L 9 AL 165/09

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 256/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 165/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Bei Versäumnis der Monatsfrist für eine freiwillige Weiterversicherung gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III in der Fassung vom 21. März 2005 ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X zu gewähren, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der Kläger ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war und der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt ist.
2.Der Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt nicht ohne Weiteres als mit dem Antrag auf Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung nach § 28a SGB III gestellt. § 27 Abs. 2 SGB X unterscheidet zwischen Wiedereinsetzungsantrag und dem die versäumte Handlung darstellenden Sachantrag; erforderlich ist ein bezüglich dem Wiedereinsetzungsbegehren erkennbarer Erklärungswille.
3.Schuldlose Verhinderung an der Einhaltung der Monatsfrist i. S. von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegt nicht vor, wenn der Kläger bei Übernahme einer Minderheitsbeteiligung und Geschäftsführerposition in einer GmbH den Weitversicherungsantrag nicht stellt, sondern den Ausgang eines Statusfeststellungsverfahrens durch die Rentenversicherung abwartet; gerade in einem solchen Fall ist (vorsorgliche) Antragstellung naheliegend und geboten.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Juli 2009 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger trotz verspäteten Antrages Anspruch auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag gemäß § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der Fassung vom 21. März 2005 hat.

Der 1950 geborene Kläger war seit 2004 bei der Q. GmbH & Co Mitte-West KG als angestellter Geschäftsführer beschäftigt. Im Februar 2008 (im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils versehentlich 2006) erhielt er eine Minderheitsbeteiligung in Höhe von 24 v. H. an der GmbH und wurde als 3. Geschäftsführer der Q. GmbH bestellt. Zur Klärung der Frage, ob auch nach dieser Umstrukturierung und der erfolgten Minderheitsbeteiligung ein Angestelltenverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, beantragte der Kläger am 27. Februar 2008 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Statusfeststellungsverfahren nach §§ 7a ff. Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Durch Bescheid vom 11. Juni 2008 teilte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger mit, das eingeleitete Statusfeststellungsverfahren habe zu dem Ergebnis geführt, dass seine Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter bei der Q. GmbH seit dem 25. Februar 2008 im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit und damit nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt werde. In den Gründen heißt es u. a., aufgrund seiner Kapitalbeteiligung von 24 v. H. habe er zwar keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der GmbH. Da aufgrund des Kapitalanteils ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis aber nicht von vornherein ausgeschlossen sei, seien die allgemeinen Voraussetzungen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu prüfen. Maßgebend sei das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse. Ein wesentliches Merkmal für eine selbständige Tätigkeit sei, dass er nicht Weisungen eines Dritten über Zeit, Ort und Art der Beschäftigung unterliege und seine Tätigkeit in der Gesellschaft frei bestimmen könne. Des Weiteren sei er vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit und vertrete die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich allein, weshalb nach der Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen die Merkmale für eine selbständige Tätigkeit überwögen.

Für den Kläger wurden in der Zeit von Februar 2008 bis Juni 2008 noch Beiträge u. a. auch zur Arbeitslosenversicherung abgeführt.

Am 19. Juni 2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung nach § 28a SGB III. Er gab an, die freiwillige Weiterversicherung beginne frühestens ab dem 25. Februar 2008, weil er ab diesem Zeitpunkt als Selbständiger mindestens 15 Stunden wöchentlich beschäftigt sei. Seinem Antrag war der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 11. Juni 2008 beigefügt.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 3. Juli 2008 mit der Begründung ab, der Antrag sei nicht innerhalb eines Monats (Ausschlussfrist) nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, gestellt worden. Der Kläger habe seine selbständige Tätigkeit am 25. Februar 2008 aufgenommen, den Antrag aber erst am 19. Juni 2008 gestellt.

Dagegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 15. Juli 2008, eingegangen bei der Beklagten am 17. Juli 2008, Widerspruch ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Antragsfrist einzuhalten. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe er am 25. Februar 2008 keine selbständige Tätigkeit aufgenommen. Vielmehr sei er seit 2004 angestellter Geschäftsführer gewesen, habe erst im Februar dieses Jahres (2008) eine Minderheitsbeteiligung in Höhe von 24 v. H. an der GmbH erhalten und sei als 3. Geschäftsführer der Q. GmbH bestellt worden. Zur Klärung der Frage, ob er weiterhin in einem Angestelltenverhältnis stehe oder ob nunmehr von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen sei, habe er zunächst ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund durchgeführt, welches erst durch Bescheid vom 11. Juni 2008 zu dem Ergebnis geführt habe, dass er eine selbständige Tätigkeit ausübe. Er habe mithin erst nach Kenntniserlangung dieses Bescheides vom 11. Juni 2008 gewusst, dass er nunmehr als Selbständiger eingestuft worden sei. Mit dem Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung vom 19. Juni 2008 habe er auch die 14-tägige Frist zur Nachholung der versäumten Handlung eingehalten. Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2008 mit der Begründung zurück, der Kläger habe den Antrag auf freiwillige Weiterversicherung verspätet gestellt. Seine selbständige Tätigkeit habe am 25. Februar 2008 begonnen, der Antrag sei aber erst am 19. Juni 2008 gestellt worden. Bei § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III handele es sich nicht um eine durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuch - SGB X - auszusetzende Frist, sondern vielmehr um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die durch die Antragstellung vom 19. Juni 2008 nicht eingehalten worden sei.

Dagegen hat der Kläger am 18. August 2008 Klage bei dem Sozialgericht in Darmstadt erhoben mit dem Vortrag, er habe innerhalb der letzten 24 Monate vor der Selbständigkeit mindestens 12 Monate in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, weshalb er die gesetzlichen Voraussetzungen des § 28a SGB III erfülle. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten enthalte § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III auch keine materielle Ausschlussfrist, die eine Wiedereinsetzung nicht ermögliche. In der Kommentarliteratur werde davon ausgegangen, dass es sich bei der Monatsfrist des § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III nicht um eine Ausschlussfrist handele, sondern hierbei eine Wiedereinsetzung nach § 27 SGB X in Betracht komme.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10. Juli 2010 den Bescheid vom 3. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger ab 19. Juni 2008 in der Arbeitslosenversicherung freiwillig zu versichern. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe den Antrag des Klägers auf freiwillige Weiterversicherung in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht abgelehnt. Entscheidungsgrundlage sei § 28a SGB III in der hier anzuwendenden Fassung. Nach § 28a Abs. 1 Nr. 2 SGB III könne ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag für Personen begründet werden, die eine selbständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen oder ausüben. Nach § 28a Abs. 2 SGB III beginne das Versicherungspflichtverhältnis mit dem Tag des Eingangs des Antrags bei der Agentur für Arbeit, frühestens jedoch mit dem Tag, an dem erstmals die nach Abs. 1 Satz 1 geforderten Voraussetzungen erfüllt seien. Gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III müsse der Antrag spätestens innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtige, gestellt werden. Die Tätigkeit des Klägers, die bis dahin eine versicherungspflichtige Tätigkeit im Sinne § 25 SGB III gewesen sei, sei aufgrund der Minderheitsbeteiligung des Klägers an der GmbH und seiner Bestellung zum 3. Geschäftsführer nach dem Ergebnis des Statusfeststellungsverfahrens ab 25. Februar 2008 als selbständige Tätigkeit zu werten. Der Kläger habe den Antrag auf freiwillige Weiterversicherung nach § 28a SGB III nicht spätestens einen Monat nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit gestellt, sondern erst, als ihm das Ergebnis des Statusfeststellungsverfahrens bekannt gegeben worden sei. Bis dahin seien noch Beiträge - auch zur Arbeitslosenversicherung - abgeführt worden.

