L 5 KA 5688/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KA 2715/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 5688/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 73/10 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren kann schon wegen der Höhe der Erstattungsforderung zu bejahen sein (hier: 154.714 €), wenn es um Abrechnungsfragen geht, die über die routinemäßige Handhabung des Gebührenkatalogs hinausgehen.

NZB anhängig unter B 6 KA 73/10 B
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.10.2009 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 4.7.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2008 verurteilt, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen ihren Bescheid vom 18.4.2006 für notwendig zu erklären.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird (auch) für das Berufungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren.

Der Kläger ist als Radiologe und Nuklearmediziner zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Unter dem 18.4.2006 erließ die Beklagte einen Bescheid über die sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarabrechungen des Klägers für die Quartale 1/03 bis 4/04. Dem Kläger wurde aufgegeben, Honorar in Höhe von 154.714,43 EUR zurückzuzahlen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Ansatz näher bezeichneter Gebührennummern des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM 96; Geb.-Nrn. 5095, 5160 und 6050) entspreche nicht der Leistungslegende (Nr. 5095: Röntgenuntersuchung natürlich oder krankhaft entstandener Gangsysteme, Höhlen oder Fisteln, z.B. Sialographie, Galaktographie, Kavernosographie, Vesikulographie, retrograde Urographie; Nr. 5160: Durchleuchtungen, BV/TV; Nr. 6050: Einbringung des Kontrastmittels in ein Gelenk oder zur Röntgendarstellung natürlicher oder fehlerhaft entstandener Gänge, Gangsysteme, Höhlen oder Fisteln, ggf. intraoperativ, zusätzlich zu den Leistungen nach den Nrn. 5036,5037,5081,5082,5083 oder 5095). Die in Rede stehenden Gebührennummern könnten nur bei diagnostischen Untersuchungen abgerechnet werden. Die Behandlungsweise des Klägers stelle eine diagnostische Untersuchung jedoch nicht dar. Sein Vorgehen umschreibe die Kontrolle der Nadellage sowie weitere Darstellungen, die zur Durchführung der Radiosynoviorthese notwendig seien. Damit habe der Kläger die Leistungen zum einen in ihrem Einsatzzweck fehlangewendet; zum anderen hätten sie nach den allgemeinen Bestimmungen des EBM ohnehin nicht zusätzlich zur Geb.-Nr. 7070 (Radiosynoviorthese oder Behandlung von Geschwülsten und/oder Geschwulstmetastasen in einer Körperhöhle oder einem Hohlorgan, einschl. der erforderlichen Kontrollmessungen) abgerechnet werden dürfen.

Der Kläger beauftragte einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Dieser erhob namens und in Vollmacht des Klägers (Vollmacht vom 28.3.2006) mit Schriftsatz vom 16.5.2006 Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006; eine Widerspruchsbegründung legte er nicht vor.

Mit Schreiben (ebenfalls) vom 16.5.2006 legte der Kläger der Beklagten unter Bezugnahme auf ein mit ihr geführtes Telefongespräch einen Schriftsatz vor, der in einem hinsichtlich der streitigen Fragen nach Auffassung des Klägers vergleichbaren Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Düsseldorf zwischen Radiologen und der KV N. von einem anderen Rechtsanwalt verfasst worden war. Außerdem erläuterte er sein Behandlungs- und Abrechnungsverhalten.

Mit Bescheid vom 4.7.2006 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers ab. Die Abrechenbarkeit der Geb.-Nrn. 5095,5160 und 6050 EBM 96 neben der Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 sei nicht ausgeschlossen. Man habe den Sachverhalt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Stellungnahme vorgelegt. Zu Gunsten des Klägers könne davon ausgegangen werden, dass unter Würdigung der Abrechnungsmodalitäten nach dem EBM 96 die Berechnung der Geb.-Nrn. 5095,5160 und 6050 neben der Geb.-Nr. 7070 EBM 96 nicht explizit ausgeschlossen gewesen sei. Die Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 umfasse laut Leistungslegende ausschließlich nur die erforderlichen Kontrollmessungen. Den Formulierungen des EBM 96 könne nicht entnommen werden, dass eine vor der eigentlichen Radiosynoviorthese durchgeführte Kontrastdarstellung der Gelenke Bestandteil der Radiosynoviorthese sei. Pro medico werde daher der Ansatz der in Rede stehenden Geb.-Nrn. neben der Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 anerkannt.

