L 4 KR 3304/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 795/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3304/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 26. März 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Soziotherapie.

Die am 1955 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie leidet unter einer mehrjährig bestehenden psychischen Erkrankung. Das Zentrum für Psychiatrie D. W., Psychiatrische Institutsambulanz W., erstellte am 08. Juli 2005 zusammen mit der Klägerin und dem Sozialpsychiatrischen Dienst Arkade e.V. einen soziotherapeutischen Betreuungsplan gemäß § 37a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). In der zugehörigen Verordnung von Soziotherapie der Dr. K., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefärztin der Psychiatrischen Institutsambulanz des Zentrums für Psychiatrie D. W. (PIA), vom 08. Juli 2005 wird eine schwere depressive Episode (rezidivierend) mit psychotischen Symptomen angegeben. Aufgrund dieser Verordnung teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 mit, sie übernehme im Zeitraum vom 01. Juli 2005 bis 01. August 2008 die vertraglich vereinbarten Kosten der Soziotherapie in dem ärztlich verordneten Umfang von 30 Therapieeinheiten.

Mit Bescheid vom 29. Juni 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die bislang genehmigte Soziotherapie werde mit sofortiger Wirkung nicht mehr zusätzlich übernommen. Sie (die Klägerin) werde von der PIA ärztlich komplex und interdisziplinär betreut. Durch diese komplexe Behandlung sei eine parallele Soziotherapie ausgeschlossen. Es handele sich um eine Doppelleistung. Die Klägerin erleide jedoch hierdurch keinen Nachteil in ihrer Versorgung, da die Leistungen der Soziotherapie Inhalt der komplexen PIA-Behandlung seien.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein. Sie erhalte zusätzlich zur Behandlung der PIA Soziotherapie und könne auf beide Leistungen nicht verzichten. Mit Schreiben vom 06. Juli 2006 unterstützte Dr. K. den Widerspruch der Klägerin mit dem Hinweis, durch diese intensive Form der Behandlung durch die PIA und gleichzeitige Soziotherapie habe die Dauer der notwendigen stationären Aufenthalte der Klägerin deutlich verkürzt werden können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04. September 2006 des bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsausschusses aufgrund dessen Sitzung am 29. August 2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Aus der interdisziplinären Ausrichtung des Therapeutenteams der PIA und dem Auftrag, so genannte "Non-Compliance-Patienten" aufsuchend zu betreuen, ergebe sich die Folgerung, dass daneben keine gesonderte Soziotherapie erfolgen könne und dürfe. Gegen diesen Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin keine Klage. Der Sozialpsychiatrische Dienst Arkade e.V., Soziotherapeutin Frau B., meldete mit Schreiben vom 07. November 2006 an die Beklagten die Klägerin aus der Soziotherapie ab.

Am 23. November 2006 stellte Dr. K. indes erneut eine Verordnung von Soziotherapie gemäß § 37a SGB V aus. Bei der Klägerin bestehe eine schwere depressive Episode (rezidivierend) mit psychotischen Symptomen seit 1999 (ICD-10-Nrn.: F 33.3). Durch Soziotherapie könne ein Klinikaufenthalt vermieden werden. Beantragt wurden 30 Therapieeinheiten. Mit Bescheid vom 27. November 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie gehe davon aus, dass weiterhin Leistungen von der PIA in Anspruch genommen würden. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin teilte die Beklagte zunächst mit, über die Ablehnung der Soziotherapie sei bereits mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 04. September 2006 entschieden worden. Ein erneuter Widerspruch sei nicht möglich. Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2006 trug dann die Bevollmächtigte der Klägerin ergänzend vor, Leistungen der Soziotherapie gehörten gerade nicht zum Leistungsspektrum der PIA.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2007 wies die Beklagte durch ihren Widerspruchsausschuss aufgrund dessen Sitzung vom 08. Februar 2007 den Widerspruch zurück. Sie wiederholte dabei im Wesentlichen die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 04. September 2006.

