L 19 AL 136/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 13 AL 52/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AL 136/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.04.2010 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld auf ihren Antrag vom 14.01.2008. Die am 00.00.1957 geborene Klägerin schöpfte den mit Bescheid vom 19.12.2006 bestandskräftig bewilligten Anspruch auf Arbeitslosengeld für 360 Tage (Bemessungsentgelt 49,00 EUR täglich, Lohnsteuerklasse I, Leistungssatz 23,17 EUR täglich) durch Inanspruchnahme vom 19.12.2006 bis einschließlich 16.12.2007 bis auf einen Restanspruch von einem Tag aus. Mit am 17.12.2007 bei der Beklagten eingegangener Mitteilung meldete sich die Klägerin mit Wirkung vom selben Tag als Arbeitslose ab. Am 14.01.2008 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 15.01.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und wies den gegen diese Entscheidung am 17.01.2008 erhobenen Widerspruch durch Bescheid vom 11.02.2008 zurück mit der Begründung, die Klägerin sei ab dem 17.12.2007 ohne wichtigen Grund für dieses Verhalten nicht arbeitsbereit gewesen. Ihr Anspruch mindere sich daher nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) um die Anzahl der Tage mit fehlender Arbeitsbereitschaft, sodass ab dem 14.01.2008 kein Anspruch mehr bestehe. Mit ihrer hiergegen am 22.02.2008 zum Sozialgericht erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, infolge der am 17.12.2007 abgegebenen Gegenerklärung zur vorherigen Arbeitslosmeldung sei ihre Arbeitslosigkeit in der Zwischenzeit bis zur erneuten Arbeitslosmeldung am 14.01.2008 entfallen. Ein Anwendungsfall der Minderung nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III liege insbesondere nach den Dienstanweisungen der Beklagten nicht vor.

Mit Urteil vom 01.04.2010 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.01.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2008 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 14.01.2008 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 14.01.2008 seien gegeben gewesen, insbesondere sei der Restanspruch der Klägerin nicht nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III gemindert worden, da die Klägerin für ihr Verhalten einen wichtigen Grund gehabt habe. Dieser liege in der Wahrung der Möglichkeit, die Verlängerung der Anspruchsdauer für ältere Arbeitslose nach § 434 r SGB III in Anspruch zu nehmen. Gegen das am 15.04.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 07.05.2010 Berufung eingelegt. Die Klägerin habe sich, ohne tatsächlich nicht mehr arbeitslos zu sein, durch ihre Erklärung ab dem 17.12.2007 den Vermittlungsbemühungen der Beklagten entzogen, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Das angefochtene Urteil verkenne das Ziel der Minderung nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III, den Versicherten zur Mitwirkung an der Beendigung der Arbeitslosigkeit anzuhalten. Dagegen sei es weder Aufgabe des SGB III noch der Beklagten, Arbeitslosen zu einer möglichst langen Anspruchsdauer zu verhelfen. Auch sei zu erwägen, dass das Verhalten der Klägerin einen nach § 46 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) unwirksamen Verzicht darstelle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.04.2010 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass nach der Dienstanweisung der Beklagten für die Anwendung von § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III kein Raum sei, wenn der Arbeitslose ohne erkennbaren Manipulationsabsicht seinen Status als Arbeitsloser aufgebe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehöre es zu den Aufgaben der Beklagten, Arbeitslose hinsichtlich der Möglichkeiten einer günstigen Gestaltung ihres Arbeitslosengeldanspruchs zu beraten. Der Hinweis der Beklagten auf § 46 Abs. 2 SGB I gehe fehl.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid vom 15.01.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 14.01.2008 zu gewähren. Denn der Bescheid vom 15.01.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2008 ist rechtswidrig.

Die Voraussetzungen der Bewilligung von Arbeitslosengeld nach §§ 118, 119 SGB III in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung durch das Gesetz vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) lagen ab dem 14.01.2008 vor. Die Klägerin war im Sinne von §§ 118 Abs. 1 Nr. 1, 119 SGB III arbeitslos. Sie stand nicht in einem Beschäftigungsverhältnis (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Ferner hatte sie in dem am 14.01.2008 unterzeichneten Antragsformular gegenüber der Beklagten ihre Bereitschaft erklärt, alle Möglichkeiten zu nutzen, ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III) und ihre subjektive Verfügbarkeit im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 3 SGB III hergestellt, indem sie sich den Vermittlungsbemühungen der Beklagten erneut zur Verfügung gestellt hatte. An der Fähigkeit der Klägerin, ab dem 14.01.2008 eine nach dem SGB III sozialversicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben (objektive Verfügbarkeit), ergeben sich nach Aktenlage keine Zweifel. Auch hat sich die Klägerin am 14.01.2008 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III und verfügte sie an diesem Tag über einen Restanspruch aus der bestandskräftigen Bewilligung vom 19.12.2006. Denn der durch diesen Bescheid bewilligte Leistungsanspruch für 360 Tage war durch Inanspruchnahme bis zum 16.12.2007 nur im Umfang von 359 Tagen ausgeschöpft worden, sodass ein Restanspruch von einem Tag am 14.01.2008 zur Verfügung stand.

Dieser Restanspruch ist nicht durch Minderung nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III erloschen. Nach § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III (hier anzuwenden in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung durch das Gesetz vom 20.07.2006, BGBl I 1706) mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen der Beschäftigungslosigkeit nach der Erfüllung der Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, an denen der Arbeitslose nicht arbeitsbereit ist, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Zwar hat die Klägerin durch ihre Erklärung vom 17.12.2007 zu erkennen gegeben, nicht arbeitsbereit zu sein. Für dieses Verhalten hatte sie jedoch einen wichtigen Grund. Dieser bestand darin, die Voraussetzungen für die spätere Inanspruchnahme der seinerzeit noch nicht hinsichtlich aller Anspruchsvoraussetzungen bekannten Verlängerung der Anspruchsdauer für ältere Arbeitslose (§ 434 r SGB III) zu wahren. Was als "wichtiger Grund" im Sinne des § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III anzusehen ist, ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift. § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III ist, wie die weiteren Minderungstatbestände des Absatzes 1, nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (BT-Drucks 13/4941, S. 177) den Vorschriften des § 110 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nachgebildet. Der Wortlaut von § 128 Abs. 1 Nr. 7 entspricht dabei bis auf wenige Abweichungen § 110 S. 1 Nr. 5 AFG. Auch hiernach minderte sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um Tage der Arbeitslosigkeit nach der Erfüllung der Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, an denen der Arbeitslose nicht bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen, die er ausüben kann und darf, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben.

Nach soweit ersichtlich einhelliger Auffassung wurde und wird zu beiden Vorschriften vertreten, dass ihr Sinn darin besteht, im Interesse der Versichertengemeinschaft den Arbeitslosen daran zu hindern, sich punktuell aus dem Leistungsbezug abzumelden und sich hierdurch prinzipiell erfolgversprechenden Vermittlungsbemühungen der Beklagten sowie dem bei Nichtwahrnehmung eines Arbeitsangebots drohenden Risiko des Eintritts einer Sperrzeit und ihrer Folgen zu entziehen (zu § 110 AFG: Heuer in Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, § 110 Rn 9, Valgolio in Spellbrink/Eicher, Kassler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 10 Rn 298, Vogel in infoalso 1991, 152; zu § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III: Brand in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage, § 128 Rn 13, Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III, § 128 Rn 78 ff., Pilz in Gagel, SGB III, § 128 Rn 29 ff.). Auch die Dienstanweisung der Beklagten trägt diesem Gesetzeszweck Rechnung mit folgender Formulierung: "§ 128 Abs. 1 Nr. 7 ist in aller Regel nur anzuwenden, wenn die Leistungsgewährung allein deshalb beendet wurde, weil der Arbeitslose seine Verfügbarkeit ... gezielt aufgehoben hat, um Eingliederungsbemühungen der AA (Arbeitsagentur) zu vermeiden ... Gibt der Arbeitslose hingegen ohne erkennbare Manipulationsabsicht den Status als Arbeitsloser auf, bleibt für die Anwendung des § 128 Abs. 1 Nr. 7 kein Raum. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer nicht (mehr) bereit ist, als abhängig Beschäftigter arbeiten zu wollen." (Dienstanweisung der Beklagten, Stand April 2010, § 128 Rn 19 ff.).

Für eine Manipulation der Klägerin im vorstehend umschriebenen Sinn bietet der Sachverhalt keinerlei Hinweise. Weder gibt die Beklagte an, dass gerade am 17.12.2007 ein Arbeitsentgelt vorgelegen hätte, noch ist wahrscheinlich, dass eine Vermittlung seit langer Zeit arbeitslosen bzw. zwischenzeitlich auch erkrankten Klägerin gerade am 17.12.2007 hätte stattfinden können. Insoweit ist es zur Überzeugung des Senats bereits fraglich, kann jedoch letztlich dahinstehen, ob überhaupt eine in den Anwendungsbereich von § 128 Abs. 1 Nr. 7 SGB III fallende Sachverhaltsgestaltung vorliegt.

Jedenfalls ist der Argumentation des Sozialgerichts beizutreten, wonach die Klägerin für ihr Verhalten einen "wichtigen Grund" hatte. Das Gesetz gibt keinen Hinweis, was unter einem wichtigen Grund zu verstehen ist, sodass es naheliegt, die Frage - wie bei der Prüfung der Sperrzeitregelung in § 144 SGB III - unter Abwägung der Interessen der Versichertengemeinschaft mit den feststellbaren Individualinteressen zu beantworten (vgl. Leitherer a. a. O., Rn 80, Dienstanweisungen a. a. O., Rn 22). Als auf Seiten der Versichertengemeinschaft zu gewichtendes Interesse kommt alleine das Interesse, die Arbeitslosigkeit der Klägerin und damit auch ihren Leistungsbezug zu beenden, in Betracht. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass eine Vermittlung der Klägerin am 17.12.2007 hätte erfolgen können. Dem letztlich fehlenden Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Vermittelbarkeit der Klägerin genau am 17.12.2007 steht ihr zur Überzeugung des Senats in jeder Hinsicht legitimes Interesse gegenüber, die später rückwirkend zum 01.01.2008 in Kraft getretene Verlängerung der Anspruchsdauer für ältere Arbeitslose (§ 434 r SGB III, eingeführt durch Gesetz vom 08.04.2008, BGBl I 681), deren Voraussetzungen zur Jahreswende 2007/2008 noch nicht feststanden, in Anspruch zu nehmen.

Ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin hinsichtlich der Verschiebung eines Anspruchsteiles in das Jahr 2008 zu beraten, wie es die Klägerseite annimmt, kann dahinstehen. Jedenfalls war die Klägerin nicht gehindert, durch Verschiebung eines Anspruchsteiles in das Jahr 2008 ihre Möglichkeiten insoweit zu wahren.

Entgegen der Berufungsbegründung der Beklagten liegt in der Abmeldung aus dem Leistungsbezug auch kein nach § 46 Abs. 2 SGB I unwirksamer Verzicht. Nach § 46 Abs. 1 SGB I kann durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger auf Ansprüche auf Sozialleistungen verzichtet werden; der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Zweifelhaft ist bereits, ob überhaupt ein Verzicht der Klägerin in diesem Sinne festzustellen ist. Denn mit ihrem Schreiben vom 17.12.2007 hat die Klägerin keine Aufgabe ihres Leistungsanspruchs erklärt. Wäre die Erklärung vom 17.12.2007 als Verzicht zu verstehen gewesen, hätte ihn die Klägerin darüber hinaus durch ihr erneutes Leistungsbegehren vom 14.01.2008 jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Zudem wäre ein Verzicht der Klägerin nicht unwirksam. Nach § 46 Abs. 2 SGB I ist ein Verzicht unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Weder die Umgehung von Rechtsvorschriften noch die Belastung einer anderen Person oder eines anderen Leistungsträgers als der Beklagten infolge der Erklärung vom 17.12.2007 sind jedoch erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Ein Grund zur Zulassung der Revision nach § 160 SGG besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved