei entsprechend ihres Lebenslaufs und des geschilderten Alltagsverhaltens geistig durchschnittlichen Anforderungen in Bezug auf die Beanspruchung des Denkvermögens, Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Ausdauer und häufigen Publikumsverkehr gewachsen. Sie könne sich auch innerhalb von drei Monaten auf eine einfache Tätigkeit umstellen. Die Klägerin könne ohne Gefährdung der Gesundheit noch körperlich leichte Arbeiten (überwiegend sitzend, ohne einseitige körperliche Belastung bzw. Zwangshaltung, Bücken, Knien oder Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, Arbeiten unter Einwirkung von Temperaturschwankungen, Nässe, Zugluft, im Freien, auf Gerüsten oder Leitern, unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband oder im Schichtdienst) - z.B. leichte Sortier- oder Büroarbeiten - noch sechs Stunden täglich verrichten. Die Epilepsie verbiete Tätigkeiten mit Absturzgefahr und an rotierenden Maschinen. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei nicht erheblich eingeschränkt. Sie könne viermal täglich Fußwege von mehr als 500 Metern ohne unzumutbare Beschwerden und ohne lange Pausen in 20 Minuten zurücklegen. Die Prothese sitze gut. Die Unterarmgehstütze werde im Außenbereich nur aus Sicherheitsgründen genutzt. Der Sechs-Minuten-Gehtest sei nicht repräsentativ für eine zumutbare Gehstrecke, da er wegen Nackenschmerzen, ohne Angabe von Beschwerden an den unteren Extremitäten oder Eintritt einer kardiovaskulären Belastungsreaktion, abgebrochen worden sei. Die Klägerin sei - auch nach ihren eigenen Angaben - in der Lage, eine halbe Stunde zu gehen und öffentliche Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit zu nutzen. Eine wesentliche Besserung des Leistungsvermögens sei nicht zu erwarten. Der Sachverhalt sei in medizinischer Hinsicht geklärt.

Das am 12. Januar 2010 bei dem Senat eingegangene Gutachten ist der Klägerin in Kopie als Anlage zum Richterbrief des Berichterstatters vom 14. Januar 2010 - über ihren Bevollmächtigten - übersandt worden. In diesem Zusammenhang ist die Klägerin u.a. auf die Möglichkeit, einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu stellen, hingewiesen worden.

Die Klägerin ist sodann mit Schreiben vom 15. Februar 2010 an die Stellungnahme erinnert worden. Unter Bezugnahme auf dieses Schreiben und den Richterbrief vom 14. Januar 2010 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 26. Februar 2010, bei dem Senat eingegangen am 3. März 2010, ausgeführt, sie weise das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme zurück. Darüber hinaus erlaube sie sich den Hinweis, dass die beauftragte Sachverständige, Frau Dr. med. B. H., "offensichtlich gleichzeitig für den Sozialmedizinischen Dienst der Bundesknappschaft und damit die Deutsche Rentenversicherung tätig sei". Vor diesem Hintergrund befinde sich die beauftragte Gutachterin offensichtlich im Lager der Beklagten und sei somit objektiv nicht geeignet, ein unabhängiges Gutachten zu erstellen. Eine neutrale weitere Begutachtung halte sie zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für dringend geboten. Die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche bleibe ausdrücklich vorbehalten.

Mit Richterbrief vom 11. März 2010 hat der Berichterstatter bei der Klägerin angefragt, ob sie einen - wohl als unzulässig anzusehenden - Befangenheitsantrag stellen wolle. Die Senatsvorsitzende hat am 15. Juli 2010 den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 12. August 2010 anberaumt. Nachfolgend ist an diesem Tag bei dem Senat der Schriftsatz der Klägerin vom 13. Juli 2010 eingegangen, in welchem sie erneut auf ihre Bedenken in Bezug auf die beauftragte Gutachterin Dr. H. hingewiesen und ausdrücklich einen Befangenheitsantrag gestellt hat. Es sei "unstreitig eine Tatsache", dass die beauftragte Sachverständige ständig für die Rentenversicherung tätig sei. Die Sachverständige habe auch in unzureichender Weise eine Begutachtung terminsmäßig mit ihr abgestimmt. Sie - die Klägerin - beantrage, eine weitere Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie U. S. vorzunehmen. Dr. H. habe die Schmerzproblematik überhaupt nicht berücksichtigt.

Mit Beschluss vom 20. Juli 2010 hat der Senat den Antrag der Klägerin, Dr. H. als Sachverständige wegen einer Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, als unzulässig verworfen und den Antrag, Herrn S. gutachterlich zu hören, abgelehnt.

