L 8 U 3913/10 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 1734/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3913/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 16.08.2010 eingelegte Beschwerde gegen den der Klägerbevollmächtigten am 22.07.2010 zugestellten Beschluss des SG vom 16.07.2010 ist zulässig (§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Ein Beschwerdeausschlussgrund nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG in der seit 01.04.2008 geltenden Fassung liegt nicht vor, da das SG nicht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe (PKH), sondern die Erfolgsaussicht der Klage verneint hat.

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss, dass die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 28.01.2009, mit dem die Feststellung des Ereignisses vom 22.11.2007 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen abgelehnt worden ist, keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet, ist nicht zu beanstanden.

Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R= SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

In Anwendung dieser Grundsätze ist entgegen der Auffassung des Klägers im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Antrages eine hinreichende Erfolgsaussicht seiner Klage nicht gegeben. Eine solche liegt vor, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände der mit der Klage vertretene Standpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vertretbar erscheint; im tatsächlichen Bereich müssen Tatsachen erweisbar sein; ein günstiges Beweisergebnis darf nicht unwahrscheinlich sein (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl., § 73 a, Rdz. 7a mwN.). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist in tatsächlicher Hinsicht in eng begrenztem Umfang auch eine vorweggenommene Beweiswürdigung (Beweisantizipation) zulässig (BVerfG NJW 1997, 2745, 2746). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist aber anzunehmen, wenn eine Beweisaufnahme durchzuführen ist, weil die Entscheidung in der Hauptsache von der Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen abhängt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG NJW 2003, 2976, 2977; BSG SozR 3-1750 § 62 Nr. 19).

Die gutachtlichen Schlussfolgerungen von Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 06.10.2009 dürften voraussichtlich nicht zu widerlegen sein, denn sie stehen im Einklang mit den unfallmedizinischen Erfahrungssätzen zu traumatisch bedingten Rupturen der Rotatorenmanschette. Hierauf wird im Gutachten von Prof. Dr. K. auch unter Bezugnahme auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., Seite 498 (jetzt 8. Aufl., Seite 412 ff - betreffend die Supraspinatussehne - bzw. 404ff - betreffend die Bizepssehne -) hingewiesen. Die dagegen sprechende Einschätzungen im Gutachten von Dr. S. vom 21.06.2008 dürften wohl weniger überzeugend sein. Prof. Dr. K. verneint einen geeigneten Unfallmechanismus bei dem von der Klägerin auch während seiner Untersuchung nochmals geschilderten Unfallablauf, da nur eine willkürlich aufgetretene Kraftanstrengung angegeben worden sei und ein überraschendes, plötzliches Nachgeben der von der Klägerin gehaltenen Verstrebung der Ladefläche ausdrücklich verneint worden sei. Soweit Dr. S. von einem geeigneten Unfallmechanismus ausging, legte er hierbei die auch in seinem Gutachten geschilderten Unfallabläufe der unfallmedizinischen Literatur zu Grunde, wie Prof. Dr. K., unterstellt jedoch in seiner ergänzenden Äußerung vom 03.09.2008, dass sich der Widerstand gegen die Kraftanstrengung der Klägerin abrupt gelöst habe. Dies ist aber mit der in seinem Gutachten wiedergegebenen Unfallschilderung der Klägerin und auch ihrer bestätigenden Angabe bei der Untersuchung durch Prof. Dr. K. nicht zur vereinbaren und daher wohl nicht zutreffend. Nach Dr. S. seien dem MRT vom 28.11.2007 und aus dem Operationsbericht vom 06.12.2007 keine altersvorauseilenden und verschleißbedingten Schädigungen des Labrums zu entnehmen, eine Schadensanlage sei nicht ersichtlich. Dann wäre aber jedenfalls der Riss des Bizepssehnenankers am Labrum nicht am Unfalltag eingetreten, weil die unfallmedizinische Lehrmeinung zum ungeeigneten Unfallhergang jedenfalls für nicht vorgeschädigte Sehnen und Muskeln unbestritten zutrifft. Ebenso wenig dürfte die Beurteilung von Dr. S. zutreffen, dass eine Vorschädigung der Rotatorenmanschette nicht vorgelegen habe. Prof. Dr. K. verweist auf den eine Woche nach dem Ereignis erhobenen MRT-Befund vom 28.11.2007, in dem der Riss des Bizepssehnenankers und darüber hinaus Teilrupturen im Bereich der Supraspinatussehne mit Verkalkungen beschrieben würden, die auch in den initial gefertigten Röntgenbildern nachzuweisen seien. Dies spricht für eine bereits vorbestehende Schädigung der Rotatorenmanschette.

Ob am Unfalltag die diagnostizierten Sehnenläsionen aufgetreten sind, dürfte nicht hinreichend sicher festzustellen sein. Der Auswertung des MRT-Befundes vom 28.11.2007 durch Dr. S. wird in der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S.-B. vom 30.07.2008 widersprochen, weil der von Dr. S. angenommene bone bruise als Hinweis auf eine frische traumatische Läsion im Befundbericht des Radiologen nicht angegeben werde. Auch Prof. Dr. K. beschreibt keine Traumazeichen des ausgewerteten MRT-Befunds. Der neurologische Befund einer Irritation des mittleren und unteren Armplexus bei im Übrigen unauffälligen Ableitungen der Nervenleitgeschwindigkeit sei nach Dr. D. (Befundbericht vom 30.11.2007) entweder durch die Zerrung oder durch die (Muskel)Schwellung verursacht. Eine Sehnenruptur ist auch danach nicht zwingender Ausgangspunkt der beschriebenen Irritation des Armplexus. Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung dürfte die allenfalls nachgewiesene schmerzauslösende Aktivierung einer Symptomatik der vorbestehenden Sehnenschäden bei dem gesichertem Umfang der Vorschädigung hauptsächlich und damit wesentlich auf dem Vorschaden beruhen, da die berufsbedingte willkürliche Kraftaufwendung nur Mitursache für die Auslösung der Schmerzsymptomatik gewesen sein dürfte, was bei wertender Betrachtung gegenüber der Vorschädigung gänzlich in den Hintergrund tritt. Ob eine bestimmungsgemäß vorgenommene, vom Willen getragene, betriebsbedingt veranlassten Handlung, die zu einer körperlichen Verletzung geführt hat, als äußere Einwirkung im Sinne der Legaldefinition des Arbeitsunfalls anzusehen ist (ablehnend der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg, vgl. Urteil vom 26.01.2009 - L 1 U 3612/08 -), kann dabei offen bleiben. Ist jedoch die eingetretene Körperschädigung durch eine - hier unterstellte - äußerer Einwirkung nicht wesentlich kausal verursacht (keine haftungsbegründende Kausalität), handelt es sich bei dem Unfall nicht um einen Arbeitsunfall. Die aufgetretene Zerrung als Folge der unfallverursachenden äußeren Einwirkung ist demgemäß auch nicht als Unfallfolge festzustellen und zu entschädigen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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