L 11 R 4776/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 5773/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4776/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. September 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1951 in Kroatien geborene Klägerin, die keine Ausbildung absolvierte, war nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1968 als Fabrikarbeiterin und zuletzt vom 21. Juni 1971 bis 31. Januar 2006 bei der D. AG in der Produktkontrolle im Akkord versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete im Rahmen der sogenannten Frühpensionierung bei Zahlung einer Abfindung von 107.000 EUR. Nach Bezug von Kranken- und Arbeitslosengeld bezieht die Klägerin derzeit keine Sozialleistungen.

Am 6. März 2008 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung, wegen einer psychischen Erkrankung mit Depression und Kopfschmerzen, Hand- und Fußschmerzen, Gicht und einer Knochenerkrankung mit Schmerzen keine Tätigkeiten mehr verrichten zu können.

Die Beklagte holte das internistische und sozialmedizinische Gutachten des Dr. G. vom 18. April 2008 ein. Dieser kam zum Ergebnis, die Klägerin könne sowohl die Tätigkeit als Arbeiterin als auch sonstige leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg, ohne häufiges Bücken und Zwangshaltungen der Wirbelsäule noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Eine depressive Verstimmung habe nicht festgestellt werden können, hingegen bestätige sich eine Somatisierungstendenz im Sinne einer psychischen Überlagerung. Ein Wirbelsäulensyndrom und allgemeine altersentsprechende Arthrosen wirkten sich nicht auf die Gelenkbeweglichkeit aus. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. April 2008 den Antrag ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und das Attest des Orthopäden Dr. W. vom 9. Mai 2008 vor, der eine deutliche Poly- und Hüftgelenksarthrose, ein deutliches degeneratives Wirbelsäulensyndrom und deutliche psychogene Probleme diagnostizierte, so dass seines Erachtens die Erwerbsfähigkeit fraglich sei.

Die Beklagte wies nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2008 zurück. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Denn ihr seien noch leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig. Denn die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung als Arbeiterin bzw Kontrolleurin sei dem Leitberuf des ungelernten Arbeiters zuzuordnen. Damit müsse sich die Klägerin auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verweisen lassen, eine konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit sei nicht erforderlich.

Dagegen hat die Klägerin am 26. August 2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und vorgetragen, mit der Entscheidung der Beklagten nicht einverstanden zu sein.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. W. (Auskunft vom 29. September 2008) hat darauf hingewiesen, dass er wiederholt paravertebrale Infiltrationen im Bereich der HWS, Antiphlogistika, Muskelrelaxantien sowie Fango und Massage verordnet habe. Hausärztin L.-P. hat sich in der Auskunft vom 10. Oktober 2008 der Beurteilung des Dr. G. nicht vollständig angeschlossen. Ihres Erachtens sei die Klägerin durch den psychischen Zustand sehr belastet. Mit Einschränkungen und Fehlzeiten könne die Klägerin sechs Stunden täglich arbeiten. Dr. F., Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, hat schließlich in der Auskunft vom 16. Februar 2009 über die Behandlung der Klägerin von August bis Oktober 2008 berichtet und eine rezidivierende depressive Störung, zeitweise schwerer Ausprägung, eine somatoforme Schmerzstörung und den Verdacht auf eine Fibromyalgie diagnostiziert. Die depressive Erkrankung trete phasenweise auf, dann sei die Klägerin vorübergehend nicht arbeitsfähig. Ansonsten erscheine sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur für leichte Arbeiten ohne Nachtschicht und ohne Verantwortung für Menschen oder Maschinen über sechs Stunden täglich belastbar.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Stellungnahme des Obermedizinalrats Fischer vom 12. März 2009 vorgelegt, der an der Beurteilung einer fehlenden quantitativen Beeinträchtigung der Klägerin festgehalten hat. Weder seien ungewöhnliche Funktionseinschränkungen ersichtlich noch gehäufte Fehlzeiten zu erwarten.

Mit Gerichtsbescheid vom 25. September 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Dr. G. begründe schlüssig und überzeugend, dass die Gesundheitsstörungen der Klägerin keine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit zur Folge hätten. Auch nach der Beurteilung der behandelnden Ärzte sei die Klägerin vollschichtig leistungsfähig. Die Klägerin sei schließlich nicht berufsunfähig, da ihre letzte Tätigkeit als ungelernte Tätigkeit einzustufen sei und sie daher auf eine leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.

