Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AL 422/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 287/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Dem Kläger werden wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung Verschuldenskosten in Höhe von 225,- EUR auferlegt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeiten vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 und die Erstattung für diese Zeiträume erbrachter Leistungen (15.963,53 EUR) nebst von der Beklagten entrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (4.432,79 EUR; insgesamt: 20.396,32 EUR).
Der am 4. März 1972 geborene Kläger meldete sich am 3. Juli 2001 beim damaligen Arbeitsamt Stuttgart (jetzt: Agentur für Arbeit; AA) arbeitslos und beantragte Alg. Zuvor hatte er nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe (6. März 1998 bis 1. März 2000) in der Zeit vom 8. bis 31. Mai 2000 Alg bezogen und vom 1. Juni 2000 bis 30. Juni 2001 bei der Firma M -GmbH (M-GmbH) als DV-Organisator gearbeitet. Das Arbeitsverhältnis war seitens des Klägers durch Kündigung beendet worden. Bei der Arbeitslosmeldung gab der Kläger an, er werde für Bekannte eine Tätigkeit als Geschäftsführer im Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben; die Tätigkeit beginne am 3. Juli 2001. In der Folge bezog der Kläger vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 Alg sowie anschließend vom 4. September bis 30. November 2002 Alhi. Am 10. Juli 2002 ergab eine Prüfung durch den Außendienst des AA, dass der Kläger zwei Unternehmen, die "E. Co. KG" und den Verein "Zwangsentschädigung deutscher Gefangener e. V.", betrieben hat. Auf Nachfrage des AA teilte zudem die M-GmbH in der Folge mit, die E. Co. KG sei für sie in größerem Umfang tätig gewesen. Wegen des Inhalts der vorgelegten Arbeitsnachweise wird auf Bl. 117 bis 141 der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsmitteilung vom 10. September 2002) hob die AA mit Bescheid vom 21. Juli 2004 die Bewilligung von Alg für die Zeiten vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 auf. Der Kläger habe die in diesen Zeiträumen zu Unrecht bezogenen Leistungen in Höhe von 15.963,53 EUR nebst von der Beklagten geleisteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 4.432,79 EUR, insgesamt also 20.396,32 EUR zu erstatten.
Gegen diesen Bescheid erhob der zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft befindliche Kläger am 11. August 2004 Widerspruch. Er habe die Zeitgrenze von 15 Stunden nicht überschritten und auch keine Nebenverdienste verschwiegen. Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 5. August 2004 wurde (u. a.) der Kläger u. a. wegen Betruges zu Lasten der Beklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. In den Urteilsgründen führte das Landgericht aus, der Kläger habe bei seiner Arbeitslosmeldung am 3. Juli 2001 bewusst wahrheitswidrig behauptet, er übe eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ohne Entgelt und in einem Umfang von weniger als 15 Stunden aus. Tatsächlich habe der Kläger zuvor eigens zu Täuschungszwecken die E. Co. KG gegründet und sei unter dieser Firma weit mehr als 15 Stunden wöchentlich für die M-GmbH selbständig tätig gewesen. Aus dieser Tätigkeit habe er ein durchschnittliches Monatseinkommen in Höhe von mindestens 1.171,00 EUR, in einzelnen Monaten aber auch deutlich höhere Einnahmen bis zu 9.169,00 EUR erzielt. Der Kläger habe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden und sei zudem wegen seines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit auch nicht bedürftig im Sinne der Vorschriften über die Alhi gewesen. Das Urteil wurde am 5. August 2004 rechtskräftig. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2004 wies die Widerspruchsstelle der AA den Widerspruch zurück.
Mit der am 1. Dezember 2004 beim Sozialgericht Stuttgart erhobenen und mit Beschluss vom 16. Februar 2005 an das Sozialgericht Karlsruhe (SG) verwiesenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Die Beklagte sei zu Unrecht von einer mehr als geringfügigen Tätigkeit ausgegangen. Für das Vorliegen einer Tätigkeit von längerer Zeitdauer sei die Beklagte beweispflichtig. Das Strafurteil des LG könne nicht als Beweismittel herangezogen werden. Er habe gegenüber dem LG die erhobenen Vorwürfe zwar eingeräumt; dies sei aber im Rahmen eines informellen Vorgesprächs erfolgt. Eine Zeugenvernehmung habe in diesem Verfahren nicht stattgefunden. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Kläger habe im Strafverfahren ein umfassendes Geständnis abgelegt; hieran müsse er sich festhalten lassen. Das SG hat Kontoauszüge des Geschäftskontos der E. Co. KG beigezogen und in der Folge die Herren C. Sch., P. W. und St. Wo. als Zeugen vernommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift des SG über die mündliche Verhandlung am 7. November 2007 (Bl. 196 bis 203 der Klageakte des SG) Bezug genommen. Mit Urteil vom 7. November 2007 hat das SG den Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004 insoweit aufgehoben, als die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 6. Mai 2002 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 zurückgenommen worden und die Erstattung der für diese Zeiträume gezahlten Leistungen gefordert worden ist. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger ab 3. Juli 2001 nicht arbeitslos gewesen sei, denn er habe eine selbständige Tätigkeit in einem Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt. Diese Feststellung könne jedoch nur für die Zeit bis 5. Mai 2002 getroffen werden. Für die danach liegenden Zeiträume habe die Beklagte, die hierfür die Beweislast trage, den Nachweis einer mehr als geringfügigen Tätigkeit nicht erbracht. Für eine Umkehr der Beweislast sehe die Kammer keine ausreichenden Anhaltspunkte.
Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 19. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Januar 2008 Berufung eingelegt. Der Kläger hat am 13. Mai 2008 sinngemäß Anschlussberufung eingelegt.
Die Beklagte trägt vor, sie halte es aufgrund des Geständnisses des Klägers im Strafverfahren für erwiesen, dass dieser während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums nicht arbeitslos gewesen ist. Selbst wenn man dies, insoweit dem SG folgend, anders beurteilen wolle, müsse dem Kläger die materielle Beweislast für das Nichtvorliegen einer die Arbeitslosigkeit ausschließenden mehr als geringfügigen Tätigkeit auferlegt werden. Schließlich lägen sämtliche Umstände, die hierfür maßgeblich seien in der Sphäre des Klägers. Dies gelte umso mehr, als aufgrund des - nunmehr im Rahmen des Schadensausgleiches widerrufenen - Geständnisses des Klägers weitere Ermittlungen nicht angezeigt gewesen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 abzuändern und den Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004 insgesamt aufzuheben sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält daran fest, dass sein Geständnis im Strafverfahren ihm nicht vorgehalten werden könne. Dieses sei nur durch eine erheblich höhere Strafandrohung erpresst worden.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Kundennummer 677A164862), die Klageakte des SG (S 14 AL 422/05) und die Berufungsakte des Senats (L 13 AL 287/08) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 hat Erfolg. Die (unselbständige) Anschlussberufung des Klägers gegen diese Entscheidung bleibt hingegen erfolglos.
Die Berufungen sind statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes jeweils 500,00 EUR übersteigt (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in der hier noch anwendbaren bis 31. März 2008 geltenden Fassung). Die Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig, da sie unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt wurde. Die Berufung des Klägers ist als unselbständige Anschlussberufung zulässig (§ 202 SGG in Verbindung mit § 524 Zivilprozessordnung). Die Berufung der Beklagten ist auch begründet; das SG hat den Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004 zu Unrecht aufgehoben, soweit die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 6. Mai 2002 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 zurückgenommen worden und die Erstattung der für diese Zeiträume gezahlten Leistungen gefordert worden ist. Der im Wege der isolierten Anfechtungsklage angegriffene Bescheid vom 21. Juli 2004 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004) erweist sich - anders als vom SG entschieden - insgesamt als rechtmäßig und den Kläger nicht in subjektiven Rechten verletzend. Dementsprechend ist die Klage insgesamt abzuweisen. Die auf die vollständige Aufhebung dieses Bescheids gerichtete Berufung des Klägers erweist sich deshalb als unbegründet.
Der Kläger war zur vollen Überzeugung des Senats während der gesamten streitgegenständlichen Zeiträume (3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002, 1. bis 3. September 2002 und 4. September bis 30. November 2002) wegen der Ausübung einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit nicht arbeitslos und hatte deshalb keinen Anspruch auf Alg oder Alhi.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der dem Kläger Alg für die Zeiten vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und 1. bis 3. September 2002 sowie Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 bewilligenden Bescheide ist § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Verbindung mit § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist eine Rücknahme ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch unter anderem dann nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). § 330 Abs. 2 SGB III bestimmt unter anderem für diesen Fall, dass der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts tritt damit an die Stelle der gemäß § 45 SGB X eigentlich vorgesehenen Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Die dem Kläger für die streitgegenständlichen Zeiträume Alg bzw. Alhi bewilligenden Bescheide waren von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe auf den Bestand dieser Bewilligungsbescheide vertraut, denn er hat nach Überzeugung des Senats bei der Antragstellung vorsätzlich unzutreffende Angaben gemacht, die für die Bewilligungsentscheidung maßgeblich gewesen sind. Letztlich sind die gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2 SGB X einzuhaltenden Fristen gewahrt.