Auf Antrag der Klägerin ist der Termin am 12. August 2010 auf den 15. September 2010 verlegt worden. Im Verhandlungstermin hat die Klägerin dann vor der Stellung der Anträge darauf hingewiesen, der Senat habe dem Beweisantrag aus der Berufungsschrift, ein orthopädisches oder chirurgisches Gutachten einzuholen, von Amts wegen entsprechen müssen. Zumindest sei aber ein Gutachten von Herrn S. einzuholen, der kompetent sei, ihre Schmerzproblematik zu bewerten. Dazu sei Dr. H., die Internistin sei, nicht in der Lage. Deren Gutachten könne nur als "Zusammenfassung" ohne eigene Befundung angesehen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Dezember 2003 hinaus. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Gemäß § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI teilweise erwerbsgemindert. Sind sie nicht mehr in der Lage in diesem Rahmen mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, sind sie nach Absatz 2 Satz 2 dieser Vorschrift voll erwerbsgemindert. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin ist jedenfalls seit dem 1. Januar 2004 nicht erwerbsgemindert in diesem Sinne.

Die Klägerin ist noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen, gelegentlich im Stehen, in gleichbleibender Schicht und geschlossenen Räumen verrichten. Zu vermeiden sind Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung, in Zwangshaltung, mit einem Bücken, Knien oder Heben bzw. Tragen von nicht nur leichten Gewichten ohne Hilfsmittel, Arbeiten mit Absturzgefahr (z.B. auf Leitern oder Gerüsten), Überkopfarbeit, Arbeiten unter Zeitdruck (Akkord-, Fließband- oder Schichtarbeit) und solche mit Einwirkung von Temperaturschwankungen, Nässe oder Zugluft und an laufenden Maschinen. Die Klägerin ist Arbeiten in einfacher Verantwortung mit durchschnittlichen Anforderungen in Bezug auf die Beanspruchung des Denkvermögens, an die Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit, Ausdauer, das Verantwortungsbewusstsein und den Anforderungen eines Publikumsverkehrs gewachsen. Das Umstellungsvermögen ist etwas eingeschränkt, genügt aber für die Einarbeitung in einen neuen Arbeitsbereich.

Dieses Leistungsbild ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Feststellungen von Dr. H. in ihrem Gutachten vom 5. Januar 2010, von Dr. S. in seinem Gutachten vom 4. August 2005 sowie den Feststellungen in den von der Beklagten eingeholten Gutachten von Dipl.-Med. R. vom 12. Januar 2004 und von Dipl.-Med. H. vom 8. Juni 2004.

Bedenken im Hinblick auf die Verwertbarkeit der Feststellungen in dem Gutachten von Dr. H. vom 5. Januar 2010 bestehen nicht. Der Senat hat den nicht innerhalb der Frist des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gestellten Antrag der Klägerin, die Sachverständige wegen einer Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, mit Beschluss vom 20. Juli 2010 abgelehnt. Die Klägerin hat auch in der mündlichen Verhandlung in der Sache verhandelt und einen Sachantrag gestellt.

Eine mangelnde Objektivität von Dr. H. ist auch weder in Bezug auf Rentensachen im Allgemeinen noch in Bezug auf die Rentensache der Klägerin ersichtlich. Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See kommt hier nicht für eine Verurteilung, der Klägerin die streitige Rente zu bewilligen, in Betracht. Dr. H. ist mit der Anfertigung des Gutachtens über das Leistungsbild der Klägerin betraut worden, da sie gerichtsbekannt in der Lage ist, bei multimorbiden Probanden das Leistungsbild unter Berücksichtigung der Erkrankungen in der Gesamtheit zu erfassen, zu beurteilen und überzeugend darzustellen. Das von Dr. H. hier vorgelegte Gutachten ist auch im Hinblick auf Aufbau und Inhalt nicht zu beanstanden. Es stellt nicht nur eine Zusammenfassung ohne eigene Befundung - wie von der Klägerin behauptet - dar. Vielmehr hat die Sachverständige die Klägerin vier Stunden begutachtet, eigene Befunde auf internistischem, orthopädischen und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erhoben, im Einzelnen die entsprechenden Diagnosen erläutert und deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen dargelegt und ihre Leistungseinschätzung schlüssig begründet.

Der Senat hat den Antrag der Klägerin, den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie S. gutachterlich zu hören, ebenfalls mit Beschluss vom 20. Juli 2010 abgelehnt, da dieser Antrag grob nachlässig erst am 15. Juli 2010 gestellt worden ist und die Einholung des Gutachtens die Entscheidung in der Sache verzögert hätte. Es kann damit dahinstehen, dass im Rahmen der beantragten Anhörung eines Neurologen und Psychiaters dem Anliegen der Klägerin, eine Begutachtung auf chirurgischem bzw. orthopädischem Fachgebiet durchzuführen, nicht hätte entsprochen werden können.

