L 12 AL 1043/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AL 3566/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1043/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. Mai 2007 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit ist (noch) der Ersatz geleisteter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 1.341,65 EUR, die die Beklagte in der Zeit vom 27. Oktober 1994 bis 6. Mai 1995 wegen der Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) erbracht hat.

Der 1969 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit ist verheiratet und hat drei Kinder. In der Zeit vom 27. Oktober 1994 bis 6. Mai 1995 bezog er Alhi, zunächst in Höhe von 54,40 DM täglich, ab 2. Januar 1995 in Höhe von 53,10 DM täglich.

Nachdem die Beklagte im Jahr 2003 von der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Schwäbisch Gmünd über Geldanlagen der Eheleute bei der türkischen Nationalbank (TCMB) in Höhe von insgesamt 73.000,00 DM (Einzahlung November/Dezember 1995) informiert worden war, hörte sie den Kläger zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung von Alhi und der damit verbundenen Rückforderung von Leistungen an. Der Kläger machte geltend, er habe ein Darlehen aufgenommen und damit die Beträge bei der TCMB angelegt. Hierzu legte er einen Kreditvertrag der Kreissparkasse G. von Oktober 1995 vor, der auf die Eheleute ausgestellt ist und über eine Darlehenssumme von 50.000,00 DM geschlossen wurde. Vereinbart war eine monatliche Tilgung von 2.252,08 DM und zur Sicherung die Abtretung der Ansprüche aus Bausparverträgen über 109.000,00 DM sowie aus Lebensversicherungen über 31.518,00 DM. Mit Bescheid vom 5. August 2003 nahm die Beklagte sodann die Bewilligung von Alhi für den Zeitraum 27. Oktober 1994 bis 6. Mai 1995 zurück und verlangte die Erstattung überzahlter Alhi in Höhe von 4.520,48 EUR sowie den Ersatz der in dieser Zeit gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 1.185,43 EUR und 156,22 EUR, die Gesamtforderung belief sich auf 5.862,13 EUR. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2005 zurück und verwies darauf, dass aus dem vorgelegten Kreditvertrag ersichtlich sei, das Vermögen von ca. 140.000,00 EUR (gemeint wohl DM) zur Darlehenssicherung abgetreten worden sei, mithin müsse neben dem angegebenen Vermögen noch erhebliches weiteres Vermögen vorhanden gewesen sein.

In dem hiergegen vor dem Sozialgericht Ulm (SG) geführten Klageverfahren hob das SG mit Urteil vom 9. Mai 2007 den Bescheid vom 5. August 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2005 insoweit auf, als die Beklagte Erstattung von mehr als 4.520,48 EUR verlange und wies im Übrigen die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe zu Recht die Bewilligung von Alhi für den Zeitraum 27. Oktober 1994 bis 6. Mai 1995 zurückgenommen und die gezahlten Leistungen zurückgefordert, allerdings dürfe sie Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung nicht erstattet verlangen. Rechtsgrundlage für die Rücknahme sei § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Die Bewilligung von Alhi sei rechtswidrig gewesen, da der Kläger nicht bedürftig gewesen sei. Er habe auch wissentlich falsche Angaben im Antrag gemacht, da er das Vermögen von sich und seiner Ehefrau nicht angegeben habe. Der Kläger sei deshalb gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X verpflichtet, die bereits erbrachten Leistungen, also Alhi in Höhe von 4.520,48 EUR zu erstatten. Zu Unrecht verlange die Beklagte darüber hinaus die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die diesbezügliche Rechtsgrundlage sei ab 1. Januar 2005 neu gefasst worden und enthalte seit diesem Zeitpunkt keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Beiträge mehr. Da bei einer Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also der Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2005 maßgeblich sei, könne auf das 2004 geltende Recht nicht mehr zurückgegriffen werden.

Gegen das ihr am 8. Juni 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 2. Juli 2007 eingelegte Berufung der Beklagten. Im Hinblick auf anhängige Verfahren beim Bundessozialgericht (BSG) ist das zunächst unter dem Aktenzeichen L 12 AL 3256/07 geführte Berufungsverfahren mit Beschluss vom 31. Juli 2007 zunächst zum Ruhen gebracht worden. Am 3. März 2009 hat die Beklagte das Verfahren, welches nunmehr unter dem Aktenzeichen L 12 AL 1043/09 geführt wird, wieder angerufen. Sie verweist auf ein Urteil des BSG vom 27. August 2008 (- B 11 AL 11/07 R - SozR 4-4300 § 335 Nr. 1), wonach die Bundesagentur für Arbeit den Ersatz von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen infolge rückwirkender Aufhebung und Rückforderung von Alhi auch nach dem 1. Januar 2005 verlangen könne, wenn der Ersatzanspruch vor diesem Zeitpunkt entstanden sei. Die Anwendbarkeit des § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung ergebe sich aus dem Inhalt der gesetzlichen Regelung und den Grundsätzen des intertemporalen Rechts. Im entschiedenen Fall sei der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid 2004 ergangen, der Widerspruchsbescheid sei 2005 erlassen worden. Vorliegend handele es sich um einen vergleichbaren Sachverhalt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. Mai 2007 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass er Schulden habe und derzeit Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beziehe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 5. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 2005 (nur noch), soweit die Beklagte damit den Ersatz von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 1.185,43 EUR und 156,22 EUR, insgesamt 1.341,65 EUR verlangt. Nicht mehr im Streit ist die Aufhebung der Alhi-Bewilligung und Erstattung der gewährten Alhi. Insoweit ist das Urteil des SG rechts- und der zugrunde liegende Bescheid der Beklagten bestandskräftig.

Die Begründetheit der Berufung misst sich an § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (a.F.). Danach haben im Unterschied zu § 335 SGB III in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) nicht nur Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld, sondern auch Bezieher von Alhi die von der Bundesagentur für Arbeit gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und diese zurückgefordert worden ist. Denn nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ist für die Entstehung des originären Ersatzanspruches für gezahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nach § 335 Abs. 1 und 5 SGB III der Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Entscheidung über die das Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis begründende Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert wird (vgl. BSG SozR 4-4300 § 335 Nr. 1; BSG, Urteil vom 7. Oktober 2009 - B 11 AL 31/08 R - (juris)).

Die nach § 335 Abs. 1, Abs. 5 SGB III a.F. erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ersatzanspruch lagen im Zeitpunkt seiner Geltendmachung im August 2003 vor. Die Beklagte hat für den Kläger als Bezieher von Alhi Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung gezahlt. Sie hat die Entscheidung über die Leistung, die den Grund für die Beitragszahlung gebildet hat, rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert. Darüber hinaus setzt ein Erstattungsanspruch nach der Rechtsprechung des BSG über den Wortlaut der Regelung hinaus voraus, dass der Leistungsempfänger pflichtwidrig gehandelt hat (vgl. BSG SozR 3-4300 § 335 Nr. 2). Negative Voraussetzung für einen Ersatzanspruch ist ferner, dass in dem Zeitraum, für den die Leistung zurückgefordert ist, kein weiteres Kranken- oder Pflegeversicherungsverhältnis im Sinne von § 335 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 SGB III bestanden hat und kein Anspruch der Bundesagentur gegen die aufgrund des Leistungsbezugs zuständige Kranken- oder Pflegekasse nach § 335 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 SGB III besteht.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger war vom 27. Oktober 1994 bis 6. Mai 1995 bei der AOK G. gesetzlich kranken- und pflegeversichert (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - jeweils in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung), wofür die Beklagte Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 1.185,43 EUR und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 156,22 EUR aufbringen musste. Die Beklagte hat durch den hier streitgegenständlichen Bescheid die Bewilligung von Alhi aufgehoben und die gewährte Leistung zurückgefordert. Der Kläger hat sich zudem hinsichtlich des Leistungsbezugs pflichtwidrig verhalten, denn er hat in seinem Antrag zumindest grob fahrlässig falsche Angaben hinsichtlich seines Vermögens gemacht. Hierauf weist das insoweit rechtskräftige Urteil des SG ausdrücklich hin. Der Kläger war zudem in der Zeit vom 27. Oktober 1994 bis 6. Mai 1995 lediglich durch den Bezug von Alhi kranken- und pflegeversichert, sodass ein Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 335 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 SGB III gegen die Kranken- und Pflegekasse, welche einen Ersatzanspruch ausschließen würde, nicht in Betracht kommt. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger ab Februar 2003 ohne den rechtsgrundlosen Bezug von Alhi wegen der versicherungspflichtigen Beschäftigung seiner Ehefrau familienversichert gewesen wäre, denn maßgeblich sind nur tatsächlich bestehende Versicherungsverhältnisse (vgl. BSG SozR 3-4100 § 157 Nr. 2).

Damit war der von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachte Ersatzanspruch im August 2003 und damit noch vor Inkrafttreten des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 1. Januar 2005 nach Maßgabe des § 335 Abs. 1, Abs. 5 SGB III a.F. entstanden. Der unter der alten Rechtslage entstandene Ersatzanspruch der Beklagten wird durch die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Neuregelung des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht berührt (vgl. BSG SozR 4-4300 § 335 Nr. 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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