S 3 AS 282/10 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 AS 282/10 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Das derzeitige Konzept zur Bemessung von angemessenen Unterkunftskosten für das Stadtgebiet Kassel entspricht nicht den Anforderungen, die an ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der abstrakten Angemessenheit zu stellen ist.
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern bis zum 28. Februar 2011 ab Eingang des Antrags bei Gericht am 17. September 2010 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Bedarfs für die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 654,73 EUR in gesetzlichem Umfang zu bewilligen.

2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

3. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Anordnungsverfahrens über die Höhe der den Antragstellern zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung.

Die 1972 geborene Antragstellerin zu 1. und ihre am xx. xxx 1993, xx. xxx 1994 und xx. xxx 2001 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 2. bis 4. stehen seit 2005 mit geringfügigen Unterbrechungen im Leistungsbezug. Zum 1. Juli 2006 bezogen sie eine 5 Zimmerwohnung in der A-Straße in Kassel mit einer Wohnfläche von 99,33 m². Der dem Mietverhältnis zu Grunde liegenden Mietvertrag wurde am 28. Februar 2006 geschlossen und der Antragsgegnerin am 6. März 2006 vorgelegt. Die Antragsgegnerin übernahm ab 1. Juli 2006 durch Bescheid vom 2. Juni 2006 die Kosten der Unterkunft in Höhe der von Arbeitsförderung der Stadt Kassel festgelegten Pauschale in Höhe von 434,00 EUR. Ausweislich einer aktuellen Mietbescheinigung vom 9. August 2010 beträgt die Nettokaltmiete 433,09 EUR, die Betriebskostenvorauszahlung 153,00 EUR und die Heizkosten, einschließlich der Kosten der Warmwasserbereitung ab 1. September 2010 91,00 EUR monatlich.

Am 29. Juli 2010 beantragten die Antragsteller die Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Durch Bescheid vom 23 August 2010 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1. September 2010 bis 28. Februar 2011 in Höhe eines Gesamtbetrages von 595,02 EUR monatlich, der sich aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 151,25 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 540,02 EUR KdU – anzurechnendes Einkommen von 96,25 EUR = 443,77 EUR zusammensetzte. Durch Änderungsbescheid vom 8. September 2010 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 1. September 2010 bis 28. Februar 2010 in Höhe eines Gesamtbetrages von 641,55 EUR monatlich, der sich aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 173,64 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 540,02 EUR - anzurechnendes Einkommen von 72,11 EUR = 467,91 EUR zusammensetzte.

Hiergegen richtete sich der am 15. September 2010 erhobene Widerspruch.

Am 17. September 2010 beantragten die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung und führen zur Begründung aus, dass die Antragsgegnerin lediglich einem Betrag der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 540,02 EUR anerkenne. Ihre erstattungsfähigen Kosten beliefen sich hingegen auf monatlich 654,73 EUR. Da ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Wohnkosten auf dem Gebiet der Stadt Kassel nicht bestehe, müsse auf die Werte der Wohngeldtabelle zurückgegriffen werden.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an die Antragsteller ab dem Tag der Antragstellung bei dem Sozialgericht Kassel vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsachekosten für die Unterkunft in Höhe von monatlich 585,09 EUR sowie Kosten für Heizung in Höhe von monatlich 69,64 EUR zu erstatten.

Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß),
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Zur Überprüfung der von ihr gewährten Kosten der Unterkunft hat sie den "Grundsicherungsrelevanten Mietspiegel für die Stadt Kassel", Stand 1. September 2010, übersandt. Sie hat weiterhin ausgeführt, dass sich ihre Datenerhebung nicht auf Wohnungen einfachen Standards beschränke. Es würden alle Bestandsmieten der Transferleistungsbezieher aus den Rechtskreisen des 2. und 12. Buches des Sozialgesetzbuches erhoben. Diese Auswahl sei nicht nur dem angemessenen und leistbaren Aufwand für eine Datenerhebung geschuldet, sondern führe im Ergebnis zu einem breiten Spektrum unterschiedlicher Wohnungsstandards. Die Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und der Sozialhilfe wohnten nicht automatisch in Wohnraum, der nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz nur einfachen und grundliegenden Bedürfnissen genüge, sondern tatsächlich auch in Wohnraum durchschnittlichen Wohnungsstandards. In Einzelfällen würde auch Wohnraum bewohnt, der einen deutlich höheren Standard aufweise. So würden Wohnungen von Hilfebedürftigen, die sich entschieden haben, ihre Unterkunftskosten nicht zu senken, ebenso einbezogen, wie die Fälle, in denen höhere Unterkunftskosten im Ausnahmefall anerkannt würden, weil eine Senkung derselben nicht zumutbar sei. Zudem entschieden sich Hilfebedürftige auch für nicht nur einfachen Standard entsprechende Wohnungen, etwa weil die im Rahmen der Erzielung von Einkommen erzielten Freibeträge zur Finanzierung einer solchen Wohnung genützt würden. Durch eine nennenswerte Fluktuation im Personenkreis der Hilfebedürftigen würde die Spannbreite des Wohnungsstandards regelmäßig ergänzt.

