L 8 SF 3957/10 AB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 582/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SF 3957/10 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn (SG) vom 26.07.2010, mit dem dieses den vom Kläger im Rechtsstreit S 6 SB 582/07 gestellten Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. H. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat.

Am 27.04.2009 beauftragte das SG den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Erstattung eines fachärztlichen Gutachtens. Nachdem der Sachverständige am 30.07.2009 mitteilen ließ, dass er keinen Gutachtensauftrag erhalten habe, das SG nach Rückfrage beim Paketzusteller ihm aber mitteilte, dass ihm der Gutachtensauftrag am 04.05.2009 zugestellt worden sei, gab der Sachverständige am 22.09.2009 an, dass die lange Suche nach den Akten leider erfolglos geblieben sei. Das SG übersandte dem Sachverständigen daraufhin eine komplette Kopie der vom Beklagten über den Kläger geführten Rechtsmittelhandakte und bat um Erstellung des Gutachtens. Am 09.03.2010 ging das auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 04.02.2010 beruhende schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 22.02.2010 beim SG ein. Darin bewertete der Sachverständige die depressive Störung des Klägers und seine Kopfschmerzen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 20 und nahm insgesamt einen GdB von 40 an. Er stimmte mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.04.2009 überein.

Mit Schriftsatz vom 22.03.2010 äußerte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Hinweis auf die anderslautenden Beurteilungen des Sachverständigen Dr. A. (GdB 50) und des behandelnden Nervenarztes Dr. P. (GdB 30) zum Gutachten von Dr. H. und lehnte diesen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Nachdem das SG mitgeteilt habe, dass der Gutachtensauftrag Dr. H. am 04.05.2009 zugestellt worden sei und der Gutachtensauftrag und die Akten bei diesem verschwunden seien, stellten die Angaben des Sachverständigen vom 03.08. und 22.09.2009, dass die Akten nicht vorlägen bzw. die lange Suche nach den Akten erfolglos geblieben sei, ein grob fahrlässiges Verhalten des Sachverständigen (Falschaussage) dar. Auf Veranlassung des SG nahm Dr. H. hierzu und zu seiner Beurteilung unter dem 17.05.2010 Stellung. Anschließend ließ der Kläger ein von ihm über die Untersuchung verfasstes Protokoll vorlegen und rügte, dass er von (der Diplompsychologin) Frau N. von 10.10 Uhr bis ca. 12.00 Uhr untersucht und befragt worden sei, aus dem schriftlichen Gutachten aber nicht hervorgehe, dass ein weiterer Psychiater ihn untersucht habe. Frau N. sei nicht mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Der Sachverständige müsse am Gutachten mitwirkende Mitarbeiter benennen und den Umfang ihrer Tätigkeit angeben, sofern es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handele. Das Gutachten scheine deshalb nicht verwertbar zu sein.

Mit Beschluss vom 26.07.2010 lehnte das SG den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. H. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Ablehnungsgründe, die aus der Untersuchungssituation resultierten, seien nicht unverzüglich geltend gemacht worden. Im Übrigen lägen keine Gründe vor, die Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Sachverständigen aufkommen ließen. Der Verlust der Akten dürfte auf einem Versehen beruhen. Anhaltspunkte für eine Falschaussage von Dr. H. in diesem Zusammenhang lägen nicht vor. Im Übrigen habe Dr. H. die Mitwirkung von Frau N. nicht verschwiegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ersatzakte des SG und des Beklagten sowie die Akten des Senats Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Klägers ist statthaft. Sie ist nicht in entsprechender Anwendung des Beschwerdeausschlussgrundes des § 172 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Gemäß § 172 Abs. 2 SGG können u.a. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Sachverständige sind keine Gerichtspersonen; dies sind nur die Richter (§§ 41, 42 Zivilprozessordnung - ZPO) und die Urkundsbeamten (§ 49 ZPO). Auch eine analoge Anwendung des § 172 Abs. 2 SGG, wie vom LSG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 27.01.2010 (L 7 R 3206/09B) für richtig gehalten - ist nach Auffassung des Senats nicht möglich (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9.Aufl., § 118 Rdnr.120; und Leitherer in Meyer-Ladewig, aaO, § 172 Rdnr. 3+6), § 172 Abs. 2 SGG enthält keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke.