Gegen den der Klägerin am 30. September 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat sie am 13. Oktober 2009 beim SG Berufung eingelegt. Ihr Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlechtert, da sie ständig unter Schmerzen und Bewegungseinschränkungen leide. Ihre Fingergelenke seien geschwollen und könnten kaum bewegt werden. Sie sei in ständiger fachärztlicher Behandlung. Letztlich sei sie seelisch kaputt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. September 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. März 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre und die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.

Die Klägerin hat am 5. März 2009 bei der Beklagten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beantragt, die diese mit Bescheid vom 17. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2009 abgelehnt hat. Dagegen hat die Klägerin Klage zum SG (Az: S 21 R 8737/09) erhoben.

Der Senat hat die sachverständigen Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte zum Rehabilitationsverfahren vor dem SG beigezogen und das neurologische und psychiatrische Gutachten der Dr. R. vom 14. Juli 2010 eingeholt.

Frau L.-P. hat die Klägerin nicht als arbeitsfähig erachtet (Auskunft vom 3. Februar 2010). Dr. W. hat die Klägerin wegen beginnender Polyarthrose der Langfingermittelgelenke beidseits und einem LWS-Syndrom behandelt (Auskunft vom 1. Februar 2010). Dr. F. hat nach einem ausführlichen Gespräch mit der Klägerin am 4. November 2009 eine agitiert depressive Symptomatik festgestellt, die im Februar des Jahres 2010 wieder abgeklungen gewesen sei (Auskunft vom 20. März 2010). In gesunden Intervallen sei die Klägerin arbeitsfähig.

Dr. R. hat im Gutachten vom 14. Juli 2010 bei der Klägerin eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, und eine undifferenzierte Somatisierungsstörung diagnostiziert. Tätigkeiten in Stresssituationen wie Akkordarbeit, Nachtschicht und Arbeiten mit besonderer Verantwortung müsse die Klägerin meiden. Aufgrund der orthopädischen Problematik und der undifferenzierten Somatisierungsstörung könne die Klägerin des Weiteren keine überwiegend gehende oder stehende Tätigkeiten und keine Tätigkeiten mit Tragen und Heben von Lasten über 5 kg ohne Hilfsmittel, in Zwangshaltungen, mit häufigem Bücken und Steigen auf Leitern verrichten. Unter diesen qualitativen Leistungseinschränkungen seien der Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zumutbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und des SG (Az: S 21 R 8737/09) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 151 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft im Sinne des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG, da die Berufung Leistungen für mehr als ein Jahr umfasst. Die zulässige Berufung ist jedoch unbegründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, weshalb das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenan-passungsgesetzes vom 20. April 2007 (BGBl I 2007, 554). Denn gemäß § 300 Abs 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden gemäß § 302b SGB VI keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs 2 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw gemäß § 43 Abs 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (jeweils Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (jeweils Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (jeweils Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 2 Satz 2 SGB II Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Zur Überzeugung des Senats steht im Hinblick auf die durchgeführte Beweisaufnahme in erster und zweiter Instanz und die im Verwaltungsverfahren vorgenommenen Ermittlungen fest, dass die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert ist, weil sie noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergibt sich insbesondere aus den Gutachten des Dr. G. und der Dr. R ... Danach ist die Klägerin noch in der Lage, eine leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuführen. Vermeiden muss die Klägerin Akkord- und Nachtschichtarbeit, Arbeiten mit besonderer Verantwortung, überwiegend gehende oder stehende Tätigkeiten und Tätigkeiten mit Tragen und Heben von Lasten über 5 kg ohne Hilfsmittel, in Zwangshaltungen, mit häufigem Bücken und mit Steigen auf Leitern.

