S 10 R 329/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 329/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2008 in der Gestalt des Bescheids vom 11.02.2010 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Kläger die Tätigkeit als Leiter Änderungskoordination für die beigeladene Fa. B ...vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 als selbständige Tätigkeit ausübte. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die versicherungsrechtliche Beurteilung des Klägers bzgl. seiner Tätigkeit für die beigeladene Firma B ...

Der am ... geborene Kläger beantragte am 14.05.2008 bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status. Der Kläger beantragte insoweit festzustellen, dass ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht vorliege (vgl. Bl. 1/2 d. Verw.-Akte). Ausweislich des Antrages sei der Kläger bei der Beigeladenen als Leiter Änderungskoordination mit der Leitung, Koordination und Absicherung des Prototypenänderungsmanagements betraut. Für diese Tätigkeit habe der Kläger bis 31.01.2008 einen Existenzgründungszuschuss bezogen.

Folgende Fragestellungen im Antrag wurden seitens des Klägers verneint:

- Waren sie vor ihrer jetzigen Tätigkeit für einen der angegebenen Auftraggeber als Arbeitnehmer tätig? - Wird ihr Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft geführt? - Beschäftigen sie mindestens einen Arbeitnehmer/Auszubildenden mit einem monatlichen Arbeitsentgelt von mehr als 400,- EUR? - Arbeiten sie am Betriebssitz ihres Auftraggebers? - Haben sie regelmäßige Arbeits- oder Anwesenheitszeiten einzuhalten? - Werden ihnen Weisungen hinsichtlich der Ausführung (Art und Weise) ihrer Tätigkeit erteilt? - Kann ihr Auftraggeber ihr Einsatzgebiet auch ohne ihre Zustimmung verändern? - Ist die Einstellung von Vertretern bzw. Hilfskräften durch sie von der Zustimmung ihres Auftraggebers abhängig?

In Bezug auf sein unternehmerisches Risiko gab der Kläger an, dass er keinen Kapitaleinsatz habe, da er beratender Ingenieur sei und sich die Preisgestaltung am Markt orientieren würde. Bzgl. der weiteren Einzelheiten des Antrags wird voll inhaltlich auf Bl. 1, 2 d. Verw.-Akte verwiesen.

Auf den Fragebogen der Beklagten vom 26.05.2008 (vgl. Bl. 3 d. Verw.-Akte) hin, nahm der Kläger mit Schreiben vom 06.08.2008 Stellung (vgl. Bl. 4 d. Verw.-Akte). Er habe am 15.04.2007 bei der Agentur für Arbeit den Antrag auf Existenzgründung gestellt, der auch genehmigt worden und bis Januar 2008 bewilligt worden sei. Nach zahlreichen Bewerbungen habe der Kläger am 05.05.2008 eine freiberufliche Tätigkeit bei der Beigeladenen angenommen. Der Kläger setze kein eigenes Kapital ein und es würden auch keine Arbeitsgeräte seitens der Beigeladenen zur Verfügung gestellt. Die Arbeit würde selbständig und persönlich vom Kläger durchgeführt werden. Der Ausführungsort sei bei der ... AG in S in separaten Räumen für Fremdarbeitskräfte. Der Kläger arbeite selbst nicht in Räumen der Beigeladenen und trage folglich auch keine Kostenbeteiligung. Die Abrechnung erfolgt direkt mit der Beigeladenen und die Leistungen würden ausschließlich im Namen und auf Rechnung der Beigeladenen erbracht. Zusammen mit der Stellungnahme wurde der Dienstleistungsvertrag vom 15.05.2008 zwischen dem Kläger und der Beigeladenen vorgelegt. Dieser Vertrag enthält u. a. folgende Regelungen:

§ 1 Gegenstand des Vertrages

(1) Der Dienstleister wird für B. folgende Dienstleistungen erbringen: - Koordination und Absicherung des Prototypenänderungsmanagements und des Prozesses zur Absicherung von Freigabeterminen im Teilprojekt Entwicklung. - Prozessabstimmungen und -implementierung unter Integration aller Systembereiche. - Vorbereitung und Durchführung von Abstimmungen zur Überprüfung der DMU-Planung. - Sicherstellung der Freigabeverfolgung. - Identifikation von Änderungsanträgen mit Prototypenrelevanz. - Abstimmung der erforderlichen Information (Kosten, Termine, technische Auswirkungen) mit den verantwortlichen Bereichen (teilprojektübergreifend) zur Entscheidungsvorbereitung. - Organisation und Koordination des Prototypenänderungsmanagement-Gremiums. - Erstellung von Entscheidungsvorlagen und -empfehlungen inklusive Massnahmedefinition. - Verfolgung der entschiedenen Maßnahmen. - Aufbau und Durchführung von Berichterstattung innerhalb des Projektes SFTP. - Koordination der 3 Änderungskoordinatoren.