Der Ablehnungsantrag des Klägers hat jedoch keinen Erfolg.

Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. Daraus folgt, dass es für die Rechtzeitigkeit des Ablehnungsantrages darauf ankommt, worin der Ablehnungsgrund besteht. Ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Ablehnungsgrundes ist dieser unverzüglich geltend zu machen, spätestens jedoch innerhalb einer angemessenen Frist, die unter Heranziehung des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO mit zwei Wochen nicht zu kurz bemessen ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der Kläger den Ablehnungsantrag unter jedem Gesichtspunkt zu spät gestellt hat. Sowohl der Ablehnungsgrund, der mit den Umständen der Untersuchung des Klägers, als auch der Ablehnungsgrund, der mit dem schriftlichen Gutachten begründet worden ist, ist nicht innerhalb der genannten Frist geltend gemacht worden. Der Kläger wurde am 04.02.2010 von Dr. H. untersucht. Soweit sich der vom Kläger am 22.03.2010 gestellte Befangenheitsantrag auf ein grob fahrlässiges Verhalten (Falschaussage) des Sachverständigen stützt, hätte dies nicht erst mit diesem Schriftsatz, sondern spätestens zwei Wochen nach der Untersuchung des Klägers geltend gemacht werden müssen. Würde man daran anknüpfen, wann Dr. H. dem SG mitgeteilt hat, dass ihm keine Akten vorliegen (03.08.2009) bzw. die Suche nach den Akten erfolglos geblieben ist (22.09.2009), wäre der auf diesen Umstand gestützte Ablehnungsantrag sogar noch entsprechend früher zu stellen gewesen, zumal dem Kläger bereits seit August 2009 bekannt war, dass der Gutachtensauftrag dem Sachverständigen am 04.05.2009 zugestellt worden war und das SG sich dahingehend geäußert hat, dass der Gutachtensauftrag und die Akten bei Dr. H. angekommen und intern verschwunden sein dürften.

Soweit der Kläger mit der Beschwerde geltend macht, der Befangenheitsantrag gegen Dr. H. sei begründet, weil es dessen Gutachten an einem eigenverantwortlichen Teil zum neuropsychologischen Befund mit Unterschrift der Testpsychologin (Frau N.) fehle, ist festzustellen, dass dieser Ablehnungsgrund ebenfalls nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist. Das am 09.03.2010 beim SG eingegangene Gutachten ist am 17.03.2010 und die weitere Stellungnahme von Dr. H. vom 17.05.2010 ist an den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 01.06.2010 abgesandt worden. Erst mit am 23.07.2010 beim SG eingegangenem Schriftsatz vom 15.07.2010 hat der Kläger beanstandet, dass die nicht nur untergeordnete Mitwirkung der Psychologin N. im Gutachten nicht angegeben worden sei (was im Übrigen im Hinblick auf die Ausführungen auf S. 15 f. des Gutachtens nicht zutrifft). Unabhängig von der Frage der Verwertbarkeit des Gutachtens, die für den Kläger offenbar im Vordergrund steht, die aber nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, hätte er dies aber spätestens ca. zwei Wochen nach Zugang des schriftlichen Gutachtens - mithin spätestens am 03.04.2010 - geltend machen müssen. Da der Kläger diesen Ablehnungsgrund erst am 23.07.2010 geltend gemacht hat, ist auch insoweit die Frist des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht beachtet.

Unabhängig davon ist auch eine berechtigte Besorgnis der Befangenheit von Dr. H. zu verneinen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt nach § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 406 Abs. 1, 42 Abs.2 ZPO voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich selbst für befangen hält (BVerfGE 35, 171, 272). Ebenso wenig reicht es aus, dass der Beteiligte tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit hat (BSG in Breithaupt 1986, 446 f). Maßgebend ist vielmehr, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Sachverständigen zu zweifeln (BVerfGE 20,9, 14; 43, 126, 127; BSG aaO).

Etwaige Fehler oder Versäumnisse des Sachverständigen bei der Untersuchung des Klägers oder im schriftlichen Gutachten erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Anhaltspunkte für Zweifel an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Sachverständigen - wie erforderlich - bestehen nicht.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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