Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 21 U 189/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 26/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 24/10 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision wurde zurückgewiesen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19. Dezember 2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der für die Verletztenrente der Klägerin maßgebende Jahresarbeitsverdienst (JAV) neu festzusetzen ist.
Die 1965 geborene Klägerin war nach ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin ab dem 01.10.1989 als Krankenschwester tätig, in der Zeit vom 01.06.1990 bis zum 30.06.1991 und vom 01.02.1992 bis zum 31.03.1995 in Teilzeit. In der Zeit vom 22.07.1999 bis zum 27.10.1999 befand sie sich im Mutterschutz, hatte sodann vom 28.10.1999 bis zum 06.12.1999 ihren Jahresurlaub und bezog vom 07.12.1999 bis zum 31.01.2000 Erziehungsgeld. Für den Zeitraum vom 01.02.2000 bis zum 31.08.2002 vereinbarte sie mit ihrem Arbeitgeber eine befristete Teilzeittätigkeit (19,25 Stunden wöchentlich) im Rahmen des Erziehungsurlaubs. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie in der Zeit vom 01.04.2000 bis zum 31.03.2001 einschließlich Einmalzahlungen ein Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von 18.076,74 EUR. Am 06.04.2001 erlitt die Klägerin einen Bandscheibenvorfall und war in der Folgezeit arbeitsunfähig.
Mit Bescheid vom 25.05.2005 erkannte die Beklagte die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule der Klägerin als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) an und stellte den 07.04.2001 als Tag des Versicherungsfalls fest. Ab dem 04.02.2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. und legte der Rentenberechnung einen JAV in Höhe von 18.076,74 EUR zugrunde.
Gegen die Festsetzung des JAV erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, indem bei der Berechnung des JAV die Tätigkeit in der Elternteilzeit als Berechnungsgrundlage herangezogen werde, liege eine unverhältnismäßige Benachteiligung ihrer Familie. Wegen der fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren habe sie keine Alternative zur Beantragung von Erziehungsurlaub gesehen. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, dass allein aufgrund des Ausbruchs der BK während der Teilzeit diese zugrunde gelegt werde, zumal ihre Vollzeitbeschäftigung die BK begünstigt habe und eine erneute Vollzeitbeschäftigung schon zu Beginn der Teilzeit geplant gewesen sei. Daher sei bei der Festsetzung des JAV die Vollzeitbeschäftigung als Krankenschwester auf einer Intensivstation zu berücksichtigen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Festsetzung des JAV zurück und führte zur Begründung aus, mit Blick auf den am 07.04.2001 eingetretenen Versicherungsfall berechne sich der JAV gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) aus der Summe der in der Zeit vom 01.04.2000 bis 31.03.2001 erzielten Entgelte. Unter Berücksichtigung der Entgeltangaben des Arbeitgebers zu den laufenden Entgelten und der in diesem Zeitraum gewährten Einmalzahlung sei der JAV in Höhe von 18.076,74 EUR zugrunde zu legen. Dieser JAV sei nicht in erheblichem Maße unbillig. Die Klägerin habe bereits in der Zeit vor Eintritt der Elternzeit Teilzeittätigkeit verrichtet. Nach der Geburt der Tochter habe sie die Mutterschutzfrist sowie Elternzeit in Anspruch genommen. Schließlich habe sie dann am 01.02.2000 erneut eine befristete Teilzeittätigkeit aufgrund der Erziehung des Kindes aufgenommen. Eine Berücksichtigung von Teilzeit führe deswegen nicht zur unbilligen Härte, weil § 87 SGB VII lediglich atypische Fallkonstellationen erfassen wolle. Unter Berücksichtigung der Ausbildung, der Lebensstellung und der beruflichen Chronik sowie der Tätigkeit im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls habe sich keine entsprechende atypische Fallkonstellation erkennen lassen.
Dagegen hat die Klägerin am 01.09.2005 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und ausgeführt, ihre Lebensstellung sei insgesamt durch ihre Einkünfte aus einer Vollzeittätigkeit geprägt gewesen.
Die Beklagte hat vorgetragen, bei § 87 SGB VII handele es sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Hätte der Gesetzgeber das Auffüllen einer Einkommensminderung während der Inanspruchnahme der Elternzeit sozialpolitisch regeln wollen, hätte er dies gesetzlich formulieren können.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.12.2008 abgewiesen.
Gegen das ihr am 22.01.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.02.2009 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, die Festsetzung des JAV sei in erheblichem Maße unbillig und daher korrekturbedürftig, weil der angesetzte JAV im Ergebnis der durch ihr Erwerbsleben bestimmten Einkommenssituation nicht entspreche. Zu Unrecht sei nicht berücksichtigt worden, dass sie während ihrer Berufstätigkeit ganz überwiegend eine Vollzeitstelle inne gehabt und sich hieran ihr Lebensstandard orientiert habe. Denn von insgesamt 18 Jahren und 1 Monat Beschäftigung in der Zeit vom 01.07.1984 bis zum 31.08.2002 habe sie lediglich 6 Jahre und 6 Monate eine Teilzeitbeschäftigung, die übrige Zeit dagegen eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt. Durch das aus Vollzeittätigkeit erzielte Einkommen sei mithin ihr Lebensstandard bestimmt worden. Überdies habe das Entgelt während der Zeiten, in denen sie weniger als Vollzeit gearbeitet habe, aufgrund der Nachtdiensttätigkeit im Wesentlichen dem entsprochen, welches sie während ihrer Vollzeitbeschäftigung erzielt habe. Insoweit sei ihr materieller Lebensstandard auch in den Zeiten der Teilzeittätigkeit der Höhe nach durch Einkünfte bestimmt worden, die denen aus Vollzeittätigkeit weitgehend entsprochen hätten. Damit