Im Vordergrund stehen bei der Klägerin Gesundheitseinschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet. Sie leidet an den Folgen der nach dem Unfall im Jahr 1984 erforderlich gewordenen Unterschenkelamputation und degenerativen Veränderungen vor allem in Form eines chronischen Lumbal- und Zervikalsyndroms. Diese Erkrankungen führen zu den im Rahmen des Leistungsbildes genannten qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens der Klägerin. Ihr quantitatives Leistungsvermögen für leichte Arbeiten ist aber hierdurch nicht auf unter sechs Stunden täglich herabgesunken.

Soweit die Klägerin gerügt hat, ihre Schmerzproblematik sei nicht hinreichend gutachterlich gewürdigt worden, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Sämtliche mit der Begutachtung von der Beklagten, dem Sozialgericht und dem Senat beauftragten Gutachter haben degenerative Veränderungen im Bereich von Wirbelsäule, Hüft- und Kniegelenken der Klägerin bejaht und auch die Situation nach Unterschenkelamputation in ihre Würdigung einbezogen. Zuletzt hat Dr. H. die von der Klägerin vorwiegend bei Wetterumschwüngen angegebenen Phantomschmerzen als glaubhafte Darstellung wiedergegeben, allerdings gleichzeitig die von der Klägerin selbst angegebene medikamentöse Behandelbarkeit dieser Beschwerden angeführt.

Anhaltspunkte für eine die Erwerbsfähigkeit der Klägerin beeinträchtigende seelische Erkrankung bestehen nicht. Dr. H. hat selbst eine solche Beeinträchtigung nicht dargelegt und eine Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auf psychiatrischem Fachgebiet verneint. Ihren Alkoholkonsum scheint die Klägerin nach eigenen Angaben steuern zu können, sodass Ermittlungen in Hinblick auf ein aus Gründen einer Suchtproblematik eingeschränktes Leistungsvermögen nicht Erfolg versprechend gewesen sind. Die Klägerin bekennt sich auch offen zu ihrem Trinkverhalten, sodass es fernliegt, ihre Angaben zur Steuerbarkeit des Verhaltens zu hinterfragen. Bezüglich des psychischen Befindens ist auch eine wesentlich durch die Gewichtsabnahme und die Aufnahme einer Beziehung verbesserte Situation der Klägerin zu berücksichtigen. Diese Verbesserungen haben insbesondere ihren Niederschlag in der von Dr. H. dargestellten ausgeglichenen Grundstimmung der Klägerin gefunden. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 4. August 2005 bei einer in Bezug auf das Körpergewicht und die soziale Situation schlechteren Lage der Klägerin ihre vollschichtige Einsatzfähigkeit für leichte körperliche Arbeiten bejaht. Die von der Klägerin berichteten epileptischen Anfälle stellen sich als temporäre Ereignisse dar und werden im Rahmen der hausärztlichen Behandlung medikamentös behandelt.

Die Beschwerden der Klägerin auf internistischem Fachgebiet, insbesondere ihre arterielle Hypertonie, sind medikamentös ausreichend behandelt.

Bei der Klägerin liegen auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz des Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden täglich zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Das Restleistungsvermögen der Klägerin reicht vielmehr noch für zumindest leichte körperliche Verrichtungen im Wechsel der drei Körperhaltungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, das Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats (GS) des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33 f.). Zuletzt hat Dr. H. in ihrem Gutachten vom 5. Januar 2010 die Einsatzfähigkeit der Klägerin u.a. für leichte Sortier- und Bürohilfsarbeiten bejaht.