Auf Anforderung des Gerichts, den Vortrag aus dem Schriftsatz vom 24. September 2010 durch Vorlage entsprechender Daten zu substantiieren legte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2010 das Konzept zur Bemessung von angemessenen Unterkunftskosten für das Stadtgebiet Kassel, Stand September 2010 sowie eine DVD mit der "zu Grunde liegenden Datenbasis" vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Leistungsakte der Antragsgegnerin, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

II.

Der zulässige Antrag ist im Wesentlichen begründet.

Nach § 86 b Abs.2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich auf Grund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller, SGG, Kommentar, 9. Aufl., 2008, § 86 b, Rz. 27, 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsanspruch grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht grundsätzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG v. 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs.2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs.2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei sind, soweit beim Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugung Gewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes(Meyer-Ladewig/Keller,a.a.O., § 86 b Rz. 16 c, d, 40). Unschädlich ist, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Erteilung des ablehnenden Bescheides erhoben wurde. Zum einen wurde der Bescheid durch Widerspruch angefochten und zum anderen regelt § 86 b Abs.3, dass die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig sind.

Ein Anordnungsgrund liegt allein deshalb vor, da die Antragsteller eine monatliche Differenz zwischen den von der Antragsgegnerin gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung aus ihren Regelsätzen bestreiten müssen.

Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend auch hinreichend glaubhaft gemacht.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.

Zur Frage der Bestimmung der Angemessenheit i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat bereits die 6. Kammer des Sozialgerichts Kassel in einem Beschluss vom 23. Juni 2010 zu dem Aktenzeichen S 6 AS 144/10 ER zutreffend ausgeführt:

