S 7 KR 159/10 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 159/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert des Verfahrens wird auf 690 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Antragstellerin vom 14. Juli 2010,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Versicherte der Antragstellerin, Frau A.W., -1966, aufzahlungsfrei mit dem Hörgerät "Oticon Sumo DM" zu versorgen,

hilfsweise, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Versicherte der Antragstellerin, Frau A.W., -1966, aufzahlungsfrei mit einem Hörgerät zu versorgen, welches den festgestellten Hörverlust angemessen i. S. des bestehenden Vertrages zur Komplettversorgung mit Hörsystemen zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen VdAK/AEV (nunmehr vdek) ausgleicht,

ist zulässig, insbesondere ist der Rechtsweg zum Sozialgericht nach § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG eröffnet. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist aber unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung müssen regelmäßig zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss es im Ergebnis einer Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren im Hauptsacheverfahren erfolgreich sein wird (Anordnungsanspruch). Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.

Bereits ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit ihrem Begehren obsiegt, die Antragsgegnerin zur aufzahlungsfreien Versorgung der Versicherten A.W. mit dem Hörgerät "Oticon Sumo DM" oder einem vergleichbaren Hörgerät zum Ausgleich der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit der Versicherten zu verpflichten. Ob sich aus dem der Leistungsbeziehung zwischen den Beteiligten zugrunde liegenden Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen VdAK/AEV (nunmehr vdek) (i. F. BIHA-Vertrag) – und hier insbesondere aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 BIHA-Vertrag - ein derartiger Anspruch der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin ergibt, ist zwischen den Beteiligten streitig. Danach ist die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Versicherten mindestens zwei eigenanteilsfreie Versorgungsangebote entsprechend dem festgestellten Hörverlust zu unterbreiten. Hierzu hat die Antragsgegnerin als Leistungserbringerin eigenanteilsfreie Angebote zum angemessenen Ausgleich des Hörverlustes bei allen Schwerhörigkeitsgraden vorzuhalten (§ 3 Nr. 1 Satz 2 BIHA-Vertrag). Ob danach ein Anspruch der Antragstellerin auf aufzahlungsfreie Versorgung ihrer Versicherten mit dem streitbefangenen Hörgerät gegen die Antragsgegnerin besteht, ist aus Sicht des Gerichts offen und muss der Entscheidung der Kammer im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Eher fernliegend erscheint dabei der Vortrag der Antragstellerin, dass mit der Vereinbarung einer angemessenen Versorgung die bestmögliche Versorgung (vgl. Seite 2, 1. Absatz des Schreibens der Antragstellerin vom 26.07.2010) gemeint gewesen sein soll. Vielmehr dürfte die Verpflichtung zum Vorhalt von aufzahlungsfreien Geräten für jeden Schwerhörgkeitsgrad auf solche Geräte bezogen sein, die von ihrer technischen Leistungsfähigkeit her abstrakt geeignet sind, eine entsprechende Schwerhörigkeit "angemessen" auszugleichen. Die Antragstellerin hat bisher nicht glaubhaft gemacht, dass die aufzahlungsfrei angebotenen Geräte "Unitron Next Essential High Power" und "Oticon Go Power" als sogenannte "Powergeräte" diese Anforderung nicht erfüllen (vgl. insoweit die von der Antragstellerin mehrfach benannte Mitteilung der BIHA, Bl. 31 der Verwaltungsakte), weil mit ihnen generell Defizite bei der Versorgung einer hochgradigen Schwerhörigkeit auftreten. Für den Nachweis der Vertragsverletzung genügt es nicht, dass bei der Testung mit diesen Geräten bei der Versicherten - und somit im Einzelfall - nur unzureichende Ergebnisse erzielt wurden. Sollte das Verständnis der Antragstellerin von der Vertragsklausel zutreffen, wäre diese so formuliert worden, dass die Leistungserbringer verpflichtet sind, für jeden Schwerhörigen zwei Hörgeräte aufzahlungsfrei vorzuhalten, welche dessen Hörverlust angemessen ausgleichen. Eine solche Auslegung des tatsächlich vereinbarten Wortlauts dürfte allerdings kaum dem übereinstimmenden Willen beider Vertragsparteien entsprechen.

Unabhängig davon ist aber auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht ersichtlich, welche schweren und unzumutbaren Nachteile der Antragstellerin aus der von der Antragsgegnerin für die Versorgung mit dem Hörgerät geforderten vorläufigen Zahlung von 1380 EUR drohen. Der Vortrag der Antragstellerin, eine Zahlung unter Vorbehalt scheide schon mangels Rechtsgrundlage aus, begründet zunächst keine Eilbedürftigkeit und ist zudem ein Zirkelschluss. Denn die Zahlungspflicht bestünde, wenn die Antragstellerin zum Einen zur Versorgung ihrer Versicherten mit dem hier beanspruchten Hörgerät verpflichtet ist (so der Beschluss der 3. Kammer des SG Potsdam vom 18. August 2010 – S 3 KR 123/10 ER -) und zum Anderen ein Anspruch auf aufzahlungsfreie Versorgung gegen den Leistungserbringer nicht besteht, was im Hauptsacheverfahren zu klären ist (siehe oben). Die eigene, möglicherweise falsche Rechtsauffassung der Antragstellerin, nicht zur Aufzahlung verpflichtet zu sein, kann keinen Anordnungsgrund begründen. Gleiches gilt für den weiteren Vortrag, eine Leistung der Antragsgegnerin sei auch bei vorläufiger Zahlung nicht zu erwarten, da die Antragsgegnerin damit rechnen müsste, dass die Antragstellerin den vorläufig geleisteten Betrag nach erfolgter Versorgung mit dem Hörgerät sofort wieder verrechnen würde. Eine solche Begründung des Anordnungsgrundes ist der Kammer noch nicht vorgekommen. Warum die Antragsgegnerin mit dem treuwidrigem Verhalten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die die Antragstellerin nach § 4 Abs. 1 SGB V nun einmal ist, rechnen müsse, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Will die Antragstellerin damit allen Ernstes ankündigen, dass sie bei Eingang einer Verpflichtung, vorbehaltlich der Entscheidung im Hauptsacheverfahren den Eigenanteil zu zahlen, gleichwohl verrechnen würde? Dies kann das Gericht nicht glauben. Gleiches gilt wohl für die Antragsgegnerin, die mehrfach die Versorgung mit dem Hörgerät für den Fall der vorläufigen Zahlung des Eigenanteils zugesagt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus § 197a SGG, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 3 GKG aus der Höhe des zu zahlenden "Eigenanteils" von 1380 EUR, der aufgrund der Vorläufigkeit des hiesigen Verfahrens zu halbieren war.
Rechtskraft
Aus
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