Am 21. März 2007 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Leistungen der Soziotherapie gehörten nicht zum Leistungsumfang der PIA. Die Soziotherapie sei hier zu Recht verordnet worden, um einen Klinikaufenthalt zu vermeiden. Da sie nicht von sich aus die Termine bei der PIA einhalten könne, sondern diese genötigt sei, Hausbesuche zu machen, spreche auch dies für einen Bedarf an Soziotherapie nach § 37a SGB V. Auf Anforderung des SG legte die Klägerin die Dokumentation der im Zeitraum vom 11. Januar 2007 bis 09. Januar 2008 für sie erbrachten Leistungen der Soziotherapie vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies ergänzend zum Widerspruchsbescheid darauf, die ärztlichen Leistungen von der PIA würden regelmäßig in Anspruch genommen. Zu deren Sicherung sei die Soziotherapie daher nicht mehr notwendig. Die weitere Motivation der Klägerin stehe dann in der Verantwortung der PIA. Hier gehe es vordergründig darum, dem sozialen Rückzug entgegenzuwirken. Dies entspreche aber nicht der Zielrichtung der Soziotherapie nach §37a SGB V. Die PIA habe die spezifischen Inhalte der Soziotherapie Notwendigkeit und der Bedarf des einzelnen Patienten zu erbringen.

Auf den von der Klägerin am 28. März 2007 beim SG gestellten Antrag verpflichtete das SG die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung, der Klägerin gemäß der Verordnung vom 23. November 2006 Soziotherapie zu gewähren mit der Begründung, nach summarischer Prüfung liege keine Doppelleistung vor, da Leistungen der Soziotherapie gerade nicht zum Leistungsumfang der PIA gehörten. Ohne Fortführung der Soziotherapie bestehe die konkrete Gefahr, dass die Klägerin nicht mehr die erforderlichen psychiatrischen Hilfen in Anspruch nehmen und deshalb binnen Kurzem wieder stationär behandelt werden müsse. Daher sei hinzunehmen, dass durch die einstweilige Anordnung die Entscheidung der Hauptsache vorweggenommen werde (Beschluss vom 05. April 2007 - S 2 KR 880/07 ER -).

Das SG befragte Dr. K. als sachverständige Zeugin. Diese teilte in ihrer schriftlichen Auskunft vom 10. August 2007 mit, die Klägerin leide unter den Diagnosen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen, einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung sowie einer Zwangsstörung mit vorwiegenden Zwangshandlungen und des rezidivierenden schädlichen Gebrauchs von Alkohol und werde seit Juli 2002 regelmäßig in der PIA behandelt. Diese Behandlung diene der regelmäßigen Beurteilung der psychiatrischen Symptomatik, der Klärung der rezidivierenden Suizidalität, der Anpassung der komplexen Psychopharmakotherapie, stützenden Gesprächen und immer wieder kurzfristigen Kriseninterventionen. Über weite Strecken gelinge es trotz schwerer psychischer Symptomatik, stationäre Aufnahmen zu vermeiden. Die Klägerin sei krankheitseinsichtig und behandlungsbereit, lehne jedoch insbesondere cotherapeutische Angebote aus Ängsten, Misstrauen, Selbstunsicherheit und teilweise überwertigen Bewertungen anderer Personen und Begebenheiten ab, obwohl sie deren Wirksamkeit in vergangenen Zeiten durchaus anerkannt habe. Hier sei nach ihrer (Dr. K.) Einschätzung Soziotherapie erforderlich, um die Klägerin zu den genannten Therapiebausteinen zu motivieren und anzuhalten. Durch die Soziotherapie könne sie aktiviert werden, ihren sozialen Ängsten etwas entgegenzusetzen, insbesondere indem sie die cotherapeutischen Angebote wahrnehme. Diese Motivationsarbeit könne helfen, ihre psychosozialen Defizite zumindest auf ein Maß zu reduzieren, sodass die Klägerin ihren Alltagsanforderungen wieder vermehrt nachgehen könne, Krisenzeiten seltener würden und sie wieder längerfristig ohne Klinik auskomme.