Dem Kläger sei vorliegend Wiedereinsetzung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu gewähren, denn nach Auffassung des erkennenden Gerichts handele es sich bei § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III nicht um eine materielle Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung sei weder ausdrücklich durch den Wortlaut der Vorschrift selbst ausgeschlossen, noch ergebe sich dies aus dem Zweck der Fristbestimmung und der ihr zu Grunde liegenden Interessenabwägung. Die Frist des § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III setze eine zeitliche Grenze für die Ausübung eines Rechts, das an aktuelle Rechtsverhältnisse anknüpfe. Da der Status des Berechtigten in der Arbeitslosenversicherung betroffen sei, bestehe ein besonderes Bedürfnis nach Rechtsklarheit und nach eindeutiger Festlegung, wer zum Kreis der Berechtigten gehöre und wer nicht. Daher werde zum Teil die Auffassung vertreten, dass aus Gründen der Rechtsklarheit durch § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III verhindert werden solle, dass das Antragsrecht und damit das Versicherungsverhältnis für unbestimmte Zeit in der Schwebe belassen werde, weshalb aus der "Natur" der Vorschrift Wiedereinsetzung ausgeschlossen sein solle. Das Sozialgericht teile diese Auffassung nicht. Insbesondere sei vorliegend dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit und nach eindeutiger Festlegung Rechnung getragen, da der Kläger die freiwillige Weiterversicherung erst ab dem Zeitpunkt geltend mache, ab dem durch die Deutsche Rentenversicherung festgestellt worden sei, dass sich sein Status geändert habe, also nunmehr eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde. Für die Zeit von Februar 2008 bis Juni 2008 seien für den Kläger noch Beiträge entrichtet worden. Der Kläger sei auch ohne Verschulden verhindert gewesen, die gesetzliche Frist einzuhalten (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Erst durch den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung sei für den Kläger Rechtsklarheit geschaffen worden und er habe innerhalb der Frist des § 27 Abs. 2 SGB X, also innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, auch den Antrag auf freiwillige Weiterversicherung bei der Beklagten gestellt. Das Gericht könne auch selbst die Wiedereinsetzung gewähren, auch dann, wenn der Antrag erst im gerichtlichen Verfahren gestellt worden sei.

