L 8 U 765/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3777/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 765/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Januar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 13.04.2008 verstorbenen Ehemannes, des Versicherten, im Wege eines Zugunsten-Verfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X Verletztenrente vom 01.01.2005 bis 30.04.2008 aufgrund des am 02.11.1994 erlittenen Arbeitsunfalls ihres Ehemannes zusteht.

Der 1940 geborene Versicherte erlitt auf dem Weg zur Arbeit am 02.11.1994 mit seinem Pkw einen Auffahrunfall, bei dem er sich eine Halswirbelsäulen(HWS)-Distorsion und Densfraktur (Fraktur des Fortzsatzes des 2. Halswirbelkörpers) zuzog. Die nur minimal dislozierte Densfraktur ohne Nachweis einer spezifischen neurologischen Symptomatik wurde konservativ behandelt, wobei 5 Tage eine starre Halskrause und nachfolgend für 6 Wochen eine individuell angepasste Halskrause verordnet wurde. Die Fraktur zeigte sich nach Ende der Behandlung knöchern durchbaut, Zeichen einer Instabilität der HWS waren nicht vorhanden. Am 03.04.1995 wurde die ambulante Behandlung beendet und endete die seit dem Unfalltag bestehende Arbeitsunfähigkeit. Die behandelnden Ärzte schätzten die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf weniger als 20 v.H. Im Mai 1995 wurde Krankengymnastik verordnet, weil der Versicherte über bei Linkswendung gelegentlich auslösbaren Schwindel, eher rückläufig, und rezidivierende Kopfschmerzen klagte. Weiteres wurde von der Beklagten nicht veranlasst.

Der Versicherte beantragte am 14.03.2001 Verletztenrente. Die Beklagte holte das orthopädische Gutachten vom 19.06.2001 ein, in dem der Gutachter Dr. J. die unfallbedingte MdE auf 10 v.H. einschätzte. Degenerative Veränderungen im mittleren und unteren Abschnitt der HWS, die zu Beschwerden führten, sowie ein unklarer Schwindel stünden in keinem Unfallzusammenhang. Am 14.02.1995 habe eine freie HWS-Beweglichkeit bestanden, der lange Zeitraum zwischen wieder eingetretener Arbeitsfähigkeit und den im Oktober 2000 aufgetretenen Beschwerden machten bei fehlender Symptomatik einen Zusammenhang wenig wahrscheinlich. Hierauf gestützt stellte die Beklagte mit Bescheid vom 12.07.2001 als Unfallfolgen einen "Teil der Bewegungseinschränkung der HWS sowie röntgenologische nachweisbare Veränderungen im ehemaligen Bruchbereich des knöchern fest verheilten Zahnfortzsatzes des zweiten Halswirbelkörpers ohne Beeinträchtigung des Rückenmarks" fest und lehnte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Die Anfang 2001 aufgetretene Synkope mit Bewusstseinsverlust und Schwindel beruhe auf einer unfallunabhängigen Hirnstammmangeldurchblutung. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2001 zurückgewiesen.

Im Rahmen des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Mannheim (S 2 U 156/02 und nach Wiederanruf S 2 U 326/04) wurde u.a. das für die H. Versicherung erstattete unfallchirurgische Gutachten von Dr. K. vom 20.03.1998 vorgelegt, von Amts wegen das neurologische Gutachten vom 22.02.2003, in dem Prof. Dr. M. den Unfallzusammenhang der geltend gemachten subjektiven Beschwerden verneinte, und nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das HNO-ärztliche Gutachten vom 04.05.2004 mit Ergänzungen vom 23.11.2004, 08.12.2004 und 12.04.2005 eingeholt, in welchem der Sachverständige Prof. Dr. H. eine vertebragene Gleichgewichtsstörung als Unfallfolge einstufte. Die synkopalen Anfälle seien auf die angiographisch diagnostizierten Gefäßveränderungen und nicht auf das Unfalltrauma zurückzuführen. Die unfallbedingte MdE betrage 20 v.H ... Mit Urteil vom 29.03.2007 änderte das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide der Beklagten ab und stellte als weitere Folge des Arbeitsunfalls Schwindel fest. Im übrigen wies es die Klage ab. Gegen das Urteil legten beide Beteiligte Berufung ein, der Versicherte mit dem Begehren, Verletztenrente zu erhalten, die Beklagte mit dem Begehren, dass die Klage vollends abgewiesen wird. Nach dem Tod des Versicherten verfolgte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin das Berufungsverfahren weiter. Mit Urteil vom 18.11.2008 (L 9 U 3902/07) wies das Landessozialgericht unter Stattgabe der Berufung der Beklagten die Klage insgesamt ab und wies die Berufung der Klägerin zurück. Die hiergegen von der Klägerin zum Bundessozialgericht erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (B 2 U 344/08 B) wurde zurückgenommen.

Am 04.06.2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Neubescheidung nach § 44 SGB X. Schwindelerscheinungen des Ehemannes seien als Unfallfolge festzustellen und Verletztenrente sei entsprechend den Bewertungen von Prof. Dr. H. im zeitlichen Rahmen nach § 44 SGB X zu bezahlen. Dem Landessozialgericht habe die Sachkunde für die von ihm vorgenommene Beweiswürdigung gefehlt, mit der sich das Gericht über die Feststellungen von Prof. Dr. H. hinweggesetzt habe. Erkenntnisse aus den Akten seien unberücksichtigt geblieben.

Mit Bescheid vom 23.07.2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Aus dem Antragsschreiben ergäben sich keine neuen Erkenntnisse, insbesondere würden keine neuen Befunde vorgelegt, die zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts führen könnten. Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2009 zurückgewiesen.

Die Klägerin erhob am 09.11.2009 Klage zum Sozialgericht Mannheim mit der Begründung, der Sachverständige Prof. Dr. H. habe seine Einschätzung sachkundig unter Hinweis auf die anerkannten Richtlinien begründet. Die Art der Beweiserhebung und -verwertung durch das Sozialgericht und das Landessozialgericht sei prozessual unzulässig. Nach Anhörung der Beteiligten wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2010 die Klage ab.

Gegen den ihr am 13.01.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15.02.2010 (Montag) Berufung eingelegt. Sie macht geltend, das Sozialgericht habe nicht durch Gerichtsbescheid entscheiden dürfen, da der Rechtsstreit sowohl tatsächliche als auch rechtliche Schwierigkeiten aufweise. Die gerichtlichen Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts im Vorverfahren setzten sich nicht ausreichend mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. auseinander. Auch im Verfahren nach § 44 SGB X habe das Sozialgericht sich nicht annähernd ausreichend mit den Ausführungen von Prof. Dr. H. befasst und auseinandergesetzt. Zum Beweis dafür, dass Prof. Dr. H. im erstinstanzlichen Verfahren nicht telefonisch von seiner MdE-Einschätzung abgerückt sei, wovon im Urteil vom 29.03.2007 die Rede sei, berufe sie sich auf das Zeugnis von Prof. Dr. H ... Soweit im SG-Urteil vom 29.03.2007 Rückschlüsse aus der Tatsache gezogen werden, dass ihr Ehemann trotz der angegebenen Schwindelerscheinungen weiter als Tankwagenfahrer gearbeitet habe, werde außer Acht gelassen, dass nach Angaben des Arbeitgebers und der Kollegen der Ehemann sich während der Arbeit öfters habe hinsetzen und beim Laufen Ausgleichschritte habe machen müssen. Eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung habe nicht stattgefunden. Der 9. Senat des LSG habe im Urteil vom 18.11.2008 sich ohne eigene Sachkunde über das Gutachten von Dr. H. hinweggesetzt. Die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts enthielten gravierend widersprüchliche tatsächliche Feststellungen und Würdigungen, weshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe auch nicht habe abgesehen werden können. Eine erneute Überprüfung des vorausgegangenen Verfahrens nach § 44 SGB X sei entgegen der Auffassung der Beklagten nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift vorzunehmen, wenn von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei.

