L 3 U 117/10 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 U 45/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 117/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozi-algerichts Potsdam vom 17. Mai 2010 aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Pots-dam Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung und unter Beiord-nung von Rechtsanwalt H S gewährt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im Wege der Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam (S 12 U 45/10), in dem es um die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung auf Grund eines Ereignisses vom 18. September 2008 geht.

Der 1962 geborene Kläger erlitt am 18. September 2008 einen distalen Bizepsseh-nenabriss (Bericht des DRK-Krankenhauses L vom 08. Oktober 2008 sowie Op-Bericht vom 22. September 2008). In dem am 20. Oktober 2008 eingegangenen Un-fallfragebogen gab der Kläger hierzu an, er habe sich beim Beladen des Lieferfahr-zeuges mit einem ca. 20 bis 25 kg schweren Schrankkarton den Arm verdreht.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 an Dr. K vom DRK-Krankenhaus L welches die Beklagte dem Kläger unter Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung bekannt gab, brach sie die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ab. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass ein Arbeitsunfall nicht gegeben sei, denn das Anheben und Nach-schieben eines Schrankkartons mit einem Gewicht von ca. 20 bis 25 kg sei jedenfalls nicht geeignet gewesen, den Riss einer Bizepssehne zu verursachen. Den gegen das Schreiben vom 18. Dezember 2008 gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2009 zurück.

In dem hiergegen gerichteten Klageverfahren vor dem SG Potsdam (S 12 U 9/09) hat der Kläger in einem Erörterungstermin vom 18. September 2009 zum Hergang ergän-zend angegeben, er habe beim Anheben eines ca. zwei Meter langen und 10 Zenti-meter hohen Schrankteils, das er auf den Transporter habe schieben wollen, einen plötzlichen Schmerz im rechten Oberarm gespürt. Sein als Zeuge vernommener Ar-beitskollege L gab hierzu an, er sei im Lager gewesen, habe vom Geschehen zwar nichts gesehen, aber auf einmal ein Stöhnen vernommen und der Kläger habe "aua, aua" gerufen. Er sei dann hingegangen und habe gesehen, dass der Kläger seinen Arm festgehalten habe. Der Zeuge erklärte, dass die Möbelpakete, die er aus dem täglichen Umgang kenne, ein Gewicht zwischen 10 kg bis 40 kg hätten. Solche gro-ßen Pakete würden von einer Person bewegt, er selbst nähme die Sackkarre, was beim Einladen schwierig sei, da die Pakete unhandlich seien.

Nachdem der Vorsitzende darauf hingewiesen hatte, dass das Schreiben der Beklag-ten vom 18. Dezember 2008 keinen Verwaltungsakt darstelle, gab der Kläger eine Erledigungserklärung ab, die vom Gericht als Klagerücknahme angesehen wurde.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 18. Januar 2010, bestätigt durch Wi-derspruchsbescheid vom 25. März 2010, die Gewährung von Entschädigungsleistun-gen, insbesondere von Heilbehandlung und Verletztengeld, infolge des Ereignisses vom 18. September 2008 ab. In Ergänzung ihres Schreibens vom 18. Dezember 2008 führte sie aus, dass die feingewebliche Untersuchung des Sehnengewebes (Dr. F, Praxis für Pathologie, vom 26. September 2008) einen deutlichen Hinweis auf die unfallunabhängige Ursache für den Teilriss, nämlich auf Sehnengewebe mit degene-rativen und regenerativen Veränderungen, gebe. Dieser Befund erkläre auch, warum die Bizepssehne rechts bei einem normalen Bewegungsablauf eingerissen sei. Auch habe es sich unter Berücksichtigung beider vom Kläger geschilderter Sachverhaltsva-rianten um kontrollierte und gründlich gesteuerte Bewegungen gehandelt, die nicht geeignet gewesen seien, einen Teilriss der Bizepssehne rechts zu verursachen, und damit kein äußeres Ereignis darstellten. Vielmehr werde für einen traumatischen Bi-zepssehnenriss von der medizinischen Lehrmeinung gefordert, dass ein plötzliches und unvorhergesehenes Ereignis maximaler Anstrengung auf den Versicherten ein-wirke, also z. B. das Abfangen eines Sturzes oder das Anheben eines 60 bis 80 kg schweren Gegenstandes und Nachfassen desselben, als dieser aus den Händen glei-te. Allein ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis und dem Eintritt des Teilrisses der Bizepssehne reiche für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht aus.

Hiergegen hat der Kläger die vorliegende Klage vor dem SG Potsdam erhoben. Das SG hat die Bewilligung von PKH durch Beschluss vom 17. Mai 2010 unter Berufung auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 26. Januar 2009 (L 1 U 3612/08) mit der Begründung abgelehnt, der vom Kläger beschriebene Hergang stelle nach einer vorläufigen Prüfung keinen Arbeitsunfall dar, da es an einer plötzlichen und ungewollten Einwirkung von außen fehle. Ein solcher Unfall liege bei regelrechter Verrichtung betrieblicher Tätigkeit nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 10. Juni 2010 Beschwerde eingelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte ( ) verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ge-währung von PKH.

Gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessord-nung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinrei-chende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht liegt vor, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände zumindest die Möglichkeit besteht, dass der Kläger mit seinem Begehren durchdringt. Die Er-folgsaussicht ist im sozialgerichtlichen Verfahren zu bejahen, wenn zum Nachweis der vom Kläger behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen etwa eine Beweisauf-nahme von Amts wegen oder weitere medizinische Ermittlungen durchgeführt werden müssen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73 a Rdnr. 7 a, 7 c).

So verhält es sich im vorliegenden Fall. Es sind weitere medizinische Ermittlungen durchzuführen. Die vom SG vertretene Auffassung, dass das Unfallgeschehen keinen Arbeitsunfall darstelle, mag zwar im Ergebnis zutreffend sein, sie kann beim derzeiti-gen Erkenntnisstand jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit bestätigt werden. So stellt auch das willentlich gesteuerte, bloße Anheben eines schweren Gegenstan-des, welches beim Betroffenen eine Gesundheitsbeschädigung oder einen heftigen Schmerz auslöst, ein von außen wirkendes Ereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) dar. Für einen Unfall ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich, so dass auch alltägliche Verrichtungen und Vorgänge genügen können. Die Definition des von außen auf den Körper einwirken-den Ereignisses dient vor allem der Abgrenzung zu inneren Ursachen wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zur vorsätzlichen Selbstschädigung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 27/04 R, und vom 09. Mai 2006, B 2 U 26/04 R, jeweils in Juris). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass grundsätzlich auch das gewollte Anheben einer schweren Last, welches zu einer Gesundheitsschä-digung führt, ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis im Sinne des Un-fallbegriffes des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sein kann (vgl. Ziegler in LPK-SGB VII, 2. Auflage, Rdnr. 29 zu § 8).

Für die Anerkennung eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls ist allerdings er-forderlich, dass es durch das geschilderte Ereignis zu einem Gesundheitserstschaden gekommen ist. Es ist daher festzustellen, ob der beim Kläger festgestellte teilweise Bizepssehnenabriss tatsächlich durch das Nachschieben des Schrankkartons verur-sacht worden ist oder ob degenerative Veränderungen den festgestellten Schaden maßgeblich beeinflusst haben. Der Hinweis der Beklagten, dass beide vom Kläger geschilderten Geschehensabläufe nach der medizinischen Lehrmeinung nicht geeig-net gewesen seien, einen Teilriss der Bizepssehne zu verursachen, macht eine ge-naue medizinische Ursachenabklärung nicht entbehrlich. Es sind bisher keine medizi-nischen Ermittlungen vorgenommen worden, die die von der Beklagten und – vorläufig – auch vom SG vertretene Auffassung, der teilweise Bizepssehnenabriss sei nicht durch das Hantieren mit dem Schrankkarton, sondern durch degenerative Vorschädi-gung verursacht worden, hinreichend sicher stützen würden. Als erster Schritt ist viel-mehr zu prüfen, ob ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang zwischen dem ge-schilderten Handlungsablauf und der Verletzung festgestellt werden kann. Ist dieser zu bejahen, schließt sich die Frage an, ob das Unfallereignis auch wesentlich war. Hierbei kann es durchaus mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen, etwa eine be-reits vorhandene Krankheitsanlage (degenerative Vorschädigung) geben, die mitein-ander zu vergleichen und abzuwägen sind. Entscheidend ist bei diesem Problem der inneren Ursache, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art uner-setzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vor-kommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Die innere Ursache und deren Ausmaß muss bei dieser Prüfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, die bloße Möglichkeit einer inneren Ursache genügt nicht. Demgegenüber genügt für die Beurteilung, ob das Unfallgeschehen bloße Ge-legenheitsursache war, ob ein alltägliches Ereignis etwa zu derselben Zeit zum selben Erfolg geführt hätte, die Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis-standes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen, deren medizini-sche Grundlagen nur ein auf dem betreffenden Gebiet tätiger medizinischer Sachver-ständiger feststellen kann (vgl. ausführlich zu allem BSG, Urteil vom 05. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Dies bedeutet, dass unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zur Notwendigkeit weiterer Ermittlungen eine hinreichende Er-folgsaussicht der Klage gegeben ist.

Da ausweislich der vorliegenden Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Bescheide vom 05. November 2009 und vom 11. Juni 2010 der Arbeitsgemeinschaft Teltow-Fläming über die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeiten vom 01. Dezember 2009 bis zum 31. Mai 2010 und vom 01. Juli bis zum 30. November 2010 die wirtschaftli-chen Voraussetzungen erfüllt sind, ist PKH für das Verfahren vor dem SG zu bewilli-gen.

Außergerichtliche Kosten sind im PKH-Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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