Die Beklagte hat am 23. Oktober 2009 gegen das ihr am 23. September 2009 zugestellte Urteil Berufung eingelegt im Wesentlichen mit der Begründung, dass es sich bei § 28a Abs.2 SGB III (in der am 21. März 2005 geltenden Fassung) um eine materielle Ausschlussfrist handele, für die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schlechthin ausgeschlossen sei. § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III in der genannten Fassung sei insoweit mit den Ausschlussfristen der § 4 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vergleichbar, als diese im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ebenfalls das Recht auf eine Antragspflichtversicherung begründeten. Die genannte Frist solle schon aus Gründen der Rechtsklarheit verhindern, dass das Antragsrecht und damit das Versicherungsverhältnis für unbestimmte Zeit in der Schwebe gehalten würden. Nach herrschender Meinung sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X auch dann möglich, wenn die gesetzliche Frist eine materielle Ausschlussfrist sei; allerdings sei die Wiedereinsetzung nach § 27 Abs. 5 SGB X unzulässig, wenn sich aus der Rechtsvorschrift – hier § 28a SGB III – ergebe, dass sie ausgeschlossen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei es dabei nicht erforderlich, dass die Rechtsvorschrift die Wiedereinsetzung ausdrücklich ausschließe; es genüge, wenn sich aus der Zweckbestimmung der Norm ergebe, dass eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen sein solle, wozu statt vieler auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Oktober 1988, 12 RK 22/87, verwiesen werde. Zudem müsse die Auslegung der Norm ergeben, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Frist gegenüber dem Interesse des Einzelnen an der nachträglichen Wiedereinsetzung überwiege, was hier der Fall sei. § 28a SGB III normiere einen Systembruch mit der Pflichtersicherungstradition in der Arbeitslosenversicherung und begünstige insbesondere Selbständige. Mit der Regelung solle dem Versicherungsprinzip Rechnung getragen werden, nach dem ein Versicherungspflichtverhältnis nur dann bestehen bzw. aufrechterhalten werden könne, wenn eine laufende Beitragszahlung erfolge. Von dem Privileg der Versicherungsberechtigung sollten daher nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Personen profitieren können, die bereits in der Vergangenheit der Versichertengemeinschaft angehört hätten und daran in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang anknüpfen könnten. Die Antragsfrist des § 28a SGB III gewährleiste so eine fortlaufende Beitragszahlung, die einen Verbleib in der Arbeitslosenversicherung rechtfertige. Derzeit beabsichtige der Gesetzgeber eine Änderung des § 28a SGB III, wonach der Antrag künftig spätestens innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit, die zur Begründung des Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag berechtige, gestellt werden müsse und dann das Versicherungspflichtverhältnis nicht mehr mit Eingang des Antrages, sondern mit dem ersten Tag, an dem erstmals die Voraussetzungen erfüllt seien, beginne. In der Gesetzesbegründung werde ausgeführt, dass es sich bei der Frist von drei Monaten weiterhin um eine Ausschlussfrist handele. Vorliegend bedeute dies, dass das Versicherungspflichtverhältnis des Klägers am 24. Februar 2008 geendet habe und er ab dem 25. Februar 2008 eine selbständige Tätigkeit ausübe. Die nach dem 24. Februar 2008 bei selbständiger Tätigkeit entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung könnten als Anwartschaftszeiten nicht herangezogen werden. Sollte das Gericht zu der Auffassung gelangen, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zulässig, so seien deren gesetzliche Voraussetzungen nicht erfüllt, da der Kläger nicht schuldlos gehindert gewesen sei, durch rechtzeitige Antragstellung die gesetzliche Frist einzuhalten. Aufgrund der Einleitung des Statusfeststellungsverfahren sei anzunehmen, dass dem Kläger die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in der Arbeitslosenversicherung offenkundig bekannt gewesen sei, so dass es ihm nach der Bestellung zum dritten Geschäftsführer möglich gewesen sei, unter Hinweis auf das laufende Statusfeststellungsverfahren einen Antrag gemäß § 28a SGB III zu stellen, was der Kläger schuldhaft unterlassen habe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Juli 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er wendet gegen den Vortrag der Beklagten ein, dass es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht ausreiche, dass das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Frist überwiege, sondern es müssten klare und zwingende Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen. Zudem meine das Bundesssozialgericht, dass für Gesetze bzw. Gesetzesänderungen nach Inkrafttreten des § 27 SGB X der Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt habe, einen Ausschluss ausdrücklich anzuordnen. Davon habe der Gesetzgeber hier bewusst keinen Gebrauch gemacht. Keine entsprechende Wortwahl - wie "Ausschlussfrist", "die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen" oder ähnlich – sei verwendet worden. Der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zur vorangegangenen Versicherungspflicht sei vorliegend bei geringer Fristüberschreitung gegeben, wobei der Gesetzgeber selbst bereits einen größeren zeitlichen Abstand zwischen den beiden Versicherungsverhältnissen angenommen habe, da nach § 434j SGB III Anträge sogar binnen Jahresfrist hätten gestellt werden können; somit hätten auch Versicherungslücken von über einem Jahr entstehen können. Der Kläger sei auch nicht verpflichtet gewesen, vorsorglich einen Antrag zu stellen, da er als vernünftig handelnder Mensch das Ergebnis der Statusfeststellung habe abwarten können; er habe dann unverzüglich ohne schuldhaftes Zögern den Antrag auf Weiterversicherung gestellt. Ende Januar 2008 habe er keine Ahnung gehabt, dass es die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung gebe. Hier müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger bereits zuvor Geschäftsführer der Q. GmbH & Co. Mitte-West KG gewesen sei. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig; sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG).

Die Berufung ist in der Sache begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. Juli 2009 hat keinen Bestand; die Klage ist abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag, weil der hierfür erforderliche Antrag nicht binnen der gesetzlich vorgeschriebenen Frist gestellt worden ist und eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht gewährt werden kann.

Gemäß § 28a SGB III in der hier maßgeblichen Fassung vom 21. März 2005 (BGBl. I 2848) können Personen auf Antrag ein Versicherungspflichtverhältnis begründen, die eine selbständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III). Voraussetzung für die Versicherungspflicht ist, dass

1. der Antragsteller innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des ersten Abschnitts gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat,

2. der Antragsteller unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des ersten Abschnitts gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat und

3. Versicherungspflicht (§§ 26, 27) anderweitig nicht besteht (§ 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3).

Gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III muss der Antrag spätestens innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden.

Die demnach vorgeschriebene gesetzliche Antragsfrist von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, ist vorliegend versäumt, weil der Kläger gemäß Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 11. Juni 2008 seit 25. Februar 2008 seine Tätigkeit als Geschäftsführer im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausübt und den Antrag auf Weiterversicherung erst am 19. Juni 2008 und damit nicht binnen Monatsfrist (bei einem Fristablauf am 25. März 2008) gestellt hat. Dies ist zwischen den Beteiligten, wie das Vorliegen der weiteren genannten Anspruchsvoraussetzungen im Sinne § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB III, unstreitig und bedarf auch aus Sicht des erkennenden Senats keiner weiteren Feststellungen.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist dem Kläger vorliegend eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 27 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht zu gewähren. Nach § 27 Abs. 1 SGB X ist die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Zu Recht ist das Sozialgericht in seinem Urteil vom 10. Juli 2009 entgegen der Ansicht der Beklagten davon ausgegangen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand im Hinblick auf das Antragserfordernis gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III grundsätzlich in Betracht kommt. Eine solche ist nach § 27 Abs. 5 SGB X nur unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Der Ausschluss einer Wiedereinsetzung ergibt sich vorliegend nicht aus dem ausdrücklichen Wortlaut des § 28a Abs. 2 SGB III in der hier anzuwendenden Fassung vom 21. März 2005. Eine entsprechend deutliche, den Ausschlusswillen des Gesetzgebers dokumentierende Formulierung wie etwa "eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen" oder auch nur das Wort "Ausschlussfrist" enthält der Wortlaut des Gesetzes nicht. Allenfalls das Wort "spätestens" könnte auf den unbedingten Willen des Gesetzgebers schließen lassen, die Frist – quasi "ohne wenn und aber" – einhalten zu müssen. Hiervon ist jedoch aufgrund der gesetzessystematisch festzustellenden, üblicherweise anderslautenden deutlicheren Formulierungen (siehe oben) nicht auszugehen (so z. B. § 85 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte:" Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen" zum Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht). Auch nach Inkrafttreten des § 27 SGB X (am 1. Januar 1981 durch Gesetz vom 18. August 1980, BGBl. I 1469) ist durch Auslegung der Norm zu ermitteln, ob es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt (vgl. von Wulffen SGB X, 6. Aufl. 2008, § 27 Rdnr. 4 m.w.N.) und eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand grundsätzlich auszuschließen ist. Entscheidend ist dabei, ob nach Sinn und Zweck der Vorschrift die gesetzliche Regelung "mit der Frist steht und fällt" (vgl. BSG, SozR 3-5765 § 10 Nr. 2). So findet Wiedereinsetzung nach § 27 Abs. 1 SGB X zum Beispiel auch im Fall der materiell - rechtlichen Ausschlussfrist des § 9 Abs. 2 SGB V Anwendung (vgl. BSG SozR 3–2500 § 9 Nr. 4), der die freiwillige Versicherung in der Krankenversicherung regelt. Weder aus dem Vortrag der Beklagten noch aus dem dargelegten Gesetzeszweck überzeugt hier die Annahme, Sinn und Zweck der Vorschrift stehe und falle mit der Einhaltung der Monatsfrist. Hiergegen spricht schon § 434j Abs. 2 SGB III, wonach eine entsprechende Antragstellung innerhalb deutlich längerer Fristen zugelassen ist. Im Ergebnis ist damit die Annahme nicht gerechtfertigt, es handele sich bei der Monatsfrist des § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III um eine materielle Ausschlussfrist, die eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht ermögliche.

Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sind jedoch vorliegend zu Gunsten des Klägers nicht gegeben, weil der Kläger zum einen die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags bereits ebenfalls versäumt hat, zum anderen zur Überzeugung des Senats nicht festzustellen ist, dass der Kläger ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist verhindert war.

Gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist der Antrag (auf Wiedereinsetzung) innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 27 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Wird der Argumentation des Klägers gefolgt, ist das Hindernis (Unkenntnis des Klägers über seinen Sozialversicherungsstatus) durch Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 11. Juni 2008 weggefallen. Der genannte Bescheid wurde von dem Kläger mit Antragstellung auf Weiterversicherung bei der Beklagten am 19. Juni 2008 vorgelegt, der Antrag auf Wiedereinsetzung dagegen erst mit Erhebung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2008 am 17. Juli 2008 (vgl. Bl. 10 der Verwaltungsakte) gestellt. Ausgehend von der Tatsache, dass dem Kläger der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 11. Juni 2008 danach bereits am 19. Juni 2008 bekanntgegeben war, war die Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses jedenfalls bereits mit dem 3. Juli 2008 abgelaufen, so dass der am 17. Juli 2008 bei der Beklagten eingegangene Wiedereinsetzungsantrag als verspätet zu betrachten ist. Hierbei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bereits mit Antragstellung des Klägers auf Weiterversicherung am 19. Juni 2008 als gestellt gelten kann. Zum einen ergeben die Antragsangaben im Formular vom 19. Juni 2008 nebst der beigefügten Anlagen keinerlei Hinweis darauf, dass dem Kläger ein Fristversäumnis bewusst gewesen wäre oder entsprechende Umstände zur Einhaltung oder Wiedereröffnung einer Frist vorgetragen werden sollten; zum anderen kann der entsprechende Sachantrag (hier Antrag auf Versicherungspflicht) per se grundsätzlich nicht gleichzeitig und ohne weiteren erkennbaren Erklärungswillen des Antragstellers als gegebenenfalls erforderlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Fristversäumnis gelten, denn § 27 SGB X unterscheidet hierbei in seinem Wortlaut und Regelungsgehalt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB X) grundsätzlich zwischen einem zu stellenden Hauptantrag als versäumte und nachzuholende Handlung sowie einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zur Beseitigung des Hindernisses der Fristversäumnis; andernfalls würde die Regelung des § 27 Abs. 2 SGB X völlig ins Leere laufen.

Im Übrigen liegen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vor, weil zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen ist, dass der Kläger ohne sein Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses verhindert war. Die Frist ist ohne Verschulden versäumt, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einen im Verwaltungsverfahren gewissenhaft handelnden nach den gesamten Umständen vernünftiger Weise zuzumuten ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 67 Rdnr. 3). Auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt muss die Versäumung der Frist nicht vermeidbar gewesen sein (vgl. BSG, Großer Senat, SozR 1500 § 67 SGG Nr. 1 = BSGE 38,248; von Wulffen: SGB X, 6. Aufl. 2008, § 27 Rdnr. 6 m.w.N.). Wie sich an der Einleitung des Statusfeststellungsverfahrens durch den Kläger bereits am 27. Februar 2008 - unmittelbar bei Erhalt der Minderheitsbeteiligung in Höhe von 24 Prozent an der GmbH und der Position als dritter Geschäftsführer - zeigt, bestanden aus Sicht des Klägers Zweifel und Unsicherheit über die Frage seiner weiteren Versicherungspflicht in der Sozialversicherung und damit auch in der Arbeitslosenversicherung. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Kläger daran gehindert gewesen sein sollte, gleichzeitig (vorsorglich) Antrag auf Weiterversicherung gemäß § 28a SGB III bei der Beklagten zu stellen. Zweifel und Unsicherheit über die bestehende Rechtslage begründen aus der Sicht eines verständigen Dritten gerade umsichtiges Vorgehen – ggfs. durch vorsorgliche Stellung naheliegender Anträge. Ein Umstand, der konkret an einer Antragstellung gehindert hätte, kann darin nicht erkannt werden. Gerade jedoch aus der Sicht eines vernünftig und sorgfältig Handelnden muss angenommen werden, dass dieser bei Unsicherheit über den bestehenden Versicherungsstatus vorsorglich infrage kommende, einen eventuellen Anspruch sichernde Anträge stellt. Soweit der Kläger geltend macht, von dem Recht auf Weiterversicherung und der hierzu bestehenden Antragsfrist keine (rechtzeitige) Kenntnis gehabt zu haben, rechtfertigt dies eine Wiedereinsetzung nicht. Die Unkenntnis über bestehende Rechte, deren befristete Ausübung das Gesetz selbst ausdrücklich regelt, begründet wegen des Grundsatzes der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung (vgl. BSGE 72, 80, 83). Da dem Kläger damit im Ergebnis Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht zugewähren ist, besteht mangels rechtzeitigen Antrages gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III zu Gunsten des Klägers kein Anspruch auf Begründung einer Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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