Mit Urteil vom 26. März 2009, das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 29. Juni 2009 zugestellt wurde, wies das SG die Klage ab mit der Begründung, ein Anspruch auf Freistellung oder Erstattung von Kosten nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setze in jedem Fall voraus, dass die im Streit stehende Leistung der Versicherten als Sach- oder Dienstleistung zugestanden hätte. Dies sei aber nicht der Fall. Bei Leistungen der Soziotherapie gehe es nicht um Hilfen mit dem Ziel, Tendenzen zum sozialen Rückzug entgegenzuwirken oder die Betroffenen zu befähigen, die Anforderungen des Alltags zu bewältigen. Dr. K. habe mit dieser Zielrichtung die Soziotherapie verordnet. Die Klägerin sei trotz ihrer schweren psychischen Erkrankung ersichtlich in der Lage, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen. Dies schließe einen Anspruch auf Soziotherapie aus. Soweit die vorgelegte soziotherapeutische Dokumentation den Eindruck entstehen lasse, dass tatsächlich auch Soziotherapie (im Sinne des Gesetzes) erbracht werde, stehe dies im Widerspruch zur Aussage der verordnenden Ärztin.

Am 22. Juli 2009 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie trägt vor, die von Dr. K. in der Verordnung vom 23. November 2006 formulierten Zielsetzungen der Soziotherapie seien zulässige Teilziele im Rahmen des Gesamtziels, Krankenhausbehandlungen zu vermeiden und die selbstständige Inanspruchnahme ärztlicher oder ärztlich verordneter Leistungen zu ermöglichen. Dr. K. habe differenziert beschrieben, dass sie (die Klägerin) prinzipiell eine Behandlungsnotwendigkeit einsehe, jedoch krankheitsbedingt nicht dazu in der Lage sei, Behandlungen selbstständig in Anspruch zu nehmen.

In einem Erörterungstermin am 03. November 2009 hat der damalige Berichterstatter des Senats die Sach- und Rechtslage mit der Bevollmächtigten der Klägerin erörtert. Im Anschluss hat die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren, von den Kosten der Soziotherapie freigestellt zu werden, in einen sogenannten Fortsetzungsfeststellungsantrag geändert, da die Beklagte alle Soziotherapieeinheiten genehmigt und bezahlt habe. Die ursprüngliche Klage sei zulässig gewesen. Das erledigende Ereignis sei mit Zahlung der Soziotherapie entsprechend der Verordnung vom 23. November 2006 durch die Beklagte (aufgrund der Entscheidung des SG im einstweiligen Rechtsschutz) eingetreten. Es bestehe ein Feststellungsinteresse, da ein Erstattungs- bzw. Rückforderungsanspruch der Beklagten drohe. Zudem bestehe Wiederholungsgefahr.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Konstanz vom 26. März 2009 festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2007 rechtswidrig war und die Beklagte verpflichtet war, die am 23. November 2006 verordneten 30 Therapieeinheiten Soziotherapie als Sachleistungen zu erbringen hatte.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließt sich den Ausführungen des SG an und erklärt, sie habe entsprechend dem Beschluss des SG vom 05. April 2007 entsprechend der Verordnung vom 23. November 2006 30 Therapieeinheiten im Zeitraum vom 01. Januar 2007 bis 30. September 2008 bezahlt. Sie melde den Erstattungsanspruch auf diese nachträglich zu Unrecht erbrachten Leistungen einerseits und die Rückzahlung der im Rahmen des Eilverfahrens an die Klagevertreterin bezahlten Rechtsanwaltskosten andererseits an. Bei bestehender Krankheitseinsicht, Behandlungsbereitschaft und bestehender Bereitschaft zum Kontakt mit den Behandlern sei die Zielsetzung der Verordnung für eine Soziotherapie falsch gewesen.