Die Klägerin leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung, die jedoch gegenwärtig remittiert ist, und einer undifferenzierten Somatisierungsstörung. Dennoch ist die Klägerin in der Lage, eine leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuführen. Aufgrund der nervenärztlichen Gesundheitsstörungen muss die Klägerin lediglich Akkord- und Nachtschichtarbeit und Arbeiten mit besonderer Verantwortung vermeiden. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats insbesondere aus dem Gutachten der Dr. R ... Denn bei der Begutachtung durch Dr. R. war die Klägerin affektiv schwingungsfähig und hat eine ausgeglichene Stimmung, keine fehlende Zukunftsorientierung, keinerlei Antriebsstörungen, keine inhaltlichen und formalen Denkstörungen und keine mnestische Störungen gezeigt. An Beschwerden hat die Klägerin vorwiegend Schmerzen in den Händen bei Bewegungen, Rückenschmerzen, Knieschmerzen bei längerem Gehen, Anlaufschmerzen in den Gelenken und Schlafstörungen angegeben. Allerdings ist die Klägerin in der Lage, den Haushalt zu versorgen und die Einkäufe zu erledigen. Einen sozialen Rückzug hat die Klägerin nicht angetreten, da sie Kontakt zu ihrer Familie hält, sich täglich mit der Tochter einer Freundin, die die Wohnung unter ihr bewohnt, trifft und gelegentlich den Sohn einer Landsfrau, die ebenfalls im Haus wohnt, betreut. Obwohl die behandelnde Nervenärztin Dr. F. der Klägerin regelmäßig antidepressive Medikamente rezeptiert, hat die serologische Untersuchung bei Dr. R. den dringenden Verdacht ergeben, dass die Klägerin entgegen ihrer Aussage die Antidepressiva nicht regelmäßig einnimmt, da kein ausreichender therapeutischer Spiegel bei adäquater Medikamentendosierung zu finden gewesen ist. Während der Begutachtungssituation haben sich keine Hinweise auf Funktionsbeeinträchtigungen in dem von der Klägerin beklagten Umfang ergeben. Denn das Gangbild vor, während und nach der Begutachtung war unauffällig. Die Lebhaftigkeit der Spontanmotorik war vollkommen erhalten, obwohl die Klägerin über Schmerzen an den Händen geklagt hatte. Die Fähigkeit zum Stillsitzen ist erhalten gewesen, obwohl die Klägerin über Rückenschmerzen berichtet hatte. Die Klägerin hat keine erforderlichen Entlastungsbewegungen während des langen Sitzens bei der Exploration gezeigt. Das Bewegungsmuster beim An- und Auskleiden war ebenso wie die Ausprägung der Muskulatur und die Hand- und Fußbeschwielung unauffällig. Schließlich haben sich in der Begutachtungssituation auch keine Auswirkungen der Schlafstörungen gefunden. Denn die Klägerin hat keinen Mangel an Energie, Initiative oder Anteilnahme gezeigt. Die Schilderung des Tagesablaufs der Klägerin, die fehlende Modulierbarkeit der geklagten Schmerzen, die Diskrepanz zwischen der Beschwerdeschilderung und der körperlichen und psychischen Beeinträchtigung in der Untersuchungssituation bei Dr. R. und die Diskrepanz zwischen den geschilderten Funktionsbeeinträchtigungen und den zu eruierenden Aktivitäten des täglichen Lebens sprechen deshalb auch zur Überzeugung des Senats gegen eine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl Urteile vom 20. Juli 2010, L 11 R 5140/09; 24. August 2010, L 11 R 715/10) wird der Schweregrad somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und gemessen.

Mit der ausführlichen Begutachtung bei Dr. R. sind die von Hausärztin L.-P. genannten, aber nicht konkretisierten Einschränkungen der Klägerin durch den psychischen Zustand ausreichend gewürdigt. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens nach sich ziehen würden, haben weder Frau L.-P. noch die behandelnde Neurologin und Psychiaterin Dr. F. benannt. Ebenfalls liegen keine Befunde vor, die für einen Arbeitgeber unzumutbare Fehlzeiten der Klägerin erwarten lassen. Denn die im Vordergrund stehende Problematik der Klägerin bezüglich der rezidivierenden depressiven Störung ist einer Behandlung gut zugänglich und kann durch die regelmäßige Einnahme von Antidepressiva nachhaltig gebessert und ggf durch eine stationäre fachspezifische Behandlung oder eine psychotherapeutische Behandlung, die bislang nicht erforderlich war, intensiviert werden.