Die Beklagte übernahm die Kosten des Widerspruchsverfahrens, erklärte die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren jedoch für nicht notwendig. Zur Begründung führte sie aus, der Bevollmächtigte des Klägers habe eine Stellungnahme nicht abgegeben. Außerdem sei der Sachverhalt lediglich medizinisch zu beurteilen gewesen.

Der Kläger legte (über seinen Bevollmächtigten) Widerspruch ein (Widerspruchsschriftsatz vom 31.7.2006). Der Widerspruch richte sich gegen die Entscheidung, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für nicht notwendig zu erklären. Die sachlich-rechnerische Berichtigung von Vertragsarzthonoraren sei derart kompliziert, dass der Arzt seine Rechte nicht selbst wahrnehmen könne. Er benötige daher anwaltliche Hilfe schon bei der Entscheidung, ob er überhaupt Widerspruch einlegen solle bzw. ob ein eingelegter Widerspruch aufrecht erhalten werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5.3.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach der Rechtsprechung des BSG bestehe keine Notwendigkeit für die Zuziehung eines Bevollmächtigten, wenn Widerspruch ohne Begründung eingelegt und diesem von der Behörde nach erneuter Überprüfung abgeholfen werde. Für die Widerspruchseinlegung als solche benötige der Vertragsarzt keine anwaltliche Hilfe. Der Bevollmächtigte des Klägers habe eine Widerspruchsbegründung auch nach entsprechender Aufforderung nicht vorgelegt. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger (dessen Bevollmächtigtem) am 7.3.2006 zugestellt.

Am 7.4.2008 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Zur Begründung wurde vorgetragen, ohne anwaltliche Beratung hätte der Kläger nicht handeln können. Sein Bevollmächtigter habe umfangreiche Abklärungen und rechtliche Überprüfungen vorgenommen, um die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18.4.2006 zu beurteilen. Dazu habe er die Abrechnungen der Quartale 1/03 bis 4/04 überprüfen müssen. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts rechtfertige sich auch schon wegen der Höhe des streitigen Kürzungsbetrags (154.714,13 EUR). Bei Widerspruchseinlegung sei nicht absehbar gewesen, dass die Beklagte abhelfen würde, da sie bis dahin eine völlig unnachgiebige Haltung eingenommen habe und es trotz mehrerer Versuche (des Klägers) außerhalb des Rechtsmittelverfahrens zu einer vernünftigen Entscheidung nicht gekommen sei.

Die Beklagte trug vor, nach der Rechtsprechung des BSG sei die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren (ex ante) danach zu beurteilen, ob der Widerspruchsführer anwaltlichen Beistand im Zeitpunkt der Auftragserteilung für erforderlich halten durfte. Das sei etwa der Fall, wenn schwierige Sach- oder Rechtsfragen beurteilt werden müssten. Für die bloße Einlegung des Widerspruchs sei anwaltliche Hilfe aber nicht erforderlich. Der Kläger hätte zunächst selbst Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.4.2006 erheben können. Als er seinen Bevollmächtigten im März 2006 beauftragt habe, hätten schwierige Rechtsfragen nicht erörtert werden müssen. Vielmehr sei allein die medizinische Beurteilung des Sachverhalts streitig gewesen. Dazu habe sich der Kläger aber selbst äußern können und sich mit Schreiben vom 16.5.2006 – zeitgleich mit dem Widerspruchsschriftsatz des Bevollmächtigten vom gleichen Tag – auch selbst geäußert. Eine Widerspruchsbegründung habe der Bevollmächtigte des Klägers trotz Aufforderung nicht vorgelegt.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.10.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 18.4.2006 zu Recht nicht für notwendig erklärt.

Gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) habe der Rechtsträger der den angefochtenen Verwaltungsakt erlassenden Behörde demjenigen, der Widerspruch erhoben habe, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich sei. Über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten sei im Rahmen der Kostengrundentscheidung zu befinden (§ 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X).

Maßstab für die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten sei, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwaltes bedient hätte (BSG, Urt. v. 15.12.1987, - 6 RKa 21/87 -). Die Zuziehung eines Bevollmächtigten sei als notwendig anzusehen, wenn es dem Beteiligten bei Beurteilung ex ante, also im Zeitpunkt der Auftragserteilung, nach den jeweils gegebenen Verhältnissen nicht zugemutet werden könne, das Verfahren selbst zu führen (BSG, Urt. v. 15.12.1987, a. a. O.; Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Auf die Gründe für den Erfolg des Widerspruchs komme es nicht an. Der Widerspruchsführer dürfe anwaltlichen Beistand insbesondere dann für notwendig halten, wenn schwierige Sach- oder Rechtsfragen beurteilt werden müssten und sich ein Bürger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand des Widerspruchsführers deswegen vernünftigerweise eines Rechtsanwalts bediene. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei notwendig, wenn in der Widerspruchsbegründung nicht allein medizinische Aspekte der Behandlungsweise, sondern schwierige Sachfragen und/oder Rechtsfragen erörtert würden (BSG, Urt. v. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -). Wenn Widerspruch aber ohne nähere Begründung eingelegt werde und der Prüfungsausschuss auf Grund eigener nochmaliger Überprüfung abhelfe, sei die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten nicht notwendig. Der formale Akt der (bloßen) Widerspruchserhebung sei jedem Vertrags(zahn)arzt ohne anwaltliche Unterstützung zumutbar (BSG, Urt. v. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -).

Davon ausgehend sei die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006 nicht notwendig gewesen. Der Bevollmächtigte habe Widerspruch ohne Begründung erhoben und sich damit auf den formalen Akt der Widerspruchseinlegung beschränkt. Die Gespräche zur Beilegung der Honorarstreitigkeit habe der Kläger selbst mit der Beklagten geführt und sich dieser gegenüber auch schriftlich geäußert und ihr seine (streitige) Behandlungs- bzw. Abrechnungsweise erläutert. Dabei habe er auf einen Anwaltsschriftsatz verwiesen, der allerdings nicht von seinem Bevollmächtigten verfasst worden sei. Zur Vorlage dieses Schriftsatzes sei die Unterstützung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen. Die Höhe der streitigen Honorarrückforderung begründe für sich allein die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht, da gerade bei Radiologen üblicherweise umfangreiche Honoraransprüche Verfahrensgegenstand seien. Der Kläger habe außerdem (selbst) über den zur Klärung der streitigen Behandlungsweise notwendigen medizinischen Sachverstand und über einschlägige Erfahrungen aus vergangenen Abrechnungsstreitigkeiten verfügt. Er hätte daher selbst den Widerspruch einlegen können.