Der Senat hat schriftliche sachverständige Zeugenauskünfte eingeholt. Auskunft hat zunächst erteilt Frau B., Regionalleiterin des Arkade e.V. (Sozialpsychiatrischer Dienst, Betreutes Wohnen, Tagesstätte) in Wa. (Auskunft vom 07. Dezember 2009). Sie hat berichtet über die Durchführung von Soziotherapieeinheiten bei der Klägerin im Zeitraum vom 13. November 2006 bis 28. März 2007 sowie vom 27. Juli 2007 bis 23. Juni 2008, des Weiteren vom 09. Januar 2009 bis 25. Mai 2009. In der Zeit vom 28. März 2007 bis 26. Juli 2007 habe es einen stationären/teilstationären Aufenthalt der Klägerin gegeben, in der Zeit vom 03. Juni 2009 bis 13. Juli 2009 einen stationären Aufenthalt sowie in der Zeit von Januar 2008 bis Mai 2008 den Besuch der Tagesklinik. Cotherapeutische Leistungen seien ambulante Ergotherapie und Besuch in der Tagesstätte. In dem Jahr 2009 habe die Klägerin beide Angebote nicht wahrgenommen, im Jahr 2008 kaum. In den Jahren 2006 und 2007 hätten diese stattgefunden. Mit viel Motivationsarbeit habe die Klägerin überzeugt werden können, dass sie Hilfe über die Sozialstation S. V. erhalten könne. Seit 01. August 2008 komme zweimal pro Woche der Pflegedienst und dreimal pro Woche eine Nachbarschaftshelferin. Im Zeitraum vom 03. Juli 2008 bis 15. Dezember 2008 und 22. Juli 2009 bis 07. Dezember 2009 seien Leistungen der PIA durchgeführt worden. Diese Leistungen hat die sachverständige Zeugin Dr. G., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefärztin der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie Wa. am ZfP Südwürttemberg, ebenfalls als von der PIA "eingekaufte" Soziotherapieeinheiten angegeben. In dieser Zeit seien keine Hausbesuche von Mitarbeitern der PIA durchgeführt worden. Stationäre Aufenthalte der Klägerin seit November 2006 gibt die sachverständige Zeugin Dr. G. wie folgt an: Vom 28. März 2007 bis 23. April 2007, vom 24. April 2007 bis 26. Juni 2007, vom 26. Juni 2007 bis 25. Juli 2007 (teilstationär in der Tagesklinik), vom 14. Januar 2008 bis 21. Februar 2008, vom 10. März 2008 bis 25. März 2008, vom 25. März 2008 bis 06. Mai 2008, vom 06. bis 15. Mai 2008 und vom 04. Juni bis 13. Juli 2009. Cotherapeutische Angebote seien Besuche in der Tagesstätte und ambulante Ergotherapie. Diese habe die Klägerin im Jahr 2009 nicht in Anspruch genommen und im Jahr 2008 sehr selten. In den Jahren 2006 und 2007 hätten Tagesstättenbesuche sowie die Inanspruchnahme ambulanter Ergotherapie stattgefunden (Auskunft vom 11. Dezember 2009).

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und auch der Akten S 2 KR 880/07 ER des SG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs.1 i.V.m. § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG vom 26. März 2009 ist auch nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 27. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2007 die Gewährung von Soziotherapie abgelehnt.

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2007. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte es abgelehnt, der Klägerin die mit der Verordnung der Ärztin Dr. K. vom 23. November 2006 verordnete Soziotherapie im Umfang von 30 Therapiestunden zu gewähren. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist die der Klägerin aufgrund der vorangegangenen Verordnung vom 08. Juli 2005 mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 bewilligte Soziotherapie. Entsprechend den Ausführungen der Beteiligten vom 01. Februar 2010 (Beklagte) und 01. März 2010 (Klägerin) handelt es sich bei den aufgrund der Verordnung vom 23. November 2006 erbrachten Soziotherapiestunden um diejenigen, die im Zeitraum vom ersten Quartal 2007 bis einschließlich dritten Quartal 2008 abgerechnet und im Zeitraum vom 11. Januar 2007 bis 08. September 2008 erbracht worden sind.