"Die Rechtsprechung hat den gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft konkretisiert. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist in einem mehrstufigen Verfahren vorzugehen. Nach der in einem ersten Schritt vorzunehmenden Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und des Wohnungsstandards wird in einem zweiten Schritt festgelegt, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Anschließend ist hierbei zu untersuchen, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfsbedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Dabei ist nicht nur auf die im streitgegenständlichen Zeitraum auf dem Markt tatsächlich angebotenen Wohnungen abzustellen, sondern auch auf vermietete Wohnungen. Hierbei vertritt die Rechtsprechung die sog. Produkttheorie. Danach müssen nicht beide Faktoren, Wohnungsgröße und der im Quadratmeterpreis ausgedrückte Wohnungsstandard, je für sich betrachtet angemessen sein. Vielmehr ist es ausreichend, dass das Produkt aus Quadratmeterzahl und Quadratmeterpreis eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete ergibt (BSG, Urteil v. 19.02.2009, B 4 AS 30/08 R; Hessisches LSG, Urteil v. 24.09.2008, L 6 AS 130/07; SG Kassel, Urteil v. 11.03.2009, S 7 AS 276/06). Für die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Wohnungsfläche ist auf die Kriterien abzustellen, welche die Länder aufgrund des § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung festgelegt haben (Knickrehm / Voelzke / Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, 2009, S.16). Dies richtet sich in Hessen nach den Hessischen Richtlinien zur sozialen Wohnraumförderung vom 20.03.2003 (Hessisches Staatsanzeiger S. 1346) geändert durch die Richtlinien vom 19.01.2004 (Hessischer Staatsanzeiger S.628). Nach den Richtlinien ist eine Wohngröße für eine Person bis 45 Quadratmetern angemessen. Bei zwei Personen ist eine Wohnfläche von 60 Quadratmetern angemessen." Für jede weitere Person ist eine weitere Wohnfläche von 12 m² hinzuzurechnen. "Bei der im zweiten Schritt vorzunehmenden Festlegung des maßgeblichen Wohnungsmarktes muss zunächst der räumliche Vergleichsmaßstab festgelegt werden, wobei das Recht der Leistungsempfänger auf Verbleib in ihrem sozialen Umfeld Berücksichtigung finden muss (Knickrehm / Voelzke / Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, S.16). Aus diesem Grund ist grundsätzlich vom Wohnort des Hilfsbedürftigen auszugehen. Die Grundsicherungsträger müssen hierzu die konkreten örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt ermitteln und berücksichtigen. Als Erkenntnismittel kommen in Betracht: Örtliche Mietspiegel, Mietdatenbanken, Wohnungsmarktanzeigen in der örtlichen Presse oder im Internet; Anfragen bei Maklern, Wohnungsbaugesellschaften, Mietervereinen etc. Entscheidend ist hierbei nicht das Vorliegen eines qualifizierten oder einfachen Mietspiegels. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss vielmehr auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das die Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des Wohnungsmarktes wiederzugeben. Liegen keine entsprechenden Mietspiegel beziehungsweise Mietdatenbanken im Sinne der §§ 558c ff. BGB vor, können die Grundsicherungsträger für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene Mietspiegel oder Tabellen erstellen. Die vom Grundsicherungsträger hierbei gewählte Datengrundlage muss aber – wie schon ausgeführt wurde – auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiederzugeben. Dies kann u.a. dann der Fall sein, wenn die Datenbasis auf mindestens 10 % des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestands beruht (BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/7b AS 44/06 R; SG Kassel, Urteil v. 11.03.2009, S 7 AS 276/06). Ferner müssen die Faktoren, die das Produkt "Mietpreis" bestimmen, in die Auswertung eingeflossen sein. Es muss hierbei insbesondere sichergestellt sein, dass bestimmte Wohnungen, die das Bild von der Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft verzerren (vgl. BSG, Urteil v. 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R, Rn. 22) im Rahmen des schlüssigen Konzeptes nicht berücksichtigt wurden. Einer der Faktoren, der für die angemessenen Kosten der Unterkunft bestimmend ist, ist der sog. Wohnungsstandard. Den Standard bestimmen u.a. Kriterien wie die Lage, Infrastruktur, das Wohnungsumfeld, die Verkehrsanbindung, die Umweltbelastung und die Ausstattung der Wohnung wie die Zahl und Größe der einzelnen Räume, deren Belichtung, Belüftung, sanitäre Ausstattung und die Art der Heizung (vgl. Knickrehm / Voelzke / Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, Stuttgart 2009, S.16). Diese Auflistung dürfte weder abschließend sein noch dürfte es für ein schlüssiges Konzept zwingend erforderlich sein, dass sämtliche aufgeführten Kriterien von den Leistungsträgern im Rahmen ihres schlüssigen Konzeptes Berücksichtigung finden. Die Kammer ist jedoch überzeugt, dass es Sache der Sozialleistungsträger ist, zunächst zu definieren, was sie unter einem einfachen Wohnungsstandard verstehen. Ein schlüssiges Konzept setzt nämlich ein planmäßiges Vorgehen der Grundsicherungsträger im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung der relevanten Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsmaßstab voraus (BSG, Urteil v. 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R, juris, Rn. 19). Das BSG geht davon aus, dass die Leistungsträger bei einem schlüssigen Konzept sowohl auf Wohnungen aus dem Gesamtwohnungsbestand (einfacher, mittlerer, gehobener Standard) als auch auf Wohnungen nur einfachen Standards abstellen können. Werden – wie von der Antragsgegnerin vorgetragen – nur Wohnungen des einfachen Segments im Rahmen des Konzeptes berücksichtigt, ist es aber zwingend erforderlich, dieses einfache Segment zunächst abstrakt zu definieren, um eine Überprüfbarkeit der Annahmen des Leistungsträgers zu ermöglichen (BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris, Rn.23; BSG, Urteil v. 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R; s. auch: Knickrehm in: Spellbrink (Hrsg.), Das SGB II in der Praxis der Sozialgerichte, Stuttgart 2010, S.90).

Ist der Leistungsträger nicht in der Lage, ein schlüssiges Konzept zu präsentieren, sind nach der neuen Rechtsprechung des BSG die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu gewähren, welche "nach oben" jedoch durch die Angemessenheitsgrenze begrenzt werden. Es ist den Gerichten in diesen Fällen nicht verwehrt, die Angemessenheit der Unterkunftskosten unter Rückgriff auf die Wohngeldtabelle des § 12 Wohngeldgesetzes zu bestimmen (BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris, Rn. 27). Da allerdings beim Fehlen eines schlüssiges Konzeptes nicht hinreichend beurteilt werden kann, wie hoch die angemessenen Kosten tatsächlich sind, hält es das BSG im Einzelfall für angemessen, im Interesse der Leistungsberechtigten die jeweils maßgeblichen Werte der Wohngeldtabelle um einen "Sicherheitszuschlag" zu ergänzen (BSG, Urteil v. 17.12.2009, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, juris, Rn. 27; Knickrehm / Voelzke / Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, S.17 f.). Dem schließt sich das Gericht an."