berücksichtige der festgestellte JAV im Ergebnis nicht ihre überwiegende Einkommenssituation, auf die sie sich nahezu ausschließlich - mit eben der Ausnahme des Zeitraumes vom 01.02.2000 bis zum 31.08.2002 - habe einrichten können. Der Versicherungsfall sei zufällig und durch sie nicht beeinflussbar zu einem Zeitpunkt eingetreten, in dem sie sich im Rahmen des Erziehungsurlaubs in einer hierdurch zwangsweise befristeten Teilzeittätigkeit befunden habe. Angesichts des Eintritts des Versicherungsfalls im Zeitraum des für die Einkommenssituation nicht repräsentativen Zeitraums des Erziehungsurlaubs bedürfe es eines auch zeitlichen Korrektivs des JAV. Die Anwendung der §§ 82 ff. SGB VII widerspreche hier insbesondere auch den sozial- und familienpolitischen Zielen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Bemessungsgrundlage für den JAV starr den Zeitraum des Jahres vor Eintritt des Versicherungsfalles zu Grunde zu legen, der nicht der regelmäßigen Einkommenssituation entspreche, verstoße bei einer derartigen Konstellation gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen Art. 3 GG. Art. 6 GG unterstelle Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, der es gebiete, dass Ehe und Familie Förderung erfahren und die Betreuung und Erziehung von Kindern - die im sozialpolitischen, aber auch wirtschaftlichen Interesse der Allgemeinheit und des Staates lägen - nicht den Betroffenen zum Nachteil gereiche. Art. 3 Abs. 1 GG gebiete, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Vorliegend werde eine Gruppe von Normadressaten - hier: von Müttern in einer ihrer Lebenssituation vergleichbaren Situation, bei denen die Arbeitszeit infolge Erziehungsurlaubs zwingend (und nicht aufgrund freier Willensentscheidung) reduziert sei - anders behandelt als andere Normadressaten (hier: Mütter, die Erziehungsurlaub nicht in Anspruch nehmen). Offenbar habe der Gesetzgeber diesen Fall in der Vergangenheit nicht bedacht. Insoweit sei auch auf einen Entwurf der Unfallversicherungs-Projektgruppe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und die dort geplante Leistungsreform der gesetzlichen Unfallversicherung zu verweisen. Dort werde zu § 88 SGB VII des Entwurfs ausgeführt, durch diese Vorschrift solle verhindert werden, dass Versicherte einen Nachteil dadurch erleiden, dass ein Versicherungsfall in der Zeit eintritt, in der sie aufgrund einer Elternzeit kein oder nur ein vermindertes Einkommen haben.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.12.2008 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 zu verpflichten, die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, das Bundessozialgericht (BSG) habe auch für die Auslegung des dem § 87 SGB VII entsprechenden § 577 Reichsversicherungsordnung (RVO) den allgemeinen Grundsatz des Unfallversicherungsrechts zugrunde gelegt, dass für die Berechnung der Leistungen die Verhältnisse im Jahr vor dem Arbeitsunfall maßgebend seien. In den Vorjahren erzielte Entgelte oder nach dem Versicherungsfall zu erwartende höhere Entgelte seien nicht zu berücksichtigen. Minderungen des Arbeitseinkommens oder Arbeitsentgelts, die sich aus einer auf Dauer akzeptierten Senkung des Lebensstandards ergäben, würden nicht ausgeglichen. Mit Hilfe der in § 87 Satz 2 SGB VII genannten Kriterien dürften die in §§ 82, 84 bis 86 SGB VII geltenden Grundsätze nicht in Frage gestellt werden Der Grundsatz sei nur dann nicht maßgebend, wenn innerhalb des betreffenden Jahres beim Versicherten eine wesentliche Änderung der beruflichen Situation verbunden mit einer erheblichen Änderung seines Einkommens nicht nur vorübergehend eingetreten sei. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 25.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da diese Entscheidung rechtmäßig ist. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin im Hinblick auf den der Verletztenrente zugrunde gelegten JAV einen neuen Bescheid zu erteilen.
Berechnungsgrundlage für die der Klägerin aus Anlass der anerkannten BK dem Grunde nach unstreitig zustehende Verletztenrente ist - neben dem Grad der MdE - der JAV. Hierfür ist im Regelfall der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§§ 14, 15 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch [SGB IV]) des Versicherten in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, maßgebend (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Beklagte der Verletztenrente zutreffend einen JAV von 18.076,74 EUR zugrunde gelegt, weil dieser Betrag dem Brutto-Arbeitsentgelt entspricht, welches die Klägerin in der Zeit vom 01.04.2000 bis zum 31.03.2001 und damit in dem Zwölfmonatszeitraum vor dem Monat des Eintritts des Versicherungsfalls erzielt hat.
Diese Festsetzung ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in erheblichem Maße unbillig, so dass eine Bestimmung des JAV nach § 87 Satz 1 SGB VII nach billigem Ermessen im Rahmen des Mindest- und des Höchst-JAV (vgl. § 85 SGB VII) ausscheidet.
Die Wertung, ob der berechnete JAV "in erheblichem Maße unbillig" ist, hat das Gericht in vollem Umfang selbst vorzunehmen. Unbilligkeit im Sinne des § 87 Satz 1 SGB VII ist ein unbestimmter Rechtsbegriff; erst bei Vorliegen seiner Voraussetzungen hat der Versicherungsträger Ermessenserwägungen anzustellen (vgl. BSG SozR 2200 § 577 Nr. 9; BSG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 RU 15/92 = HV-Info 1993, 972; BSG SozR 4-2700 § 87 Nr. 1). Über das Vorliegen einer erheblichen Unbilligkeit in diesem Sinne kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden. Dabei sind die in § 87 Satz 2 SGB VII genannten Bewertungsgesichtspunkte (Fähigkeiten, Ausbildung, Lebensstellung und Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls) zu berücksichtigen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 577 Nr. 2).