2. Die von der Klägerin im Berufungsverfahren in eine Fortsetzungsfeststellungsklage geänderte Klage ist zulässig.

Gegen die Ablehnung der Gewährung von Soziotherapie mit dem Bescheid vom 27. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2007 hatte die Klägerin zunächst mit ihrer Klageschrift vom 20. März 2007, eingegangen beim SG am 21. März 2007, Anfechtungs- und Leistungsklage dahingehend erhoben, die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung zur Gewährung von Soziotherapie zu verurteilen, was das SG als Antrag auf Freistellung von den Kosten der aufgrund der Verordnung vom 23. November 2006 erbrachten Therapieeinheiten angesehen hat. Dieser ursprüngliche Klageantrag hat sich dadurch erledigt, dass die Beklagte aufgrund der Verpflichtung durch das SG im einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 05. April 2007 tatsächlich Soziotherapie als Sachleistung im verordneten Umfang von 30 Stunden gewährt hat. Es folgt aus der Natur der Sachleistung, dass diese nicht vorläufig, sondern nur endgültig erbracht werden kann. Die Sachleistung als solche ist nicht rückholbar, vielmehr kann im Nachhinein nur noch die Frage strittig sein, wer letztlich für die Kosten der erbrachten Sachleistung aufzukommen hat.

Gemäß § 131 Abs.1 Satz 3 SGG spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn dieser sich vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Auf einen solchen Fortsetzungsfeststellungsantrag hat die Klägerin zulässigerweise ihr Klagebegehren umgestellt. Hierbei handelt es sich nicht um eine Klageänderung, die nur unter den Voraussetzungen des § 99 SGG zulässig wäre (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 99 Rdnr. 5). Als eine Änderung der Klage ist es nämlich gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung von Soziotherapie gemäß der Verordnung vom 23. November 2006 mit dem Bescheid der Beklagten vom 27. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2007. Dieses besondere nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG erforderliche Interesse ist ebenso wie das berechtigte Interesse gemäß § 55 Abs. 1 SGG eine Sonderform des Rechtsschutzbedürfnisses. Es reicht aus, wenn der Kläger entsprechende Tatsachen vorträgt, ohne dass große Anforderungen an die Substantiierungspflicht zu stellen sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 28. August 2007, SozR 4-1500 § 131 Nr. 3). Die Klägerin hat hier ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, weil die Beklagte - wie sie mit Schriftsatz vom 01. Februar 2010 nochmals ausdrücklich klargestellt hat - nach wie vor der Auffassung ist, Erstattung für die nach ihrer Ansicht zu Unrecht erbrachten Leistungen verlangen zu können und angekündigt hat, Rückzahlungsansprüche geltend zu machen. Insoweit muss der Klägerin die Möglichkeit der Feststellung der Rechtswidrigkeit der ablehnenden Bescheide eröffnet sein, da andernfalls sich die Beklagte bei der anschließenden Geltendmachung von Rückzahlungs- bzw. Erstattungsansprüchen sich auf die Bestandskraft ihrer ablehnenden Bescheide berufen könnte und würde.

3. Die zulässige Berufung ist indes nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Februar 2007 war rechtmäßig. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Leistungen der Soziotherapie als Sachleistungen.

Versicherte, die wegen schwerer psychischer Erkrankung nicht in der Lage sind, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen, haben Anspruch auf Soziotherapie, wenn dadurch Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird oder wenn diese geboten, aber nicht ausführbar ist. Die Soziotherapie umfasst die im Einzelfall erforderliche Koordinierung der verordneten Leistungen sowie Anleitung und Motivation zu deren Inanspruchnahme (§ 37a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V). Aufgrund der Ermächtigung in § 37a Abs. 2 SGB V wird das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der Versorgung mit Soziotherapie in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Durchführung der Soziotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung (Soziotherapie-Richtlinien) vom 23. August 2001 (Bundesanzeiger 2001 Nr.217 S. 23735) geregelt, die weiterhin fortgelten (vgl. dazu Urteil des BSG vom 20. April 2010, B 1/3 KR 21/08 R, veröffentlicht in Juris). Die Versicherten erhalten nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch nichts Abweichendes vorsehen. Bereits nach dem ausdrücklichen und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist jedoch Voraussetzung der Leistung, dass der betreffende Versicherte wegen schwerer psychischer Erkrankung nicht in der Lage ist, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin war aber im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung der Beklagten ebenso wie in der Folgezeit, in der Soziotherapie erbracht wurde, in der Lage, die Behandlung durch die PIA in Anspruch zu nehmen. Sie war, wie die sachverständige Zeugin Dr. K. in ihrer Auskunft vom 10. August 2007 an das SG angegeben hat, krankheitseinsichtig und behandlungsbereit, lehnte jedoch insbesondere cotherapeutische Angebote ab. Die im Berufungsverfahren eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte der Dr. G. und der Frau B. lassen nicht den Schluss zu, die Inanspruchnahme cotherapeutischer Angebote sei kausal auf die Durchführung von Soziotherapie zurückzuführen. Vielmehr hat die Klägerin nach übereinstimmender Darstellung der beiden sachverständigen Zeuginnen Soziotherapie insgesamt bis 07. Dezember 2009 erhalten, wobei es sich teilweise um von der PIA "eingekauften" Soziotherapieeinheiten gehandelt hat. Dennoch hat die Klägerin lediglich in den Jahren 2006 und 2007 cotherapeutische Leistungen in Form ambulanter Ergotherapie und von Besuchen in der Tagesstätte wahrgenommen, im Jahr 2008 nur noch sehr selten und im Jahr 2009 gar nicht mehr.