Zu der Frage, ob die Antragsgegnerin ein solches schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft i. S. der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellt hat, hat die 6. Kammer in der oben genannten Entscheidung weiterhin ausgeführt:

"Dies ist nach Überzeugung des Gerichts nicht der Fall. Es ist vorliegend zwar nicht zu verkennen, dass die Antragsgegnerin einen enormen organisatorischen Aufwand betreibt, um die angemessenen Kosten der Unterkunft zu bestimmen, so dass ihr ein systematisches und nicht nur punktuelles Vorgehen zu bescheinigen ist. Bei der Beurteilung des Konzeptes fällt jedoch auf, dass in diesem keine Ausführungen zum Begriff des "spezifischen Wohnungsmarktsegments" (Bl. 58 Gerichtsakte) enthalten sind. Die Antragsgegnerin hätte diesen Begriff definieren und ausführen müssen, welche Kriterien aus ihrer Sicht erfüllt sein müssen, um einem angemessenen Wohnungsstandard im Sinne des unteren Preissegments zu entsprechen. Es ist für das Gericht naheliegend, dass in den Wohnungslisten der Antragsgegnerin über die SGB II- und SGB XII-Leistungsbezieher keine Wohnungen enthalten sein dürften, die die angemessen Kosten der Unterkunft zu Unrecht zu sehr in die Höhe treiben, weil diese Wohnungen nicht mehr einfachen und damit angemessen Wohnungsstandards entsprechen. Das Gericht kann jedoch überhaupt nicht beurteilen, ob nicht in den Listen möglicherweise Wohnungen enthalten sind, welche die angemessenen Wohnungsstandards des unteren Wohnungssegments unterschreiten. In welchen Fällen ein Unterschreiten der angemessenen Wohnungsstandards im Sinne des unteren Wohnungssegments vorliegt, kann an dieser Stelle dahinstehen. Exemplarisch sei auf den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.12.2005 (S 31 AS 562/05 ER, juris), in dem das Sozialgericht feststellt, dass eine Wohnung ohne Bad zur heutigen Zeit nicht mehr den Standard des Angemessenen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II erreicht. Die Antragsgegnerin hat sich in dem von ihr vorgelegten Konzept mit den Wohnungsstandards überhaupt nicht beschäftigt, obwohl das BSG in seiner ständigen Rechtsprechung auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, die Faktoren, die das Produkt "Mietpreis" bestimmen, in die Auswertung einfließen zu lassen (vgl. Knickrehm in: Spellbrink (Hrsg.), Das SGB II in der Praxis der Sozialgerichte, 2010, S.88)."

Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. Die "Nachbesserung" des Konzepts und Erweiterung um eine Anlage 1 in der ein Wohnungsstandard "definiert" ist, kann zu keiner von der 6. Kammer abweichenden Beurteilung führen. Aus der Formulierung: "Das Spektrum der unterschiedlichen Wohnungsstandards im Vergleichsraum Kassel ist durch mindestens folgende Parameter gekennzeichnet" und die folgende Auflistung
- Küche, auch Kochnische
- Badezimmer, auch Duschbad
- Wasserklosett (in der Wohnung)
- fließendes Wasser, warm und kalt
- Stromversorgung
- Heizung
- Fenster zur Beleuchtung und Belüftung
- Doppelverglasung
ergibt sich nicht, ob hiermit ein einfacher Wohnungsstandard definiert werden soll. Im Übrigen geht die Beklagte selbst davon aus, dass sie in ihrer Datenbank zur Bestimmung angemessenen Wohnkosten nicht nur Daten über Wohnungen mit einfachem Wohnungsstandard erfasst, so dass für das Gericht unklar ist, welchen Zweck die Definition haben soll. In jedem Fall ist sie selbst nach Angabe der Antragsgegnerin nicht für die Auswahl der Daten zugrunde gelegt worden, die zur Berechnung der angemessenen Wohnkosten herangezogen wurden.

Das zu dem hiesigen Verfahren übersandte "Konzept" zur Bemessung von angemessenen Unterkunftskosten für das Stadtgebiet Kassel entspricht den Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung eindeutig nicht.

Ein Konzept liegt nach der Rechtsprechung des 4. Senats dann vor, wenn der Ersteller planmäßig vorgegangen ist im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen im maßgeblichen Vergleichsraum sowie für sämtliche Anwendungsfälle und nicht nur punktuell im Einzelfall (BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R). Der 4. Senat hat die Schlüssigkeitsanforderungen wie folgt zusammengefasst ( BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R):
- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung) (a.),

- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen, Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße (b.),

- Angaben über den Beobachtungszeitraum (c.),

- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel) (d.),

- Repräsentativität des Umfangs der einbezogenen Daten (e.),

- Validität der Datenerhebung (f.),

- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung (g.) und

- Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze) (h.) - vgl. BSG 17.12.2009, B 4 AS 27/09 R, zit. nach juris.

Ein Konzept, das diesen Anforderungen genügt, hat die Antragsgegnerin, selbst unter der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen kursorischen Betrachtung, nicht erarbeitet.

Bedenken hat die Kammer schon wegen der Definition der Wohnflächenspannen, da diese nicht begründet und hergeleitet sind. Insbesondere die Außerachtlassung von Wohnungen mit einer Wohnfläche von unter 37,5 m² ist aus dem Datenmaterial nicht hergeleitet. Ausweislich des von der Antragsgegnerin übersandten Datenmaterials mit einer Anzahl von 17.640 Datensätzen beträgt die Anzahl der Datensätze von Wohnungen mit einer Wohnfläche von unter 37,5 m² 1.968. Von diesen 1.968 Datensätzen fallen 1.902 Datensätze auf 1-Personen-Haushalte, die im Gesamtdatenbestand mit 7.965 Datensätzen vertreten sind. Damit fallen nahezu 25 % der von der Antragsgegnerin erfassten 1-Personen-Haushalte aus der Betrachtung heraus, ohne dass dies im Konzept plausibel begründet wird. Die reine Vermutung, dass kleine Wohnungen teurer sind, reicht hierzu nicht aus; dies müsste statistisch hergeleitet und sodann begründet werden. Aus dem Datenmaterial lässt sich sodann nicht nachvollziehen, wie der zugrundegelegte Standard definiert ist. Geht die Antragsgegnerin davon aus, dass Transferleistungsbezieher grundsätzlich in Wohnungen mit einem einfachen Wohnungsstandard leben? Dies scheint nicht der Fall zu sein, da sie selbst ausführt, im Datenmaterial seien auch Wohnungen mit höherem Standard erfasst. Welchen Anteil diese Wohnungen ausmachen und ob dies im Weiteren bei der Auswertung der Daten zu entsprechenden Schlüssen führen kann, ist nicht begründet, sondern allenfalls behauptet.

Die Angaben über den Beobachtungszeitraum im laufenden Verfahren sind nicht kongruent. Mit Schriftsatz vom 28. September 2010 legte die Antragsgegnerin einen "grundsicherungsrelevanten Mietspiegel" Stand: 1. September 2010 vor. Auf Anforderung des Gerichts diese Angaben zu substantiieren, überreichte sie eine DVD, die die dem Konzept zu Grunde liegende Datenbasis enthalten soll. Eine Durchsicht der Datenbank ergibt indessen, dass die vorgelegten Daten veraltet sind und die Werte des "Mietspiegels" nicht herleiten. Die Daten beinhalten überwiegend Erhebungen und Auswertungen des Jahres 2009. Die aktuellste Mietbescheinigung datiert vom 1. Februar 2010; ohnehin wurden ausschließlich 9 Mietbescheinigungen des Jahres 2010 erfasst. Aus diesen Werten wurde noch ein Mittelwert für den Monat April 2010 von 4,35 EUR errechnet, der indessen, beispielsweise bezogen auf 1-Personenhaushalte, von dem in dem Mietspiegel Stand: 1. September 2010 genannten Wert von 4,31 EUR abweicht. Im Ergebnis sind die von der Antragsgegnerin vorgelegten Daten somit ungeeignet die Schlüssigkeit bezogen auf den streitigen Zeitraum zu begründen.

Auch die Art und Weise der Datenerhebung ist unklar. Im Wesentlichen scheint die Datenerhebung auf einer Auswertung der Mietbescheinigungen zurückzugehen. Im Konzept führt die Antragsgegnerin dagegen aus, dass auch Angebotsmieten in die Gesamtauswertung einfließen würden. Insoweit würden als Quellen auch Angebote in den Medien sowie die Meldung freier Wohnungen durch die Wohnungsbaugesellschaften in die Gesamtauswertung einfließen. Wie dies geschieht, lässt sich dem übersandten Datenmaterial nicht entnehmen. Hier scheint es vielmehr so, dass die Datenbank ausschließlich die Auswertung der Mietbescheinigungen enthält, da die entsprechende Rubrik bei jedem erfassten Datensatz einen Eintrag enthält. Auf dem Konzept lässt sich nicht entnehmen, inwieweit diese Daten in die Gesamtauswertung einfließen.

Die Repräsentativität der einbezogenen Daten ist nicht belegt. Eine Überprüfung ist aufgrund der von der Antragsgegnerin vorgelegeten veralteten Daten nicht möglich.

Im Weiteren bestehen erhebliche Zweifel, ob die Datenerhebung valide ist. Entgegen der Ausführungen im Konzept scheinen in die Erhebung keine Daten von sogenannten Angebotsmieten eingeflossen zu sein, wie dort ausgeführt wurde. Somit dürfte die Datenerhebung auf den Kreis der SGB II- und SGB XII-Leistungsbezieher beschränkt sein, was der Validität entgegensteht (hierzu S. Knickrehm, a.a.O., S. 90), da zu befürchten ist, dass es durch die Beschränkung der Datenerhebung auf den Kreis der Leistungsbezieher zur Bildung von Zirkelschlüssen kommt.

Erhebliche Zweifel hat die Kammer schließlich bezüglich der aus der Datenerhebung gezogenen Schlüsse. Die Antragsgegnerin bildet aus den erfassten Daten, bezogen auf die jeweilige Haushaltsgröße, einen Durchschnittswert des maßgeblichen Quadratmeterpreises. Sie geht hierbei offenbar davon aus, dass in den erfassten Daten in erheblichem Umfang Wohnraum enthalten ist, der nicht nur einfachem Standard entspricht. Dies ist indessen in keiner Weise nachgewiesen oder gar quantifiziert. Sollte aber davon ausgegangen werden können, dass der überwiegende Anteil der erfassten Wohnungen einen einfachen Standard aufweisen, wofür der Umstand spricht, dass die Daten ausschließlich aus dem Kreis der SGB II/SGB XII-Leistungsbezieher erhoben wurden, die überwiegend Wohnraum mit angemessenem Umfang der Kosten der Unterkunft bewohnen, führt die Bildung eines Durchschnittswertes, der als Höchstbetrag für angemessene Wohnkosten herangezogen wird, zu einer Herabbemessung der Angemessenheitsgrenze. Für den Fall, dass in die Auswertung nur die Wohnungen des einfachen Segments eingehen ist es zwingend erforderlich, dass der oberste ermittelte Wert - der so genannte Spannenoberwert - die angemessene Vergleichsmiete darstellt. Andernfalls wäre nämlich den Leistungsberechtigten ein Teil des zur Verfügung stehenden Wohnungsmarktes finanziell nicht zugänglich (S. Knickrehm, a.a.O., S. 90).

Ein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG liegt daher nicht vor, weshalb das Gericht die angemessenen Unterkunftskosten unter Rückgriff auf die eigentlich als subsidiäre Erkenntnisquelle gedachte Wohngeldtabelle nach § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz zu bestimmen hatte. Die Stadt Kassel hat nach der Anlage zu § 1 Abs. 3 der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Wohngeldverordnung die Mietstufe 3. Ausweislich der Tabelle des zum 01.01.2009 in Kraft getretenen § 12 Abs. 1 Wohngeldgesetz ist für einen Vier-Personen-Haushalt eine Miete inklusiver kalter Nebenkosten in Höhe von 556,00 EUR zuzüglich des 10%igen Sicherheitszuschlages von 55,60 EUR, also 611,60 EUR angemessen. Die Bruttokaltmiete der Antragsteller in Höhe von 585,09 EUR übersteigt diesen Betrag nicht.

Die Antragsgegnerin wird eine Neuberechnung der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Anwendung von § 19 S. 3 SGB II vorzunehmen haben. Insoweit war in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 SGG ein Ausspruch dem Grunde nach vorzunehmen.

Eine Entscheidung über den Bewilligungszeitraum hinaus war nicht zu treffen, so dass der Antrag insoweit zurückzuweisen war. Ebenso war eine Entscheidung über die Höhe der Heizkosten nicht zu treffen, da diese in tatsächlicher Höhe gewährt werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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