Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 10/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 566/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer in der Klinik Hirslanden/Schweiz im Rahmen einer 3-tägigen stationären Krankenhausbehandlung privatärztlich durchgeführten laparoskopischen Operation einer Endometriose in Höhe von 13.650,80 EUR.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin litt seit Jahren an einer Endometriose mit Unterbauchschmerzen und Inkontinenz. Im Januar 2005 entfernte Prof. Dr. Q., damals Leiter der Klinik für Gynäkologie des Krankenhauses Hohenlind in Köln, laparoskopisch die sichtbaren Endometrioseherde. Nach einjähriger Beschwerdefreiheit traten erneut Schmerzen auf, dann Harn- und Stuhlinkontinenz. Seit Oktober 2008 wurde die Klägerin deshalb im Zentrum für Kontinenz und Neuro-Urologie der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach behandelt. Die dortigen Ärzte empfahlen zunächst eine konservative Therapie mit Physiotherapie und Elektrostimulation; wenn nach einem halben Jahr keine Besserung der Harninkontinenz einträte, seien verschiedene Operationen in Betracht zu ziehen.
Am 04.05.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Behandlung durch Prof. Dr. Q., der inzwischen in der Schweiz tätig war. Die Klägerin begründete den Antrag damit, Dr. Q. habe ihr die Möglichkeit aufgezeigt, statt mehrerer chirurgischer Eingriffe die bestehenden Probleme in einem Eingriff zu lösen. Es solle zunächst am 12.05.2009 eine Voruntersuchung stattfinden. Daraufhin bewilligte die Beklagte am 06.05.2009 die Untersuchung in der Schweiz am 12.05.2009 auf einem Auslandskrankenschein E 112.
Am 14.05.2009 beantragte die Klägerin die Übernahme der Operations- und Krankenhausbehandlungskosten von Prof. Dr. Q. in der Klinik Hirslanden/Schweiz. Sie legte hierzu einen Kostenvoranschlag über 25.010,00 CHF vor (für "LSK Neurolyse, LASH, Promontofixation, Paravaginal Repair").
Durch Bescheid vom 20.05.2009 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab mit der Begründung, auch deutsche Leistungserbringer, z.B. die Unikliniken Köln/Bonn, könnten die Behandlung durchführen.
Die Klägerin entschloss sich zur Operation in der Schweiz und zahlte einen Vorschuss von 30.857,40 CHF, für die ihr Konto am 12.06.2009 mit 20.700,00 EUR (Kurs: 1,4907) belastet wurde. Vom 30.06. bis 02.07.2009 befand sich die Klägerin zur stationären Behandlung in der Schweiz; am 30.06.2009 führte Prof. Dr. Q. dort die Operation durch. Ausweislich der Schlussrechnung der Klinik Hirslanden vom 03.08.2009 betrugen die Kosten 20.349,25 CHF; dies entspricht bei einem Kurs von 1,4907 einem Eurobetrag von 13.650,80.
Am 04.07.2009 legte die Klägerin gegen die Ablehnung der Kostenübernahme Widerspruch ein. Sie trug vor, ihr sei klar gewesen, dass für einen Teil des geplanten Eingriffs Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland bestanden hätten; wichtig sei ihr aber gewesen, so viel wie möglich komprimiert durchführen zu lassen; die vom Servicecenter der Beklagten benannten Behandler in Deutschland, u.a. in der Berliner Charité, hätten mitgeteilt, die von Prof. Dr. Q. angewandte Operationstechnik einer Neurolyse der pelvinen Nerven zur Behandlung einer Endometriose werde einzig von diesem praktiziert. Die Klägerin legte den Bericht über die Operation durch Prof. Dr. Q. vor.
Durch (wiederholenden) Bescheid vom 16.07.2009 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten der Behandlung in der Schweiz erneut ab. Dagegen hat die Klägerin am 21.07.2009 Widerspruch eingelegt, diesen ergänzend begründet und die Schlussrechnung der Klinik Hirslanden vorgelegt.