Anspruch auf Alg haben gemäß § 117 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Gemäß § 190 Abs. 1 SGB III (in der anzuwendenden bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) haben Anspruch auf Alhi Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben (Nr. 2), einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben (Nr. 3), in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist (Nr. 4) und bedürftig sind (Nr. 5). Beiden Anspruchsgrundlagen ist das Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit gemein. Diese setzt gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (für den Anspruch auf Alhi vgl. § 198 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III) voraus, dass der Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 118 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Nach § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB III stehen eine selbstständige Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger einer Beschäftigung gleich. Mehrere Beschäftigungen werden zusammengerechnet (§ 118 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB III).
Zur vollen Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger allein im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit als Betriebsinhaber, persönlich haftender Gesellschafter und (ab 30. August 2002) Prokurist der E. Co. KG in einem zeitlichen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden selbständig tätig und deshalb (von Anfang an) nicht arbeitslos gewesen ist. Die Zeit vom 3. Juli 2001 bis 5. Mai 2002 betreffend hat dies bereits das SG - unter insoweit nicht zu beanstandender Würdigung der umfassend erhobenen Beweise - überzeugend begründet. Deshalb schließt sich der Senat diesbezüglich den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Urteils vom 7. November 2007 an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Anders als das SG ist der Senat darüber hinaus aber auch davon überzeugt, dass der Kläger auch über den 5. Mai 2002 hinaus jedenfalls bis 30. November 2002 weiterhin selbständig tätig gewesen ist und diese Tätigkeit (weiterhin) eine wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden umfasst hat. Als entscheidendes Indiz hierfür wertet der Senat zunächst das Geständnis des Klägers im Strafverfahren, mit dem dieser selbst eine mehr als geringfügige Tätigkeit während des gesamten Zeitraums eingeräumt hat. Dem SG ist zwar insoweit zuzustimmen, als die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an die tatsächlichen Feststellungen der Strafgerichte nicht gebunden sind; sie sind auf der anderen Seite aber auch nicht gehindert, die dort gewonnenen Erkenntnisse bei der eigenen Urteilsbildung zu berücksichtigen. Nachdem der Kläger weder gegenüber dem SG noch gegenüber dem Senat nachvollziehbar dargelegt hat, dass, aus welchen Gründen und in welchem Umfang sich seine selbständige Tätigkeit nach dem Mai 2002 verändert haben soll, sieht der Senat keine Veranlassung, eine solche Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen zu Gunsten des Klägers zu unterstellen. Darüber hinaus weisen dem Senat vorliegende Kontoauszüge eines bei der Landesbank Baden-Württemberg geführten Geschäftskontos der E. Co. KG für das gesamte Jahre 2002 in ganz erheblichem Umfang Gut- und Lastschriften aus. So wurde unter anderem Miete für Geschäftsräume, Versicherungsbeiträge, Notarkosten, Telefonkosten, Gehälter für Mitarbeiter und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Im Gegenzug hat der Kläger in großem Umfang Barabhebungen, u. a. an Geldautomaten vorgenommen. Für welche Zwecke er die abgehobenen Beträge verwendet hat, konnte oder wollte der Kläger auch gegenüber dem Senat nicht angeben. Seine Einlassung, er habe das Geld für den Betrieb eines Restpostengeschäfts benötigt, spricht gerade für das Vorliegen einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit. Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit eines Selbständigen naturgemäß nicht auf die Kerntätigkeit beschränkt ist. Zu berücksichtigen sind zahlreiche weitere Betätigungen wie z. B. die Akquisition neuer Kunden, die Kundenpflege, Verwaltung, die Ausarbeitung und Gestaltung von Betriebsabläufen, die Organisation der Betriebsräume einschließlich Lagerhaltung, die Verwaltung und die Buchhaltung (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG) SozR 4100 § 102 Nr. 7; Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 2000 - L 13 AL 3645/98 - veröffentlicht in Juris). Zu den Arbeitszeiten eines Selbständigen zählen letztlich nicht nur die Zeiten, in denen er tatsächlich seiner Tätigkeit nachgeht, sondern auch die mit der Berufsausübung notwendig verbundenen Wartezeiten und die Zeiten, in denen er seine Arbeitskraft nur vorhält (Urteil des erkennenden Senats vom 24. April 2007 - L 13 AL 4002/03 - nicht veröffentlicht). Der Senat hat deshalb im Ergebnis keine Zweifel, dass der Gesamtumfang der zeitlichen Inanspruchnahme des Klägers durch seine selbständige Tätigkeit die maßgebliche 15-Stunden-Grenze während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums sogar deutlich überschritten hat.