Unter Würdigung der vom Gesetzgeber aufgeführten Bewertungsgesichtspunkte entspricht der von der Beklagten festgesetzte JAV in Höhe von 18.076,74 EUR nicht nur den Fähigkeiten, der Ausbildung und der Tätigkeit der Klägerin im Zeitpunkt des Versicherungsfalls (07.04.2001), sondern auch ihrer zu diesem Zeitpunkt erreichten "Lebensstellung". Eine Korrektur des JAV mit Blick auf die zuletzt bis zum 21.07.1999 ausgeübte Vollzeitbeschäftigung über die Regelung in § 87 SGB VII kommt damit entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass ihr Vorbringen, sie habe während ihrer Berufstätigkeit ganz überwiegend eine Vollzeitstelle inne gehabt und ihr Lebensstandard habe sich hieran orientiert, schon in tatsächlicher Hinsicht nur sehr bedingt zutrifft, weil sie jedenfalls in der Zeit nach Abschluss ihrer Ausbildung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls in einem Zeitraum von 65 Monaten und 21 Tagen (01.10.1989 bis 30.04.1990, 01.07.1991 bis 31.02.1992 und 01.04.1995 bis 21.07.1999) eine Vollzeitstelle inne gehabt hat, während sie in einem fast deckungsgleichen Zeitraum von 65 Monaten und 6 Tagen (01.06.1990 bis 30.06.1991, 01.02.1992 bis 31.03.1995 und 01.02.2000 bis 06.04.2001) einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen ist, widerspricht eine Berücksichtigung der Erwerbseinkünfte außerhalb des Zwölfmonatszeitraums sowohl der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII als auch der Regelung in § 87 Satz 2 SGB VII, wonach es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Versicherungsfalls ankommt. Die Festsetzung eines JAV nach billigem Ermessen gemäß § 87 Satz 1 SGB VII kommt damit von vornherein nicht in Betracht, wenn der nach den §§ 82 bis 86 SGB VII ermittelte JAV der Lebensstellung des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls entspricht (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 09.08.2004 - L 16 U 79/03; Keller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 87 Rz. 6). Dies gründet sich in folgenden Erwägungen:
§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sieht die Addition aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten im Jahre vor dem Versicherungsfall als JAV vor. Es wird also darauf abgestellt, welche Beträge der Versicherte im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall insgesamt an Entgelt oder Einkommen durch Arbeit erworben hat. Damit wird im Regelfall der zur Zeit des Versicherungsfalls erreichte Lebensstandard des Versicherten erfasst (vgl. BSG SozR 2200 § 571 Nr. 1; BSG SozR 2200 § 571 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 577 Nr. 9; Burchhardt in Becker/Burchhardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), § 82 Rz. 11; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl.2009, § 82 Rz. 4; Schudmann in: jurisPK-SGB VII, § 82 Rz. 22). Der Gesetzgeber geht mit anderen Worten typisierend davon aus, dass die Arbeitsentgelts- oder Einkommenssituation des Versicherten im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall im Wesentlichen den vor dem Unfall erreichten Lebensstandard wiedergibt. Damit aber ist eine Heranziehung von Arbeitsentgelten aus zurückliegenden Jahren auch im Rahmen des § 87 SGB VII nicht möglich. Denn § 87 SGB VII ergänzt nur die Vorschrift des § 82 SGB VII, ohne die dort getroffene grundsätzliche Regelung anzutasten (vgl. zu § 577 RVO: BSG SozR 2200 § 571 Nr. 1; BSGE 50, 264 = SozR 2200 § 571 Nr. 19). Ohnedies wäre aufgrund des Fehlens eines entsprechenden Anhaltspunktes im Gesetz auch völlig unklar, wie weit ein Rückgriff auf Erwerbseinkommen in vergangenen Zeiträumen zu erfolgen hätte (zurückliegende drei, fünf oder sieben Jahre vor dem Versicherungsfall, gar das gesamte Erwerbsleben?).
Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass das BSG bereits für die Auslegung des § 577 RVO, der Vorläuferregelung von § 87 SGB VII, den allgemeinen Grundsatz des Unfallversicherungsrechts zugrunde gelegt hat, dass für die Berechnung der Leistungen die Verhältnisse im Jahr vor dem Versicherungsunfall maßgebend sind (vgl. BSG SozR 2200 § 571 Nr. 1; BSGE 50, 264 = SozR 2200 § 571 Nr. 19; BSG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 RU 15/92 - HV-Info 1993, 972). In Vorjahren erzielte Entgelte oder nach dem Versicherungsfall zu erwartende höhere Entgelte sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, so dass ein zeitliches Korrektiv des JAV entgegen der Auffassung der Klägerin nicht geboten ist. Dieser Grundsatz kommt nur dann nicht zum Tragen, wenn innerhalb des maßgeblichen Jahres beim Versicherten eine wesentliche Änderung der beruflichen Situation verbunden mit einer erheblichen Änderung des Arbeitseinkommens eingetreten ist. Dies aber ist bei der Klägerin, die bereits seit dem 01.02.2000 ihre Teilzeittätigkeit im Rahmen ihres Erziehungsurlaubs ausübte, mit Blick auf den hier maßgeblichen Jahreszeitraum vom 01.04.2000 bis zum 31.03.2001 nicht der Fall.
Die Auslegung des § 577 RVO durch das BSG hat den Gesetzgeber auch nicht veranlasst, den § 87 SGB VII abweichend zu regeln, vielmehr ist zur Einführung dieser Vorschrift durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 07.08.1996 zum 01.01.1997 in der amtlichen Begründung ausgeführt worden, die Vorschrift über die Festsetzung des JAV nach billigem Ermessen entspreche geltendem Recht (BT-Drucks. 13/2204, S. 96). Insofern kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Auslegung des § 577 RVO durch das BSG auch unter der Geltung von § 87 SGB VII noch Gültigkeit beansprucht (vgl. Dahm, in: Lauterbach, SGB VII, § 87 Rz. 4).
Dass der Eintritt des Versicherungsfalls während einer Elternzeit und einer damit verbundenen Verminderung des Erwerbseinkommens nicht ohne weiteres zur Unbilligkeit der JAV-Festsetzung im Sinne von § 87 Satz 1 SGB VII führt, wird mittelbar auch daran deutlich, dass nach dem von der Klägerin in Bezug genommenen Arbeitsentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Leistungsreform der gesetzlichen Unfallversicherung eine Neuregelung in § 88 SGB VII angedacht war, nach der die Möglichkeit einer Korrektur des JAV im Sinne der Klägerin möglich gewesen wäre. Würde diese Fallkonstellation bereits nach geltendem Recht von § 87 SGB VII erfasst, bedürfte es einer entsprechenden Neuregelung nicht. Die geplante Regelung ist aber weder gesetzlich verankert worden noch überhaupt in einen Gesetzentwurf gelangt, sondern vielmehr ein bloßer Arbeitsentwurf geblieben, so dass die Klägerin hieraus de lege lata nichts herleiten kann.
Entgegen der Mutmaßung der Klägerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe den Fall des Eintritts des Versicherungsfalls während der Elternzeit bislang schlichtweg nicht bedacht. Denn die Problemstellung, dass sich ein in der Elternzeit vermindertes Arbeitsentgelt auf die Höhe einer Sozialleistung auszuwirken vermag, war dem Gesetzgeber durchaus bekannt. So hat er beispielsweise für den Bereich der Arbeitsförderung in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) geregelt, dass bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums solche Zeiten außer Betracht bleiben, in denen der Arbeitslose Elterngeld oder Erziehungsgeld bezogen hat. Diese Regelung, die entsprechend bereits in § 112 Abs. 2 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) enthalten war, schützt den Arbeitnehmer, der während des Bezugs von Erziehungs- oder Elterngeld einer Beschäftigung nachgeht, vor den nachteiligen Folgen bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes, wenn er wegen der Betreuung eines Kindes ein geringeres Arbeitsentgelt erzielt oder den zeitlichen Umfang seiner Beschäftigung reduziert hat.