Auf orthopädischem Fachgebiet leidet die Klägerin zusätzlich an einem Wirbelsäulensyndrom und altersentsprechenden Arthrosen. Sämtliche Gelenke haben sich jedoch bei der Begutachtung durch Dr. G. in der Beweglichkeit nicht eingeschränkt gezeigt. Eine Verschlechterung der Gesundheitsstörungen ist - auch aufgrund des von der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. R. gezeigten Bewegungsmusters - nicht ersichtlich. Die von Dr. W. genannten Diagnosen (beginnende Polyarthrose der Langfingermittelgelenke beidseits und ein LWS-Syndrom) hat schon Dr. G. bei seiner Begutachtung vorgefunden. Funktionsstörungen hieraus ergeben sich aufgrund der uneingeschränkten Beweglichkeit sämtlicher Gelenke nicht, diesen Gesundheitsstörungen wird ausreichend mit qualitativen Leistungseinschränkungen Rechnung getragen. Dies hat auch die Begutachtung bei Dr. R. bestätigt. Die Klägerin muss überwiegend gehende oder stehende Tätigkeiten und Tätigkeiten mit Tragen und Heben von Lasten über 5 kg ohne Hilfsmittel, in Zwangshaltungen, mit häufigem Bücken und mit Steigen auf Leitern sowie Akkordarbeiten vermeiden. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sind der Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Die Klägerin ist damit nicht erwerbsgemindert.

Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben gemäß § 240 Abs 1 SGB VI in den ab 1. Januar 2001 geltenden Fassungen (zuletzt durch Art 1 Nr 61 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes) bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist gemäß § 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Deshalb besteht ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht bereits dann, wenn der bisherige Beruf (Hauptberuf) nicht mehr ausgeübt werden kann, sondern erst, wenn der Versicherte nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann. Das Gesetz verlangt dazu einen zumutbaren beruflichen Abstieg. Um bestimmen zu können, auf welche Berufe der Versicherte verweisbar ist, hat die Rechtsprechung des BSG ein sogenanntes Mehrstufenschema entwickelt, das die Angestellten- und Arbeiterberufe in mehrere, durch unterschiedliche "Leitberufe" charakterisierte Gruppen untergliedert. Hiernach sind sowohl für gewerbliche als auch für Angestellten-Berufe mittlerweile sechs Stufen zu unterscheiden (zuletzt BSG, Beschluss vom 27. August 2009, B 13 R 85/09 B, juris). Die erste Stufe bilden dabei ungelernte Berufe, auf der zweiten Stufe folgen Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Angelernte). Grundsätzlich darf im Rahmen des Mehrstufenschemas der Versicherte lediglich auf Tätigkeiten der gleichen oder jeweils nächstniedrigeren Gruppe verwiesen werden (BSG, Urteil vom 24. März 1983, 1 RA 15/82, SozR 2200 § 1246 Nr 107; zuletzt BSG, Beschluss vom 27. August 2009, B 13 RJ 85/09 B, aaO). Dabei zerfällt die Stufe der Angelernten in einen oberen und einen unteren Bereich. Dem unteren Bereich der Stufe sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen, auch betrieblichen Ausbildungs- und Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu vierundzwanzig Monaten zuzuordnen (BSG, Urteil vom 29. März 1994, 13 RJ 35/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr 45). Eine konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist grundsätzlich (Ausnahmen: sog Unüblichkeitsfälle oder Seltenheitsfälle) nur dann nicht erforderlich, wenn der bisherige Beruf der ersten Stufe angehört oder wenn ein sog einfacher Angelernter (Stufe 2, aber Ausbildung bis zu einem Jahr) auf ungelernte Berufe verwiesen wird (BSG, Urteil vom 29. Juli 2004, B 4 RA 5/04 R, juris).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich somit nach der Wertigkeit des Hauptberufs. Dieser bestimmt sich in der Regel nach der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist. Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Arbeiterin in der Produktkontrolle versicherungspflichtig beschäftigt. Deshalb ist auch der Senat, wie schon das SG, davon überzeugt, dass die Klägerin lediglich als einfache Angelernte einzustufen ist und ihr damit kein Verweisungsberuf benannt werden muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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