Auf schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Kläger nicht berufen, da er bei der Antragstellung lediglich eine Nebenbeschäftigung angegeben und damit vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Der Kläger erhielt anlässlich seiner Arbeitslosmeldung das Merkblatt 1 für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" und bestätigte den Erhalt unterschriftlich. In diesem Merkblatt wird auf die (leistungsrechtliche) Bedeutung der Aufnahme bzw. Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ausdrücklich hingewiesen. Dem Kläger musste danach bewusst sein, dass ein Anspruch auf Alg und Alhi mangels Arbeitslosigkeit nicht besteht, wenn der zeitliche Umfang seiner Tätigkeit die Grenze von 15 Stunden erreicht. Dabei musste sich ihm auch aufdrängen, dass insoweit nicht nur die tatsächliche Verrichtung der Kerntätigkeit, sondern auch die mit einer selbständigen Berufsausübung notwendig verbundenen Nebentätigkeiten sowie Zeiten, in denen er seine Arbeitskraft nur vorhält, zu berücksichtigen sind. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger dies auch gewusst hat und gleichwohl - vorsätzlich - falsche Angaben zum Umfang seiner Tätigkeit gemacht hat, um auf diesem Wege - neben dem Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit - zu Unrecht Alg und Alhi beziehen zu können.
Die Beklagte hat - insoweit stimmt der Senat mit dem SG überein - eine umfassende Kenntnis darüber, in welchem Umfang der Kläger sein Gewerbe betrieben hat, jedenfalls nicht vor Übersendung der Anklageschrift im Strafverfahren (Zugang bei der Beklagten am 19. Juli 2004) erlangt. Der auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21. Juli 2004 wurde dem Kläger am 24. Juli 2004 (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X), also innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bekannt gegeben. Die Frist von zehn Jahren ab Bekanntgabe der dem Kläger Alg und Alhi für die streitgegenständlichen Zeiträume bewilligenden Bescheide ist damit ebenfalls gewahrt (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X), wobei der Senat nicht zu entscheiden braucht, ob die Einhaltung dieser Frist angesichts vorliegender Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 580 der Zivilprozessordnung entbehrlich ist (§ 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X).
Die Rechtmäßigkeit der Erstattung des Alg und der Alhi beruht auf § 50 Abs. 1 SGB X, diejenige der Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung auf § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Für den Erstattungszeitraum hat insbesondere kein weiteres Krankenversicherungsverhältnis bestanden. Die Höhe der Erstattungsforderung ist zutreffend berechnet. Der Senat macht sich ausgehend von den nach den Zahlungsnachweisen erbrachten Leistungen sowie der dort ausgewiesenen richtigen Beitragssätze zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung die Berechnung auf Bl. 353 bis 359 der Verwaltungsakten zu eigen. Etwaige Mängel bei der Anhörung sind dadurch geheilt worden, dass der angegriffene Bescheid alle für die Rücknahme und Erstattung erforderlichen Tatsachen enthalten hat und damit die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt wurde (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 192, 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen seines Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemäß § 192 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten aufzuerlegen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass er den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Eine entsprechende Belehrung ist in der in der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2010 erfolgt. Dass der (ordnungsgemäß geladene) Kläger hierbei nicht anwesend gewesen ist, steht der Anwendbarkeit des § 192 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG nicht entgegen (Senatsurteil vom 18: Mai 2010 - L 13 AS 5202/07 - veröffentlicht in Juris). Die Rechtsverfolgung ist im vorliegenden Fall auch missbräuchlich. Ein Missbrauch ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung wissentlich auf eine unrichtige Sachverhaltsdarstellung gestützt wird (vgl. Meyer/Ladewig, SGG 8. Aufl., § 192 Rdnr. 9b m.w.N.). Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren vorsätzlich wahrheitswidrig vorgetragen hat und wertet dies als besonders gravierenden Fall des Missbrauchs verfahrensrechtlicher und prozessualer Rechte. Deshalb hält der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens die Auferlegung einer Verschuldensgebühr für geboten. Die Höhe der auferlegten Kosten entspricht der gesetzlichen Mindestgebühr (§ 192 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 184 Abs. 2 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Dem Kläger werden wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung Verschuldenskosten in Höhe von 225,- EUR auferlegt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeiten vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 und die Erstattung für diese Zeiträume erbrachter Leistungen (15.963,53 EUR) nebst von der Beklagten entrichteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (4.432,79 EUR; insgesamt: 20.396,32 EUR).
