L 10 KR 5/09

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 KR 66/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 KR 5/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Haftung in der "unechten Vor-GmbH"
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 25. November 2008 – S 12 KR 66/05 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2005 wird teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Die Klägerin hat der Beklagten gesamtschuldnerisch Gesamtso-zialversicherungsbeiträge in Höhe von 12.789,20 EUR zuzüglich Säumniszuschläge in Höhe von 5.451,50 EUR sowie Mahn- und Pfändungsgebühren iHv 244,45 EUR zu zahlen.

2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert wird auf 12.844,22 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Haftung einer Gesellschafterin für Beitragsschulden der Vor-GmbH.

Die Klägerin schloss am 28. April 1998 gemeinsam mit ihrem Ehemann sowie den Eheleuten K einen notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrag über die Gründung der HSD H. S. D. GmbH (HSD GmbH iG). Jeder der vier Gründungsge-sellschafter hielt 25 % des Stammkapitals von 50.000,00 DM. Gemäß notariell beurkundetem Änderungsvertrag vom 11. Mai 1998 schied der Gesellschafter Ehemann K aus; zugleich trat der Gesellschafter M in die Gesellschaft ein. Die Anteile wurden auf 40 % für die Ehefrau K und 20 % für die übrigen drei Gesellschafter festgesetzt. Geschäftsführer waren und blieben der Ehemann K und der Ehemann der Klägerin.

In den Monaten Mai bis August 1998 beschäftigte die HSD GmbH iG insgesamt zehn Arbeitnehmer (vgl. die Aufstellung auf S. 4 des erstinstanzlichen Urteils). Gesamtsozialversicherungsbeiträge wurden nicht abgeführt. Die Beklagte errechnete für die zehn Beschäftigten im vorgenannten Zeitraum Gesamtsozialversicherungsbeiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung iHv 25.015,24 DM (entspricht 12.790,09 EUR). Diese Beitragsforderung ergibt sich aus den Beitragsnachweisen der HSD GmbH iG gegenüber der beklagten Krankenkasse.

Die Gesellschafterversammlung der HSD GmbH iG beschloss in ihrer Sitzung am 10. August 1998, die Gesellschaft mit Wirkung zum 31. August 1998 zunächst zum Ruhen zu bringen. Außerdem heißt es im Protokoll:

"Durch fehlendes Eigenkapital zur Gründung einer GmbH wird beschlossen, dass während einer Frist von einem Jahr die Gesellschafter die Möglichkeit der Aufbringung von finanziellen Mitteln, die zur Gründung einer GmbH benötigt werden, zu gewähren" (Bl 152 Gerichtsakte = GA).

Zum 31. August 1998 meldete die HSD GmbH iG sämtliche Arbeitnehmer bei der Beklagten ab. Gemäß notariellem Protokoll erklärten die Gründungsgesellschafter der HSD GmbH iG am 29. März 1999:

"Die Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister konnte bisher noch nicht erfolgen, da die Stammeinlageverpflichtung teilweise nicht erfüllt werden konnte."

Zugleich hoben die Gesellschafter den GmbH-Gründungsvertrag nebst Änderungen einvernehmlich auf (Bl 153 – 154 GA).

Nach gesonderten Anhörungen der Klägerin und ihres Ehemanns (Bl 133 Verwaltungsakte = VA) erließ die Beklagte gegen die Eheleute jeweils Haftungsbescheide vom 21. Januar 2002 für Gesamtsozialversicherungsbeiträge der HSD GmbH iG aus der Zeit vom 1. April 1998 bis zum 31. August 1998 in Höhe von 18.393,77 EUR ein-schließlich Säumniszuschlägen, Kosten und Gebühren (Bl 34 GA). Ferner richtete sie unter dem 27. Februar 2002 jeweils Mahnungen an die Eheleute über den Betrag von 18.654,77 EUR (Bl 150 VA). Daraus ergibt sich, dass der Forderung Beitragsrückstände iHv 12.844,22 EUR zzgl Säumniszuschlägen (5.586,10 EUR) und Mahngebühren (224,45 EUR) zugrunde lagen. In der Folgezeit versuchte die Beklagte vergeblich, gegen die Klägerin und ihren Ehemann aus dem Haftungsbescheid zu vollstrecken. Ein Antrag des Finanzamtes auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin wurde im Oktober 2002 mangels Masse abgelehnt (Bl 219 VA). Zuletzt wurde die Klägerin unter dem 10. März 2003 von der Gerichtsvollzieherin zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung geladen. Der Ladung beigefügt war eine detaillierte Forderungsaufstellung der Beklagten vom 19. Dezember 2002 (Bl 231, 250 VA).