Auch liegt im Fall der Klägerin kein Seltenheits- oder Katalogfall vor, der zur Pflicht der Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes führen würde (vgl. BSG, GS, a.a.O.,= S. 35). Der Arbeitsmarkt gilt unter anderem als verschlossen, wenn einem Versicherten die sog. Wegefähigkeit fehlt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehender Mobilitätshilfen benutzen kann. Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats derzeit in der Lage, die erforderlichen Wegstrecken in der vorgenannten Zeitdauer viermal täglich zurückzulegen. Dr. H. hat das ihrem Gutachten vom 5. Januar 2010 bestätigt. Die Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass sich die Klägerin selbst in der Lage sieht, eine halbe Stunde zu gehen und - wenn auch unter gewissen Beschwerden - in einem ca. 500 Meter von der Wohnung entfernten Supermarkt einkaufen zu gehen. Der Wunsch nach der Versorgung mit einem Rollator ist auch unter dem Gesichtspunkt der Gewichtsbelastung beim Einkaufen zu sehen, die mit einem Weg zur Arbeit nicht verbunden wäre. Die Prothese der Klägerin ist angepasst worden und sitzt gut. Die Hautverhältnisse im Bereich des linken Unterschenkels sind im Wesentlichen regelgerecht. Im Hinblick auf die Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, hat die Anreise zum Untersuchungstermin bei Dr. H. mit der Bahn Indizwirkung, dass die Klägerin über diese Fähigkeit in dem erforderlichen Umfang verfügt. Der Senat verschließt sich nicht den von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. R. in ihrem Gutachten vom 12. Januar 2004 und dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. in seinem Gutachten vom 4. August 2005 dargelegten weitergehenden Einschränkungen der sog. "Wegefähigkeit" der Klägerin. Insoweit ist indes zu berücksichtigen, dass die von diesen Gutachtern genannten Einschränkungen nicht deckungsgleich sind. Dipl.-Med. R. hat die Klägerin (bei einem Gewicht von damals 134 kg) für in der Lage erachtet, mehr als 500 Meter in 20 Minuten zu bewältigen, aber nicht viermal täglich. Dr. S. ist von einer der Klägerin (bei einem Gewicht von damals 130 kg) viermal täglich möglichen Wegstrecke von 200 bis 250 Metern ausgegangen. Für beide Sachverständige hatte die durch das Übergewicht bewirkte Überlastung Einfluss auf die Einschätzung. Der Facharzt u.a. für Orthopädie Dipl.-Med. H. hat in seinem Gutachten vom 8. Juni 2004, das also zeitlich zwischen den beiden vorgenannten Gutachten liegt, die Fähigkeit der Klägerin viermal täglich mehr als 500 Meter in 20 Minuten zurückzulegen bejaht. Vor dem Hintergrund der inzwischen eingetretenen starken Gewichtsveränderung der Klägerin und der Leistungseinschätzung von Dipl.-Med. H. sieht der Senat keine Möglichkeit, für einen datumsmäßig bestimmten Zeitraum eine Unfähigkeit der Klägerin, die erforderlichen Wege zur Arbeit zurückzulegen, festzustellen.

Die Klägerin hat schließlich keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bei im Übrigen der Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung entsprechenden besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, wenn sie erstens vor dem 2. Januar 1961 geboren und zweitens berufsunfähig sind. Die Klägerin ist vor dem hier maßgebenden Stichtag geboren, aber nicht berufsunfähig im Sinne dieser Vorschrift. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden täglich herabgesunken ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Leistungsfall der Berufsunfähigkeit nicht eingetreten, da die Klägerin nicht nachweisbar außer Stande wäre, ihre letzte Tätigkeit als Briefverteilerin weiterhin auszuüben.

Für die Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist sein "bisheriger Beruf" maßgebend. Bisheriger Beruf im Sinne des § 240 SGB VI ist grundsätzlich die zuletzt ausgeübte und auf Dauer angelegte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Diese muss also mit dem Ziel verrichtet worden sein, sie bis zur Erreichung der Altersgrenze auszuüben. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls dann, wenn die Tätigkeit zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl. Niesel in: Kasseler Kommentar, § 240 RdNr. 9, 10 m.w.N.).

Der Senat stellt auf die chronologisch letzte Tätigkeit der Klägerin ab, da die Tätigkeit als Briefverteilerin bei der D. Post AG nicht erkennbar qualitativ geringer als die Tätigkeit als Zugreinigerin bei der D. Reichsbahn war. Nach den Angaben der Klägerin handelte es sich um eine vorwiegend im Sitzen zu verrichtende leichte Tätigkeit in geschlossenen Räumen, die betriebsbedingt mit einer Arbeitszeit von vier Stunden täglich an sechs Tagen in der Woche zu verrichten war. Es kann offen bleiben, ob die Klägerin diese Tätigkeit im Jahr 2001 aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat. Die Umstände der Klägerin haben sich insbesondere im Hinblick auf ihr Übergewicht und ihre soziale Situation wesentlich gebessert, sodass diese Gründe nicht mehr vorhanden wären. Das Sortieren von Briefen nach Zustellungsbezirken, die Prüfung von Briefeingängen und -ausgängen sowie das gelegentliche Holen von (leichteren) Paketen ist mit dem vom Senat angenommenen Leistungsbild der Klägerin vereinbar. Sowohl Dipl.-Med. H. als auch Dr. S. und Dr. H. haben keine Bedenken im Hinblick auf die Fähigkeit der Klägerin, diese Tätigkeit zu verrichten, geäußert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
Saved