Der am 4. März 1972 geborene Kläger meldete sich am 3. Juli 2001 beim damaligen Arbeitsamt Stuttgart (jetzt: Agentur für Arbeit; AA) arbeitslos und beantragte Alg. Zuvor hatte er nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe (6. März 1998 bis 1. März 2000) in der Zeit vom 8. bis 31. Mai 2000 Alg bezogen und vom 1. Juni 2000 bis 30. Juni 2001 bei der Firma M -GmbH (M-GmbH) als DV-Organisator gearbeitet. Das Arbeitsverhältnis war seitens des Klägers durch Kündigung beendet worden. Bei der Arbeitslosmeldung gab der Kläger an, er werde für Bekannte eine Tätigkeit als Geschäftsführer im Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben; die Tätigkeit beginne am 3. Juli 2001. In der Folge bezog der Kläger vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 Alg sowie anschließend vom 4. September bis 30. November 2002 Alhi. Am 10. Juli 2002 ergab eine Prüfung durch den Außendienst des AA, dass der Kläger zwei Unternehmen, die "E. Co. KG" und den Verein "Zwangsentschädigung deutscher Gefangener e. V.", betrieben hat. Auf Nachfrage des AA teilte zudem die M-GmbH in der Folge mit, die E. Co. KG sei für sie in größerem Umfang tätig gewesen. Wegen des Inhalts der vorgelegten Arbeitsnachweise wird auf Bl. 117 bis 141 der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsmitteilung vom 10. September 2002) hob die AA mit Bescheid vom 21. Juli 2004 die Bewilligung von Alg für die Zeiten vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 auf. Der Kläger habe die in diesen Zeiträumen zu Unrecht bezogenen Leistungen in Höhe von 15.963,53 EUR nebst von der Beklagten geleisteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 4.432,79 EUR, insgesamt also 20.396,32 EUR zu erstatten.
Gegen diesen Bescheid erhob der zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft befindliche Kläger am 11. August 2004 Widerspruch. Er habe die Zeitgrenze von 15 Stunden nicht überschritten und auch keine Nebenverdienste verschwiegen. Mit Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 5. August 2004 wurde (u. a.) der Kläger u. a. wegen Betruges zu Lasten der Beklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. In den Urteilsgründen führte das Landgericht aus, der Kläger habe bei seiner Arbeitslosmeldung am 3. Juli 2001 bewusst wahrheitswidrig behauptet, er übe eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ohne Entgelt und in einem Umfang von weniger als 15 Stunden aus. Tatsächlich habe der Kläger zuvor eigens zu Täuschungszwecken die E. Co. KG gegründet und sei unter dieser Firma weit mehr als 15 Stunden wöchentlich für die M-GmbH selbständig tätig gewesen. Aus dieser Tätigkeit habe er ein durchschnittliches Monatseinkommen in Höhe von mindestens 1.171,00 EUR, in einzelnen Monaten aber auch deutlich höhere Einnahmen bis zu 9.169,00 EUR erzielt. Der Kläger habe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden und sei zudem wegen seines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit auch nicht bedürftig im Sinne der Vorschriften über die Alhi gewesen. Das Urteil wurde am 5. August 2004 rechtskräftig. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2004 wies die Widerspruchsstelle der AA den Widerspruch zurück.
Mit der am 1. Dezember 2004 beim Sozialgericht Stuttgart erhobenen und mit Beschluss vom 16. Februar 2005 an das Sozialgericht Karlsruhe (SG) verwiesenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Die Beklagte sei zu Unrecht von einer mehr als geringfügigen Tätigkeit ausgegangen. Für das Vorliegen einer Tätigkeit von längerer Zeitdauer sei die Beklagte beweispflichtig. Das Strafurteil des LG könne nicht als Beweismittel herangezogen werden. Er habe gegenüber dem LG die erhobenen Vorwürfe zwar eingeräumt; dies sei aber im Rahmen eines informellen Vorgesprächs erfolgt. Eine Zeugenvernehmung habe in diesem Verfahren nicht stattgefunden. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Kläger habe im Strafverfahren ein umfassendes Geständnis abgelegt; hieran müsse er sich festhalten lassen. Das SG hat Kontoauszüge des Geschäftskontos der E. Co. KG beigezogen und in der Folge die Herren C. Sch., P. W. und St. Wo. als Zeugen vernommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift des SG über die mündliche Verhandlung am 7. November 2007 (Bl. 196 bis 203 der Klageakte des SG) Bezug genommen. Mit Urteil vom 7. November 2007 hat das SG den Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004 insoweit aufgehoben, als die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 6. Mai 2002 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 zurückgenommen worden und die Erstattung der für diese Zeiträume gezahlten Leistungen gefordert worden ist. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger ab 3. Juli 2001 nicht arbeitslos gewesen sei, denn er habe eine selbständige Tätigkeit in einem Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausgeübt. Diese Feststellung könne jedoch nur für die Zeit bis 5. Mai 2002 getroffen werden. Für die danach liegenden Zeiträume habe die Beklagte, die hierfür die Beweislast trage, den Nachweis einer mehr als geringfügigen Tätigkeit nicht erbracht. Für eine Umkehr der Beweislast sehe die Kammer keine ausreichenden Anhaltspunkte.