Auf den Einwand der Klägerin, den Bescheid vom 21. Februar 2002 nicht erhalten zu haben, leitete die Beklagte den Bescheid deren Bevollmächtigten am 24. März 2003 zu. Zur Erledigung einer Vollstreckungsabwehrklage der Klägerin (SG Magdeburg – S 21 KR 192/03 ER) vereinbarten die Beteiligten, zunächst ein Widerspruchsverfahren in Bezug auf den vorgenannten Bescheid durchzuführen und vor dessen Abschluss weitere Vollstreckungsmaßnahmen nicht vorzunehmen. Mit Bescheid vom 22. März 2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 21. Januar 2002 als unbegründet zurück. Die Klägerin hafte als Gründungsgesellschafterin der HSD GmbH iG unmittelbar und unbeschränkt für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge, da es sich bei der HSD GmbH iG um eine sogenannte unechte Vor-GmbH gehandelt habe.

Mit ihrer am 25. April 2005 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen ihre Inanspruchnahme. Sie beruft sich auf einen notariell beglaubigten Antrag auf Eintragung der GmbH in das Handelsregister und bestreitet, den Beitragsbescheid vom 21. Januar 2002 erhalten zu haben. Eine unbeschränkte unmittelbare Haftung treffe sie nicht. Sie habe ihre Einlage voll erbracht. Die Firma sei durch Herrn K fortgeführt worden.

Demgegenüber hat die Beklagte an ihrer Rechtsauffassung zur Haftung der Klägerin als Gründungsgesellschafterin einer unechten Vor-GmbH festgehalten und im Rechtsstreit weitere Forderungsaufstellungen zur Akte gereicht.

Das Sozialgericht hat den Ehemann K als Inhaber der fortgeführten Einzelfirma HSD, die Träger der Renten- und Pflegeversicherung sowie die Agentur für Arbeit beigeladen. Mit Urteil vom 25. November 2008 hat es – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung –

den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2002 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 23. März 2005 folgendermaßen abgeändert:

Die Klägerin hat der Beklagten Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2.557,84 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 1 % monatlich aus 600,00 EUR seit Juni 1998, aus 1200,00 EUR seit Juli 1998, aus 1900,00 EUR seit August 1998 und 2550,00 EUR seit September 1998 zu zahlen.

Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte gemäß §§ 28h Abs 1, 28i SGB IV als Einzugstelle für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer der HSD GmbH iG zuständig sei. Diese habe gemäß §§ 28d Satz 1 und 2, 28e Abs 1 SGB IV als Arbeitgeberin die Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 12.789,20 EUR für die Monate Mai bis August 1998 zu zahlen. Dies ergebe sich aus den von der Beklagten ermittelten Entgelten (Bl 54 f VA). Weitere sozialversicherungspflichtige Entgelte könnten nicht festgestellt werden. Die Gesellschaft habe mit Einverständnis der Klägerin ihren Geschäftsbetrieb im Gründungsstadium aufgenommen. Die Klägerin hafte für die Beitragsrückstände wegen Vermögenslosigkeit der Gründungsgesellschaft zwar persönlich, jedoch nur in Höhe ihres Anteils von 20 % (= 2.557,84 EUR). Der Anspruch auf die Säumniszuschläge beruhe auf § 24 SGB IV. Mahn-, Pfändungs- und Rechtsverfolgungskosten stünden der Beklagten nicht zu, da der Ausgangsbescheid der Klägerin erst am 24. März 2003 – zu Händen ihres Bevollmächtigten – bekannt gegeben worden sei und nicht festgestellt werden könne, dass der Beklagten nach diesem Zeitpunkt Rechtsverfolgungskosten entstanden seien. Eine Haftung für etwaige Mahn- und Vollstreckungskosten aus der Rechtsverfolgung gegenüber anderen Mitgesellschaftern (§ 6 Abs 2 Verwaltungsver-fahrenskostenVO – VwVKostVO) treffe die Klägerin nicht, da sie nur anteilig hafte.