Die Klägerin beantragt zuletzt - sachdienlich gefasst -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 11.01.2010 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 23.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2009 abzuändern sowie die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 12.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2001 teilweise zurückzunehmen und Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ihres verstorbenen Ehemannes nach einer MdE um 20 v.H. für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.04.2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid. Nach § 44 SGB X sei der bestandskräftige Bescheid vom 12.07.2001 nicht zurückzunehmen, denn ein Nachweis dafür, dass der dem Bescheid zu Grunde liegende Sachverhalt unrichtig gewesen sei, sei nicht erbracht. Die wiederholte Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. Dr. H. helfe nicht weiter. Die darin vorgenommene Wertung bzw. Beurteilung sei kein unrichtiger Sachverhalt im Sinne der Vorschrift. Der Sachverhalt als Basis der Kausalitätsbeurteilung und rechtlichen Bewertung sei unverändert geblieben, weitere Tatsachen seien nicht vorgetragen worden. Gerügte Verfahrensmängel der vorangegangenen sozialgerichtlichen Verfahren seien für das Verfahren nach § 44 SGB X unbeachtlich. Die aufgeworfene Frage zur Aktivlegitimation der Klägerin sei berechtigt. Zum Todeszeitpunkt des Versicherten hätten keine fälligen Ansprüche bestanden. Die Auslegung von § 59 Satz 2 SGB I sei allerdings umstritten.

Die Sach- und Rechtslage ist im nicht-öffentlichen Termin am 30.07.2010 mit den Beteiligten erörtert worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 04.10.2010, Schriftsatz der Beklagten vom 15.10.2010).

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des Sozialgerichts (einschließlich der Akten des vorausgegangenen Verfahrens S 2 U 156/02 und S 2 U 326/04) und die Akte des 9. Senats des LSG (L 9 U 3902/07) beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft und insgesamt zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 23.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2009 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids vom 12.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2001 und auf Gewährung einer Verletztenrente für die Vergangenheit.

Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 3-2600 § 243 Nr 8 S 27 f; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 23 S 119 f;).

Aus den Entscheidungen des 9. und des 4. Senats des BSG (BSG vom 3. Februar 1988 - 9/9a RV 18/86 - BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33 und BSG vom 3. April 2004 - B 4 RA 22/00 R - BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20), die in Anlehnung an die gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (vgl §§ 578 ff der Zivilprozessordnung) oder an § 51 VwVfG ein abgestuftes Prüfungsverfahren (Vorlage neuer Tatsachen oder Erkenntnisse - Prüfung derselben, insbesondere ob sie erheblich sind - Prüfung, ob Rücknahme zu erfolgen hat - neue Entscheidung) fordern, folgt nichts Anderes. Unabhängig von der Frage, inwieweit der aufgezeigten Rechtsprechung zu einem abgestuften Prüfungsverfahren gefolgt werden kann, ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zwei Alternativen anführt, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden sein, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel und ein abgestuftes Verfahren, wie oben dargestellt, ankommen. Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten des Versicherten zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).

Nach diesen Grundsätzen ist die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes auch noch nach dessen Tod befugt, einen Antrag nach § 44 SGB X i.V.m. § 59 Satz 2 SGB I zu stellen, soweit zuletzt damit nur noch eine rechtswidrig abgelehnte Geldleistung als Sozialleistung geltend gemacht wird (st. Rspr., vgl. BSGE SozR 1200 § 59 Nr. 4 und 5, SozR 1300 § 44 Nrn. 4 und 15; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X Rn. 23). Ob für die im Rahmen des Verpflichtungsantrags nach § 44 SGB X auch ursprünglich verfolgte Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge hinsichtlich der Ausschlussregelung nach § 59 Satz 1 SGB I eine Klagebefugnis für die Geltendmachung eines höchstpersönlichen Rechts des Versicherten bestanden hatte, kann dahinstehen, weil die Klägerin mit Schriftsatz vom 04.10.2010 insoweit die Klage zurückgenommen hat.

Das noch streitgegenständliche zulässige Klagebegehren ist dagegen unbegründet, denn die Voraussetzungen für eine Zugunstenentscheidung nach § 44 SGB X liegen nicht vor. Die Klägerin rügt unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H., dass die Beklagte bei Ablehnung der Verletztenrente von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei. Zur Überzeugung des Senats lässt sich diese Feststellung jedoch nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit treffen. Die Beurteilung eines unrichtigen Sachverhalts ist nicht nachgewiesen.

Professor Dr. H. hat die vom Versicherten geklagte subjektive Schwindelsymptomatik als vertebragene Gleichgewichtsstörung diagnostiziert und als Unfallfolge bewertet, die seit dem Unfall bestehe. Dagegen sei die deutliche Einengung im oberen Anteil der Arteria vertebralis, die die synkopalen Anfälle erkläre, anlagebedingt und nicht unfallabhängig (ergänzende Stellungnahme vom 23.11.2004). Seiner Bewertung legte Prof. Dr. H. die subjektive Beschwerdeschilderung des Versicherten zu Grunde, denn die Bewertung der MdE könne nur nach den anamnestischen Angaben des Versicherten und nach den Angaben in der Aktenlage zu den Schwindelbeschwerden erfolgen (ergänzende Stellungnahme vom 08.12.2004). Auf dieser Grundlage ging Prof. Dr. H. in seinem Gutachten davon aus, dass nach Angaben des Versicherten nach Abnahme der Halskrause eine deutliche Unsicherheit, die sich besonders beim Gehen bemerkbar gemacht habe, aufgetreten sei, und ein Taumeligkeitsgefühl und ein Schwanken empfunden worden sei, das durch Kopfbewegung verstärkt worden sei. Diese Beschwerden hätten seit dem Unfall unverändert bis zum Tag der Untersuchung am 02.03.2004 bestanden (Gutachten vom 04.05.2004).

Der Senat folgt der medizinischen Bewertung des Sachverständigen, der für die Diagnose und die Intensität der beeinträchtigenden Beschwerdesymptomatik auf die Angaben des Versicherten abstellt. Es ist nachvollziehbar, dass die Intensität der Beeinträchtigung, vergleichbar mit der Intensität von Schmerzempfinden, nicht allein durch medizinische Untersuchungsmethode objektiviert werden kann. Soweit Prof. Dr. H. sich daher auf die Angaben des Versicherten zur Ausprägung der Schwindelsymptomatik stützt und dies mit den von ihm erhobenen Befunden der medizinisch standardisierten Gleichgewichtsprüfungen für vereinbar erachtet, ist dies die medizinische Bewertung der aktuellen Beschwerdesymptomatik aufgrund der spezifischen Sachkunde des Sachverständigen. Die Beurteilung, inwieweit die weiteren Angaben des Versicherten zutreffen, betrifft hingegen die Glaubhaftigkeit von Vorbringen, was als Rechtsfrage dem Senat obliegt. Entgegen der von Prof. Dr. H. unterstellten Glaubhaftigkeit der Angaben über durchgehend und seit dem Unfall gleichbleibende Schwindelbeschwerden ist dies nach den dokumentierten ärztlichen Befunden und den darin enthaltenen eigenen Beschwerdeangaben des Versicherten nicht hinreichend wahrscheinlich und damit glaubhaft.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach dem Unfall zwar in verschiedenen Arztberichten Schwindelerscheinungen dokumentiert sind, die aber entweder einen geringeren Ausprägungsgrad als der bei der Untersuchung durch Professor Dr. H. erhobene Schwindel oder keinen konkreten Ausprägungsgrad erkennen lassen, insbesondere ist über ein Unsicherheitsgefühl hinausgehend keine Gangunsicherheit dokumentiert. Es bestanden Nackenschmerzen und Schwindel (Zwischenbericht Universitätsklinik H. vom 27.02.1995), Schwindel bei schnellen Kopfbewegungen (Bericht der neurologischen Universitätsklinik H. vom 31.03.1995, zit. nach Prof. Dr. M., Gutachten vom 22.02.2003), anamnestisch berichtete rezidivierende Schwindelattacken bei Blickwendungen und Kopfdrehung (Befundbericht von Dr. R. vom 04.02.1996 über EKG-Untersuchung), Schwindelgefühle bei Blickwendung und Kopfdrehung (Attest von Dr. K. vom 24.08.1996), Schwindelerscheinungen beim "Reklinieren" des Kopfes bzw. wenn der Kopf in den Nacken gelegt werde (Gutachten für die H.-Versicherung von Dr. K. vom 20.03.1998). Die behandelnde Hausärztin Dr. K. konnte in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 27.10.2007 sich noch daran erinnern, dass der Versicherte von 1996 bis 2000 immer wieder über Schwindel geklagt habe, eine Behandlung hat sie nicht durchgeführt. Eine solche ist auch nicht für den Zeitraum vor 2001 dokumentiert.

Abgesehen davon, dass der Versicherte bei Untersuchungen im März 1995 in der Neurologischen Universitätsklinik H. und im Mai 1995 in der Chirurgische Universitätsklinik H. die Schwindelerscheinungen als eher rückläufig bezeichnete, ist die Ausprägung der Schwindelerscheinungen in der von Prof. Dr. H. beschriebenen Form in den beigezogenen Akten hingegen ärztlich erstmals ab 2001 dokumentiert. Es wird ein Schwankschwindel für einige Sekunden (Arztbrief der HNO-Universitätsklinik H. vom 25.07.2001), Schwindelerscheinungen bei bestimmten Kopfhaltungen mit dem Erfordernis gleichgewichtsstabilisierenden Wechselschritt einlegen zu müssen (Gutachten Dr. J. vom 19.06.2001) und ein Unsicherheitsgefühl für ein bis zwei Minuten (vgl. Gutachten von Prof. Dr. H. vom 04.05.2004) angegeben. Danach ist eine Zunahme der Intensität der Schwindelerscheinungen - wenn zu Gunsten der Klägerin vom Fortbestehen der anfänglich geltend gemachten unfallbedingten Schwindel ausgegangen wird - der dokumentierten ärztlichen Befundlage zu entnehmen. Der Hinweis der Klägerin auf die vorgelegte Erklärung des Arbeitgebers und der Arbeitskollegen (Erklärung vom 26.04.2002) vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Zum einen ist die Beurteilung medizinischer Laien über die Symptomatik von Schwindelerscheinungen bei anderen Personen unsicher, da die beobachteten Umstände, dass der Versicherte sich häufig hinsetzen musste oder Ausgleichschritte machen musste, auch anderweitig bedingt sein konnten. Und zum anderen ist der Erklärung nicht zu entnehmen, dass diese Beobachtungen bereits unmittelbar nach dem Unfall gemacht werden konnten und außer dem vom Versicherten seither berichteten Schwindelgefühl diese Schwindelsymptomatik nicht erst in den letzten Jahren vorgelegen hatte.

Mit einem sich allmählich verstärkenden Schwindel, der als allgemeines Gefühl der Unsicherheit zu Gunsten der Klägerin als Traumafolge nach der Einschätzung von Prof. Dr. H. unterstellt wird, ist das von Prof. Dr. H. beschriebene unfallunabhängige Krankheitsbild der angiographisch bestätigten Hypoplasie der Arteria vertebralis in Einklang zu bringen. Hierbei handelt es sich nach Prof. Dr. H. um eine seit der Geburt bestehende Störung, die in der Regel erst ab der vierten Lebensdekade mit den zunehmenden Altersveränderungen die bis dahin klinisch voll kompensierte Gefäßveränderung klinisch relevant werden lässt. Aufgrund dieser fortschreitenden degenerativen Gefäßveränderung ist es nach Prof. Dr. H. zu den synkopalen Ausfällen gekommen, die auch nach Prof. Dr. H. nicht im Zusammenhang mit dem Unfall stehen (ergänzende Stellungnahme vom 23.11.2004). Zu berücksichtigen ist aber, worauf auch Prof. Dr. H. hinweist (vgl. ergänzende Stellungnahme vom 08.12.2004), dass beide Krankheitsbilder, nämlich die zervikale Gleichgewichtsstörung wie auch die Hypoplasie der Arteria vertebralis, subjektive Schwindelbeschwerden hervorrufen können. Dass die vorher latent vorhandene, aber noch klinisch stumme Hypoplasie klinisch akut wurde, ist von Prof. Dr. H. mit den beiden synkopalen Anfällen dargelegt worden. Ebenso ist dargelegt, dass gleichartige Schwindelbeschwerden durch beide Krankheitsbilder verursacht sein können. Folgt man daher den Ausführungen des Sachverständigen unter Berücksichtigung, dass entgegen seiner Einschätzung eine Verschlechterung der Schwindelsymptomatik vorgelegen hatte, ist die vom Sachverständigen Prof. Dr. H. beschriebene Intensität des Schwindels dem durch die unfallunabhängige Erkrankung verursachten unversicherten "Nachschaden" zuzuschreiben und nicht dem unfallbedingten Trauma.

Ob Schwindelerscheinungen tatsächlich als Unfallfolgen festzustellen sind, was der 9. Senat im Urteil vom 18.11.2008 verneint hat, mag unter diesen Bedingungen dahinstehen. Der von Prof. Dr. H. beschriebene Zusammenhang einer Schwindelsymptomatik als indirekte Unfallfolge durch das lange Tragen einer Halskrause einmal als zutreffend unterstellt, rechtfertigt keine MdE um mehr als 10 v.H. Ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hatte danach nicht bestanden.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 SGB VII ).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Die Bemessung der MdE ist die Feststellung von Tatsachen, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 mwN). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG aaO; zuletzt BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

Ausgangspunkt der MdE-Beurteilung sind die Erfahrungsgrundsätze nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 318 ff), auf die die Beteiligten im Rahmen des Erörterungstermins am 30.07.2010 hingewiesen worden sind. Danach ist für die Beurteilung der Schwindelsymptomatik einerseits ausschlaggebend, bei welchem Belastungsgrad welche Schwindelerscheinungen nach welcher Intensitätsstufe auftreten. Nach den oben dargelegten Befunden ist dem - zu Gunsten der Klägerin unterstellten traumabedingten - Schwindel die Belastungstufe 3 bzw. 4 zuzuordnen, zu denen vermeidbare Belastungen (wozu nach Auffassung des Senats extreme Kopfhaltungen gehören, z.B. Kopf im Nacken liegend) oder sogar ungewöhnliche oder absolut vermeidbare Belastungen, wie rasche Körperbewegungen (hier schnelles Kopfdrehen) gehören. Daraus resultieren nach den aktenkundigen, vor 2001 erstellten ärztlichen Befundberichten Schwindelerscheinungen allenfalls in der Intensitätsstufe 0 oder 1 der Tabelle der genannten unfallmedizinischen Erfahrungssätze. Ein Gefühl der Unsicherheit entspricht der Intensitätsstufe 0; leichte Unsicherheit und oder geringe Schwindelbeschwerden entspricht der Intensitätsstufe 1. Daraus resultiert eine MdE von unter 10 v.H. bis allenfalls 10 v.H. (vgl. Tab. C in Schönberger u.a., a.a.O.). Dass weitergehende Schwindelbeschwerden bereits vor 2001 vorlagen, hat die Klägerin auch im Erörterungstermin des Senats nicht substantiiert vorgetragen. Ebenso wenig sind Anknüpfungspunkte für erfolgversprechende Ermittlungen diesbezüglich dargelegt worden. Solche sind auch nicht ersichtlich. Der Senat hat insoweit auch keinen Anlass für weitere Ermittlungen gesehen.

Die Unfallfolgen insgesamt bedingen auch keine MdE von wenigstens 20 v.H. Neurologisch lagen beim Versicherten keine traumabedingten Ausfallerscheinungen vor, wie das neurologische Gutachten von Prof. Dr. M. vom 22.02.2003 ergeben hat. Aus orthopädischer Sicht war von Dr. K. die unfallbedingte MdE mit 10 v.H. eingeschätzt worden (Gutachten vom 20.03.1998), wobei er auch die von ihm als unfallbedingt beurteilten Schwindelerscheinungen in der vom Senat angenommenen Ausprägung berücksichtigt hat. Letztlich ergibt sich auch aus der orthopädischen Beurteilung von Dr. J. in seinem Gutachten vom 19.06.2001 keine rentenrelevante MdE von mindestens 20 v.H. für die von ihm als Unfallfolgen berücksichtigte Teilbewegungseinschränkung und einen Teil des zervikalen und muskulären Reizsyndroms nach der stabil verheilten Densfraktur ohne wesentliche Achsabweichung und ohne Beeinträchtigung des Myelons. Ungeachtet dessen, dass die Bewegungseinschränkung und die Reizsymptomatik nicht von der beschriebenen Symptomatik der unfallunabhängigen, degenerativen Veränderungen der HWS im mittleren und unteren Abschnitt mit dorsaler Bandscheibenprotrusion bei C 6/7 hinreichend abgrenzbar war und angesichts der im Vergleich zu den degenerativen Veränderungen deutlich geringeren und daher vernachlässigbaren Beeinträchtigungen eine MdE-Einschätzung aus rechtlicher Sicht für orthopädisch zu bewertende Unfallfolgen daher gar nicht hätte erfolgen können, ist der - von Dr. J. als unklar bezeichnete und daher von ihm nicht bewertete - Schwindel mit einer (Teil-)MdE um 0 bis 10 v.H. nur integrierend zu berücksichtigen und hätte sich auf die von Dr. J. aus orthopädischer Sicht angenommene MdE von 10 v.H. nicht erhöhend ausgewirkt. Danach ist von der Klägerin nicht dargelegt und bewiesen worden, dass der bestandskräftige Bescheid vom 02.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2001 aufgrund unrichtiger Sachverhaltwürdigung rechtswidrig gewesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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