Gegen das ihr gemäß Empfangsbekenntnis am 19. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Januar 2008 Berufung eingelegt. Der Kläger hat am 13. Mai 2008 sinngemäß Anschlussberufung eingelegt.
Die Beklagte trägt vor, sie halte es aufgrund des Geständnisses des Klägers im Strafverfahren für erwiesen, dass dieser während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums nicht arbeitslos gewesen ist. Selbst wenn man dies, insoweit dem SG folgend, anders beurteilen wolle, müsse dem Kläger die materielle Beweislast für das Nichtvorliegen einer die Arbeitslosigkeit ausschließenden mehr als geringfügigen Tätigkeit auferlegt werden. Schließlich lägen sämtliche Umstände, die hierfür maßgeblich seien in der Sphäre des Klägers. Dies gelte umso mehr, als aufgrund des - nunmehr im Rahmen des Schadensausgleiches widerrufenen - Geständnisses des Klägers weitere Ermittlungen nicht angezeigt gewesen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 abzuändern und den Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004 insgesamt aufzuheben sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält daran fest, dass sein Geständnis im Strafverfahren ihm nicht vorgehalten werden könne. Dieses sei nur durch eine erheblich höhere Strafandrohung erpresst worden.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Kundennummer 677A164862), die Klageakte des SG (S 14 AL 422/05) und die Berufungsakte des Senats (L 13 AL 287/08) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. November 2007 hat Erfolg. Die (unselbständige) Anschlussberufung des Klägers gegen diese Entscheidung bleibt hingegen erfolglos.
Die Berufungen sind statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes jeweils 500,00 EUR übersteigt (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in der hier noch anwendbaren bis 31. März 2008 geltenden Fassung). Die Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig, da sie unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt wurde. Die Berufung des Klägers ist als unselbständige Anschlussberufung zulässig (§ 202 SGG in Verbindung mit § 524 Zivilprozessordnung). Die Berufung der Beklagten ist auch begründet; das SG hat den Bescheid vom 21. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004 zu Unrecht aufgehoben, soweit die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 6. Mai 2002 bis 31. Mai 2002 und vom 1. bis 3. September 2002 sowie die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 zurückgenommen worden und die Erstattung der für diese Zeiträume gezahlten Leistungen gefordert worden ist. Der im Wege der isolierten Anfechtungsklage angegriffene Bescheid vom 21. Juli 2004 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 2004) erweist sich - anders als vom SG entschieden - insgesamt als rechtmäßig und den Kläger nicht in subjektiven Rechten verletzend. Dementsprechend ist die Klage insgesamt abzuweisen. Die auf die vollständige Aufhebung dieses Bescheids gerichtete Berufung des Klägers erweist sich deshalb als unbegründet.
Der Kläger war zur vollen Überzeugung des Senats während der gesamten streitgegenständlichen Zeiträume (3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002, 1. bis 3. September 2002 und 4. September bis 30. November 2002) wegen der Ausübung einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit nicht arbeitslos und hatte deshalb keinen Anspruch auf Alg oder Alhi.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der dem Kläger Alg für die Zeiten vom 3. Juli 2001 bis 31. Mai 2002 und 1. bis 3. September 2002 sowie Alhi für die Zeit vom 4. September bis 30. November 2002 bewilligenden Bescheide ist § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Verbindung mit § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist eine Rücknahme ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch unter anderem dann nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). § 330 Abs. 2 SGB III bestimmt unter anderem für diesen Fall, dass der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts tritt damit an die Stelle der gemäß § 45 SGB X eigentlich vorgesehenen Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Die dem Kläger für die streitgegenständlichen Zeiträume Alg bzw. Alhi bewilligenden Bescheide waren von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe auf den Bestand dieser Bewilligungsbescheide vertraut, denn er hat nach Überzeugung des Senats bei der Antragstellung vorsätzlich unzutreffende Angaben gemacht, die für die Bewilligungsentscheidung maßgeblich gewesen sind. Letztlich sind die gemäß § 45 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2 SGB X einzuhaltenden Fristen gewahrt.
Anspruch auf Alg haben gemäß § 117 Abs. 1 SGB III in der hier anzuwendenden bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (Nr. 3). Gemäß § 190 Abs. 1 SGB III (in der anzuwendenden bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) haben Anspruch auf Alhi Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr. 1), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben (Nr. 2), einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben (Nr. 3), in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist (Nr. 4) und bedürftig sind (Nr. 5). Beiden Anspruchsgrundlagen ist das Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit gemein. Diese setzt gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (für den Anspruch auf Alhi vgl. § 198 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III) voraus, dass der Arbeitnehmer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 118 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Nach § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB III stehen eine selbstständige Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger einer Beschäftigung gleich. Mehrere Beschäftigungen werden zusammengerechnet (§ 118 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB III).
Zur vollen Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger allein im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit als Betriebsinhaber, persönlich haftender Gesellschafter und (ab 30. August 2002) Prokurist der E. Co. KG in einem zeitlichen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden selbständig tätig und deshalb (von Anfang an) nicht arbeitslos gewesen ist. Die Zeit vom 3. Juli 2001 bis 5. Mai 2002 betreffend hat dies bereits das SG - unter insoweit nicht zu beanstandender Würdigung der umfassend erhobenen Beweise - überzeugend begründet. Deshalb schließt sich der Senat diesbezüglich den Entscheidungsgründen des mit der Berufung angefochtenen Urteils vom 7. November 2007 an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Anders als das SG ist der Senat darüber hinaus aber auch davon überzeugt, dass der Kläger auch über den 5. Mai 2002 hinaus jedenfalls bis 30. November 2002 weiterhin selbständig tätig gewesen ist und diese Tätigkeit (weiterhin) eine wöchentliche Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden umfasst hat. Als entscheidendes Indiz hierfür wertet der Senat zunächst das Geständnis des Klägers im Strafverfahren, mit dem dieser selbst eine mehr als geringfügige Tätigkeit während des gesamten Zeitraums eingeräumt hat. Dem SG ist zwar insoweit zuzustimmen, als die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an die tatsächlichen Feststellungen der Strafgerichte nicht gebunden sind; sie sind auf der anderen Seite aber auch nicht gehindert, die dort gewonnenen Erkenntnisse bei der eigenen Urteilsbildung zu berücksichtigen. Nachdem der Kläger weder gegenüber dem SG noch gegenüber dem Senat nachvollziehbar dargelegt hat, dass, aus welchen Gründen und in welchem Umfang sich seine selbständige Tätigkeit nach dem Mai 2002 verändert haben soll, sieht der Senat keine Veranlassung, eine solche Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen zu Gunsten des Klägers zu unterstellen. Darüber hinaus weisen dem Senat vorliegende Kontoauszüge eines bei der Landesbank Baden-Württemberg geführten Geschäftskontos der E. Co. KG für das gesamte Jahre 2002 in ganz erheblichem Umfang Gut- und Lastschriften aus. So wurde unter anderem Miete für Geschäftsräume, Versicherungsbeiträge, Notarkosten, Telefonkosten, Gehälter für Mitarbeiter und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Im Gegenzug hat der Kläger in großem Umfang Barabhebungen, u. a. an Geldautomaten vorgenommen. Für welche Zwecke er die abgehobenen Beträge verwendet hat, konnte oder wollte der Kläger auch gegenüber dem Senat nicht angeben. Seine Einlassung, er habe das Geld für den Betrieb eines Restpostengeschäfts benötigt, spricht gerade für das Vorliegen einer mehr als geringfügigen selbständigen Tätigkeit. Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit eines Selbständigen naturgemäß nicht auf die Kerntätigkeit beschränkt ist. Zu berücksichtigen sind zahlreiche weitere Betätigungen wie z. B. die Akquisition neuer Kunden, die Kundenpflege, Verwaltung, die Ausarbeitung und Gestaltung von Betriebsabläufen, die Organisation der Betriebsräume einschließlich Lagerhaltung, die Verwaltung und die Buchhaltung (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG) SozR 4100 § 102 Nr. 7; Urteil des erkennenden Senats vom 14. Juli 2000 - L 13 AL 3645/98 - veröffentlicht in Juris). Zu den Arbeitszeiten eines Selbständigen zählen letztlich nicht nur die Zeiten, in denen er tatsächlich seiner Tätigkeit nachgeht, sondern auch die mit der Berufsausübung notwendig verbundenen Wartezeiten und die Zeiten, in denen er seine Arbeitskraft nur vorhält (Urteil des erkennenden Senats vom 24. April 2007 - L 13 AL 4002/03 - nicht veröffentlicht). Der Senat hat deshalb im Ergebnis keine Zweifel, dass der Gesamtumfang der zeitlichen Inanspruchnahme des Klägers durch seine selbständige Tätigkeit die maßgebliche 15-Stunden-Grenze während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums sogar deutlich überschritten hat.