Durch Widerspruchsbescheid vom 14.12.2009 wies die Beklagte die Widersprüche zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 13.01.2010 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Krankenhausbehandlung und Operation in der Schweiz bei Prof. Dr. Q. sei medizinisch notwendig gewesen und habe von keinem anderem Arzt bzw. in keinem anderen Krankenhaus in Deutschland durchgeführt werden können. Insbesondere habe in Deutschland keine Möglichkeit bestanden, die Behandlung mit lediglich einem Eingriff durchzuführen; dies gelte auch in Bezug auf Dr. D. von der Berliner Charité. Dieser habe zwar bei Dr. Q. gelernt, praktiziere aber eine völlig andere Operationsmethode. Die von Dr. Q. präferierte Neurolyse habe sich auch in Berlin nicht durchführen lassen. Deshalb sei ihr keine andere Wahl geblieben als sich in der Schweiz behandeln zu lassen. Auch die von der Beklagten über den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) benannten Prof. Dr. I./Wuppertal und Prof. Dr. V./Berlin hätten so wie Prof. Dr. Q. nicht operieren können. Die Klägerin hat hierzu eine Stellungnahme von Prof. Dr. Q. vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 20.05. und 16.07.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2009 zu verurteilen, ihr 13.650,80 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung und verweist auf fachliche Stellungnahmen des MDK (Dr. O.) vom 23.04. und 19.08.2010.
Das Gericht hat Auskünfte zu der Operationstechnik eingeholt von Prof. Dr. Q., Prof. Dr. I. und Prof. Dr. V.; wegen des Ergebnisses wird auf die Stellungnahmen vom 11.03., 20.05. und 16.06.2010 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten ihrer Krankenhausbehandlung und Operation in der Schweiz durch Prof. Dr. Q ...
Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten, in denen die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist, anstelle der Sach- oder Dienstleistungen im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (Satz 2). Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte (Satz 3). Gemäß § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB V können abweichend von Abs. 4 in anderen Staaten, in denen die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist, Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann (Satz 2).
Die Schweiz gehört zu den "anderen Staaten" im Sinne von § 13 Abs. 4 und 5 SGB V. Die Klinik Hirslanden ist auch eine zulässige Leistungserbringerin für einen Anspruch gemäß § 13 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 SGB V. Da diese Kostenerstattungsansprüche nicht an die Einbindung in ein Sachleistungssystem anknüpfen, sondern die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) umsetzen, ist die Einbindung des ausländischen Leistungserbringers in ein solches System keine notwendige Anspruchsvoraussetzung. Es genügt, dass die in einem anderen Mitgliedstaat gelegene Privatklinik in diesem Mitgliedstaat ebenfalls Qualitätskontrollen unterliegt, und dass die in diesem Staat niedergelassenen Ärzte, die in dem genannten Krankenhaus tätig sind, gleiche berufliche Garantien wie die im Inland niedergelassenen Ärzte bieten (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 22/08 R). Hiervon ist für die Schweiz, die Klinik Hirslanden und Prof. Dr. Q. auszugehen. Die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen nach § 39 SGB V im Ausland - hier: der Schweiz - ist jedoch an die Voraussetzung einer vorherigen Zustimmung durch die Krankenkasse geknüpft. Diese Zustimmung hat die Beklagte vor der vom 30.06. bis 02.07.2009 durchgeführten Krankenhausbehandlung zurecht gem. § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V versagt, weil die Klägerin zwar nicht die gleiche, aber eine für sie wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse entsprechende Behandlung ihrer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland hätte erlangen können. Das Kriterium einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung hat nicht nur die Behandlungsalternative im Inland zu erfüllen, sondern auch die streitige Auslandsbehandlung; denn die Vorschrift des § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V bezieht dieses Kriterium - das ergibt sich aus der Grammatik dieses Satzes und dem Sinn und Zweck der Regelung - sowohl auf "die gleiche" als auch "eine für den Versicherten ebenso wirksame" Behandlung (vgl. dazu auch: BSG, Urteil vom 17.02.2010 - B 1 KR 14/09 R).
Bei isolierten Endometrioseherden ist die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung die laparoskopische oder konventionelle operative Entfernung der Herde ("Goldstandard"; so: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, S. 517). Die operative Entfernung der Herde gilt als die derzeit beste Therapie; dabei sind oft ausgedehnte Operationen notwendig, die eine gute Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen, Chirurgen und Urologen erfordern und in einer entsprechend spezialisierten Klinik durchgeführt werden sollten (Leitlinie "Diagnostik und Therapie der Endometriose" der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe u.a., Stand 2010, Abschnitt 3.4.3). Dieses Verfahren wird auch in Deutschland - ggf. in Spezialkliniken - durchgeführt. Die Endometriose ist einer der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen mit jährlich ca. 40000 Neuerkrankungen in Deutschland (Pschyrembel, a.a.O., S. 516). Diese u. U. sehr aufwändige Behandlung mit möglicherweise mehreren Operationen wollte die Klägerin jedoch vermeiden; sie wandte sich an Prof. Dr. Q. in der Erwartung, durch dessen Operationstechnik mehrere Eingriffe vermeiden zu können.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass die von Prof. Dr. Q. angewandte Methode der laparoskopischen Neurolyse der sakralen Nervenwurzeln zur Behandlung einer Endometriose in systematischer Form - soweit ersichtlich - nur von diesem Arzt beherrscht und angewandt wird. Prof. Dr. Q. hat diese Operationsmethode selbst entwickelt; da er in Deutschland noch niemanden auf diesem Spezialgebiet ausgebildet hat, steht derzeit in Deutschland kein Arzt zur Verfügung, der diese Operationen durchführt. Diese eigene Einschätzung von Prof. Dr. Q. in der Auskunft vom 11.03.2010 ist im Wesentlichen von Prof. Dr. I. und Prof. Dr. V. bestätigt worden. Prof. Dr. V. hat zwar darauf hingewiesen, dass eine laparoskopische Neurolyse S2 in einigen Einrichtungen, so auch bei ihm, im Rahmen onkologischer Operationen bei der Lymph- knotenentfernung im Becken durchgeführt wird; eine systematische laparoskopische Neurolyse sämtlicher sakraler Nervenwurzeln führe er jedoch nicht durch. Allein der Patientenwunsch der Klägerin, von Prof. Dr. Q. behandelt zu werden, begründet keinen Anspruch auf Zustimmung zu der Auslandsbehandlung. Spezielle Kenntnisse oder Fähigkeiten eines ausländischen Arztes oder eine besondere Operationstechnik können erst dann eine Inanspruchnahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigen, wenn sie sich in einem besonderen Leistungsangebot niederschlagen, das nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Teil einer zweckmäßigen medizinischen Behandlung der betreffenden Krankheit ist, im Inland aber nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht (BSG, Urteil vom 17.02.2010 - B 1 KR 14/09 R). Dies trifft jedoch auf die von Prof. Dr. Q. durchgeführte laparoskopische Neurolyse der sakralen Nervenwurzeln zur Behandlung der Endometriose nicht zu. In den Leitlinien "Chronischer Unterbauchschmerz der Frau" der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe und anderer Fachgesellschaften (Stand: 2009) werden die verschiedenen Therapieformen dargestellt und beurteilt. Unter anderem wird dort neben der Neuromodulation als einer möglichen Methode zur Bekämpfung chronischer Schmerzen die Neurolyse beschrieben. Es heißt dazu in den Leitlinien unter Ziffer 8.4.2: "Bei retroperitonealer Endometriose mit Infiltration im Bereich des Plexus sacralis respektive N. ichiadicus ist möglicherweise in Einzelfällen eine Besserung bei bisher gegen jede Therapie refraktären, unerträglichen pelvinen Schmerzen durch eine laparoskopische Neurolyse zu erreichen. Hierbei wird als aktuelle Entwicklung die laparoskopische Neuronavigation eingesetzt (LANN). Kurz gesagt, werden dabei im pelvinen Retroperitoneum somatische und autonome Nerven exponiert und elektrostimuliert, um über den erreichten Effekt den Nerven zu identifizieren. Somit soll eine funktionelle Kartographie des pelvinen autonomen Nervensystems erreicht werden. Neben der Neurolyse kann zur Therapie chronischer pelviner Schmerzen die laparoskopische Implantation von sog. Neuroprothesen zur Neuromodulation (LION) erfolgen. Diese Techniken sind noch als experimentell zu betrachten." Das abschließende Statement der Leitlinien der Fachgesellschaften zu diesen Behandlungsmethoden lautet: "Für die Behandlung beim chronischen Unterbauchschmerz sind Neuromodulation und Neurolyse als experimentelle Verfahren zu bezeichnen." In diesem Sinne hat sich auch Prof. Dr. V. in seiner Auskunft vom 16.06.2010 geäußert; er hat mitgeteilt, ihm sei kein Standard bekannt, der für die Behandlungsmethode einer systematischen laparoskopischen Neurolyse der sakralen Nervenwurzeln zur Behandlung der Endometriose die Wortwahl "lege artis" rechtfertige. Handelt es sich somit bei der laparoskopischen Neurolyse zur Behandlung der Endometriose um ein experimentelles Verfahren, also um eine neue, wissenschaftlich (noch) nicht anerkannte Behandlungsmethode, so entspricht diese nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wie sie § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V für die Zustimmung der Krankenkasse zu einer Auslandskrankenbehandlung fordert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer in der Klinik Hirslanden/Schweiz im Rahmen einer 3-tägigen stationären Krankenhausbehandlung privatärztlich durchgeführten laparoskopischen Operation einer Endometriose in Höhe von 13.650,80 EUR.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin litt seit Jahren an einer Endometriose mit Unterbauchschmerzen und Inkontinenz. Im Januar 2005 entfernte Prof. Dr. Q., damals Leiter der Klinik für Gynäkologie des Krankenhauses Hohenlind in Köln, laparoskopisch die sichtbaren Endometrioseherde. Nach einjähriger Beschwerdefreiheit traten erneut Schmerzen auf, dann Harn- und Stuhlinkontinenz. Seit Oktober 2008 wurde die Klägerin deshalb im Zentrum für Kontinenz und Neuro-Urologie der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach behandelt. Die dortigen Ärzte empfahlen zunächst eine konservative Therapie mit Physiotherapie und Elektrostimulation; wenn nach einem halben Jahr keine Besserung der Harninkontinenz einträte, seien verschiedene Operationen in Betracht zu ziehen.
Am 04.05.2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Behandlung durch Prof. Dr. Q., der inzwischen in der Schweiz tätig war. Die Klägerin begründete den Antrag damit, Dr. Q. habe ihr die Möglichkeit aufgezeigt, statt mehrerer chirurgischer Eingriffe die bestehenden Probleme in einem Eingriff zu lösen. Es solle zunächst am 12.05.2009 eine Voruntersuchung stattfinden. Daraufhin bewilligte die Beklagte am 06.05.2009 die Untersuchung in der Schweiz am 12.05.2009 auf einem Auslandskrankenschein E 112.
Am 14.05.2009 beantragte die Klägerin die Übernahme der Operations- und Krankenhausbehandlungskosten von Prof. Dr. Q. in der Klinik Hirslanden/Schweiz. Sie legte hierzu einen Kostenvoranschlag über 25.010,00 CHF vor (für "LSK Neurolyse, LASH, Promontofixation, Paravaginal Repair").
Durch Bescheid vom 20.05.2009 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab mit der Begründung, auch deutsche Leistungserbringer, z.B. die Unikliniken Köln/Bonn, könnten die Behandlung durchführen.
Die Klägerin entschloss sich zur Operation in der Schweiz und zahlte einen Vorschuss von 30.857,40 CHF, für die ihr Konto am 12.06.2009 mit 20.700,00 EUR (Kurs: 1,4907) belastet wurde. Vom 30.06. bis 02.07.2009 befand sich die Klägerin zur stationären Behandlung in der Schweiz; am 30.06.2009 führte Prof. Dr. Q. dort die Operation durch. Ausweislich der Schlussrechnung der Klinik Hirslanden vom 03.08.2009 betrugen die Kosten 20.349,25 CHF; dies entspricht bei einem Kurs von 1,4907 einem Eurobetrag von 13.650,80.
Am 04.07.2009 legte die Klägerin gegen die Ablehnung der Kostenübernahme Widerspruch ein. Sie trug vor, ihr sei klar gewesen, dass für einen Teil des geplanten Eingriffs Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland bestanden hätten; wichtig sei ihr aber gewesen, so viel wie möglich komprimiert durchführen zu lassen; die vom Servicecenter der Beklagten benannten Behandler in Deutschland, u.a. in der Berliner Charité, hätten mitgeteilt, die von Prof. Dr. Q. angewandte Operationstechnik einer Neurolyse der pelvinen Nerven zur Behandlung einer Endometriose werde einzig von diesem praktiziert. Die Klägerin legte den Bericht über die Operation durch Prof. Dr. Q. vor.
Durch (wiederholenden) Bescheid vom 16.07.2009 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten der Behandlung in der Schweiz erneut ab. Dagegen hat die Klägerin am 21.07.2009 Widerspruch eingelegt, diesen ergänzend begründet und die Schlussrechnung der Klinik Hirslanden vorgelegt.
Durch Widerspruchsbescheid vom 14.12.2009 wies die Beklagte die Widersprüche zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 13.01.2010 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Krankenhausbehandlung und Operation in der Schweiz bei Prof. Dr. Q. sei medizinisch notwendig gewesen und habe von keinem anderem Arzt bzw. in keinem anderen Krankenhaus in Deutschland durchgeführt werden können. Insbesondere habe in Deutschland keine Möglichkeit bestanden, die Behandlung mit lediglich einem Eingriff durchzuführen; dies gelte auch in Bezug auf Dr. D. von der Berliner Charité. Dieser habe zwar bei Dr. Q. gelernt, praktiziere aber eine völlig andere Operationsmethode. Die von Dr. Q. präferierte Neurolyse habe sich auch in Berlin nicht durchführen lassen. Deshalb sei ihr keine andere Wahl geblieben als sich in der Schweiz behandeln zu lassen. Auch die von der Beklagten über den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) benannten Prof. Dr. I./Wuppertal und Prof. Dr. V./Berlin hätten so wie Prof. Dr. Q. nicht operieren können. Die Klägerin hat hierzu eine Stellungnahme von Prof. Dr. Q. vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 20.05. und 16.07.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2009 zu verurteilen, ihr 13.650,80 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung und verweist auf fachliche Stellungnahmen des MDK (Dr. O.) vom 23.04. und 19.08.2010.
Das Gericht hat Auskünfte zu der Operationstechnik eingeholt von Prof. Dr. Q., Prof. Dr. I. und Prof. Dr. V.; wegen des Ergebnisses wird auf die Stellungnahmen vom 11.03., 20.05. und 16.06.2010 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten ihrer Krankenhausbehandlung und Operation in der Schweiz durch Prof. Dr. Q ...
Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten, in denen die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist, anstelle der Sach- oder Dienstleistungen im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (Satz 2). Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte (Satz 3). Gemäß § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB V können abweichend von Abs. 4 in anderen Staaten, in denen die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden ist, Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann (Satz 2).
Die Schweiz gehört zu den "anderen Staaten" im Sinne von § 13 Abs. 4 und 5 SGB V. Die Klinik Hirslanden ist auch eine zulässige Leistungserbringerin für einen Anspruch gemäß § 13 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 SGB V. Da diese Kostenerstattungsansprüche nicht an die Einbindung in ein Sachleistungssystem anknüpfen, sondern die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) umsetzen, ist die Einbindung des ausländischen Leistungserbringers in ein solches System keine notwendige Anspruchsvoraussetzung. Es genügt, dass die in einem anderen Mitgliedstaat gelegene Privatklinik in diesem Mitgliedstaat ebenfalls Qualitätskontrollen unterliegt, und dass die in diesem Staat niedergelassenen Ärzte, die in dem genannten Krankenhaus tätig sind, gleiche berufliche Garantien wie die im Inland niedergelassenen Ärzte bieten (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 22/08 R). Hiervon ist für die Schweiz, die Klinik Hirslanden und Prof. Dr. Q. auszugehen. Die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen nach § 39 SGB V im Ausland - hier: der Schweiz - ist jedoch an die Voraussetzung einer vorherigen Zustimmung durch die Krankenkasse geknüpft. Diese Zustimmung hat die Beklagte vor der vom 30.06. bis 02.07.2009 durchgeführten Krankenhausbehandlung zurecht gem. § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V versagt, weil die Klägerin zwar nicht die gleiche, aber eine für sie wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse entsprechende Behandlung ihrer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland hätte erlangen können. Das Kriterium einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung hat nicht nur die Behandlungsalternative im Inland zu erfüllen, sondern auch die streitige Auslandsbehandlung; denn die Vorschrift des § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V bezieht dieses Kriterium - das ergibt sich aus der Grammatik dieses Satzes und dem Sinn und Zweck der Regelung - sowohl auf "die gleiche" als auch "eine für den Versicherten ebenso wirksame" Behandlung (vgl. dazu auch: BSG, Urteil vom 17.02.2010 - B 1 KR 14/09 R).
Bei isolierten Endometrioseherden ist die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung die laparoskopische oder konventionelle operative Entfernung der Herde ("Goldstandard"; so: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage, S. 517). Die operative Entfernung der Herde gilt als die derzeit beste Therapie; dabei sind oft ausgedehnte Operationen notwendig, die eine gute Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen, Chirurgen und Urologen erfordern und in einer entsprechend spezialisierten Klinik durchgeführt werden sollten (Leitlinie "Diagnostik und Therapie der Endometriose" der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe u.a., Stand 2010, Abschnitt 3.4.3). Dieses Verfahren wird auch in Deutschland - ggf. in Spezialkliniken - durchgeführt. Die Endometriose ist einer der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen mit jährlich ca. 40000 Neuerkrankungen in Deutschland (Pschyrembel, a.a.O., S. 516). Diese u. U. sehr aufwändige Behandlung mit möglicherweise mehreren Operationen wollte die Klägerin jedoch vermeiden; sie wandte sich an Prof. Dr. Q. in der Erwartung, durch dessen Operationstechnik mehrere Eingriffe vermeiden zu können.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass die von Prof. Dr. Q. angewandte Methode der laparoskopischen Neurolyse der sakralen Nervenwurzeln zur Behandlung einer Endometriose in systematischer Form - soweit ersichtlich - nur von diesem Arzt beherrscht und angewandt wird. Prof. Dr. Q. hat diese Operationsmethode selbst entwickelt; da er in Deutschland noch niemanden auf diesem Spezialgebiet ausgebildet hat, steht derzeit in Deutschland kein Arzt zur Verfügung, der diese Operationen durchführt. Diese eigene Einschätzung von Prof. Dr. Q. in der Auskunft vom 11.03.2010 ist im Wesentlichen von Prof. Dr. I. und Prof. Dr. V. bestätigt worden. Prof. Dr. V. hat zwar darauf hingewiesen, dass eine laparoskopische Neurolyse S2 in einigen Einrichtungen, so auch bei ihm, im Rahmen onkologischer Operationen bei der Lymph- knotenentfernung im Becken durchgeführt wird; eine systematische laparoskopische Neurolyse sämtlicher sakraler Nervenwurzeln führe er jedoch nicht durch. Allein der Patientenwunsch der Klägerin, von Prof. Dr. Q. behandelt zu werden, begründet keinen Anspruch auf Zustimmung zu der Auslandsbehandlung. Spezielle Kenntnisse oder Fähigkeiten eines ausländischen Arztes oder eine besondere Operationstechnik können erst dann eine Inanspruchnahme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigen, wenn sie sich in einem besonderen Leistungsangebot niederschlagen, das nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse Teil einer zweckmäßigen medizinischen Behandlung der betreffenden Krankheit ist, im Inland aber nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht (BSG, Urteil vom 17.02.2010 - B 1 KR 14/09 R). Dies trifft jedoch auf die von Prof. Dr. Q. durchgeführte laparoskopische Neurolyse der sakralen Nervenwurzeln zur Behandlung der Endometriose nicht zu. In den Leitlinien "Chronischer Unterbauchschmerz der Frau" der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe und anderer Fachgesellschaften (Stand: 2009) werden die verschiedenen Therapieformen dargestellt und beurteilt. Unter anderem wird dort neben der Neuromodulation als einer möglichen Methode zur Bekämpfung chronischer Schmerzen die Neurolyse beschrieben. Es heißt dazu in den Leitlinien unter Ziffer 8.4.2: "Bei retroperitonealer Endometriose mit Infiltration im Bereich des Plexus sacralis respektive N. ichiadicus ist möglicherweise in Einzelfällen eine Besserung bei bisher gegen jede Therapie refraktären, unerträglichen pelvinen Schmerzen durch eine laparoskopische Neurolyse zu erreichen. Hierbei wird als aktuelle Entwicklung die laparoskopische Neuronavigation eingesetzt (LANN). Kurz gesagt, werden dabei im pelvinen Retroperitoneum somatische und autonome Nerven exponiert und elektrostimuliert, um über den erreichten Effekt den Nerven zu identifizieren. Somit soll eine funktionelle Kartographie des pelvinen autonomen Nervensystems erreicht werden. Neben der Neurolyse kann zur Therapie chronischer pelviner Schmerzen die laparoskopische Implantation von sog. Neuroprothesen zur Neuromodulation (LION) erfolgen. Diese Techniken sind noch als experimentell zu betrachten." Das abschließende Statement der Leitlinien der Fachgesellschaften zu diesen Behandlungsmethoden lautet: "Für die Behandlung beim chronischen Unterbauchschmerz sind Neuromodulation und Neurolyse als experimentelle Verfahren zu bezeichnen." In diesem Sinne hat sich auch Prof. Dr. V. in seiner Auskunft vom 16.06.2010 geäußert; er hat mitgeteilt, ihm sei kein Standard bekannt, der für die Behandlungsmethode einer systematischen laparoskopischen Neurolyse der sakralen Nervenwurzeln zur Behandlung der Endometriose die Wortwahl "lege artis" rechtfertige. Handelt es sich somit bei der laparoskopischen Neurolyse zur Behandlung der Endometriose um ein experimentelles Verfahren, also um eine neue, wissenschaftlich (noch) nicht anerkannte Behandlungsmethode, so entspricht diese nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wie sie § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V für die Zustimmung der Krankenkasse zu einer Auslandskrankenbehandlung fordert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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