Gegen das der Beklagten am 19. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat diese am 19. Januar 2008 Berufung eingelegt. Darin macht sie unter Anführung von Rechtsprechung geltend, dass das Sozialgericht zu Unrecht eine persönliche, unbeschränkte und gesamtschuldnerische Haftung der Klägerin verneint habe. Die Eintragung der HSD GmbH iG in das Handelsregister sei von Anfang an nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben worden mit der Folge, dass es sich um eine sogenannte unechte Vor-GmbH gehandelt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Unter dem 15. September 2009 hat das Amtsgericht Stendal als zuständiges Registergericht auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass ein Antrag auf Eintragung der HSD GmbH iG in das Handelsregister nicht eingegangen sei (Bl 390 GA).

Die Beklagte hat erklärt, an den im Bescheid vom 21. Februar 2002 enthaltenen Beitragsrückständen (12.844,22 EUR) nur im Umfang der vom Sozialgericht festgestellten Rückstände für die Monate Mai bis August 1998 festzuhalten (12.789,20 EUR) und für April 1998 keine Beiträge zu fordern (Bl 434 GA). Der Senat hat die Beiladung des Ehemanns K als (etwaiger) Inhaber der fortgeführten Einzelfirma HSD aufgehoben.

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Beiakte S 21 KR 192/03 ER haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorgenannten Akten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, soweit diese nicht selbst im Erörterungstermin am 23. November 2009 die dem angegriffenen Haftungsbescheid zugrundeliegende Forderung geringfügig um die Beiträge für den Monat April 1998 (55,02 EUR) reduziert hat. In dem verbleibenden Umfang ist der Bescheid entgegen der Auffassung des Sozialgerichts rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Über den vom Sozialgericht bereits rechtskräftig ausgeurteilten Haftungsanteil von 20 % hinaus schuldet die Klägerin der Beklagten unmittelbar und gesamt-schuldnerisch die vollen Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus den Monaten Mai bis August 1998 nebst Nebenforderungen nach Maßgabe des Urteilstenors.

1. Der Bescheid vom 21. Februar 2002 ist dem Bevollmächtigten der Klägerin unbestritten spätestens mit Schreiben vom 24. März 2003 zugegangen. Der Bescheid ist in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2005 auch inhaltlich ausreichend bestimmt iSv § 33 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

a. Der Sache nach handelt es sich um einen Haftungsbescheid, auch wenn er mit "Beitragsbescheid" überschrieben ist. Denn er entscheidet nicht über die Beitragsschuld eines Arbeitgebers einschließlich der Versicherungs- und Beitragspflicht von Arbeitnehmern, sondern lediglich darüber, ob die Klägerin für eine anderweitig festgestellte Beitragsforderung gegen die HSD GmbH iG haftet (vgl BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 18/99 R, BSGE 85, 200).

b. Ein solcher Haftungsbescheid genügt dem Bestimmtheitserfordernis des § 33 SGB X, wenn aus ihm die Höhe der gegen die Arbeitgeberin erhobenen Beitragsforderung und der Nebenforderungen sowie der Haftungsgrund ersichtlich sind.

Für den Haftungsbescheid ist nur das Bestehen einer Beitragsforderung gegen den Arbeitgeber und die Haftung des Adressaten hierfür rechtsbegründend. Das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht der Arbeitnehmer sowie die richtige Beitragshöhe sind lediglich Vorfragen, über die eine Einzugsstelle in einem Haftungsbescheid nicht mit Bindungswirkung gegenüber Arbeitgeber und Arbeitnehmern entscheidet. Diese brauchen deshalb im Streit um die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides auch nicht vom Verwaltungsverfahren benachrichtigt und im Prozess nicht notwendig beigeladen zu werden (vgl BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 10/98 R, BSGE 85, 192, in Juris unter Rn 15 aE). Aus diesem Grund hat der Senat die vom Sozialgericht vorgenommene Beiladung des Ehemanns K als etwaigem Rechtsnachfolger der HSD GmbH iG wieder aufgehoben. Hingegen sind die Fremdversicherungsträger auch in solchen Prozessen notwendig beizuladen, weil es um die Haftung für die Beiträge zu diesen Versicherungszweigen geht (BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 10/98 R, aaO).