Dass vorliegend bei der Ermittlung des JAV nicht das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wird, das die Klägerin zuletzt im Rahmen ihrer Vollzeitbeschäftigung erzielt hat bzw. - ohne den Versicherungsfall - nach Ende der Elternzeit gegebenenfalls wieder hätte erzielen können, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei Versicherten, die den Versicherungsfall während der Elternzeit erleiden, den JAV nicht - wie im Regelfall - nach den Verhältnissen im Jahr vor dem Versicherungsunfall zu bestimmen, sondern entweder anhand des vor der Kindererziehung erzielten Arbeitsentgelts oder desjenigen Entgelts, das die Versicherten nach einer Wiederaufnahme ihrer vor der Elternzeit verrichteten Tätigkeit voraussichtlich erzielt hätten, lässt sich zunächst nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG herleiten. Diese Norm unterstellt zwar Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, verpflichtet den Staat jedoch nicht, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern. Daher lassen sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG auch in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip keine konkreten Folgerungen dafür ableiten, wie in den einzelnen Rechtsgebieten und Teilsystemen ein Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg. Nr. 1), ohne dass aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen hergeleitet werden könnten (vgl. BVerfGE 107, 205, 213 = SozR 4-2500 § 10 Nr. 1).
Auch Art. 6 Abs. 4 GG scheidet als Grundlage für das Begehren der Klägerin aus. Unabhängig davon, ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus überhaupt Schutz gewährt, können aus ihr jedenfalls keine besonderen Rechte für Sachverhalte hergeleitet werden, die nicht allein Mütter betreffen. Davon abgesehen folgt auch aus dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG nicht, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen und dem Förderungsgebot ohne Rücksicht auf sonstige Belange nachzukommen (vgl. BSGE 100, 295 = SozR 4-4300 § 132 Nr. 1).
Ferner lässt sich auch ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht begründen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. etwa BVerfGE 110, 412, 431 m.w.N.). Die von der Klägerin behauptete Ungleichbehandlung von Müttern, bei denen der Versicherungsfall zu einer Zeit eintritt, in der sie einer Tätigkeit nachgehen, bei welcher die Arbeitszeit infolge Erziehungsurlaubs zwingend reduziert ist, im Vergleich zu Müttern, die Erziehungsurlaub nicht in Anspruch nehmen, liegt schon in tatsächlicher Hinsicht nicht vor. Denn bei einer Anwendung der §§ 82 bis 87 SGB VII, bei der für die Berechnung der Leistungen generell die Verhältnisse in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls zugrunde gelegt werden, werden alle Versicherten gleich behandelt. Insofern stellt sich eher die Frage, ob hier wesentlich ungleiche Personengruppen - einerseits Versicherte, die wegen ihres Erziehungsurlaubs nicht (mehr) die Möglichkeit zu einer Vollzeitbeschäftigung haben und dadurch einen Minderverdienst erzielen, andererseits Versicherte, die entsprechende Einschränkungen nicht (erzwungenermaßen) hinnehmen mussten - auch ungleich behandelt werden müssten, indem bei der ersten Personengruppe abweichend von der Regel auf Zeiträume außerhalb des grundsätzlich maßgebenden Zwölfmonatszeitraums zurückzugreifen ist. Dies aber ist unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht geboten.
Das Anliegen des Gesetzgebers, das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus weit zurückliegenden oder aber zukünftigen Beschäftigungszeiten als Grundlage für die Bestimmung der Höhe des JAV grundsätzlich auszuschließen, ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil typisierend davon ausgegangen werden kann, dass das im Zwölfmonatszeitraum vor dem Monat des Versicherungsfalls erzielte Erwerbseinkommen den sozialen Lebensstandard des Versicherten repräsentiert. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Verletztenrente eine Entschädigung besonderer Art ist. Sie setzt nicht voraus, dass durch den Versicherungsfall überhaupt ein messbarer wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Vielmehr gleicht sie einen möglichen Schaden aus. Nicht eine Minderung des Erwerbseinkommens, sondern die Minderung der Erwerbsfähigkeit soll entschädigt werden. Diese Beeinträchtigung wird nicht am Beruf des Versicherten, sondern an den Verhältnissen des allgemeinen Erwerbslebens gemessen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die andere Berechnungsgröße, der JAV, wird zwar grundsätzlich nach Maßgabe des § 82 Abs. 1 SGB VII nach dem tatsächlich vor dem Versicherungsfall erzielten Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen bestimmt, aber eben begrenzt auf das Erwerbseinkommen im Jahr vor dem Versicherungsfall, so dass als Renten- und damit als Schadensbemessungsfaktoren die Erwerbs- und Erwerbsfähigkeitsverhältnisse maßgebend sind, die unmittelbar vor dem Versicherungsfall bestanden; aus ihnen wird auf einen "abstrakten", in Zukunft gleichbleibenden Schaden geschlossen, während spätere Erwerbsmöglichkeiten außer Betracht bleiben (vgl. BSG SozR 2200 § 571 Nrn. 1 und 15; BSGE 51, 178, 180 = SozR 2200 § 571 Nr. 20). Vor diesem Hintergrund sind ausreichende Gründe dafür, ein wegen Kindererziehung vermindertes Arbeitsentgelt im Unterschied zu anderen Sachverhalten (etwa Verlust eines langjährig inne gehabten, gut bezahlten Arbeitsplatzes, Aufnahme einer neuen, erheblich schlechter entlohnten Tätigkeit, Eintritt des Versicherungsfalls in dieser Tätigkeit nach einem Jahr) von einer Berücksichtigung im maßgebenden Zwölfmonatszeitraum auszunehmen, nicht ersichtlich.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes lässt sich schließlich auch unter Berücksichtigung des die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einengenden Schutzauftrags aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht feststellen. Die Förderung der Betreuung und Erziehung von Kindern liegt im familien- und sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber, der sich im Rahmen seines Ermessens bei der Ausgestaltung von staatlichen Leistungen für eine familienpolitische Förderung durch Gewährung von Erziehungsgeld (bzw. Elterngeld) und Erziehungsurlaub (bzw. Elternzeit) entschieden hat, ist nicht dazu verpflichtet, diese Förderung auch im Zusammenhang mit anderen sozialrechtlichen Regelungen in gleicher Weise zur Geltung zu bringen (vgl. auch BVerfG NZA-RR 2005, 154, Nichtannahmebeschluss zu BSG SozR 4-4300 § 124 Nr. 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der für die Verletztenrente der Klägerin maßgebende Jahresarbeitsverdienst (JAV) neu festzusetzen ist.