Auf schutzwürdiges Vertrauen kann sich der Kläger nicht berufen, da er bei der Antragstellung lediglich eine Nebenbeschäftigung angegeben und damit vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Der Kläger erhielt anlässlich seiner Arbeitslosmeldung das Merkblatt 1 für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" und bestätigte den Erhalt unterschriftlich. In diesem Merkblatt wird auf die (leistungsrechtliche) Bedeutung der Aufnahme bzw. Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ausdrücklich hingewiesen. Dem Kläger musste danach bewusst sein, dass ein Anspruch auf Alg und Alhi mangels Arbeitslosigkeit nicht besteht, wenn der zeitliche Umfang seiner Tätigkeit die Grenze von 15 Stunden erreicht. Dabei musste sich ihm auch aufdrängen, dass insoweit nicht nur die tatsächliche Verrichtung der Kerntätigkeit, sondern auch die mit einer selbständigen Berufsausübung notwendig verbundenen Nebentätigkeiten sowie Zeiten, in denen er seine Arbeitskraft nur vorhält, zu berücksichtigen sind. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger dies auch gewusst hat und gleichwohl - vorsätzlich - falsche Angaben zum Umfang seiner Tätigkeit gemacht hat, um auf diesem Wege - neben dem Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit - zu Unrecht Alg und Alhi beziehen zu können.
Die Beklagte hat - insoweit stimmt der Senat mit dem SG überein - eine umfassende Kenntnis darüber, in welchem Umfang der Kläger sein Gewerbe betrieben hat, jedenfalls nicht vor Übersendung der Anklageschrift im Strafverfahren (Zugang bei der Beklagten am 19. Juli 2004) erlangt. Der auf § 45 SGB X gestützte Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21. Juli 2004 wurde dem Kläger am 24. Juli 2004 (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X), also innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bekannt gegeben. Die Frist von zehn Jahren ab Bekanntgabe der dem Kläger Alg und Alhi für die streitgegenständlichen Zeiträume bewilligenden Bescheide ist damit ebenfalls gewahrt (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X), wobei der Senat nicht zu entscheiden braucht, ob die Einhaltung dieser Frist angesichts vorliegender Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 580 der Zivilprozessordnung entbehrlich ist (§ 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X).
Die Rechtmäßigkeit der Erstattung des Alg und der Alhi beruht auf § 50 Abs. 1 SGB X, diejenige der Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung auf § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Für den Erstattungszeitraum hat insbesondere kein weiteres Krankenversicherungsverhältnis bestanden. Die Höhe der Erstattungsforderung ist zutreffend berechnet. Der Senat macht sich ausgehend von den nach den Zahlungsnachweisen erbrachten Leistungen sowie der dort ausgewiesenen richtigen Beitragssätze zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung die Berechnung auf Bl. 353 bis 359 der Verwaltungsakten zu eigen. Etwaige Mängel bei der Anhörung sind dadurch geheilt worden, dass der angegriffene Bescheid alle für die Rücknahme und Erstattung erforderlichen Tatsachen enthalten hat und damit die Anhörung im Widerspruchsverfahren nachgeholt wurde (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 192, 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen seines Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemäß § 192 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten aufzuerlegen. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass er den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Eine entsprechende Belehrung ist in der in der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2010 erfolgt. Dass der (ordnungsgemäß geladene) Kläger hierbei nicht anwesend gewesen ist, steht der Anwendbarkeit des § 192 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG nicht entgegen (Senatsurteil vom 18: Mai 2010 - L 13 AS 5202/07 - veröffentlicht in Juris). Die Rechtsverfolgung ist im vorliegenden Fall auch missbräuchlich. Ein Missbrauch ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung wissentlich auf eine unrichtige Sachverhaltsdarstellung gestützt wird (vgl. Meyer/Ladewig, SGG 8. Aufl., § 192 Rdnr. 9b m.w.N.). Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren vorsätzlich wahrheitswidrig vorgetragen hat und wertet dies als besonders gravierenden Fall des Missbrauchs verfahrensrechtlicher und prozessualer Rechte. Deshalb hält der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens die Auferlegung einer Verschuldensgebühr für geboten. Die Höhe der auferlegten Kosten entspricht der gesetzlichen Mindestgebühr (§ 192 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 184 Abs. 2 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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