L 6 SB 2043/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 8284/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2043/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.04.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erstrebt die Erhöhung des bei ihr festgestellten Grades der Behinderung (GdB).

Mit Bescheid vom 21.08.2003 hatte das Versorgungsamt S. bei der Klägerin zunächst einen GdB von 20 und im anschließenden Widerspruchsverfahren durch Teilabhilfebescheid vom 05.03.2004 einen GdB von 30 seit dem 09.04.2003 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks und Arthrose (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 10) sowie Bluthochdruck (Teil-GdB 10) festgestellt.

Am 19.01.2005 beantragte die Klägerin beim zwischenzeitlich zuständigen Landratsamt Böblingen die Erhöhung des GdB. Insbesondere liege bei ihr eine Verschlimmerung der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule vor und sei ein Bronchialasthma aufgetreten.

Das Landratsamt holte den Befundbericht der Allgemeinärztin O. vom 21.03.2005 (degeneratives LWS-Syndrom mit drastischer Verschlechterung und Zunahme der Schmerzen bei deutlicher pseudoradikulärer linksseitiger Ausstrahlung, fortgeschrittene linksseitige Gonarthrose mit Zustand nach Innenmeniskusteilresektion, arterielle Hypertonie und zweimalige laparoskopische Hernioplastik im Jahre 2002, daneben Asthma bronchiale und Diabetes mellitus Typ 2b; seit Februar 2005 fachärztliche Behandlung des hochgradigen Schmerzsyndroms bei einem Schmerztherapeuten, bislang ohne befriedigendes Ergebnis, Hypertonie aufgrund der Schmerzen bisher ebenfalls nicht suffizient einstellbar) ein. Dem Befundbericht war u.a. der Arztbrief des Anästhesisten und Schmerztherapeuten Dr. Zug vom 03.02.2005 (chronischer Schmerz Stadium III nach Gerbershagen, degeneratives Lumbalsyndrom mit ausgeprägter Muskelimbalance und Muskelschwäche, Zustand nach mehrfacher Hernienchirurgie und allgemeine körperliche Dekonditionierung) beigefügt.

Mit Bescheid vom 11.07.2005 hob das Landratsamt unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 28.06.2005 den Bescheid vom 05.03.2004 gem. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und stellte bei der Klägerin wegen der Funktionsbeeinträchtigungen Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks und Arthrose (Teil-GdB 30), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Bandscheibenschäden, muskuläre Verspannungen, Nervenwurzelreizerscheinungen und chronisches Schmerzsyndrom (Teil-GdB 20), Bluthochdruck (Teil-GdB 10) sowie hyperreagibles Bronchialsystem und Lungenfunktionseinschränkung (Teil-GdB 10) einen GdB von 40 seit dem 19.01.2005 fest.

Die Klägerin erhob Widerspruch, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen vortrug, die Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks sowie das Schmerzsyndrom seien unterbewertet. Darüber hinaus bestehe nunmehr eine Tendovaginitis de Quervain im rechten Unterarm.

Im vom Beklagten daraufhin eingeholten Befundbericht vom 08.11.2005 gab der behandelnde Chirurg Dr. M. an, die Tendovaginitis stenosans de Quervain rechts habe sich nach der im September 2005 erfolgten Operation deutlich verbessert.

Unter Zugrundelegung der sodann erstatteten versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. vom 18.01.2005 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2005 aus den Gründen der Ausgangsentscheidung zurück. Ergänzend ist ausgeführt, die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes, der operierte Leistenbruch und der Diabetes mellitus bedingten keinen Teil-GdB von mindestens 10 und könnten daher nicht als Funktionsbeeinträchtigungen i. S. des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) berücksichtigt werden.

Am 22.12.2005 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart Klage. In der Folgezeit legte sie Arztbriefe betreffend Untersuchungen wegen unklarer Unterbauchbeschwerden, u.a. den Bericht des Arztes für diagnostische Radiologie Dr. H. vom 20.12.2005 (Adhäsion von Darmschlingen an die vordere Bauchwand betont rechts sowie narbige Veränderungen im Bereich der vorderen Bauchwand rechts) vor.

Der Beklagte machte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. F. vom 05.04.2006 geltend, die Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation seien mit einem Teil-GdB 10 zu bewerten. Eine Höherbewertung des Gesamt-GdB ergebe sich daraus nicht.

Das Sozialgericht holte schriftliche sachverständige Zeugenaussagen des Orthopäden Dr. H. vom 27.06.2006 (chronische Schmerzerkrankung Stadium III nach Gerbershagen [Teil-GdB 50-70], chronisch rezidivierende Lumbalgie bei Spondylarthrose und Foraminalstenose sowie chronisch rezidivierendes HWS-Syndrom bei Blockierungen [Teil-GdB 40], Gonarthrose links [Teil-GdB 30] und Osteoporose [bereits im Rahmen der Wirbelsäulenbeschwerden berücksichtigt]; GdB auf orthopädischem Fachgebiet insgesamt 60), von Dr. Zug vom 04.07.2006 (Diagnosen wie im Befundbericht vom 03.02.2005 sowie zusätzlich Gonarthrose; GdB 30 für das chronische Schmerzsyndrom) und der Allgemeinärztin O. vom 17.09.2006 (zusätzlich zu den Diagnosen im Befundbericht vom 21.03.2005 rezidivierende obstruktive Bronchitiden, rezidivierende rechtsseitige Schmerzen im Unter- und Mittelbauch bei Zustand nach mehrmaligen Voroperationen, chronische Gastritis, Zustand nach Operation Tendovaginitis stenosans de Quervain rechts; arterielle Hypertonie bei fehlender Krankheitseinsicht der Klägerin ohne bekannte Organmitbeteiligung, hiervon aber auszugehen; latenter Diabetes mellitus ohne Folgeerkrankungen allein diätetisch kontrolliert; GdB 40 nicht nachvollziehbar) ein. Der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. H. waren u.a. der Arztbrief des Arztes für diagnostische Radiologie/Neuroradiologie Dr. K. vom 04.06.2004 betreffend die Auswertung der am 03.06.2004 durchgeführten Kernspintomografie der Lendenwirbelsäule der Klägerin (mediolaterale Bandscheibenprotrusion L2/3 links mit extraforaminalem L2-Kontakt links, breitbasige Bandscheibenprotrusionen L3/4 und L4/5 mit Abflachung der ventralen Duralsackcircumferenz, breitbasige mediolaterale Bandscheibenprotrusion L5/S1 links mit intrafinalem S1-Kontakt links, ausgeprägte Osteochondrose L5/S1 sowie Chondrosen L3/4 und L4/5, Spondylosis deformans) und der Arztbrief von Priv.-Doz. Dr. K. vom 02.08.2004 (mit der Einschätzung von Dr. K. im Wesentlichen gleichlautende Beurteilung der besagten Aufnahmen) beigefügt.

Unter Berücksichtigung des radiologischen Zusatzgutachtens von Prof. Dr. D. vom 28.02.2007 (mäßig ausgeprägte degenerative Veränderungen im Bereich des thorakolumbalen Übergangs mit Spondylosen, teils beinahe Spangen bildend, im Bereich der übrigen Wirbelsäule weitgehend altersentsprechend unauffälliger Befund [Zwischenwirbelkörperräume im Bereich der LWS gut erhalten], medial betonte Gonarthrose beidseits, links deutlich stärker ausgeprägt mit linksseitiger Retropattellararthrose, diskrete Radiocarpalarthrose mit allenfalls geringen arthrotischen Veränderungen im distalen Interphalangealgelenk rechts, Fehlstellung zwischen D III und D IV linksseitig bei Zustand nach Versteifung; von der Klägerin geschilderte starke Beschwerden konventionell-radiologisch lediglich im thorakolumbalen Übergang sowie in beiden Kniegelenken, links mehr als rechts, nachvollziehbar) erstattete Prof. Dr. K. das fachorthopädische Gutachten vom 20.03.2007 (chronisches Schmerzsyndrom Grad III nach Gerbershagen [Teil-GdB 30], medial betonte Gonarthrose beidseits, links mehr als rechts, mit dem Schweregrad einer leichten Funktionseinschränkung [Teil-GdB 10], degeneratives Wirbelsäulensyndrom mit leichter Funktionsbehinderung [Teil-GdB 10], daneben arterielle Hypertonie [Teil-GdB 10] und hyperreagibles Bronchialsystem [Teil-GdB 10]; Bewegungsapparat insgesamt Teil-GdB 20, daneben chronisches Schmerzsyndrom zu berücksichtigen) und auf dessen Anregung Dr. W. das nervenärztlich-psychosomatische Gutachten vom 17.09.2007 (mittelgradige depressive Verstimmung mit Somatisierung [Teil-GdB 20], mittelgradige anhaltende somatoforme Schmerzstörung [Teil-GdB 30] bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule [Teil-GdB 10] und Gonarthrose links deutlicher als rechts [Teil-GdB 10], hypertone Blutdrucklage [Teil-GdB 10], hyperreagibles Bronchialsystem [Teil-GdB 10], Adipositas II [Teil-GdB 0] und diskrete Polyneuropathie der Beine [Teil-GdB 0]; Gesamt-GdB 50).

Der Beklagte vertrat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 19.12.2006 und von Dr. W. vom 10.01.2008 die Auffassung, der Gesamt-GdB betrage weiterhin 40. Das chronische Schmerzsyndrom sei gemeinsam mit den funktionellen Organbeschwerden und der depressiven Verstimmung mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Die übrigen Funktionsbehinderungen (Kniegelenke, Wirbelsäule, Bluthochdruck, hyperreagibles Bronchialsystem nebst Lungenfunktionseinschränkung und Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation) rechtfertigten jeweils lediglich einen Teil-GdB von 10. Die Klägerin machte unter Bezugnahme auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. W. geltend, bei ihr sei das Vorliegen einer Schwerbehinderung festzustellen.

Mit Urteil vom 10.04.2008 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Klägerin leide an einer depressiven Verstimmung mit Somatisierung und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bzw. einem chronischen Schmerzsyndrom, das als stärker behindernde Störung im Sinne der Nr. 26.3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) anzusehen und unter Ausschöpfung des Bewertungsrahmens mit einem Teil-GdB von 40 in die Beurteilung einzustellen sei. Die Erkrankungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke seien als leichtgradig anzusehen und daher im Anschluss an den Sachverständigen Prof. Dr. K. jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten, ohne dass sich die Werte allerdings addieren ließen. Die über das organische Korrelat hinausgehenden Schmerzen seien bereits im Rahmen der chronischen Schmerzstörung berücksichtigt. Der abweichenden Einschätzung von Dr. H. könne angesichts dessen sowie in Ermangelung aktueller Befunde nicht gefolgt werden. Die Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation seien mangels erheblicher Auswirkungen in Anwendung von Nr. 26.10 der AHP mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Gleiches gelte in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte für Folgeerkrankungen hinsichtlich der hypertonen Blutdrucklage und unter Berücksichtigung der von der Allgemeinmedizinerin O. mitgeteilten leichten Beeinträchtigung auch für das hyperreagible Bronchialsystem. Der Gesamt-GdB betrage 40, nachdem sich die leichten Funktionsstörungen mit einem Teil-GdB von 10 in Anwendung von Nr. 19 Abs. 4 der AHP nicht auf das Gesamtausmaß der Behinderung auswirkten und damit nicht zu einer Erhöhung des GdB von 40 für die Schmerzstörung führten.

Am 29.04.2008 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, es sei gerechtfertigt, auf orthopädischem Fachgebiet in Verbindung mit dem chronischen Schmerzsyndrom einen GdB von 40 in Ansatz zu bringen. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Einschätzung von Dr. W., der für die depressive Verstimmung mit Somatisierung im Zusammenhang mit der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung einen Teil-GdB von 20 bzw. 30 in Ansatz bringe, sei der Gesamt-GdB mit 50 festzustellen. Zur Begründung legt sie den Arztbrief von Dr. O. vom 21.07.2008 (Foramenstenose L5/S1 links mehr als rechts durch breitbasige Protrusio bei erosiver Osteochondrose, Diskopathie L4/5 mit Protrusio) vor.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.04.2008 aufzuheben sowie den Bescheid des Landratsamts Böblingen vom 11.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 19.01.2005 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, das im Vordergrund des Beschwerdebildes stehende chronische Schmerzsyndrom rechtfertige zusammen mit der depressiven Verstimmung mit Somatisierung einen Teil-GdB von 30. Die übrigen leichten Funktionseinschränkungen ließen keinen Gesamt-GdB von mehr als 40 zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Stuttgart sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamts Böblingen vom 11.07.2005 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 20.12.2005 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Denn sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 40.

Gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest.

Menschen sind im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind als GdB nach Zehnergraden abgestuft von 20 bis 100 festzustellen. Hierfür gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 SGB IX). Liegen mehrere sich gegenseitig beeinflussende Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ist der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).

Der GdB als Ausmaß der Behinderung ist in freier richterlicher Würdigung aller Umstände, wie sie dem Verfahren des § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 15.03.1979 - 9 RVs 16/78 - SozR 3870 § 3 Nr. 5), gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX unter Zugrundelegung der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" - VG (Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG [Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10.12.2008, BGBl. I, S. 2412]) - mit denen eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien der AHP, von wenigen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen, nicht einhergeht - festzustellen.

Die Gesamtbehinderung eines Menschen lässt sich rechnerisch nicht ermitteln. Daher ist für die Bildung des Gesamt-GdB eine Addition von Einzel-GdB-Werten grundsätzlich unzulässig. Auch andere Rechenmethoden sind ungeeignet (BSG, Urteil vom 15.03.1979 a. a. O.). In der Regel wird von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB ausgegangen und sodann geprüft, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, führen dabei in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. c und d der VG, Nr. 19 Absätze 3 und 4 der AHP).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zu Grunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R - SozR 3-3870 § 4 Nr. 24). Der Einzel-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar.

In Anwendung dieser Grundsätze ist der GdB der Klägerin mit 40 angemessenen bewertet. Das Sozialgericht hat im angegriffenen Urteil vom 10.04.2008 ausführlich und zutreffend dargelegt, dass und weshalb die psychischen Beschwerden der Klägerin einschließlich der bestehenden Schmerzstörung nach Nr. 26.3 der AHP (nunmehr Teil B Nr. 3.7 der VG) mit einem Teil-GdB von 40, die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke (nach Nr. 26.18 der AHP, nunmehr Teil B Nr. 18.9 und Nr. 18.14 der VG) mit einem Teil-GdB von jeweils 10, die Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperationen entsprechend der Bewertung von Bauchfellverwachsungen in Nr. 26.10 der AHP (nunmehr Teil B Nr. 10.2.3 der VG) ebenfalls mit einem Teil-GdB von 10 und die Hypertonie (nach Nr. 26.9 der AHP, nunmehr Teil B Nr. 9.3 der VG) mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten sind; hierauf wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Hinsichtlich der Ausführungen des Sozialgerichts zur Bewertung des hyperreagiblen Bronchialsystems mit einem Teil-GdB von 10 (nach Nr. 26.8 der AHP, nunmehr Teil B Nr. 8.2 und Nr. 8.5 der VG) geht der Senat davon aus, dass dem Begründungselement, die Klägerin habe insoweit "eine" fachärztliche Behandlung während des Klageverfahrens angegeben, ein Schreibfehler zugrunde liegt. Denn tatsächlich fehlt ein solcher Vortrag der Klägerin im Klageverfahren (und auch im Berufungsverfahren). Mit dieser Maßgabe verweist der Senat auch auf die vom Sozialgericht angeführte Begründung für die Einstufung des hyperreagiblen Bronchialsystems mit einem Teil-GdB von 10 und die Bewertung des Gesamt-GdB mit 40 (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Die im von der Klägerin vorgelegten Arztbrief von Dr. O. vom 21.07.2008 angeführten Veränderungen an der Lendenwirbelsäule "Foramenstenose L5/S1 links mehr als rechts durch breitbasige Protrusio bei erosiver Osteochondrose, Diskopathie L4/5 mit Protrusio" ändern an der Beurteilung nichts. Denn hierbei handelt es sich nicht um neu aufgetretene oder in der Vergangenheit übersehene Beeinträchtigungen. Vielmehr waren die besagten Veränderungen als von Dr. H. in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 27.06.2006 mitgeteilte Foraminalstenose sowie im Arztbrief von Dr. K. vom 04.06.2004 angeführte breitbasige Bandscheibenprotrusion L4/5 mit Abflachung der ventralen Duralsackcircumferenz und breitbasige mediolaterale Bandscheibenprotrusion L5/S1 links mit intrafinalem S1-Kontakt links bei ausgeprägter Osteochondrose L5/S1 (vgl. hierzu auch den Arztbrief von Priv.-Doz. Dr. K. vom 02.08.2004) bereits Gegenstand der gutachterlichen orthopädischen Beurteilung der Funktionseinschränkungen der Klägerin durch den Sachverständigen Prof. Dr. K. (vgl. hierzu Seite 6 des Gutachtens vom 20.03.2007).

Aber auch dann, wenn man angesichts der genannten Veränderungen an der Wirbelsäule von einer körperlichen Ursache der Lumbalbeschwerden der Kläger ausginge, ergäbe sich im Ergebnis keine abweichende Beurteilung des Gesamt-GdB der Klägerin. Denn das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin wird im Wesentlichen durch die bei ihr bestehenden Schmerzen bestimmt. Darauf, ob die Lumbalschmerzen als Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden i. S. von Teil B Nr. 18.9 der VG (früher Nr. 26.18 der AHP) oder in Ermangelung eines körperlichen Korrelats als Teil des chronischen Schmerzsyndroms bzw. der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung i. S. von Teil B Nr. 3.7 der VG (früher Nr. 26.3 der AHP) anzusehen und in die Gesamtbeurteilung einzustellen sind, kommt es für die Beurteilung des Ausmaßes der Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin nicht an.

Anders als die Klägerin meint, liegt auch kein Ausnahmefall vor, der unter Berücksichtigung von Teil A Nr. 3 Buchst. c und d der VG bzw. Nr. 19 Absätze 3 und 4 der AHP eine Erhöhung des Gesamt-GdB von 40 durch die leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 10 zuließe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin bei der Gesamtwürdigung nicht - wie aber erforderlich (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. b der VG) - mit Gesundheitsschäden vergleichbar sind, für die in der Tabelle ein fester GdB-Wert von 50 angegeben und bei deren Vorliegen damit die Schwerbehinderung anzuerkennen ist. Denn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen ist nicht so erheblich, wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung (vgl. zu diesen Beispielsfällen noch Nr. 19 Abs. 2 der AHP 2008).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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