L 6 SB 5709/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 2363/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 5709/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 06.10.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin erstrebt die behördliche Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mehr als 40 sowie des Vorliegens einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G), der Notwendigkeit einer ständigen Begleitung (Merkzeichen B) einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen aG), von Hilflosigkeit (Merkzeichen H) sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Merkzeichen RF).

Mit Bescheid vom 13.04.2006 stellte das Landratsamt K. bei der im Jahre 1946 geborenen Klägerin wegen der Funktionsbeeinträchtigungen operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 30) sowie Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Knorpelschäden am Kniegelenk (Teil-GdB 20) einen GdB von 40 seit dem 08.02.2006 fest.

Den am 07.08.2006 gestellten Erhöhungsantrag, mit dem die Klägerin zugleich die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die oben angeführten Merkzeichen beantragte, lehnte das Landratsamt nach Beiziehung des Befundberichts des Augenarztes Dr. V. vom 02.04.2006 und gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. N. vom 30.10.2006 (operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Bandscheibenschaden [Teil-GdB 30], Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Knorpelschäden am Kniegelenk [Teil-GdB 20] und Sehbehinderung [Teil-GdB 10]; Gesamt-GdB 40, keine Merkzeichen) mit Bescheid vom 21.11.2006 ab. Den hiergegen im Wesentlichen unter Hinweis auf die Wirbelsäulenbeschwerden erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium S. nach Einholung der ärztlichen Stellungnahme von Dr. S. vom 22.03.2007 (Teil-GdB von 30 für die Wirbelsäulenbeschwerden ausreichend) mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2007 zurück.

Am 10.05.2007 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Karlsruhe Klage.

Das Gericht holte schriftliche sachverständige Zeugenaussagen des Orthopäden Dr. H. vom 06.09.2007 (Bandscheibenvorfälle mit ausgeprägtem Schmerzsyndrom bei Wurzelreizsyndrom lumbal bzw. Postnukleotomiesyndrom; GdB 80) sowie des Neurologen Dr. R. vom 20.11.2007 (Läsion der Nervenwurzel L5 links [Teil-GdB 20], leichtgradiges Sulcus-ulnaris-Syndrom links [Teil-GdB 20] Gesamt-GdB von 40 plausibel) ein und zog Behandlungsberichte der Orthopädischen Klinik M. aus der Zeit von Januar bis Juni 2006 sowie des SRH Klinikums K.-L. vom 27.07.2007 bei. Darüber hinaus holte das Sozialgericht das Gutachten des Orthopäden Dr. S. vom 20.05.2008 mit ergänzender Stellungnahme vom 12.08.2009 (Lumbalsyndrom mit Bewegungsstörung und Nervenwurzelreizerscheinungen [Teil-GdB 30], Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks bei Knorpelschäden [Teil-GdB 20], Sulcus-ulnaris-Syndrom links [Teil-GdB 10]; Gesamt-GdB 40, keine Merkzeichen) und auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des behandelnden Orthopäden Dr. H. vom 29.10.2008 (Wurzelreizsyndrom mit Muskelschwäche und neurologischen Ausfallerscheinungen bei Bandscheibenprolaps L4/5 links [Teil-GdB 40], Coxarthrose beidseits [Teil-GdB 10], Sulcus-ulnaris-Syndrom links [Teil-GdB 10], PHS-Syndrom links mit deutlicher Bewegungseinschränkung [Teil-GdB 10], Funktionsstörung rechtes Kniegelenk [Teil-GdB 20]; Gesamt-GdB 60, Vorliegen einer Gehbehinderung, nicht jedoch der Voraussetzungen für die Merkzeichen B, aG, H und RF) ein.

Mit Urteil vom 06.10.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seit dem letzten bindenden Bescheid liege nicht vor. Die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule der Klägerin seien mit einem Teil-GdB von 30, die Beeinträchtigungen des rechten Kniegelenks mit einem Teil-GdB von 20 und das Sulcus-ulnaris-Syndrom mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Eine Funktionsbeeinträchtigung der Hüfte mit einem Teil-GdB von 10 lasse sich nicht feststellen. Gleiches gelte für die Sehbehinderung, nachdem bereits der Befund im Verwaltungsverfahren keine relevante Minderung der Sehfähigkeit ergeben habe. Die Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen seien in der Sache nicht erfüllt. Diese Entscheidung wurde der Klägerin am 05.11.2009 zugestellt.