Die Dienstleistung wird in enger Abstimmung mit dem Kunden erfolgen.

...

(3) Der Dienstleister wird Dienstleistungen grundsätzlich in eigener Person erbringen. Will der Dienstleister Arbeitnehmer, Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen zuziehen, so hat er vorab die schriftliche Zustimmung von B. einzuholen und die dritten Personen in einer ähnlichen Weise zur Geheimhaltung verpflichten. Verantwortlich für die ordnungsgemäße Durchführung der Dienstleistungen bleibt in jedem Fall der Dienstleister.

(4) B ... stellt dem Dienstleister jeweils die für die Durchführung der vereinbarten Dienstleistungen notwendigen Informationen für die Dauer und Zwecke der entsprechenden Dienstleistungen zur Verfügung. B ... haftet nicht für die Richtigkeit und freie Verwendbarkeit übermittelten Informationen ...

§ 2 Vergütung, Reisetätigkeit

(1) Der Dienstleister erhält ein Honorar in Höhe von 45,- Euro (netto) pro Stunde. Im Honorar inbegriffen sind sämtliche Nebenkosten wie Reisekosten, sowie Zuschläge für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit.

(2) Der Dienstleister wird B ... eine detaillierte Auflistung seiner erbrachten Arbeitsleistung in regelmäßigen Abständen, spätestens jedoch einmal in der Woche zur Unterzeichnung vorlegen. Die Vergütung wird immer zum Ende des Monats fällig, der auf die Vorlage einer ordnungsgemäßen Rechnung unter Beifügung der prüf- und genehmigungsfähigen Auflistung folgt. Die gesetzliche Mehrwertsteuer muss ordnungsgemäß ausgewiesen sein.

(3) Dem Dienstleister werden weder Reisezeiten noch Reisekosten erstattet, es sei denn, dass zwischen den Parteien im Einzelfall ausdrücklich etwas anderes schriftlich vereinbart ist.

(4) Die Wahl des Arbeitsortes erfolgt in enger Abstimmung mit B ...; eine gesonderte Aufwandsentschädigung für den Arbeitsort erhält der Dienstleister nicht.

(5) Der Dienstleister gestaltet seine Arbeitszeit in Abstimmung mit B ...

Bzgl. der weiteren Einzelheiten des Dienstleistungsvertrages wird voll inhaltlich auf Bl. 5 - 11 d. Verw.-Akte verwiesen.

Mit jeweiligem Schreiben vom 02.07.2008 leitete die Beklagte gegenüber den Kläger und der Beigeladenen die Anhörung ein (vgl. Bl. 13/14 d. Verw.-Akte bzgl. der Anhörung der Beigeladenen und Bl. 15/16 d. Verw.-Akte bzgl. der Anhörung des Klägers).