Für den Erlass von Haftungsbescheiden mit geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit besteht in der Praxis häufig Bedarf, wenn die Beiträge bisher vom Arbeitgeber ohne Erlass eines Bescheides entrichtet worden sind, er dann aber wirtschaftlich hierzu nicht mehr imstande ist. In diesen Fällen ist die Beitragsforderung in der Regel schon durch Beitragsnachweise oder andere Unterlagen oder Angaben des Arbeitgebers hinreichend konkretisiert. Nur auf einer solchen Grundlage ist es der Einzugsstelle überhaupt möglich, eine bestimmte Haftungssumme festzusetzen. Liegt eine Konkretisierung der Beiträge durch den Arbeitgeber vor, so muss sich der Haftende diese zurechnen lassen (vgl BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 18/99 R, BSGE 85, 200).

So liegt es hier. Die HSD GmbH iG hat der Einzugstelle Beitragsnachweise gemäß § 28f Abs 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) in der seit dem 1. Januar 1998 geltenden Fassung eingereicht, auf deren Grundlage die Beklagte zunächst die Beitreibung gegen die Arbeitgeberin (HSD GmbH iG) betrieb. Die Beitragsnachweise sind dabei gemäß § 28f Abs 3 Satz 5 SGB IV unmittelbar Vollstreckungsgrundlage. Diese Konkretisierung der Beiträge muss sich die Klägerin als Haftende zurechnen lassen (vgl BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 18/99 R, BSGE 85, 200). Im Übrigen ergab sich die Spezifizierung der Haftungssumme sowohl aus der Mahnung vom 27. Februar 2002 als auch aus dem Schreiben den Beklagten vom 19. Dezember 2002, das der Klägerin unbestritten mit der Ladung vom 10. März 2003 zu dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zuging. Auch der Grund für die Haftung der Klägerin, nämlich als Gründungsgesellschafterin der nicht zur Eintragung gelangten Vor-GmbH, ist in dem angegriffenen Bescheid ausreichend konkretisiert.

2. Die Klägerin haftet auch gemäß § 128 Abs 1 Handelsgesetzbuch (HGB) persönlich, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch für die Beitragsschulden der HSD GmbH iG. Denn bei der HSD GmbH iG, deren Gründungsgesellschafterin die Klägerin war, handelte es sich um eine sogenannte "unechte Vor-Gesellschaft", für welche das Haftungsprivileg der Vorgesellschaft nicht gilt.

a. Eine Vor-GmbH wird als unechte Vorgesellschaft behandelt, wenn sie nicht ins Handelsregister eingetragen wird, weil ua die Gründer von vornherein nicht die Absicht hatten, die Eintragung als GmbH zu erreichen, oder wenn der Eintragungsantrag nicht ernsthaft weiter betrieben wird, insbesondere bestehende Eintragungshindernisse nicht beseitigt oder Eintragungsunterlagen nicht unverzüglich beschafft werden, oder wenn die Eintragung aus anderen Gründen scheitert und die Gesellschaft trotzdem ihre Geschäfte weiter betreibt. Die Übertragung von Haftungsprivilegien bei der eingetragenen GmbH auf die Vor-GmbH ist nur gerechtfertigt, wenn die Eintragung angestrebt wird. Ist das nicht der Fall, wird die Geschäftstätigkeit aber fortgesetzt, sind die Regelungen einer zivilrechtlichen Personengesellschaft anzuwenden. Hat die (unechte) Vorgesellschaft wie hier ein Handelsgewerbe iS des § 1 Abs 2 HGB betrieben, gelten die Grundsätze der Haftung in der offenen Handelsgesellschaft (§ 123 Abs 2, § 128 HGB), andernfalls – mit gleichem Ergebnis – das Haftungsrecht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 718 iVm §§ 427, 431 BGB). Wird die Eintragungsabsicht erst nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit aufgegeben, werden von dieser Haftung auch die Altschulden erfasst (vgl BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 10/98, BSGE 85, 192).

In der Regel wird sich die Aufgabe der Eintragungsabsicht und das Scheitern der Gründung aus äußeren Umständen feststellen lassen. Das gilt beispielsweise, wenn die Gesellschafter - wie im vorliegenden Fall - schon keinen Eintragungsantrag mehr stellen (BGH 4. November 2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290).

Scheitert die Gründung einer GmbH, die im Einverständnis ihrer Gesellschafter schon vor der Eintragung in das Handelsregister die Geschäfte aufgenommen hat, finden die Grundsätze der Verlustdeckungshaftung allein dann Anwendung, wenn die Geschäfts-tätigkeit sofort beendet und die Vorgesellschaft abgewickelt wird. Werden dem entgegen die Geschäfte nach diesem Zeitpunkt fortgeführt, haben die Gründer für sämtliche Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft, auch für die bis zum Scheitern entstandenen, nach personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen einzustehen (BGH 4. November 2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290).

b. Bei Anwendung dieser Grundsätze trifft die Klägerin die unbeschränkte und gesamtschuldnerische Haftung für die Beitragsschulden der HSD GmbH iG.

aa. Die Gesellschafter haben – sofern überhaupt ursprünglich eine Eintragungsabsicht bestanden hat – diese alsbald nach der Gründung aufgegeben. Zumindest haben sie die Eintragung nicht ernsthaft weiter betrieben. Denn obwohl die Gesellschaft mit Zustimmung der Klägerin ihre Geschäfte aufgenommen hat, hat sie bis zu ihrer Auflösung im März 1999 nicht einmal einen Eintragungsantrag bei dem Registergericht gestellt. Das ergibt sich aus der vom Senat eingeholten Auskunft der zuständigen Amtsgerichts Stendal vom 15. September 2009 sowie aus dem notariellen Protokoll der Gesellschafterversammlung am 29. März 1999. Die Aufgabe einer (etwaigen) Eintragungsabsicht ist dabei nicht erst im August 1998, sondern spätestens im Juni 1998 anzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt konnte von einem – wie geboten – zügig betriebenen Eintragungsverfahren nicht mehr die Rede sein, da ein rechtlich erhebliches Hindernis, den Antrag zu stellen, nicht ersichtlich ist. Die Vor-GmbH verlor damit das allein für den Zeitraum eines zügig betriebenen Eintragungsverfahrens auf die Vorgesellschaft der GmbH erstreckte Haftungsprivileg.

bb. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, ihr sei von der Einstellung der einzelnen Arbeitnehmer der HSD GmbH iG nichts bekannt gewesen. Weder bei einer Vor-GmbH, deren Gesellschafter die Eintragung noch anstreben, noch bei einer gescheiterten, die Geschäfte aber fortsetzenden Vorgesellschaft kommt es auf eine solche Kenntnis an. Für die Verpflichtung der Vorgesellschaft und ggfs. ihrer Gründer reicht es vielmehr aus, dass diese mit der vorzeitigen Geschäftsaufnahme einverstanden sind und den Geschäftsführer damit bevollmächtigen, nicht nur die Eintragung der Gesellschaft herbeizuführen, sondern darüber hinaus Verbindlichkeiten einzugehen (BGH 4. November 2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290). Dies war bei der Klägerin un-bestritten der Fall.

cc. Die Klägerin kann sich schließlich auch nicht darauf berufen, ihr sei von der Nichtbetreibung der Eintragung nichts bekannt gewesen. Positive Kenntnis von dem Scheitern der Sachgründung ist ohne Bedeutung. Es reicht aus, dass dem Gesellschafter alle Tatsachen bekannt waren, die einem zügigen Abschluss des Gründungs-verfahrens entgegenstanden. Einem Gründungsgesellschafter, der über diese Kenntnisse verfügt, muss sich die Erkenntnis aufdrängen, dass die Vorgesellschaft gescheitert ist (BGH 4. November 2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290).

Der Klägerin war bekannt, dass die Eintragung nicht ernstlich weiterverfolgt wurde. Sie spricht selbst davon, dass ihre Einlage "auf dem Papier gestanden" habe (vgl Protokoll des Erörterungstermins am 23. November 2009, Bl 433 R, erster Absatz am Ende). Tatsächlich ergab sich aus §§ 3 und 4 des Gesellschaftsvertrages vom 28. April 1998 allein für die Klägerin eine Bareinlage von 7.500 DM, von der ein Viertel (1.875 DM) sofort fällig war. Auch unter Berücksichtigung der Reduzierung ihres Gesellschaftsanteils von 25 auf 20 % mit Änderungsvertrag vom 11. Mai 1998 verblieben 6.000 DM Bareinlage, davon 1.500 DM sofort. Bis zu diesem Tag hatte die Klägerin aber selbst nach den Angaben im (nicht beim Handelsregister eingegangenen) Eintragungsantrag lediglich 1.250 DM Bareinlage erbracht und damit nicht einmal die Soforteinlage (vgl Bl 54 GA). Insgesamt fehlten nach diesem Antrag im Mai 1998 noch 15.000 DM und damit 50 % der Bareinlage. Für spätere Einzahlungen, die eine zügige Weiterbetreibung des Eintragungsverfahrens ermöglicht hätten, ist nichts ersichtlich. Für die Aufforderung zu einer entsprechenden Einzahlung bedurfte es gemäß § 4 Abs 3 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages eines besonderen Gesellschafterbeschlusses, der nicht erfolgt ist. Demgemäß ist im Gesellschafterbeschluss vom 10. August 1998 und im Auflösungsvertrag vom 29. März 1999 ausdrücklich festgehalten, dass die Gesellschaft scheiterte, weil die Stammeinlageverpflichtungen teilweise nicht erfüllt werden konnten.

Als gewissenhafte, die Entwicklung der Vorgesellschaft verfolgende Gründerin hätte die Klägerin deswegen entweder ihr Einverständnis mit der Fortführung der vorzeitigen Geschäftsaufnahme spätestens im Juni 1998 widerrufen und für die sofortige Beendigung der Geschäftstätigkeit der Vor-GmbH oder aber dafür sorgen müssen, dass die Eintragung der Gesellschaft auf anderem Wege herbeigeführt wurde. Beides war nicht der Fall. Die Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31. August 1998 kam zu spät, nachdem die Gesellschaft bereits länger als vier Monate ihre Geschäfte aufgenommen hatte, ohne überhaupt einen Eintragungsantrag zu stellen.

dd. War daher spätestens im Juni 1998 davon auszugehen, dass die Eintragung der Gesellschaft nicht mit der gebotenen Stringenz betrieben wurde, und wurden gleichwohl die Geschäfte nach diesem Zeitpunkt bis August 1998 fortgeführt, haben die Gründer für sämtliche Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft, auch für die bis zum Scheitern entstandenen, nach personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen einzu-stehen (BGH 4. November 2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290).

3. Die Höhe der Säumniszuschläge ergibt sich aus § 24 Abs 1 Satz 1 SGB IV (idF des Art 2 Nr 8 des Gesetzes vom 13. Juni 1994, BGBl I S 1229 mWv 1. Januar 1995). Danach ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen auf 100 DM nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen.

Die auf Seite 10 des Urteils des Sozialgerichts festgestellten Beitragsrückstände für die Monate Mai bis August 1998 führen – jeweils gemäß § 24 SGB IV auf glatte 100,00 DM nach unten abgerundet und sodann in Euro umgerechnet – für die Zeit bis zum Bescheid vom 21. Januar 2002 bei monatlich 1 % Zinsen ohne Zinseszins rechnerisch zu einem Gesamtsäumniszuschlag bis einschließlich Januar 2002 iHv 5.451,50 EUR (Säumniszuschläge in Höhe von 1 % monatlich jeweils aus 3.144,45 EUR seit dem 1. Juni 1998 [44 x 31,44 EUR = 1.383,36 EUR], aus 3.067, 75 EUR seit dem 1. Juli 1998 (43 x 30,68 EUR = 1.319,24 EUR], aus 3.425,66 EUR seit dem 1. August 1998 [42 x 34,26 EUR = 1.438,92 EUR] und aus 3.118,88 EUR seit dem 1. September 1998 [41 x 31,19 EUR = 1.309,98 EUR]).

Mahn- und Pfändungsgebühren iHv 244,45 EUR sind ebenfalls von der Klägerin zu zahlen. Sie resultieren aus den Beitreibungsversuchen der Beklagten gegen die HSD GmbH iG, nicht gegen die Klägerin selbst. Die Haftung der Klägerin erstreckt sich ohne weiteres auch auf solche von der HSD GmbH iG geschuldeten Gebühren.

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG iVm § 155 Abs 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Streitwert wurde gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 52 Abs 2 u 3 Gerichtskostengesetz festgesetzt.

Gründe, gemäß § 160 Abs 2 Nr. 1, 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, da es sich um eine Einzelfallentscheidung auf geklärter Rechtsgrundlage handelt.
Rechtskraft
Aus
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