Die 1965 geborene Klägerin war nach ihrer Ausbildung zur Krankenpflegerin ab dem 01.10.1989 als Krankenschwester tätig, in der Zeit vom 01.06.1990 bis zum 30.06.1991 und vom 01.02.1992 bis zum 31.03.1995 in Teilzeit. In der Zeit vom 22.07.1999 bis zum 27.10.1999 befand sie sich im Mutterschutz, hatte sodann vom 28.10.1999 bis zum 06.12.1999 ihren Jahresurlaub und bezog vom 07.12.1999 bis zum 31.01.2000 Erziehungsgeld. Für den Zeitraum vom 01.02.2000 bis zum 31.08.2002 vereinbarte sie mit ihrem Arbeitgeber eine befristete Teilzeittätigkeit (19,25 Stunden wöchentlich) im Rahmen des Erziehungsurlaubs. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie in der Zeit vom 01.04.2000 bis zum 31.03.2001 einschließlich Einmalzahlungen ein Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von 18.076,74 EUR. Am 06.04.2001 erlitt die Klägerin einen Bandscheibenvorfall und war in der Folgezeit arbeitsunfähig.
Mit Bescheid vom 25.05.2005 erkannte die Beklagte die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule der Klägerin als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) an und stellte den 07.04.2001 als Tag des Versicherungsfalls fest. Ab dem 04.02.2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. und legte der Rentenberechnung einen JAV in Höhe von 18.076,74 EUR zugrunde.
Gegen die Festsetzung des JAV erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, indem bei der Berechnung des JAV die Tätigkeit in der Elternteilzeit als Berechnungsgrundlage herangezogen werde, liege eine unverhältnismäßige Benachteiligung ihrer Familie. Wegen der fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren habe sie keine Alternative zur Beantragung von Erziehungsurlaub gesehen. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, dass allein aufgrund des Ausbruchs der BK während der Teilzeit diese zugrunde gelegt werde, zumal ihre Vollzeitbeschäftigung die BK begünstigt habe und eine erneute Vollzeitbeschäftigung schon zu Beginn der Teilzeit geplant gewesen sei. Daher sei bei der Festsetzung des JAV die Vollzeitbeschäftigung als Krankenschwester auf einer Intensivstation zu berücksichtigen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Festsetzung des JAV zurück und führte zur Begründung aus, mit Blick auf den am 07.04.2001 eingetretenen Versicherungsfall berechne sich der JAV gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) aus der Summe der in der Zeit vom 01.04.2000 bis 31.03.2001 erzielten Entgelte. Unter Berücksichtigung der Entgeltangaben des Arbeitgebers zu den laufenden Entgelten und der in diesem Zeitraum gewährten Einmalzahlung sei der JAV in Höhe von 18.076,74 EUR zugrunde zu legen. Dieser JAV sei nicht in erheblichem Maße unbillig. Die Klägerin habe bereits in der Zeit vor Eintritt der Elternzeit Teilzeittätigkeit verrichtet. Nach der Geburt der Tochter habe sie die Mutterschutzfrist sowie Elternzeit in Anspruch genommen. Schließlich habe sie dann am 01.02.2000 erneut eine befristete Teilzeittätigkeit aufgrund der Erziehung des Kindes aufgenommen. Eine Berücksichtigung von Teilzeit führe deswegen nicht zur unbilligen Härte, weil § 87 SGB VII lediglich atypische Fallkonstellationen erfassen wolle. Unter Berücksichtigung der Ausbildung, der Lebensstellung und der beruflichen Chronik sowie der Tätigkeit im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls habe sich keine entsprechende atypische Fallkonstellation erkennen lassen.
Dagegen hat die Klägerin am 01.09.2005 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und ausgeführt, ihre Lebensstellung sei insgesamt durch ihre Einkünfte aus einer Vollzeittätigkeit geprägt gewesen.
Die Beklagte hat vorgetragen, bei § 87 SGB VII handele es sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Hätte der Gesetzgeber das Auffüllen einer Einkommensminderung während der Inanspruchnahme der Elternzeit sozialpolitisch regeln wollen, hätte er dies gesetzlich formulieren können.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.12.2008 abgewiesen.
Gegen das ihr am 22.01.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18.02.2009 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, die Festsetzung des JAV sei in erheblichem Maße unbillig und daher korrekturbedürftig, weil der angesetzte JAV im Ergebnis der durch ihr Erwerbsleben bestimmten Einkommenssituation nicht entspreche. Zu Unrecht sei nicht berücksichtigt worden, dass sie während ihrer Berufstätigkeit ganz überwiegend eine Vollzeitstelle inne gehabt und sich hieran ihr Lebensstandard orientiert habe. Denn von insgesamt 18 Jahren und 1 Monat Beschäftigung in der Zeit vom 01.07.1984 bis zum 31.08.2002 habe sie lediglich 6 Jahre und 6 Monate eine Teilzeitbeschäftigung, die übrige Zeit dagegen eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt. Durch das aus Vollzeittätigkeit erzielte Einkommen sei mithin ihr Lebensstandard bestimmt worden. Überdies habe das Entgelt während der Zeiten, in denen sie weniger als Vollzeit gearbeitet habe, aufgrund der Nachtdiensttätigkeit im Wesentlichen dem entsprochen, welches sie während ihrer Vollzeitbeschäftigung erzielt habe. Insoweit sei ihr materieller Lebensstandard auch in den Zeiten der Teilzeittätigkeit der Höhe nach durch Einkünfte bestimmt worden, die denen aus Vollzeittätigkeit weitgehend entsprochen hätten. Damit berücksichtige der festgestellte JAV im Ergebnis nicht ihre überwiegende Einkommenssituation, auf die sie sich nahezu ausschließlich - mit eben der Ausnahme des Zeitraumes vom 01.02.2000 bis zum 31.08.2002 - habe einrichten können. Der Versicherungsfall sei zufällig und durch sie nicht