Hieraufhin nahm der Kläger mit Schreiben vom 15.08.2008 (vgl. Bl. 26/27 d. Verw.-Akte) Stellung. Unter detaillierter Darstellung der Hintergründe und der Abläufe seiner Existenzgründung führte der Kläger weiter aus, dass er seine früheren Kontakte zu Ingenieurbüros nach Existenzgründung aktiviert habe um mit seinem Know-how speziell im Automotivbereich Aufträge zu bekommen. Ein direkter Kontakt zu Firmen wie Daimler, Porsche, Audi und BMW sei nur über Ingenieurbüros, die bereits festangestellte Mitarbeiter oder Freiberufler einsetzen würden, möglich. Zwischen diesen Firmen würden größere Kontingente geplant und abgerechnet. Für Selbständige sei der Verwaltungsaufwand für die Rechts- und Haftungsfragen für diese Firmen zu aufwendig. Eine eigene Lieferantennummer zu bekommen sei sehr schwierig bzw. unmöglich. Aufgrund seiner Profileinstellung in namhaften Onlinedatenbanken sei er von verschiedensten Vermittlern kontaktiert und zu Projektvorstellungen eingeladen worden. Dort hätte der Kläger sich und sein berufliches Know how präsentiert. Im Anschluss daran habe er sich die Aufgabenstellung und Rahmenbedingungen erläutern lassen und im Nachgang über die Stunden- bzw. Tagessatzverhandlung entschieden, ob er die Herausforderung annehme. Auch innerhalb der Ingenieurbüros habe es Projekte gegeben, die ihm angeboten worden seien. Auch hier habe der Kläger frei entscheiden können, ob die Rahmenbedingungen für ihn stimmig seien und er den Auftrag annehme. Über das derzeitige Projekt sei er am 02.05.2008 in einem Gespräch zwischen ... und der Beigeladenen informiert worden. Am 04.05.2008 vormittags sei der Kläger dann über die Zusage seitens ... informiert worden und der Kläger habe um 12:30 Uhr mit dem Projektauftrag begonnen. Der Auftrag der Beigeladenen sei gemäß vertraglicher Vereinbarung zum 15.05.2008 bis 30.09.2008 befristet. Der Kläger führte weiter aus, dass er für die Zielerreichung aus dem Anforderungsprofil selbst verantwortlich sei, er die Aufgabe selbst koordinieren und erledigen müsse und er hätte in diesem Fall drei Mitarbeiter der Firma (externer Anbieter) zu koordinieren. In diesem Zusammenhang sei er auf der Suche nach einem geeigneten Mitarbeiter, der ihn administrativ unterstütze. Dies sei jedoch erst nach Klärung der Frage der Selbständigkeit möglich, da weitere finanzielle Ausgaben auch durch Einnahmen gedeckt sein sollten. Der Kläger habe Investitionen für Weiterbildung, Büroeinrichtung, EDV, Auto usw. getätigt und erwarte über die Beauftragungen langfristig einen Kapitalrückfluss und in der Folge steigende Gewinne.

Mit Bescheid vom 21.08.2008 wurde gegenüber dem Kläger festgestellt, dass dessen Tätigkeit als Leiter Änderungskoordination bei der Beigeladenen seit 01.05.2008 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung entstehe mit der Aufnahme der Beschäftigung. Unter Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen und der darin enthaltenen Kriterien zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung zu einer selbständigen Tätigkeit führte die Beklagte aus, dass die Aufgabenstellung klar umrissen sei und der Kläger nach außen hin als Mitarbeiter der Beigeladenen erscheinen würde, denn der Kläger erbringe seine Leistungen im Rahmen und auf Rechnung der Beigeladenen. Im allgemeinen Geschäftsverkehr würde der Kläger insoweit nicht als selbständig Tätiger wahrgenommen werden. Der Kläger habe die zwischen der Beigeladenen und der ... AG vereinbarte Leistung zu erbringen. Eine gestalterische Freiheit bestehe dabei nicht. Ferner habe er einen Anspruch auf einen Arbeitsplatz bei der ... AG. Wenn der Kläger dennoch Teile des Auftrages in Heimarbeit erledigen sollte, so sei dies kein Indiz für eine selbständige Tätigkeit. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 10.09.2008 Widerspruch ein (vgl. Bl 28 d. Verw.-Akte). Zur Begründung des Widerspruchs wurden im Wesentlichen die Argumente aus der Stellungnahme vom 15.08.2008 wiederholt. Ergänzend führte der Kläger aus, dass er nicht verpflichtet sei, die Arbeit höchstpersönlich zu erbringen, sodass es auch an einem wesentlichen Merkmal, nämlich an der persönlichen Abhängigkeit, für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung fehlen würde (vgl. Bl. 35/36 d. Verw.-Akte).