Zur selbstständigen Inanspruchnahme nicht in der Lage sind Versicherte, die hierzu vollständig oder in wesentlichen, unverzichtbaren Teilen nicht fähig sind. Im Rückschluss aus § 37a Abs. 1 Satz 2 SGB V kann es fehlen an der erforderlichen Fähigkeit zur Koordinierung von Leistungen (vor allem bei notwendiger komplexer Behandlung mit Medikamenten und anderen Leistungen) oder an der Befähigung schon zur Inanspruchnahme selbst, ferner an einer hinreichenden Motivation. § 37a SGB V knüpft allein an die Fähigkeit zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen an, nicht jedoch an die allgemeine Selbsthilfefähigkeit (Nolte, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: 66. Ergänzungslieferung Juli 2010, § 37a SGB V Rdnr. 7). Dass die Klägerin auch ohne Soziotherapie in der Lage war, ärztliche oder ärztlich verordnete Behandlung wahrzunehmen, ergibt sich auch aus der dem SG vorgelegten soziotherapeutischen Dokumentation. Hier wird unter dem 11. Januar, dem 24. Januar, dem 16. Februar und dem 12. März 2007 als Ziel der soziotherapeutischen Maßnahmen angegeben: "Emotionale Instabilität verbessern, eigenständige Lebensführung, Unterstützung bei der Haushaltsführung, Tagesstruktur gestalten, Rückfälle vermeiden." Lediglich am 16. Februar 2007 wird einmal notiert, die Klägerin sei auch motiviert worden, zur Fachärztin zu gehen und sich ambulante Ergotherapie verordnen zu lassen. Ebenso wird am 24. Januar 2007 angegeben, die Klägerin sei motiviert worden, wieder in die Tagesstätte zu kommen. Schließlich musste am 28. März 2007 die Klägerin zur Verhinderung eines Suizidversuches in die Klinik gebracht werden. In der Zeit ab 27. Juli 2007 scheint dann die Absicherung der psychiatrischen Behandlung und die Hinführung zur medizinischen Behandlung und zur Ergotherapie verstärkt an Bedeutung in der soziotherapeutischen Arbeit gewonnen zu haben. Auch dies konnte aber offensichtlich nicht verhindern, dass in den Jahren 2008 und 2009 cotherapeutische Angebote von der Klägerin kaum bzw. gar nicht mehr wahrgenommen wurden. Die Behandlung durch die PIA war ausweislich der Auskunft von Dr. K. offensichtlich jedenfalls durchgängig möglich und umfasste die regelmäßige Beurteilung der psychiatrischen Symptomatik, die Klärung der rezidivierenden Suizidalität, die Anpassung der komplexen Psychopharmakotherapie, stützende Gespräche und immer wieder kurzfristige Kriseninterventionen. Anspruch auf Soziotherapie bestünde aber nach der gesetzlichen Konzeption nur für denjenigen, der eben gerade nicht in der Lage wäre, selbstständig diese ärztlichen Leistungen in Anspruch zu nehmen. Zielsetzung der Soziotherapie ist die Hinführung eines bestimmten Personenkreises schwer psychisch Kranker zu adäquater medizinischer Behandlung und nicht die Unterstützung des Arztes bei der Motivation des Versicherten, von ihm verordnete Angebote (wie etwa die Ergotherapie) auch in Anspruch zu nehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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