beeinflussbar zu einem Zeitpunkt eingetreten, in dem sie sich im Rahmen des Erziehungsurlaubs in einer hierdurch zwangsweise befristeten Teilzeittätigkeit befunden habe. Angesichts des Eintritts des Versicherungsfalls im Zeitraum des für die Einkommenssituation nicht repräsentativen Zeitraums des Erziehungsurlaubs bedürfe es eines auch zeitlichen Korrektivs des JAV. Die Anwendung der §§ 82 ff. SGB VII widerspreche hier insbesondere auch den sozial- und familienpolitischen Zielen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Bemessungsgrundlage für den JAV starr den Zeitraum des Jahres vor Eintritt des Versicherungsfalles zu Grunde zu legen, der nicht der regelmäßigen Einkommenssituation entspreche, verstoße bei einer derartigen Konstellation gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen Art. 3 GG. Art. 6 GG unterstelle Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, der es gebiete, dass Ehe und Familie Förderung erfahren und die Betreuung und Erziehung von Kindern - die im sozialpolitischen, aber auch wirtschaftlichen Interesse der Allgemeinheit und des Staates lägen - nicht den Betroffenen zum Nachteil gereiche. Art. 3 Abs. 1 GG gebiete, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Vorliegend werde eine Gruppe von Normadressaten - hier: von Müttern in einer ihrer Lebenssituation vergleichbaren Situation, bei denen die Arbeitszeit infolge Erziehungsurlaubs zwingend (und nicht aufgrund freier Willensentscheidung) reduziert sei - anders behandelt als andere Normadressaten (hier: Mütter, die Erziehungsurlaub nicht in Anspruch nehmen). Offenbar habe der Gesetzgeber diesen Fall in der Vergangenheit nicht bedacht. Insoweit sei auch auf einen Entwurf der Unfallversicherungs-Projektgruppe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und die dort geplante Leistungsreform der gesetzlichen Unfallversicherung zu verweisen. Dort werde zu § 88 SGB VII des Entwurfs ausgeführt, durch diese Vorschrift solle verhindert werden, dass Versicherte einen Nachteil dadurch erleiden, dass ein Versicherungsfall in der Zeit eintritt, in der sie aufgrund einer Elternzeit kein oder nur ein vermindertes Einkommen haben.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.12.2008 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 zu verpflichten, die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, das Bundessozialgericht (BSG) habe auch für die Auslegung des dem § 87 SGB VII entsprechenden § 577 Reichsversicherungsordnung (RVO) den allgemeinen Grundsatz des Unfallversicherungsrechts zugrunde gelegt, dass für die Berechnung der Leistungen die Verhältnisse im Jahr vor dem Arbeitsunfall maßgebend seien. In den Vorjahren erzielte Entgelte oder nach dem Versicherungsfall zu erwartende höhere Entgelte seien nicht zu berücksichtigen. Minderungen des Arbeitseinkommens oder Arbeitsentgelts, die sich aus einer auf Dauer akzeptierten Senkung des Lebensstandards ergäben, würden nicht ausgeglichen. Mit Hilfe der in § 87 Satz 2 SGB VII genannten Kriterien dürften die in §§ 82, 84 bis 86 SGB VII geltenden Grundsätze nicht in Frage gestellt werden Der Grundsatz sei nur dann nicht maßgebend, wenn innerhalb des betreffenden Jahres beim Versicherten eine wesentliche Änderung der beruflichen Situation verbunden mit einer erheblichen Änderung seines Einkommens nicht nur vorübergehend eingetreten sei. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 25.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2005 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da diese Entscheidung rechtmäßig ist. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin im Hinblick auf den der Verletztenrente zugrunde gelegten JAV einen neuen Bescheid zu erteilen.
Berechnungsgrundlage für die der Klägerin aus Anlass der anerkannten BK dem Grunde nach unstreitig zustehende Verletztenrente ist - neben dem Grad der MdE - der JAV. Hierfür ist im Regelfall der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§§ 14, 15 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch [SGB IV]) des Versicherten in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, maßgebend (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Beklagte der Verletztenrente zutreffend einen JAV von 18.076,74 EUR zugrunde gelegt, weil dieser Betrag dem Brutto-Arbeitsentgelt entspricht, welches die Klägerin in der Zeit vom 01.04.2000 bis zum 31.03.2001 und damit in dem Zwölfmonatszeitraum vor dem Monat des Eintritts des Versicherungsfalls erzielt hat.
Diese Festsetzung ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in erheblichem Maße unbillig, so dass eine Bestimmung des JAV nach § 87 Satz 1 SGB VII nach billigem Ermessen im Rahmen des Mindest- und des Höchst-JAV (vgl. § 85 SGB VII) ausscheidet.
Die Wertung, ob der berechnete JAV "in erheblichem Maße unbillig" ist, hat das Gericht in vollem Umfang selbst vorzunehmen. Unbilligkeit im Sinne des § 87 Satz 1 SGB VII ist ein unbestimmter Rechtsbegriff; erst bei Vorliegen seiner Voraussetzungen hat der Versicherungsträger Ermessenserwägungen anzustellen (vgl. BSG SozR 2200 § 577 Nr. 9; BSG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 RU 15/92 = HV-Info 1993, 972; BSG SozR 4-2700 § 87 Nr. 1). Über das Vorliegen einer erheblichen Unbilligkeit in diesem Sinne kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden. Dabei sind die in § 87 Satz 2 SGB VII genannten Bewertungsgesichtspunkte (Fähigkeiten, Ausbildung, Lebensstellung und Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls) zu berücksichtigen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 577 Nr. 2).
Unter Würdigung der vom Gesetzgeber aufgeführten Bewertungsgesichtspunkte entspricht der von der Beklagten festgesetzte JAV in Höhe von 18.076,74 EUR nicht nur den Fähigkeiten, der Ausbildung und der Tätigkeit der Klägerin im Zeitpunkt des Versicherungsfalls (07.04.2001), sondern auch ihrer zu diesem Zeitpunkt erreichten "Lebensstellung". Eine Korrektur des JAV mit Blick auf die zuletzt bis zum 21.07.1999 ausgeübte Vollzeitbeschäftigung über die Regelung in § 87 SGB VII kommt damit entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass ihr Vorbringen, sie habe während ihrer Berufstätigkeit ganz überwiegend eine Vollzeitstelle inne gehabt und ihr Lebensstandard habe sich hieran orientiert, schon in tatsächlicher Hinsicht nur sehr bedingt zutrifft, weil sie jedenfalls in der Zeit nach Abschluss ihrer Ausbildung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls in einem Zeitraum von 65 Monaten und 21 Tagen (01.10.1989 bis 30.04.1990, 01.07.1991 bis 31.02.1992 und 01.04.1995 bis 21.07.1999) eine Vollzeitstelle inne gehabt hat, während sie in einem fast deckungsgleichen Zeitraum von 65 Monaten und 6 Tagen (01.06.1990 bis 30.06.1991, 01.02.1992 bis 31.03.1995 und 01.02.2000 bis 06.04.2001) einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen ist, widerspricht eine Berücksichtigung der Erwerbseinkünfte außerhalb des Zwölfmonatszeitraums sowohl der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII als auch der Regelung in § 87 Satz 2 SGB VII, wonach es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Versicherungsfalls ankommt. Die Festsetzung eines JAV nach billigem Ermessen gemäß § 87 Satz 1 SGB VII kommt damit von vornherein nicht in Betracht, wenn der nach den §§ 82 bis 86 SGB VII ermittelte JAV der Lebensstellung des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls entspricht (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 09.08.2004 - L 16 U 79/03; Keller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 87 Rz. 6). Dies gründet sich in folgenden Erwägungen:
§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sieht die Addition aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten im Jahre vor dem Versicherungsfall als JAV vor. Es wird also darauf abgestellt, welche Beträge der Versicherte im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall insgesamt an Entgelt oder Einkommen durch Arbeit erworben hat. Damit wird im Regelfall der zur Zeit des Versicherungsfalls erreichte Lebensstandard des Versicherten erfasst (vgl. BSG SozR 2200 § 571 Nr. 1; BSG SozR 2200 § 571 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 577 Nr. 9; Burchhardt in Becker/Burchhardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), § 82 Rz. 11; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl.2009, § 82 Rz. 4; Schudmann in: jurisPK-SGB VII, § 82 Rz. 22). Der Gesetzgeber geht mit anderen Worten typisierend davon aus, dass die Arbeitsentgelts- oder Einkommenssituation des Versicherten im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall im Wesentlichen den vor dem Unfall erreichten Lebensstandard wiedergibt. Damit aber ist eine Heranziehung von Arbeitsentgelten aus zurückliegenden Jahren auch im Rahmen des § 87 SGB VII nicht möglich. Denn § 87 SGB VII ergänzt nur die Vorschrift des § 82 SGB VII, ohne die dort getroffene grundsätzliche Regelung anzutasten (vgl. zu § 577 RVO: BSG SozR 2200 § 571 Nr. 1; BSGE 50, 264 = SozR 2200 § 571 Nr. 19). Ohnedies wäre aufgrund des Fehlens eines entsprechenden Anhaltspunktes im Gesetz auch völlig unklar, wie weit ein Rückgriff auf Erwerbseinkommen in vergangenen Zeiträumen zu erfolgen hätte (zurückliegende drei, fünf oder sieben Jahre vor dem Versicherungsfall, gar das gesamte Erwerbsleben?).
Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass das BSG bereits für die Auslegung des § 577 RVO, der Vorläuferregelung von § 87 SGB VII, den allgemeinen Grundsatz des Unfallversicherungsrechts zugrunde gelegt hat, dass für die Berechnung der Leistungen die Verhältnisse im Jahr vor dem Versicherungsunfall maßgebend sind (vgl. BSG SozR 2200 § 571 Nr. 1; BSGE 50, 264 = SozR 2200 § 571 Nr. 19; BSG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 RU 15/92 - HV-Info 1993, 972). In Vorjahren erzielte Entgelte oder nach dem Versicherungsfall zu erwartende höhere Entgelte sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, so dass ein zeitliches Korrektiv des JAV entgegen der Auffassung der Klägerin nicht geboten ist. Dieser Grundsatz kommt nur dann nicht zum Tragen, wenn innerhalb des maßgeblichen Jahres beim Versicherten eine wesentliche Änderung der beruflichen Situation verbunden mit einer erheblichen Änderung des Arbeitseinkommens eingetreten ist. Dies aber ist bei der Klägerin, die bereits seit dem 01.02.2000 ihre Teilzeittätigkeit im Rahmen ihres Erziehungsurlaubs ausübte, mit Blick auf den hier maßgeblichen Jahreszeitraum vom 01.04.2000 bis zum 31.03.2001 nicht der Fall.
Die Auslegung des § 577 RVO durch das BSG hat den Gesetzgeber auch nicht veranlasst, den § 87 SGB VII abweichend zu regeln, vielmehr ist zur Einführung dieser Vorschrift durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 07.08.1996 zum 01.01.1997 in der amtlichen Begründung ausgeführt worden, die Vorschrift über die Festsetzung des JAV nach billigem Ermessen entspreche geltendem Recht (BT-Drucks. 13/2204, S. 96). Insofern kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Auslegung des § 577 RVO durch das BSG auch unter der Geltung von § 87 SGB VII noch Gültigkeit beansprucht (vgl. Dahm, in: Lauterbach, SGB VII, § 87 Rz. 4).
Dass der Eintritt des Versicherungsfalls während einer Elternzeit und einer damit verbundenen Verminderung des Erwerbseinkommens nicht ohne weiteres zur Unbilligkeit der JAV-Festsetzung im Sinne von § 87 Satz 1 SGB VII führt, wird mittelbar auch daran deutlich, dass nach dem von der Klägerin in Bezug genommenen Arbeitsentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Leistungsreform der gesetzlichen Unfallversicherung eine Neuregelung in § 88 SGB VII angedacht war, nach der die Möglichkeit einer Korrektur des JAV im Sinne der Klägerin möglich gewesen wäre. Würde diese Fallkonstellation bereits nach geltendem Recht von § 87 SGB VII erfasst, bedürfte es einer entsprechenden Neuregelung nicht. Die geplante Regelung ist aber weder gesetzlich verankert worden noch überhaupt in einen Gesetzentwurf gelangt, sondern vielmehr ein bloßer Arbeitsentwurf geblieben, so dass die Klägerin hieraus de lege lata nichts herleiten kann.
Entgegen der Mutmaßung der Klägerin kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe den Fall des Eintritts des Versicherungsfalls während der Elternzeit bislang schlichtweg nicht bedacht. Denn die Problemstellung, dass sich ein in der Elternzeit vermindertes Arbeitsentgelt auf die Höhe einer Sozialleistung auszuwirken vermag, war dem Gesetzgeber durchaus bekannt. So hat er beispielsweise für den Bereich der Arbeitsförderung in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) geregelt, dass bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums solche Zeiten außer Betracht bleiben, in denen der Arbeitslose Elterngeld oder Erziehungsgeld bezogen hat. Diese Regelung, die entsprechend bereits in § 112 Abs. 2 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) enthalten war, schützt den Arbeitnehmer, der während des Bezugs von Erziehungs- oder Elterngeld einer Beschäftigung nachgeht, vor den nachteiligen Folgen bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes, wenn er wegen der Betreuung eines Kindes ein geringeres Arbeitsentgelt erzielt oder den zeitlichen Umfang seiner Beschäftigung reduziert hat.