Auf den ihm am 9.11.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4.12.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er ergänzend vor, der Umfang anwaltlicher Tätigkeit erschließe sich nicht zwingend aus den Äußerungen des Anwalts gegenüber Verfahrensbeteiligten. Er (der Kläger) habe unter enger und mehrfacher Absprache und Kontaktaufnahme eine eigene Stellungnahme verfasst, die sein Bevollmächtigter überprüft und zur Einreichung freigegeben habe. Außerdem habe sein Bevollmächtigter mit dem Rechtsanwaltskollegen B., der Radiologen in vergleichbaren Verfahren vertreten habe, Gespräche geführt. Am 31.8.2005 habe ihm sein Bevollmächtigter eine umfangreiche Darstellung zur aktuellen Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der streitigen Geb.-Nrn. übermittelt, namentlich inwieweit es vorliegend darauf ankomme, ob eine vor der eigentlichen Radiosynoviorthese durchgeführte Kontrastdarstellung der Gelenke Bestandteil der Radiosynoviorthese sei. Die Beklagte habe dem Widerspruch auch erst nach wiederholter Prüfung abgeholfen, woraus die Schwierigkeit der Angelegenheit hervorgehe. Der Abhilfebescheid sei auch dem Bevollmächtigten zugestellt worden, der dessen Richtigkeit habe überprüfen müssen. Sein, des Klägers, medizinischer Sachverstand sei bei der Lösung der Abrechnungsstreitigkeit wenig hilfreich gewesen. Er habe ohne Hilfe eines Rechtsanwalts mit besonderen Kenntnissen des Medizinrechts nicht Widerspruch einlegen können. Außerdem habe bei der Höhe des Regressbetrags auch die Gefahr eines Disziplinarverfahrens bestanden. Im Widerspruchsverfahren hätten zudem Rechtsfragen im Hinblick auf die Anwendung der streitigen Geb.-Nrn. beurteilt werden müssen. Nach dem anwaltlichen Gebührenrecht entstehe die (Anwalts-)Gebühr mit der Auftragserteilung, der Entgegennahme und Überprüfung des Sachverhalts. Die Tätigkeit des Bevollmächtigten habe sich nicht in dem bloß formalen Akt der Widerspruchseinlegung erschöpft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.10.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 4.7.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2008 zu verurteilen, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006 für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt ergänzend vor, das Vorbringen des Klägers, er habe in enger und mehrfacher Absprache mit dem Bevollmächtigten eine Stellungnahme verfasst, die dieser überprüft und für das Verfahren freigegeben habe, rechtfertige keine andere Sicht der Dinge. Der Bevollmächtigte habe ohne weitere Begründung nur den Widerspruch eingelegt. Dies genüge für die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren nicht. Auf das anwaltliche Gebührenrecht bzw. die Voraussetzungen für die Entstehung einer Anwaltsgebühr komme es vorliegend nicht an; dies betreffe das Rechtsverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 18.10.2010, die Bevollmächtigte der Beklagten hat am 20.10.2010 mündlich zur Niederschrift (Bl. 22 Rücks.LSG-Akte) erklärt, einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung werde zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft.

Gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. SGG bedarf die Berufung der Zulassung durch das Sozialgericht oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Diese Vorschrift ist vorliegend anzuwenden, da die nach Maßgabe des § 63 SGB X zu treffende Kostengrundentscheidung, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten und die Kostenfestsetzung eine Einheit bilden und die Beschränkung der Berufung gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG daher jede dieser Entscheidungen erfasst (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. V. 3.8.2009, - L 10 AS 391/09 NZB – unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG und des BVerwG). Auch wenn eine Kostennote des Bevollmächtigten des Klägers (wohl) noch nicht vorliegt, ist der Beschwerdewert von 750 EUR in jedem Fall überschritten, da für die Berechnung der Anwaltsgebühren ein Gegenstandswert von 154.714,13 EUR (mit dem Widerspruch angefochtene Honorarkürzung) anzusetzen ist und schon die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsgebührengesetz (RVG) über 750 EUR liegt (Geschäftsgebühr 0,5 bis 2,5 der Gebühr von 1.585 EUR; vgl. Anlage 2 zum RVG). Die Berufung ist auch im Übrigen gem. § 151 SGG zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte hätte die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den (Honorarkürzungs-)Bescheid vom 18.4.2006 für notwendig erklären müssen.

II. 1.) Rechtsgrundlage für den zutreffend im Wege der Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist § 63 Abs. 2 SGB X. Die Vorschrift regelt die Kostenerstattungspflicht und Kostenfestsetzung im isolierten Vorverfahren, also in einem förmlichen Rechtsbehelfsverfahren im Sinne von § 62 SGB X, an das sich – jedenfalls in der Hauptsache – kein gerichtliches Verfahren anschließt. Sie ist auf das Widerspruchsverfahren gegen einen Bescheid über die Kürzung des Vertragsarzthonorars nach sachlich-rechnerischer Berichtigung (§ 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte ( BMV-Ä)/§ 34 Abs. 4 Satz 1 und 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte (EKV-Ä) ) anzuwenden.

Gem. § 63 Abs. 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit sein Widerspruch erfolgreich gewesen ist (materieller Kostenerstattungsanspruch). In verfahrensrechtlicher Hinsicht verpflichtet § 63 Abs. 2 SGB X die Behörde, im Falle eines ganz oder teilweise erfolgreichen Widerspruchs eine Kostengrundentscheidung zu treffen und darin auch zu bestimmen, ob die ggf. erfolgte Zuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.

Einzige tatbestandliche Voraussetzung für die gegenständliche Erstreckung der Kostengrundentscheidung auf die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts ist die Notwendigkeit von dessen Zuziehung. Hingegen bedeutet die in § 63 Abs. 2 SGB X enthaltene Wendung "im Vorverfahren" nicht, dass ein nach § 63 Abs. 1 SGB X entstandener Kostenerstattungsanspruch im Falle der Zuziehung eines Bevollmächtigten auf bestimmte Verfahrensabschnitte begrenzt und insbesondere ein gegebenenfalls zunächst vor der Ausgangsbehörde durchzuführendes Abhilfeverfahren davon ausgenommen wäre. Der Begriff "Vorverfahren" in § 63 Abs. 2 SGB X bezeichnet den Verfahrensabschnitt, der mit Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs i. S.von § 62 Abs. 1 SGB X beginnt und entweder durch Abhilfe oder durch einen Widerspruchsbescheid abgeschlossen wird. Er beschreibt genau denselben Gegenstand, für den § 63 Abs. 1 SGB X die Regelung für das "ob" der Kostenerstattung vorgibt. Die Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrensrechts unterscheiden sich insoweit nicht von der Regelung im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht. Diesbezüglich ordnet § 72 letzter Satzteil VwGO explizit eine Kostengrundentscheidung - auf der Grundlage von § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz, dem § 63 SGB X nachgebildet ist - an, wenn das Widerspruchsverfahren noch vor der Ausgangsbehörde durch eine Abhilfeentscheidung endet.

Die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren ist danach zu beurteilen, ob der Widerspruchsführer im Zeitpunkt der Beauftragung seines Bevollmächtigten es für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden (sog ex-ante-Sicht). Dies ist der Fall, wenn es möglich erscheint, dass schwierige Sachfragen oder Rechtsfragen eine Rolle spielen und deshalb ein Bürger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand des Widerspruchsführers sich vernünftigerweise eines Rechtsanwalts bedient (vgl. auch BSG, Beschl. V. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Allerdings besteht für den Fall, dass ein Widerspruch ohne nähere Begründung eingelegt wird und die Behörde (bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Prüfungsausschuss) auf Grund eigener nochmaliger Überprüfung dem Rechtsbehelf abhilft, keine Notwendigkeit für die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten. Der formale Akte bloßer Widerspruchserhebung ist auch jedem Vertrags(zahn)arzt ohne anwaltliche Unterstützung zumutbar (so zu alledem BSG, Urt. V. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -; auch BSG, Beschl. V. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Ob der Bevollmächtigte im Verfahren auch Erklärungen im Namen des Vertretenen abgegeben hat, ist hingegen nicht entscheidend (BSG, Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -).

2.) Hiervon ausgehend war die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren nach Auffassung des Senats für notwendig zu erklären.

Gegenstand des Vorverfahrens (Widerspruchsverfahrens) war der Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006, mit dem das Vertragsarzthonorar des Klägers für 8 Quartale um insgesamt 154.714,43 EUR gekürzt worden war. Dem Kläger war vorgehalten worden, Leistungen nach den Geb.-Nrn. 5095, 5160 und 6050 EBM 96 nicht der einschlägigen Leistungslegende entsprechend abgerechnet zu haben, da die in Rede stehenden Geb.-Nrn. nur bei diagnostischen Untersuchungen angesetzt werden dürften und der Kläger die Leistungen zum einen in ihrem Einsatzzweck fehlangewendet und sie nach den allgemeinen Bestimmungen des EBM 96 auch zu Unrecht zusätzlich zu Leistungen nach der Geb.-Nr. 7070 (Radiosynoviorthese oder Behandlung von Geschwülsten und/oder Geschwulstmetastasen in einer Körperhöhle oder einem Hohlorgan, einschl. der erforderlichen Kontrollmessungen) abgerechnet habe.

Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist bei dieser Sachlage wegen der außerordentlichen Höhe des Berichtigungs- bzw. Kürzungsbetrags von über 150.000 EUR indiziert. Der Kläger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand als Vertragsarzt durfte – vorbehaltlich besonderer Umstände - schon deswegen aus seiner Sicht (ex ante) vernünftigerweise anwaltlichen Beistand für notwendig erachten. Dass bei der Fachgruppe der Radiologen im Wege sachlich-rechnerischer Berichtigung nicht selten hohe Honorarkürzungen festgesetzt werden, ändert daran nichts. Aus diesem Grund kann dem einzelnen Vertragsarzt (Radiologen) nicht zugemutet werden, sich gegen Honorarkürzungen des vorliegenden Umfangs, die seine wirtschaftliche Existenz berühren können, stets allein, ohne Zuziehung eines Rechtsanwalts, zur Wehr zu setzen, zumal wegen des Volumens der (angeblichen) Falschabrechnung auch mit Sanktionen im Sinne eines Disziplinarverfahrens gerechnet werden muss (zu diesem Gesichtspunkt auch BSG, Urt. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -).

Besondere Umstände, wegen derer der Kläger das Widerspruchsverfahren gegen den Kürzungsbescheid selbst und ohne Zuziehung eines Bevollmächtigten hätte führen müssen, liegen nicht vor. Insbesondere bedurfte es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Honorarkürzung bei Sicht ex ante nicht von vornherein ausschließlich solcher Kenntnisse hinsichtlich der medizinischen Sachverhalte und des vertragsärztlichen Abrechnungswesens, über die der Kläger als Vertragsarzt kraft seines Berufes und seiner Informationspflichten verfügen muss. Vielmehr erschien es jedenfalls als möglich, dass schwierige Sach- und Rechtsfragen im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung der in Rede stehenden Geb.-Nrn. eine Rolle spielen können, die über die routinemäßige Handhabung des Gebührenkatalogs hinausgehen (BSG, Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Rechtsfragen solcher Art waren (aus der Sicht des Klägers) offenbar auch (mittelbar) Gegenstand von Gerichtsverfahren, die Berufskollegen des Klägers vor dem Sozialgericht Düsseldorf im Kern um die gebührenrechtliche Bewertung der Radiosynoviorthese (im ab 1.4.2005 geltenden EBM) geführt hatten; der Kläger hatte zur Begründung seines Widerspruchs deswegen einen umfangreichen Anwaltsschriftsatz aus einem dieser Gerichtsverfahren vorgelegt. Die Beklagte hatte den Abrechnungssachverhalt - offenbar nicht zuletzt wegen dessen auch die (gebühren-)rechtliche Dimension einschließender Bedeutung - der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Stellungnahme vorgelegt. Erst nach Ergehen dieser Stellungnahme ist sie zu der Rechtsauffassung gelangt, dass unter Würdigung der Abrechnungsmodalitäten nach dem EBM 96 die Berechnung der Geb.-Nrn. 5095,5160 und 6050 neben der Geb.-Nr. 7070 EBM 96 nicht explizit ausgeschlossen gewesen sei, den Formulierungen des EBM 96 vielmehr nicht entnommen werden könne, dass eine vor der eigentlichen Radiosynoviorthese durchgeführte Kontrastdarstellung der Gelenke Bestandteil der Radiosynoviorthese sei. Diese Beurteilung der unter den Beteiligten streitigen Abrechnungsfragen erschöpft sich nicht in fachlich-medizinischen Einschätzungen und in der Handhabung von Modalitäten der Leistungsabrechnung, die der Vertragsarzt mit seinem Fachwissen und der von ihm zu erwartenden Kenntnis des Abrechnungswesens auch ohne rechtliche Unterstützung durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vornehmen kann. Zu klären waren – jedenfalls aus der maßgeblichen ex-ante Sicht des Widerspruchsführers – tiefer gehende Rechtsfragen hinsichtlich der genauen Auslegung der Leistungslegenden bzw. des Verhältnisses der in Rede stehenden Geb.-Nrn. zueinander und zu den allgemeinen Bestimmungen des EBM 96 und nicht lediglich Routinefragen der alltäglichen Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen. In solchen Fällen darf sich der Vertragsarzt wie jeder andere Bürger anwaltlicher Hilfe bedienen.

Dass der Bevollmächtigte allein – ohne Begründung – Widerspruch gegen den Kürzungsbescheid eingelegt und der Kläger selbst (unter dem gleichen Datum wie die Widerspruchsschrift des Bevollmächtigten) eine Widerspruchsbegründung verfasst und vorgelegt hatte, lässt die Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten nicht entfallen. Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf der Vertragsarzt für den bloß formalen Akt der Widerspruchseinlegung zwar grundsätzlich nicht der Unterstützung durch einen Bevollmächtigten (BSG, Urt. v. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedenfalls im Ausgangspunkt aber auf Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung, bei der es im vorgeschalteten Abhilfeverfahren vor dem Prüfungsausschuss (§ 17 EKV-Ä a.F.) typischerweise um medizinische Fachfragen hinsichtlich bestimmter Behandlungsweisen ging, die der betroffene Vertragsarzt – was ihm bei Sicht ex ante auch bewusst ist - sachkundig (am besten selbst) mit den Mitgliedern des zuständigen Ausschusses erörtern kann (vgl. BSG, Urt. v. 15.12.1987, - 6 RKa 21/87 -). In seiner neueren Rechtsprechung hat das BSG Zweifel geäußert, ob an dieser Rechtsprechung angesichts der Rechtsentwicklung im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung noch festzuhalten ist (BSG, Urt. v. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -). Jedenfalls ist nicht für sich allein entscheidend, ob der zum Vorverfahren zugezogene Bevollmächtigte (Rechtsanwalt) im Verfahren auch Erklärungen im Namen des Vertretenen abgegeben hat (BSG, Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Maßgeblich ist nach dem Gesagten, ob es der Vertretene (bei Sicht ex ante) für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Bevollmächtigten (Rechtsanwalt) unterstützt zu werden. Es kommt nicht ausschlaggebend darauf an, wie sich die Tätigkeit der Bevollmächtigte (bei Sicht ex post) nach Auftragserteilung im weiteren Verfahren hinsichtlich Art und Umfang tatsächlich gestaltet hat. Daher bleibt es bei der festgestellten Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten zum Widerspruchsverfahren gegen den Kürzungsbescheid vom 18.4.2006, auch wenn der Bevollmächtigte des Klägers eine (eigene) Widerspruchsbegründung nicht vorgelegt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
Rechtskraft
Aus
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