Am 07.12.2009, einem Montag, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, aufgrund einer zwischenzeitlich bei ihr festgestellten Osteoporoseerkrankung bestünden weitere Beeinträchtigungen und Einschränkungen in ihrem Bewegungsapparat, insbesondere auch Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule. Hierzu legt sie den Befundbericht von Dr. G. vom 29.09.2009 über die am selben Tage erfolgte Knochendichtemessung vor. Darin ist ausgeführt, bei der Klägerin bestehe mit einem Steifigkeitsindex von 61 ein hohes Risiko eines osteoporotischen Knochenbruchs.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 06.10.2009 sowie den Bescheid des Landratsamtes K. vom 21.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 07.08.2006 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B, aG, H und RF festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 09.06.2010 vor, das von Dr. G. angeführte hohe Risiko eines osteoporotischen Knochenbruchs könne bei der Bewertung des GdB nicht berücksichtigt werden. Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die einen höheren Teil-GdB als 30 bedingen könnten, ließen sich aus dem vorgelegten Befundbericht nicht ableiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Karlsruhe sowie die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG).

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 21.11.2006 und der Widerspruchsbescheid vom 13.04.2007 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Denn sie hat weder Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 40 noch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B, aG, H und RF.

Dass und weshalb der bei der Klägerin mit Bescheid vom 13.04.2006 festgestellte Gesamt-GdB von 40 weiterhin zutreffend ist, hat das Sozialgericht im angegriffenen Urteil ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist folgendes auszuführen:

Ein von Dr. G. angeführtes hohes Risiko eines osteoporotischen Knochenbruchs vermag - worauf bereits Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 09.06.2010 hingewiesen hat - für sich allein nicht zu einer Erhöhung des GdB zu führen (vgl. Teil B Nr. 18.1 der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" - VG - [Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10.12.2008 BGBl. I, S. 2412)] sowie Nr. 26.18 der zuvor angewandten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht [Teil 2 SGB IX]" - AHP -). Hierdurch hervorgerufene weitere Funktionsbeeinträchtigungen hat die Klägerin nicht weiter substantiiert, sondern lediglich pauschal weitere Beeinträchtigungen und Einschränkungen in ihrem Bewegungsapparat, insbesondere auch Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule behauptet.

Aber selbst dann, wenn man aufgrund der Osteoporose von einem (erhöhten) Teil-GdB von 40 für die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule ausginge und der Gesamtbewertung darüber hinaus einen (zusätzlichen) Teil-GdB von 10 für die Sehbehinderung zu Grunde legte, ergäbe sich kein Gesamt-GdB von mehr als 40. Denn die darüber hinaus vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Kniegelenks mit einem Teil-GdB von 20 führen - wie vielfach bei solchermaßen leichten Behinderungen - ebenso wenig zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung wie das Sulcus-ulnaris-Syndrom sowie die Sehbehinderung mit einem Teil-GdB von jeweils lediglich 10 (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. c und d der VG, Nr. 19 Absätze 3 und 4 der AHP). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin bei der Gesamtwürdigung nicht - wie aber erforderlich (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. b der VG, Nr. 19 Abs. 2 der AHP) - mit Gesundheitsschäden vergleichbar sind, für die in der Tabelle ein fester GdB-Wert von 50 angegeben und bei deren Vorliegen damit die Schwerbehinderung anzuerkennen ist (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Denn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen ist nicht so erheblich wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung (vgl. zu diesen Beispielsfällen noch Nr. 19 Abs. 2 der AHP 2008).

Ein Anspruch der Klägerin auf Feststellung der Voraussetzungen für die geltend gemachten Merkzeichen liegt ebenfalls nicht vor. Hinsichtlich des Merkzeichens G fehlt es der Klägerin - wie oben ausgeführt - an der nach § 145 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), § 3a Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) und § 9 Einkommenssteuergesetz (EStG) erforderlichen Schwerbehinderteneigenschaft. Gleiches gilt hinsichtlich der Merkzeichen B (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX), aG (§ 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz [StVG], § 3a KraftStG) und H (§ 145 Abs. 1 SGB IX, § 33b EStG, § 3a KraftStG); i. Ü. bestehen Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Merkzeichen sowie des Merkzeichens RF auch in der Sache nicht im Ansatz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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