Dass vorliegend bei der Ermittlung des JAV nicht das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wird, das die Klägerin zuletzt im Rahmen ihrer Vollzeitbeschäftigung erzielt hat bzw. - ohne den Versicherungsfall - nach Ende der Elternzeit gegebenenfalls wieder hätte erzielen können, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei Versicherten, die den Versicherungsfall während der Elternzeit erleiden, den JAV nicht - wie im Regelfall - nach den Verhältnissen im Jahr vor dem Versicherungsunfall zu bestimmen, sondern entweder anhand des vor der Kindererziehung erzielten Arbeitsentgelts oder desjenigen Entgelts, das die Versicherten nach einer Wiederaufnahme ihrer vor der Elternzeit verrichteten Tätigkeit voraussichtlich erzielt hätten, lässt sich zunächst nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG herleiten. Diese Norm unterstellt zwar Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, verpflichtet den Staat jedoch nicht, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern. Daher lassen sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG auch in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip keine konkreten Folgerungen dafür ableiten, wie in den einzelnen Rechtsgebieten und Teilsystemen ein Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 Allg. Nr. 1), ohne dass aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen hergeleitet werden könnten (vgl. BVerfGE 107, 205, 213 = SozR 4-2500 § 10 Nr. 1).
Auch Art. 6 Abs. 4 GG scheidet als Grundlage für das Begehren der Klägerin aus. Unabhängig davon, ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus überhaupt Schutz gewährt, können aus ihr jedenfalls keine besonderen Rechte für Sachverhalte hergeleitet werden, die nicht allein Mütter betreffen. Davon abgesehen folgt auch aus dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG nicht, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen und dem Förderungsgebot ohne Rücksicht auf sonstige Belange nachzukommen (vgl. BSGE 100, 295 = SozR 4-4300 § 132 Nr. 1).
Ferner lässt sich auch ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht begründen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. etwa BVerfGE 110, 412, 431 m.w.N.). Die von der Klägerin behauptete Ungleichbehandlung von Müttern, bei denen der Versicherungsfall zu einer Zeit eintritt, in der sie einer Tätigkeit nachgehen, bei welcher die Arbeitszeit infolge Erziehungsurlaubs zwingend reduziert ist, im Vergleich zu Müttern, die Erziehungsurlaub nicht in Anspruch nehmen, liegt schon in tatsächlicher Hinsicht nicht vor. Denn bei einer Anwendung der §§ 82 bis 87 SGB VII, bei der für die Berechnung der Leistungen generell die Verhältnisse in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls zugrunde gelegt werden, werden alle Versicherten gleich behandelt. Insofern stellt sich eher die Frage, ob hier wesentlich ungleiche Personengruppen - einerseits Versicherte, die wegen ihres Erziehungsurlaubs nicht (mehr) die Möglichkeit zu einer Vollzeitbeschäftigung haben und dadurch einen Minderverdienst erzielen, andererseits Versicherte, die entsprechende Einschränkungen nicht (erzwungenermaßen) hinnehmen mussten - auch ungleich behandelt werden müssten, indem bei der ersten Personengruppe abweichend von der Regel auf Zeiträume außerhalb des grundsätzlich maßgebenden Zwölfmonatszeitraums zurückzugreifen ist. Dies aber ist unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht geboten.
Das Anliegen des Gesetzgebers, das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus weit zurückliegenden oder aber zukünftigen Beschäftigungszeiten als Grundlage für die Bestimmung der Höhe des JAV grundsätzlich auszuschließen, ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil typisierend davon ausgegangen werden kann, dass das im Zwölfmonatszeitraum vor dem Monat des Versicherungsfalls erzielte Erwerbseinkommen den sozialen Lebensstandard des Versicherten repräsentiert. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Verletztenrente eine Entschädigung besonderer Art ist. Sie setzt nicht voraus, dass durch den Versicherungsfall überhaupt ein messbarer wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Vielmehr gleicht sie einen möglichen Schaden aus. Nicht eine Minderung des Erwerbseinkommens, sondern die Minderung der Erwerbsfähigkeit soll entschädigt werden. Diese Beeinträchtigung wird nicht am Beruf des Versicherten, sondern an den Verhältnissen des allgemeinen Erwerbslebens gemessen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die andere Berechnungsgröße, der JAV, wird zwar grundsätzlich nach Maßgabe des § 82 Abs. 1 SGB VII nach dem tatsächlich vor dem Versicherungsfall erzielten Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen bestimmt, aber eben begrenzt auf das Erwerbseinkommen im Jahr vor dem Versicherungsfall, so dass als Renten- und damit als Schadensbemessungsfaktoren die Erwerbs- und Erwerbsfähigkeitsverhältnisse maßgebend sind, die unmittelbar vor dem Versicherungsfall bestanden; aus ihnen wird auf einen "abstrakten", in Zukunft gleichbleibenden Schaden geschlossen, während spätere Erwerbsmöglichkeiten außer Betracht bleiben (vgl. BSG SozR 2200 § 571 Nrn. 1 und 15; BSGE 51, 178, 180 = SozR 2200 § 571 Nr. 20). Vor diesem Hintergrund sind ausreichende Gründe dafür, ein wegen Kindererziehung vermindertes Arbeitsentgelt im Unterschied zu anderen Sachverhalten (etwa Verlust eines langjährig inne gehabten, gut bezahlten Arbeitsplatzes, Aufnahme einer neuen, erheblich schlechter entlohnten Tätigkeit, Eintritt des Versicherungsfalls in dieser Tätigkeit nach einem Jahr) von einer Berücksichtigung im maßgebenden Zwölfmonatszeitraum auszunehmen, nicht ersichtlich.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes lässt sich schließlich auch unter Berücksichtigung des die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einengenden Schutzauftrags aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht feststellen. Die Förderung der Betreuung und Erziehung von Kindern liegt im familien- und sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber, der sich im Rahmen seines Ermessens bei der Ausgestaltung von staatlichen Leistungen für eine familienpolitische Förderung durch Gewährung von Erziehungsgeld (bzw. Elterngeld) und Erziehungsurlaub (bzw. Elternzeit) entschieden hat, ist nicht dazu verpflichtet, diese Förderung auch im Zusammenhang mit anderen sozialrechtlichen Regelungen in gleicher Weise zur Geltung zu bringen (vgl. auch BVerfG NZA-RR 2005, 154, Nichtannahmebeschluss zu BSG SozR 4-4300 § 124 Nr. 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved