L 8 U 5204/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 1486/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 5204/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10. August 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2006 aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 29. September 2005 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin am 29.09.2005 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die 1974 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit spastischer Fallhand links und motorischer Schwäche des linken Beines (Dr. K. vom 11.07.2007). Sie war bei der Firma S.-GmbH und Co. KG als Reinigungskraft beschäftigt und reinigte ab 18:00 Uhr am 29.09.2005 das Büro des Backstubenleiters. Als sie danach den Eingangsbereich aufwischen wollte, stürzte sie und zog sich links einen Oberschenkelhalsbruch zu. Es befand sich zu dieser Zeit niemand mehr in den Geschäftsräumen. Die Klägerin konnte sich nicht mehr bewegen und verständigte mit dem Mobiltelefon ihren Ehemann. Der Ehemann und der Schwiegervater der Klägerin kamen zu dem Unfallort, wo sie die Klägerin auf dem Boden liegend vorfanden. Sie wurde vom Rettungsdienst in das Bundeswehrkrankenhaus U. gebracht. Der Durchgangsarzt Dr. S. diagnostizierte eine mediale dislozierte Schenkelhalsfraktur links und dokumentierte die Angabe der Klägerin, beim Putzen sei ein Schwindelgefühl entstanden und sie sei aus stehender Position auf die linke Hüfte gestürzt (Durchgangsarztbericht vom 17.10.2005). Mit Unfallanzeige vom 08.11.2005 meldete der Arbeitgeber den Unfall der Beklagten und schilderte den Unfallhergang. Danach sei der Klägerin nach Beendigung der Reinigungsarbeiten im Büro des Backstubenleiters beim Hinausgehen plötzlich schwarz vor den Augen geworden und sie sei umgefallen.

Die Klägerin war vom 29.09. bis 10.10.2005 stationär im Bundeswehrkrankenhaus U. behandelt und am 30.09.2005 mit einer Schrauben-Osteosynthese des Schenkelhalses links versorgt worden (Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhaus vom 10.10.2005). In dem von der Beklagten übersandten und am 02.11.2005 wieder eingegangenen Vordruck gab die Klägerin an, sie habe das Büro nass gewischt. Gleich danach habe sie auch den Eingangsbereich, der ebenso wie das Büro mit Fliesenboden ausgestattet sei, nass wischen wollen. Wahrscheinlich sei sie mit noch nassen Schuhen vom Büro ausgerutscht. An Details könne sie sich nicht erinnern. Auf Nachfrage der Beklagten erklärte sie im Schreiben vom 07.12.2005 auf die von der Beklagten vorformulierten Fragen "Warum wurde Ihnen schwarz vor Augen? Ist zeitgleich Schwindel aufgetreten? Haben Sie das Bewusstsein kurzzeitig verloren?", sie habe keine Ahnung. Sie habe ihren Ehemann als erstes informiert, der den Rettungsdienst verständigt habe. Der Ehemann habe am nächsten Morgen per Telefon den Arbeitgeber informiert. In ihrem Schreiben vom 07.02.2006 wiederholte sie, infolge des nassen Fußbodens ausgerutscht zu sein. Erst bei dem Versuch aufzustehen, sei ihr schwarz vor den Augen und übel geworden. Zu den Angaben im Durchgangsarztbericht und der Unfallanzeige des Arbeitgebers könne sie nur wiederholen, dass es Verständigungsprobleme wegen ihrer schlechten Deutschkenntnisse gegeben habe.

Die Beklagte holte die ergänzenden Auskünfte des Arbeitgebers vom 19.01.2006 (Angaben in der Unfallanzeige basierten auf der Aussage der Klägerin bzw. des Anrufs ihres Ehemanns) ein und zog den unter dem 07.12.2005 von der Klägerin ausgefüllten Fragebogen ihrer Krankenkasse (Schilderung des Unfallhergangs: auf wahrscheinlich noch feuchtem Fußboden ausgerutscht) bei. Außerdem zog sie vom Deutschen Roten Kreuz das Protokoll des Rettungsdienstes zum Einsatz am 20.09.2005 bei (Notfallgeschehen: Zustand nach Schwindel am Arbeitsplatz, Sturz).

Mit Bescheid vom 02.03.2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 29.09.2005 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Es habe trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit geklärt werden können, ob der Sturz auf das Ausrutschen auf feuchtem Boden zurück zu führen sei oder ob dem Sturz ein Schwindel vorausgegangen sei, der zum Aufprall auf den Boden geführt habe. Nach den Erstangaben, welchen durch die Rechtsprechung im Rahmen der Beweiswürdigung eine besondere Bedeutung zukomme, sei ein Schwindel Ursache des Sturzes gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Wochen später ein ganz anderer Verlauf vorgetragen worden sei. Die voneinander abweichenden Angaben ließen sich auch nicht durch mangelhafte Sprachkenntnisse erklären.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, denn sie sei am Unfalltag unter Schock gestanden und habe Angst um ihren Arbeitsplatz gehabt. Sie sei erst ein paar Tage bei der Firma beschäftigt gewesen. Sie legte das Schreiben ihres Schwiegervaters vom 05.03.2006 vor, wonach sie am Unfalltag auf dem Boden liegend ihm erklärt habe, dass sie auf dem Fußboden ausgerutscht sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Die Klägerin erhob am 20.04.2006 Klage beim Sozialgericht Ulm. Das Sozialgericht vernahm im Termin zur Beweisaufnahme am 21.05.2007 den Angestellten des Arbeitgebers S., den Ehemann der Klägerin und ihren Schwiegervater als Zeugen. Auf die Niederschrift vom 21.05.2007 wird verwiesen. Außerdem hörte es die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen (schriftliche Aussagen von Dr. W. vom 14.06.2007, von Dr. K. vom 11.07.2007 und von Dr. S. vom 23.08.2007). In dem von Amts wegen eingeholten Gutachten vom 09.11.2007 beschrieb der Sachverständige Dr. H. eine chronische, schmerzhafte Funktionsstörung des linken Hüftgelenks nach medialer Schenkelhalsfraktur und ein belastungsabhängiges globales Schmerzsyndrom bei Bandscheibenvorfall L5/S1 ohne neurologische Begleiterscheinung und eine Hemispastik links. Ein Zusammenhang zwischen dem lumbalen Bandscheibenvorfall und dem Unfallereignis sei nicht zu erkennen. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage derzeit 20 v.H. Eine Hüftkopfnekrose könne derzeit nicht sicher ausgeschlossen werden. Wegen der aktuellen Schwangerschaft der Klägerin verbiete sich jedoch eine radiologische Abklärung. Sollte die partielle Hüftkopfnekrose ohne gravierende Folgeschäden ausheilen, würde sich dies positiv auf die MdE auswirken.

Die Beklagte trat unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsauffassung, dass ein Arbeitsunfall nicht vorliege, dem Gutachten mit der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 13.12.2007 entgegen. Die Gehbehinderung beruhe allein auf unfallfremden Veränderungen. Die Hemispastik mit "Spitzfuß" könne als Vorschaden bei der MdE-Bewertung nicht berücksichtigt werden. Nach einer nochmaligen Begutachtung der Klägerin am 25.07.2008 führte der Sachverständige Dr. H. unter dem 04.08.2008 ergänzend aus, nach dem erhobenen Röntgenbefund habe sich zwischenzeitlich eine Hüftkopfnekrose links entwickelt mit Verformung im Belastungsbereich. Eine hieraus resultierende Arthrose zeichne sich ab.

Nach Wechsel im Kammervorsitz wurden im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.08.2009 die Klägerin angehört und ihr Ehemann und ihr Schwiegervater erneut als Zeugen vernommen. Auf die Niederschrift vom 10.08.2009 wird verwiesen. Mit Urteil vom 10.08.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Soweit die Klägerin erstmals am 02.11.2005 angegeben habe, sie sei ausgerutscht, und dies in ihrem Widerspruch vom 10.03.2006 damit begründete, sie habe Angst um ihren Arbeitsplatz gehabt, sei dies nicht glaubhaft.

Gegen das der Klägerin am 12.10.2009 zugestellte Urteil hat sie am 09.11.2009 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, Ehemann und Schwiegervater hätten bei ihrer Zeugenvernehmung jeweils glaubhaft angegeben, dass sie am Unfalltag bei ihrem Eintreffen als Unfallhergang angegeben habe, ausgerutscht zu sein. Sie habe jedoch Angst um ihren Arbeitsplatz gehabt, weshalb sie die Geschichte erfunden habe, dass ihr schwarz vor den Augen geworden sei. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin macht geltend, das Sozialgericht verkenne, dass es sich bei der Klägerin um eine einfach strukturierte Frau handele, die gedacht habe, "die schmeißen mich raus, wenn ich zu blöd zum Putzen bin und gleich am zweiten oder dritten Tag beim Putzen ausrutsche".

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10.08.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 02.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2006 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 29.09.2005 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Klägerin angehört sowie den Ehemann und den Schwiegervater der Klägerin als Zeugen vernommen. Auf die Niederschrift vom 17.09.2010 wird verwiesen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist statthaft. Berufungsausschlussgründe gemäß §§ 143, 144 SGG liegen nicht vor. Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG).

Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung ihres Unfalls am 29.09.2005 als Arbeitsunfall.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R).

Die Unfallkausalität betrifft die Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Unfallkausalität ist notwendigerweise in den Fällen einer inneren Ursache zu klären, da bei dieser Fallgestaltungen gerade nicht ausgeschlossen werden kann, dass neben der im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzugetreten ist (BSG Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ein Anspruch der Klägerin auf Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall nachgewiesen. Für den Senat steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Klägerin am 29.09.2005 während der durchgeführten Reinigungsarbeiten gestürzt ist. Dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Sturzes eine unversicherte eigenwirtschaftliche Verrichtung ausübte, ist nicht ersichtlich. Gegenteiliges hat auch die Beklagte nicht vorgetragen. Der demnach bei der betriebsbezogenen Tätigkeit erlittene Unfall ist nach Überzeugung des Senats auch infolge der versicherten Verrichtung eingetreten.

Durch den Sturz hat die Klägerin einen Unfall erlitten. Das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis liegt nicht nur bei einem besonders ungewöhnlichen Geschehen, sondern auch bei einem alltäglichen Vorgang, wie das Stolpern über die eigenen Füße oder das Aufschlagen auf den Boden vor, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (st. Rspr., vgl. BSG Urteil vom 17.02.2009, a.a.O. m.w.H.). Wenn ein Versicherter einen Unfall am Arbeitsplatz bei betriebsbezogener Tätigkeit erleidet, kann ein Zusammenhang des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit auch dann als bewiesen angesehen werden, wenn genaue Feststellungen über den unmittelbar den Unfall bewirkenden Umstand - Stolpern, Rutschen, Schreckreaktion - nicht getroffen werden können. Dies gilt jedenfalls, soweit keine Umstände vorliegen, die eine Unterbrechung des betrieblichen Zusammenhanges nahelegen. Das Gericht kann dann aus dem äußeren Zusammenhang der Arbeitsverrichtung mit dem Unfall die erforderliche Zurechenbarkeit des Unfalls zur versicherten Tätigkeit feststellen (BSG Urteil vom 14.11.1984 – 9b RU 68/83 - HV-INFO 1985, Nr. 5, 40-44; Juris).

Ob die Klägerin auf nassem Boden oder mit noch nassen Schuhen ausgerutscht oder auf sonstige Art gestolpert ist, hat der Senat nicht endgültig zu klären vermocht. Aus den festgestellten Umständen, dass ein Fliesenboden nass aufgewischt wurde und die Klägerin aufgrund der seit Geburt bestehenden motorischen Beinschwäche links eine Gangunsicherheit aufweist, ist zur sicheren Überzeugung des Senats zu folgern, dass der Sturz infolge der betrieblichen Verrichtung eingetreten ist.

Einen Schwindelanfall als konkurrierende Ursache, die vorliegend nicht neben die betriebsbedingte Ursache tritt, sondern nach Auffassung der Beklagten einen betriebsbedingten Zusammenhang ausschließt, hat der Senat demgegenüber nicht feststellen können. Ob ein Schwindelanfall durch die betriebliche Verrichtung, z.B. durch eine besondere körperliche Anstrengung, wesentlich hervorgerufen wurde, kann deshalb dahinstehen.

Die erforderliche Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und dem Unfallereignis liegt vor, wenn außer dem kausalen Anknüpfungspunkt der versicherten Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten. Kann eine mögliche Konkurrenzursache schon nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als Ursache aus. Liegt hingegen eine Konkurrenzursache vor, ist die Unfallkausalität im Sinne der wesentlichen Bedingung zu klären. Für den Ausschluss der versicherten Tätigkeit als wesentliche Ursache für das Unfallereignis reicht es nicht aus, festzustellen, dass der Versicherte eine als Konkurrenzursache in Betracht kommende Grunderkrankung als innere Ursache in sich trägt, vielmehr muss auch festgestellt werden können, dass diese innere Ursache tatsächlich kausal geworden ist, indem sie einen Ursachenbeitrag gesetzt und das konkrete Unfallereignis zumindest mit verursacht hat (BSG Urteil vom 17.02.2009 a.a.O.).

Hiervon ausgehend ist schon zweifelhaft, ob eine entsprechende Grunderkrankung als Voraussetzung für eine etwaige Konkurrenzursache zum Zeitpunkt des Unfalls überhaupt vorlag. Dr. W. legte mit ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom 14.06.2007 zwar den Arztbrief der neurologischen Praxis Dr. L. vom 07.02.2007 vor, in welchem als Vorerkrankung u.a. ein arterieller Hypertonus genannt ist. Auch Dr. K., der die Klägerin seit Juli 2003 hausärztlich betreut, gibt in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 11.07.2007 die Diagnose einer arteriellen Hypertonie mit Extrasystolie an. Weitere Angaben über die daraus resultierenden Symptome sind den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen nicht zu entnehmen. Das Beschwerdebild einer Hypertonie ist wechselhaft und individuell unterschiedlich (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch - online -, Stichwort Hypertonie: Die Klinik einer Hypertonie ist unspezifisch und sehr variabel; u. a. Schwindel, Kopfschmerz, Sehstörungen, häufig auch symptomarm bzw. asymptomatisch). Schwindelerscheinungen sind nach Dr. K. bei der Klägerin nur während der Schwangerschaft aufgetreten. Zum Unfallzeitpunkt war der Klägerin nicht schwanger.

Dass die Klägerin an ihren Erstangaben, der Sturz sei wegen eines aufgetreten Schwindels erfolgt, festzuhalten ist und deshalb dieser Umstand als Tatsache festgestellt werden kann, war nicht mit der erforderlichen sicheren Überzeugung des Senats zur Entscheidungsgrundlage zu machen. Die Klägerin und die Zeugen haben vor dem Senat ihre bisherigen Aussagen wiederholt. Widersprüche und Unstimmigkeiten, die geeignet sind, Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu wecken, haben sich bei den weitgehend deckungsgleichen Aussagen der Zeugen nicht ergeben. Zwar trifft es zu, dass die in der Regel in Unkenntnis der Erfordernisse einer Leistungsbewilligung gemachten Erstangaben einen hohen Beweiswert besitzen. Abweichungen von diesen Erstangaben bedürfen daher grundsätzlich einer plausiblen Begründung. Eine solche Begründung hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats darlegen können. Ihr Ehemann und ihr Schwiegervater haben bei ihren Zeugenaussagen vor dem Senat glaubhaft bekundet, dass die Klägerin am Unfalltag bei ihrem Eintreffen am Unfallort ihnen gegenüber angegeben hatte, ausgerutscht zu sein, aber aus Sorge um ihren Arbeitsplatz aufgetretene Schwindelerscheinungen als Sturzursache geltend machen wollte. Die Klägerin selbst hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat zwar zunächst nicht angegeben, was am Unfallort mit Schwiegervater und Ehemann weiteres besprochen worden sei, was mit ihrem eigenen Berufungsvorbringen nicht vereinbar wäre. Dies macht die Klägerin aber nicht unglaubwürdig. Auf Nachfrage hat sie, wenn auch nur zögerlich und wenig zusammenhängend, schließlich vorgetragen, mit dem Schwiegervater über ihre Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wie auch über ihre Sorge um das bei der Schwiegermutter untergebrachte Kind gesprochen zu haben. Diese Ungereimtheit im Vortrag ist nach Einschätzung des Senats aufgrund des in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnenen persönlichen Eindrucks nicht darauf zurückzuführen, dass ein erfundenes und nicht selbst erlebtes Geschehen geltend gemacht wird, sondern beruht gerade auf den von der Klägerin und den Zeugen geschilderten Umständen. Der Senat hat die Klägerin als stille und einfache Frau erlebt, die sich unter Hinweis auf den Zeitablauf glaubhaft an Einzelheiten nach dem Sturz nicht mehr erinnern konnte. Ein bewusstes Taktieren als Erklärung dieses Aussageverhaltens hat der Senat darin nicht gesehen. Ansonsten wäre zu erwarten gewesen, dass zumindest der Kern des Berufungsvorbringens jedenfalls auf entsprechende Nachfrage vorgetragen wird, zumal die Klägerin den bisherigen Verhandlungsgang und insbesondere die Zeugenvernehmungen von Ehemann und Schwiegervater vor dem Sozialgericht hat verfolgen können. Für den Senat war daher die Schilderung der Umstände durch die Zeugen glaubhaft, wonach die Klägerin starke Schmerzen hatte und von teilweise rational nicht ganz nachvollziehbaren Gedanken beherrscht wurde, wie zum Beispiel der Sorge um ihr eigentlich gut untergebrachtes Kind, der von ihr empfundenen "Schmach", in den Augen des Arbeitgebers das Putzen nicht richtig zu beherrschen, und gleich am zweiten Arbeitstag einen Unfall zu erleiden. Hierzu passt auch, dass die Klägerin gegenüber dem Senat nicht in der Lage war, ihre teils widerstreitenden Überlegungen am Unfalltag - einerseits wurde die Verletzung als nicht gravierend angesehen und die Klägerin meinte, am nächsten oder übernächsten Tag wieder arbeiten zu können, andererseits war die Klägerin in Sorge um ihr Kind - hinreichend zu artikulieren. Für den Senat ist auch nachvollziehbar und damit glaubhaft gewesen, dass die Zeugen jedenfalls am Unfalltag keinen ernsthaften Versuch unternommen haben, die Klägerin von ihrem Vorhaben, das beide Zeugen als nicht richtig erkannt haben, abzuhalten. Es war überzeugend, dass die Angehörigen ihrerseits in Sorge um die Klägerin vorrangig bemüht waren, Hilfe herbei zu holen und die Klägerin selbst zu beruhigen. Ihren eigenen Angaben zufolge, und so lässt es sich auch der Aussage des Ehemannes vor dem Senat entnehmen, hatte die Klägerin gegenüber dem Rettungsdienst und später auch gegenüber den Ärzten im Krankenhaus selbst von einem Schwindel als Sturzursache gesprochen. Danach ist plausibel, dass der Ehemann diesen Unfallhergang zunächst auch weitergegeben hat, um seiner Ehefrau nicht in den Rücken zu fallen. Für den Senat ist auch einleuchtend, dass sich die Klägerin mit der Erkenntnis, eine über eine bloße Prellung hinausgehende, schwere Verletzung erlitten zu haben, veranlasst gesehen hat, ihre bisherigen Angaben zu korrigieren. Ob hierbei ein im Raum stehender Anspruch auf Verletztenrente oder allgemein der Anspruch auf Heilbehandlung durch den Unfallversicherungsträger eine Rolle gespielt hat, ist für den Senat nicht maßgebend gewesen.

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass nach dem Verfahrensverlauf die Angabe zur Sturzursache bereits vor Erlass eines ablehnenden Bescheids im übersandten Vordruck von der Klägerin am 02.11.2005 korrigiert wurde. Hinweise darauf, dass eine verfahrenstaktische Änderung des Vorbringens durch geäußerte Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen unfallgesetzlicher Entschädigungsleistungen veranlasst wurde, ergeben sich aus der Verwaltungsakte nicht. Vielmehr ist im Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses vom 10.10.2005 noch ausdrücklich von einem Berufsunfall die Rede. Die von der Klägerin und den Zeugen übereinstimmend genannte Begründung, weshalb ihre anfänglichen Angaben nicht zutreffend waren, ist nach Dafürhalten des Senats aus den oben genannten Gründen glaubhaft und entbehrt auch nicht der Lebensnähe. Die Klägerin war nach dem vor dem Senat hinterlassenen Eindruck tatsächlich der Meinung, eine in ihrer körperlichen Disposition liegende Sturzursache wäre ihrer Eignung als Reinigungskraft weniger abträglich, als wenn Umstände der Reinigungsarbeit selbst hierfür verantwortlich wären. Für diese Überlegung der Klägerin spricht außerdem, dass nach den Vernehmungen der Zeugen übereinstimmend davon berichtet worden ist, dass sie anfangs nur von einer geringen Verletzung, wie einer Prellung, ausgegangen ist und noch nicht an eine folgenschwere Fraktur gedacht hatte. Wenn daher zu diesem Zeitpunkt die Auffassung bestand, am nächsten oder übernächsten Tag hätte die Arbeit wieder aufgenommen werden können, macht auch die aus Sicht der Klägerin ihre Qualifikation weniger in Frage stellende "Notlüge" über die eigentliche Sturzursache Sinn, weil damit keine relevante Arbeitsunterbrechung verbunden gewesen wäre. Dass bei der Diagnosestellung durch den am Unfallort eingetroffenen Rettungsdienst bzw. durch den Durchgangsarzt sich schließlich eine gravierendere Verletzung herausstellte, hat die Klägerin zunächst nicht veranlasst, von der einmal gemachten Angabe wieder abzurücken, was ebenso verständlich ist. Erst nachdem die Tragweite der Verletzung erkannt wurde, sind dann die Erstangaben korrigiert worden. Dieser äußere Ablauf einschließlich des untauglichen Erklärungsversuches mit angeblichen Sprachproblemen ist sowohl mit der menschlich verständlichen Hemmung, eine Lüge eingestehen zu müssen, zu erklären wie auch damit, dass, aus welchen Gründen auch immer, im Nachhinein erkannt worden ist, dass die bisherige Unfallschilderung für etwaige Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung schädlich ist. Selbst wenn die letztere Erkenntnis letztlich den Anstoß gegeben haben sollte, das bisherige Vorbringen zu korrigieren, ist dies für den Senat allein auch kein hinreichender Anlass gewesen, das jetzige Vorbringen als unrichtig zu bewerten. Es ist durchaus denkbar und vorstellbar, dass eine aus individuellen Gründen für zweckmäßig erachtete "Notlüge", die im Übrigen der Klägerin selbst keine weiteren - wirtschaftlichen - Vorteile erbringen und dem Arbeitgeber keine Nachteile verursachen sollte und aus Scham zunächst aufrechterhalten wird, mit der Erkenntnis, dass gesetzmäßige Rechte dadurch verloren gehen und eine schwerer als gedachte Verletzung vorliegt, später richtig gestellt wird. Ist daher nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Erstangaben der Klägerin falsch waren, lässt sich auch unter Würdigung der von den behandelnden Ärzten mitgeteilten Befunde eine Schwindelerscheinung als Sturzursache nicht mit dem erforderlichen Grad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als Tatsache feststellen.

Umstände, die eine Beweislastumkehr oder eine Beweiserleichterung für die Beklagte begründen, liegen nicht vor. Zwar hat die Klägerin mit ihren Erstangaben einen Rechtsschein für einen bestimmten Unfallablauf gesetzt. Damit ist aber weder die Beweislage zum Nachteil der Beklagten verschlechtert noch sind sonstige Tatsachen geschaffen worden, die eine Beweiserleichterung für die die Beweislast für das Vorliegen einer Konkurrenzursache tragende Beklagte rechtfertigen. Die Bewertung widersprüchlicher Angaben hat der Senat im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung, wie geschehen, vorzunehmen.

Mangels Feststellung von Tatsachen, die den festgestellten berufsbedingten Umständen der versicherten Verrichtung entgegenstehen, fehlt es daher an einer Konkurrenzursache und es verbleibt bei der festgestellten Unfallkausalität.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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