Mit Widerspruch vom 15.09.2008 wandte sich die Beigeladene gegen den ihr gegenüber ergangenen Statusfeststellungsbescheid vom 21.08.2008 (vgl. Bl. 30/31 d. Verw.-Akte). Zur Begründung führte die Beigeladene aus, dass der Kläger als unabhängiger Freiberufler beauftragt worden sei und auch als solcher auftrete. Der Kläger sei nicht weisungsgebunden und nicht in dem Organisationsablauf der Beigeladenen eingebunden. Die Umschreibung der Projekttätigkeit im Vertrag sei im Rahmen von Ingenieurdienstleistungen generell üblich und stelle kein Indiz für eine Arbeitnehmereigenschaft dar. Auch sei der Kläger prinzipiell berechtigt, eigene Mitarbeiter zu beschäftigen. Er sei also nicht verpflichtet, die Dienstleistung persönlich zu erbringen, sodass es schon insofern an der persönlichen Abhängigkeit fehle. Das unternehmerische Risiko liege voll und ganz beim Kläger, da er die Haftung für seine Leistung trage.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Unter erneuter detaillierter Auseinandersetzung mit den rechtlichen Vorgaben bzgl. der Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und einer selbständigen Tätigkeit führte die Beklagte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Arbeitskraft des Klägers nicht mit ungewissem Erfolg eingesetzt werde. Die Vergütung werde somit erfolgsunabhängig gezahlt. Jedoch wäre auch die Bezahlung lediglich nach dem Erfolg der Arbeit kein zwingender Grund für den Ausschluss einer persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten. Es sei unerheblich, dass der finanzielle Erfolg des Beschäftigten von dessen beruflicher Tüchtigkeit abhängig sei. Die Chance, länger oder mehr zu arbeiten, um so ein höheres Entgelt zu erzielen, sei nicht die spezielle Chance des Unternehmers, sie hätte auch jeder Beschäftigte. Dieses Risiko des Einkommens sei von dem bei einem selbständigen Beruf typischen Unternehmerrisiko zu unterscheiden. Der Kläger würde ausschließlich die eigene Arbeitskraft einsetzen und sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig. Ein Kapitaleinsatz, der auch mit der Möglichkeit eines Verlustes verbunden sei, liege nicht vor. Der Kläger unterliege bzgl. Zeit, Dauer, Art und Ort der Arbeitsausführung dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Kläger könne zwar frei entscheiden, ob er Aufträge annehme oder ablehne, bei Annahme erfolge jedoch eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Der zeitliche Rahmen der Tätigkeit sei zwar nicht exakt nach Tagen, Stunden oder Minuten bestimmt, aber noch derartig hinreichend eingegrenzt, dass er als bestimmter zeitlicher Rahmen im Sinne der Rechtsprechung zur persönlichen Abhängigkeit eines Arbeitnehmers zu qualifizieren sei. Die Weisungsgebundenheit verfeinere sich, wie bei Diensten höherer Art, zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Im Hinblick auf die festgestellte Weisungsbindung sei ebenfalls anzumerken, dass auch jedem Arbeitnehmer ein gewisser Freiraum bei der Ausgestaltung seiner Tätigkeit eingeräumt sei. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit sei also überwiegend fremdbestimmt. Ein wesentlicher Gestaltungsspielraum bzgl. der zu erbringenden Dienstleistung sei somit im zu beurteilenden Sachverhalt nicht gegeben. Dieser reduziere sich auf die Annahme eines Vertrages, der die Erbringung einer überwiegend fremdbestimmten Dienstleistung beinhalte. Nach Gesamtwürdigung aller Tatsachen würden die Merkmale, die ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis belegen, überwiegen.

Hiergegen richtet sich die am 03.02.2009 beim Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage. Zur Begründung der Klage werden die Ausführungen in der Stellungnahme des Klägers vom 15.8.2008 im Wesentlichen wiederholt. Hinsichtlich des Zugangs des Widerspruchsbescheids wird seitens des Klägers ausgeführt, dass dieser von der Beklagten am 05.01.2009 zur Post gegeben worden und beim Bevollmächtigten des Klägers am 08.01.2009 eingegangen sei. Ein zweites Mal sei der Widerspruchsbescheid, an den Kläger direkt adressiert, von der Beklagten am 29.01.2009 zur Post gegeben und beim Kläger am 30.01.2009 eingegangen (vgl. Bl. 41 d. SG-Akte).

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21.08.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2008 in der Gestalt des Bescheids vom 11.02.2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger die Tätigkeit als Leiter Änderungskoordination für die beigeladene Fa. B ...vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 als selbständige Tätigkeit ausübte.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest und verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Mit Beiladungsbeschluss vom 14.07.2009 wurde die Fa. B ...zum Verfahren beigeladen (vgl. Bl 55 d. SG-Akte).

Mit Bescheid vom 11.02.2010 wurde der Bescheid vom 21.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2008 dahingehend abgeändert, dass in der vom Kläger vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 und vom 01.10.2008 bis 19.12.2008 ausgeübten Beschäftigung als Leiter Änderungskoordination bei der Beigeladenen Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Zur Begründung wird ausgeführt, dass aus den vorliegenden Unterlagen sich keine Tatbestände ergeben, die die Versicherungsfreiheit begründen bzw. die Versicherungspflicht in einem Zweig der Sozialversicherung ausschließen würden. Der Bescheid enthält einen Hinweis nach § 96 SGG.

Im Erörterungstermin am 24.02.2010 und in der mündlichen Verhandlung am 19.05.2010 erfolgten auf Nachfragen des Gerichts weitere Ausführungen zur Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen. Diesbezüglich wird vollinhaltlich auf die jeweilige Sitzungsniederschrift verwiesen (Niederschrift über die Sitzung vom 24.02.2010: Bl. 63/65 d. SG-Akte und Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19.05.2010: Bl. 75/76 d. SG-Akte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist erfolgreich, da sie zulässig und begründet ist.

I.

Die formgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht erhoben worden. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägervertreters ist der Widerspruchsbescheid, datierend vom 17.12.2008, beim Bevollmächtigten des Klägers erst am 08.01.2009 eingegangen. Dies wird auch durch den Eingangsstempel des Klägervertreters auf dem Anschreiben der Beklagten (vgl. Bl. 42 d. SG-Akte) belegt. Mit Klageerhebung am 03.02.2009 erfolgte diese innerhalb der Monatsfrist des § 87 SGG.

II.

Die Klage ist auch in der Sache begründet. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Statusfeststellung der Beklagten in dem Bescheid vom 21.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2008 und des Änderungsbescheids der Beklagten vom 11.02.2010. Dieser Änderungsbescheid ist nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG liegen vor. Der Änderungsbescheid hat den Bescheid vom 21.08.2008 abgeändert und festgestellt, dass in der vom Kläger vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 und vom 01.10.2008 bis 19.12.2008 ausgeübten Beschäftigung als Leiter Änderungskoordination bei der Beigeladenen Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 21.08.2008 und der Widerspruchsbescheid vom 17.12.2008 sind auch in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.02.2010 rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten.

1.) Gegenstand des Rechtsstreits ist die Statusfeststellung der Beklagten in dem Bescheid vom 21.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.02.2010. Die Beklagte war zur Entscheidung über den Antrag des Klägers berufen. Nach § 7a Abs. 1 Satz 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Für eine solche Statusfeststellung ist nach § 7a Abs. 1 Satz 3 SGB IV die Beklagte zuständig, nicht die nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV zur Entscheidung berufene Einzugsstelle. Einen solchen Antrag auf Statusfeststellung hatte der Kläger am 14.05.2008 bei der Beklagten gestellt. Ein vorheriges Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung durch einen anderen Versicherungsträger oder die Einzugsstelle ist nicht ersichtlich.

Im Rahmen einer Statusfeststellung nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV darf sich die Beklagte nicht darauf beschränken, eine abhängige Beschäftigung oder zusätzlich eine daraus folgende Versicherungspflicht "dem Grunde nach" festzustellen. Dies käme einer unzulässigen Elementenfeststellung gleich. Die Beklagte muss vielmehr, um einen Lebenssachverhalt zum Rechtsbegriff der abhängigen Beschäftigung zuzuordnen, das konkrete Rechtsverhältnis bezeichnen, an das sozialrechtlich angeknüpft werden soll, auch Aussagen darüber treffen, in welchen Zweigen der Sozialversicherung die festgestellte Beschäftigung im jeweiligen Feststellungszeitraum zur Sozialversicherung geführt hat. Dies hat das BSG in seinen Urteilen vom 11. März 2009 (B 12 R 11/07 R, SozR 4-2400 § 7a Nr. 2) und vom 04. Juni 2009 (B 12 R 6/08 R, veröffentlicht in Juris) ergänzend zu seiner früheren Rechtsprechung entschieden.

Die Beklagte hat vorliegend nicht nur den Status des Klägers geprüft, sondern darüber hinaus festgestellt, dass er in der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung auf Grund seiner abhängigen Beschäftigung bei der Beigeladenen versicherungspflichtig war. Sie hat dadurch die Anforderungen an eine Statusfeststellung erfüllt.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 25 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 - 2400 § 7 Nr. 7, Urteil vom 04. Juli 2007, B 11 a AL 5/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 8) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit BVerfG SozR 3 - 2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 - 2400 § 7 Nr. 7).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3 - 2400 § 7 Nr. 4; SozR 3 - 4100 § 168 Nr. 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSGE 45, 199, 200 ff.; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; BSGE 87, 53, 56; jeweils m.w.N.). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 - 2400 § 7 Nr. 7).

2.) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall ergibt eine Gesamtabwägung der maßgeblichen Anhaltspunkte ein Überwiegen zu Gunsten der selbständigen Tätigkeit.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Argument des weitgehenden Fehlens eines Unternehmerrisikos mangels Kapitaleinsatzes kein durchschlagendes Argument für eine abhängige Beschäftigung. Nicht jedes Fehlen eigener Produktionsmittel ("Equipment") lässt eine Tätigkeit als abhängig erscheinen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.01.2009 - Az.: L 1 KR 26/08). In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Kläger weder von der Beigeladenen noch vom Kunden, der ... AG, wesentliche Betriebsmittel zur Verfügung gestellt bekommen hat. Sämtliche Hard- und Software hat der Kläger nach seinen überzeugenden Darlegungen selbst vorgehalten. Das Bereitstellen eines E-Mail-Programmes (Microsoft Outlook) für die elektronische Kommunikation zwischen dem Kläger und dem Kunden stellt aus Sicht der Kammer kein wesentliches Betriebsmittel dar.

Ferner gibt es in vielen Wirtschaftsbereichen Konstellationen, in welchem das Kriterium der eigenen Produktionsmittel zurücktritt hinter das der Inanspruchnahme fachspezifischer Kompetenz. Als Beispiele mögen die Dienst- bzw. Werkleistungen des Lotsen (vgl. § 13 Abs. 1 SGB IV und speziell für die Abgrenzung der so genannten freien Beruf wie Rechtsanwalt und Seelotse nur gegenüber dem Gewerberecht: Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Dezember 2001 - L 4 KR 147/99 -), des Partyausrichters, des Einkauf- bzw. Stylingberaters, des Werkskantinenbetreibers und des so genannten Mietkochs dienen. Diese Freiberufler bzw. Gewerbetreibenden bedienen sich ausschließlich oder überwiegend der Einrichtungen der Auftraggeber.

Des weiteren spricht gegen die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit auch nicht der Umstand, dass die Vergütung nach Zeitaufwand durch Aufschreiben von Stunden erfolgt ist. Bei Dienstleistungen in betriebsmittelarmen Bereichen, in denen denknotwendig der persönliche Arbeitseinsatz im Vordergrund steht, ist die Abrechnung auf Stundenbasis üblich und eignet sich daher nur sehr eingeschränkt als Unterscheidungskriterium für die Abgrenzung einer selbständigen zu einer abhängigen Beschäftigung.

Maßgebend für die Kammer war aber der Umstand, dass der Kläger weder bei der Beigeladenen noch beim Kunden in die jeweilige Arbeitsorganisation eingegliedert war und auch einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Beigeladenen bzw. des Kunden nicht unterlag. Glaubhaft gab der Kläger an, dass er hinsichtlich der Arbeitszeit weder von der Beigeladenen noch vom Kunden feste Vorgaben erhalten hat und entgegen der Regelung im Dienstleistungsvertrag vom 15.05.2008 in § 2 Ziffer 5 ("Der Dienstleister gestaltet seine Arbeitszeit in Abstimmung mit B ...") erfolgte keine Abstimmung der Arbeitszeit. Der Kläger hatte vom Kunden einen Ausweis erhalten, so dass er die Arbeitszeit auch nicht mit dem Kunden abstimmen musste. Nach seinen Angaben musste sich der Kläger beim Kunden weder an- noch abmelden. Auch die Art der Ausführung wurde dem Kläger weder von der Beigeladenen noch vom Kunden vorgeschrieben. Vom Kunden wurden dem Kläger lediglich Ziele vorgegeben. Wie der Kläger diese Ziele erreicht war ihm überlassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten war dem Kläger ein wesentlicher Gestaltungsspielraum eingeräumt, der auch weit über das hinausgeht, was einem Arbeitnehmer an Freiraum zugebilligt wird. Das zeigt sich auch daran, dass die wöchentlichen Feedback-Gespräche des Klägers mit dem Kunden ohne Hinzuziehung der Beigeladenen stattfanden. Nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers und der Beigeladenen war die Dienstleistung unter Beachtung des Geheimhaltungsinteresses auch nicht höchstpersönlich zu erbringen. Im Übrigen fehlt jede soziale Absicherung, sei es in Form einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, in Form von Urlaubsgewährung oder eines Honorarausfalls bei Nichtdurchführbarkeit des Auftrages. Die von der Beklagten angeführten Regelungen des Dienstleistungsvertrages, die nach Auffassung der Beklagten für eine abhängige Beschäftigung sprechen würden (§ 4 Wettbewerbsverbot und § 6 Rechte am Ergebnis), sind in Vertragsgestaltungen sowohl für selbständig als auch für abhängig Beschäftigte üblich und daher nur indiziell als Unterscheidungskriterium geeignet.

Nach alledem ist der Klage stattzugeben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Rechtskraft
Aus
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