L 19 R 768/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 708/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 768/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 359/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine wirksam durchgeführte Beitragserstattung führt zur Auflösung des Versicherungsverhältnisses und schließt Ansprüche auf eine Versichertenrente aus.
2. Der Beweis des ersten Anscheins gilt auch für die Wirksamkeit von Beitragserstattungen nach dem Rentenversicherungsrecht.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Würzburg vom 22.07.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Regelaltersrente, hilfsweise auf Erstattung seiner zur deutschen Sozialversicherung geleisteten Beiträge.

Der 1937 geborene Kläger ist portugiesischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Portugal. Er war vom 02.05.1972 bis 30.06.1974 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt und kehrte anschließend nach Portugal zurück. Am 05.08.1976 beantragte der Kläger bei der zuständigen Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen die Beitragserstattung aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 29.09.1976, zur Post gegeben am gleichen Tag, gab die LVA dem Antrag statt und teilte mit, der Betrag von 4.333,30 DM werde zur Zahlung angewiesen. Auf der Rückseite befand sich der Hinweis, wenn eine Bank den Erstattungsbetrag auszahle, so könne nur der angegebene Zahlungsempfänger das Geld gegen Vorlage seines Personalausweises und der von der Bank erhaltenen Benachrichtigung abholen.

Am 30.07.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten Regelaltersrente.
Mit Bescheid vom 17.09.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung seien auf Antrag des Klägers vom 05.08.1976 mit Bescheid vom 29.09.1976 erstattet worden, aus den rentenrechtlichen Zeiten, die bis zur Beitragserstattung zurückgelegt worden seien, könnten somit keine Ansprüche mehr entstehen. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und gab an, er habe die Beitragserstattung nicht erhalten. Nach Anforderung durch die Beklagte übersandte die LVA Westfalen die noch vorhandenen Erstattungsunterlagen. Sie übersandte Kopien des von dem Kläger unterzeichneten Erstattungsantrags vom 05.08.1976, einen Berechnungsbogen vom 13.09.1976 über einen Erstattungsbetrag in Höhe von 4.333,25 DM, des Erstattungsbescheides vom 29.09.1976 mit Anlage, eines von der LVA Westfalen an die Beklagte gerichteten Schreibens vom 29.09.1976 bezüglich der erfolgten Beitragserstattung sowie Kopien der Versicherungskarte Nr. 1 (02.05. - 31.12.1972) und der DEVO/DÜVO-Bescheinigungen für die Zeiträume vom 01.01. bis 31.12.1973 und vom 01.01. bis 30.06.1974, jeweils mit einem Erstattungsvermerk versehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Aufgrund der gewährten Beitragserstattung seien keine Versicherungszeiten anrechenbar und daher die Voraussetzungen für die Regelaltersrente nicht erfüllt.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG), eingegangen bei der Beklagten am 08.09.2004 und weitergeleitet an das SG Würzburg am 14.10.2004 erhoben.
Zunächst hat er angegeben, er sei 1974 aus Deutschland nach Portugal zurückgekehrt und habe danach keinerlei Kontakt mit der deutschen Kasse gehabt. Später hat er vorgetragen, er habe den Antrag gestellt, das Geld sei jedoch bei ihm nie angekommen. Da er das deutsche Recht und die deutschen Gesetze nicht kenne, habe er sich nicht weiter um die Angelegenheit gekümmert. Erst als er 65 Jahre alt geworden sei und bei der portugiesischen Sozialversicherung die Rente beantragt habe, sei er gefragt worden, ob er im Ausland gearbeitet habe. Bei Bejahung sei er gefragt worden, welchen Betrag er für die abgeführten Beiträge erhalten habe. Dadurch habe er erfahren, dass ihm ein Geldbetrag zustehe, den er niemals erhalten habe. Es gebe keine Quittung, die beweise, dass er tatsächlich das Geld erhalten habe.

Im Rahmen weiterer Ermittlungen hat das SG die LVA Westfalen um Übersendung weiterer Unterlagen gebeten. Diese hat zugesandt die Kopie eines - über die Westdeutsche Landesbank Girozentrale - an die Banco Portugues do Atlantico, Porto, gerichteten Zahlungsauftrags vom 19.10.1976 dahingehend, einen Betrag von 4.325,80 DM (= 4.333,30 DM - 6,50 DM Gebühren und 1,00 DM Spesen) an den Kläger auszuzahlen. Die Banco Commercial Portugues, SA, die mittlerweile mit der Banco Portugues do Atlantico fusioniert hat, hat auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, sie bewahre keine Aufzeichnungen über Transaktionen auf, die vor mehr als 10 Jahren durchgeführt worden seien. Somit sei es nicht möglich, Unterlagen zu übersenden, die die Auszahlung des Betrags von 4.325,80 DM an den Kläger belegen würden.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.07.2008 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Altersrente, denn aufgrund der durchgeführten Beitragserstattung sei das Versicherungsverhältnis erloschen. Nach dem Beweis des ersten Anscheins ergebe sich, dass der Erstattungsbetrag an den Kläger ausbezahlt worden sei. Ein Anspruch auf Beitragserstattung bestehe ebenfalls nicht, da der Kläger von der Beklagten eine nochmalige Beitragserstattung nicht beanspruchen könne.

Zur Begründung der beim SG Würzburg am 15.09.2008 eingegangenen und an das Bayer. Landessozialgericht am 08.10.2008 weitergeleiteten Berufung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte könne nach wie vor nicht beweisen, dass er das Geld erhalten habe. Er habe von der Beklagten niemals eine Antwort auf seinen Antrag erhalten. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger vorgetragen: "Die Klagepartei weiß lediglich, dass ihr die LVA Westfalen jenes Schreiben zugesandt hat, mehr weiß sie nicht. Aus diesem Grund weiß man nicht, ob diese das Geld an irgendeine Bank geschickt hat oder nicht, denn es gibt von Seiten der LVA Westfalen keinerlei Antwortdokument, aus dem hervorgeht, dass die Klagepartei das Geld bekommen hat, da dieses Dokument lediglich besagt, dass der Antrag bewilligt worden ist und sich der Rückzahlungsbetrag auf 4.333,30 DM beläuft. Außerdem wird noch hinzugefügt, dass dieser Betrag zur Zahlung versandt wird und dass sich auf der Rückseite dieser Entscheidung die Verfügungen befinden, auf denen die Beitragsrückzahlung basiert." Weiter hat der Kläger vorgebracht, es sei nicht ersichtlich, wohin der Rückzahlungsbetrag denn geschickt würde. Aus der Stempelung der Versichertenkarten und dem Vermerk Beitragserstattung lasse sich keinerlei Beweiswert abzeichnen. Weiter hat der Kläger jedoch auch vorgetragen, dass er nach seiner Rückkehr die Rückerstattung seiner Beiträge beantragt habe. Daraufhin sei ihm dieses Dokument übergeben worden, in dem man ihm zugesagt habe, die geschuldeten 4.333,30 DM zukommen zu lassen, ohne Angabe eines Datums, der Zahlungsart oder des Ortes, wo die Zahlung erfolgen solle. Aufgrund dieses Dokuments habe der Berufungskläger Monate und Jahre gewartet, ohne dass ihm der Betrag gezahlt wurde. Die LVA Westfalen habe nicht mitgeteilt, wo er den Betrag abheben könne und da er weder Deutsch spreche noch Deutsch schreibe, habe er resigniert und die Beitragsrückerstattung für verloren gehalten. Es sei falsch, dass er sich nicht erinnern könne, das Geld im Jahre 1976 abgehoben zu haben. Die LVA hätte den ausländischen Kläger, der der Sprache nicht mächtig sei, richtig informieren müssen. Der Kläger habe niemals gesagt, er sei nach seiner Rückkehr nach Portugal niemals mehr mit der deutschen Sozialversicherung in Kontakt getreten. Es sei schon nicht bewiesen, dass der Rückerstattungsbetrag an die Bank überwiesen worden sei. Weiter verletze das Urteil Nr 1 des Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und widerlaufe ebenfalls der Europäischen Sozialcharta und dem Vertrag von Lissabon.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des SG Würzburg vom 22.07.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente zu zahlen, hilfsweise die von dem Kläger zur deutschen gesetzlichen Sozialversicherung geleisteten Beiträge in Höhe von 4.333,30 DM plus Verzugszinsen von 12 % jährlich ab 1976 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Würzburg vom 22.07.2008 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Regelaltersrente noch auf Beitragserstattung.

Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Regelaltersrente setzt gemäß § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) voraus, dass er die Regelaltersgrenze erreicht hat und die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt ist (§ 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Der Kläger kann aber keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten mehr nachweisen, denn die von ihm aufgrund der versicherungspflichtigen Tätigkeit geleisteten Beiträge für die Zeit vom 02.05.1972 bis 30.06.1974 sind von der LVA Westfalen auf seinen Antrag vom 05.08.1976 hin in Höhe von 4.333,30 DM bereits im Jahre 1976 erstattet worden. Durch die Erstattung sind die vom Kläger zurückgelegten Beitragszeiten verfallen, das Versicherungsverhältnis ist aufgelöst worden.

Da dem Kläger die Beiträge vor dem 01.01.1992 erstattet wurden, ist § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden, denn § 210 SGB VI ist erst auf Beitragserstattungen ab dem 01.01.1992 anzuwenden (Artikel 85 Abs 1 Rentenreformgesetz 1992 -RRG 1992- vom 18.12.1989, BGBl I S 2261 iVm Artikel 42 Rentenüberleitungsgesetz -RÜG- vom 25.07.1991, BGBl I S 1606; vgl. KassKomm - Gürtner § 210 SGB VI RdNr 28 Stand März 2005 mwN). Gemäß § 1303 Abs 1 Satz 1 RVO waren dem Kläger auf Antrag die Hälfte der für die Zeit nach dem 20.06.1948 im Bundesgebiet, für die Zeit nach dem 24.06.1948 im Land Berlin und für die Zeit nach dem 19.11.1947 im Saarland entrichteten Beiträge zu erstatten.

Nach den vorliegenden Umständen ist zweifelsfrei von der Durchführung einer Beitragserstattung und der Auszahlung der Erstattungssumme im Jahre 1976 auszugehen. Aufgrund der Auszahlung der Beitragserstattung ist der Anspruch des Klägers auf Erbringung dieser Leistung erloschen und die Beklagte ist von der Pflicht zur Leistung frei geworden, § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Diese Norm ist nach allgemeinem Rechtsgrundsatz auch im Sozialrecht anzuwenden. Danach erlischt ein Schuldverhältnis durch das Bewirken der geschuldeten Leistung an den Gläubiger. Die Beweislast für die Durchführung einer Beitragserstattung und die Erfüllung der Beitragserstattungsforderung (Auszahlung der Erstattungssumme) trägt die Beklagte. Im Sozialrecht gilt ebenfalls die objektive Beweislast, wonach die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten desjenigen zu berücksichtigen ist, der aus ihr für ihn günstige Regelungen herleitet. Beruft sich ein Beteiligter auf eine Norm, die einen bestehenden Anspruch vernichtet (zum Erlöschen bringt), trifft ihn die Beweislast für das Vorliegen der hierzu erforderlichen Tatsachen, also die Durchführung einer Beitragserstattung und die Auszahlung des Geldes. Das Vorliegen einer bescheidmäßigen Entscheidung über ein durch Antrag geltend gemachtes Begehren, vor allem aber über die Erfüllung der Forderung iS des § 362 BGB ist eine rechtsvernichtende Einwendung, für die generell der Schuldner (hier die Beklagte) die Beweislast trägt.

Die vorliegende Beweislage spricht dafür, dass über den Antrag auf Beitragserstattung bestandskräftig entschieden und die Beitragserstattung an den Kläger ausgezahlt worden ist. Dies ergibt sich aus dem Beweis des ersten Anscheins.

Der Anscheinsbeweis gilt auch für die Wirksamkeit von Beitragserstattungen und die Auszahlung (BSG, Urteil vom 14.03.1975 - 1 RA 173/74 - veröffentl. In SozR 2200 § 139a Nr 1, Urteil des BayLSG vom 22.04.2010 - L 14 R 876/09 - veröffentl in juris; Urteil des BayLSG vom 09.12.2009 - L 19 R 167/08 - veröffentl in juris). Er ist zulässig und gegeben, wenn ein feststehender Lebenssachverhalt typischerweise bestimmte Folgen auslöst, ohne dass eine atypische Situation nachzuweisen ist, die die Grundlagen für den Anscheinsbeweis erschüttern kann.

Im vorliegenden Falle steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger einen Antrag auf Beitragserstattung gestellt hat, dass er den Beitragserstattungsbescheid erhalten hat und dass die LVA Westfalen den Erstattungsbetrag an die West LB zur Überweisung an die Banco Portugues do Atlantico, Porto, angewiesen hat.
Dies ergibt sich aus Folgendem: Der Kläger hat den Antrag auf Beitragserstattung am 05.08.1976 gestellt. Dies ergibt sich aus der Kopie des Antrags in den Unterlagen, die die Unterschrift des Klägers - wie dieser auch nicht bestreitet - enthält. Auch wenn der Kläger zunächst im Klageverfahren angegeben hat, er habe seit 1974 keinen Kontakt mehr mit der deutschen Rentenversicherung gehabt, ist er - nach Übersendung des Antrags - von diesem Vortrag abgerückt und hat angegeben, er habe den Antrag gestellt. Der Kläger hat den Bescheid vom 29.09.1976 auch erhalten. Auch hier hat der Kläger zwar zunächst vorgetragen, er habe von der LVA Westfalen nach seinem Antrag auf Beitragserstattung nichts gehört, später hat er jedoch seinen Sachvortrag geändert und dargelegt, er habe die Mitteilung erhalten, dass ihm ein Betrag von 4.333,30 DM zustehe. Zur Überzeugung des Senats steht ebenfalls fest, dass die LVA Westfalen den Erstattungsbetrag über die Westdeutsche LB Girozentrale an die Banco Portugues do Atlantico, Porto, auch tatsächlich angewiesen hat. Dies ist bewiesen durch den Zahlungsauftrag vom 19.10.1976 - über die Westdeutsche LB Girozentrale - an die Banco Portugues do Atlantico, Porto. Weiterer Hinweis für eine durchgeführte Beitragserstattung ist der entsprechende Stempelvermerk auf der Versicherungskarte Nr 1 (Beitragszeit vom 02.05 - 31.12.1972) und auf den beiden DEVO/DÜVO-Bescheinigungen für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.1973 und vom 01.01. bis 30.06.1974. Schließlich ergibt sich auch aus dem im Versicherungskonto gespeicherten Schlüssel 1830, dass die Beiträge aus der gesetzlichen Rentenversicherung an den Kläger erstattet wurden.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger den Erstattungsbetrag in Höhe von 4.333,30 DM tatsächlich auch erhalten hat. Zwar ist richtig, dass dem Bescheid vom 29.09.1976 nicht exakt zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt und wo der Erstattungsbetrag abrufbar ist. Allerdings ist dem Bescheid ebenfalls zu entnehmen, dass der Betrag zur Zahlung angewiesen werde und wenn eine Bank den Erstattungsbetrag auszahle, so könne nur der angegebene Zahlungsempfänger das Geld gegen Vorlage seines Personalausweises und der von der Bank erhaltenen Benachrichtigung abholen. Wie der Kläger selbst dargelegt hat, hat er durchaus dem Bescheid entnommen, dass ihm ein Anspruch in Höhe von 4.333,30 DM zusteht. Angesichts seiner Darstellung, dass er sehr arm gewesen sei und das Geld benötigt habe, hätte es sich doch für ihn aufgedrängt, bei der LVA Westfalen nachzufragen, wo er das Geld abholen könne bzw. wann er dies erhalte. Ein Untätigsein und Resignieren ist insoweit nicht glaubhaft. Ebenso ist nicht glaubhaft, dass er dies lediglich wegen seiner fehlenden Deutschkenntnisse nicht getan hat. Auch in seinem Rentenverfahren - in dem der Bescheid ebenfalls in der deutschen Sprache erging - war der Kläger in der Lage, den Inhalt zur Kenntnis zu nehmen und - wenn auch auf portugiesisch - rechtlich dagegen vorzugehen. Im Hinblick darauf, dass im Jahre 1976 keinerlei Anhaltspunkte für einen gestörten Zahlungsverkehr zwischen Portugal und Deutschland vorliegen, ist davon auszugehen, dass die Bank in Porto - wie vorgesehen - dem Kläger eine Benachrichtigung hat zukommen lassen und dieser das Geld gegen Vorlage seines Ausweises abgeholt hat. Ein atypischer Sachverhalt ist hier nicht erkennbar und wird auch nicht vorgetragen. Soweit der Kläger vorträgt, die Beiträge seien zu Lasten des Klägers unterschlagen worden, besteht dafür ebenfalls kein Anhaltspunkt. Da der Kläger nach wie vor bestreitet, das Geld erhalten zu haben, wird dies u.U. auch darauf zurückzuführen sein, dass der Vorgang nunmehr 24 Jahre zurückliegt. Auch im Hinblick auf den Erstattungsantrag im Jahre 1976 hat sich der Kläger zunächst nicht mehr daran erinnern können, ihn gestellt zu haben, später hat er sich offensichtlich doch daran erinnern können.

Gemäß § 1303 Abs 7 RVO schließen Beitragserstattungen weitere Ansprüche aus den zurückliegenden Versicherungszeiten aus. Weitere - spätere - rentenrechtliche Zeiten hat der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nicht zurückgelegt. Die durchgeführten Beitragserstattungen führen dabei nicht nur zur Auflösung des beim Rentenversicherungsträger auf gelaufenen Guthabens der erstattungsfähigen Beiträge, sondern zur rückwirkenden Löschung des Versicherungsverhältnisses als solchem in seiner Gesamtheit (KassKomm - Funk § 1303 Rdnr 28 mwN) bzw. in leistungsrechtlicher Hinsicht zum Verfall der bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten (BSG vom 18.02.1998 - 1 RJ 134/79 - SozR 2200 § 1303 Nr 18 bezügl der Heiratserstattung nach § 1304 Abs 1 RVO a.F.) Die Beitragserstattung nach § 1303 RVO hat die Auflösung des Versicherungsverhältnisses als Rechtsfolge, ohne dass dies in dieser Vorschrift ausdrücklich bestimmt war (vgl. dazu BSG vom 16.01.1968 - 11 RA 190/66 - SozR Nr 66 zu § 1246). Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht somit kein Versicherungsverhältnis mehr aus dem Ansprüche hergeleitet werden könnten. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten sind mit der Beitragserstattung endgültig beseitigt.

Der im sozialgerichtlichen Verfahren erstmals gestellte Hilfsantrag iS einer zulässigen Klageänderung iS des § 99 Abs 1 SGG ist ebenfalls unbegründet, da der Kläger von der Beklagten eine (nochmalige) Beitragserstattung nicht beanspruchen kann.

Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt das Urteil weder gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die Europäische Sozialcharta noch den Lissabonner Vertrag.

Der Kläger rügt die Verletzung des Artikels 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Dieser lautet: Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat.

Zunächst ist festzustellen, dass Artikel 6 insoweit nicht anwendbar ist, als er nur zivilrechtliche Ansprüche bzw. eine strafrechtliche Anklage erfasst, im vorliegenden Falle jedoch der Beitragserstattungsanspruch bzw. der Anspruch auf Altersrente ein öffentlich-rechtlicher Anspruch ist. Darüber hinaus ist der Vorwurf der Parteilichkeit weder nachvollziehbar begründet noch bestehen irgendwelche Anhaltspunkte dafür. Das SG hat sämtliche vorliegenden Aktenunterlagen sowie die Einwendungen des Klägers gewürdigt. Dass diese Beweiswürdigung zu Lasten des Klägers ausgegangen ist, lässt nicht auf eine Parteilichkeit des Gerichts schließen.

Auch die von dem Kläger gerügte Verletzung des Artikel 12 der Europäischen Sozialcharta vom 18.10.1961 (nur diese kann gemeint sein, auch wenn der Klägervertreter fälschlicherweise den 18.10.1981 zitiert hat) ist ebenfalls nicht gegeben. Artikel 12 lautet: Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf soziale Sicherheit zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien:
1. ein System der sozialen Sicherheit einzuführen oder beizubehalten;
2. das System der sozialen Sicherheit auf einem befriedigenden Stand zu halten, der zumindest dem entspricht, der für die Ratifikation des Übereinkommens der internationalen Arbeitsorganisation über die Mindestnormen der sozialen Sicherheit erforderlich ist;
3. sich zu bemühen, das System der sozialen Sicherheit fortschreitend auf einen höheren Stand zu bringen;
4. durch den Abschluss geeigneter zwei- und mehrseitiger Übereinkünfte oder durch andere Mittel und nach Maßgabe der in diesen Übereinkünften niedergelegten Bedingungen Maßnahmen zu ergreifen, die folgendes gewährleisten:
a. die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit ihren eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich der Ansprüche aus der sozialen Sicherheit einschließlich der Wahrung der nach den Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit erwachsenen Leistungsansprüche, gleichviel wo die geschützte Personen innerhalb der Hoheitsgebiete der Vertragsparteien ihren Aufenthalt nehmen;
b. die Gewährung, die Erhaltung und das Wiederaufleben von Ansprüchen aus der sozialen Sicherheit, beispielsweise durch die Zusammenrechnung von Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die nach den Vorschriften jeder der Vertragsparteien zurückgelegt wurden.

Der Kläger argumentiert nun, dass die beanstandete Entscheidung, die dem Kläger die Rückerstattung seiner Sozialversicherungsbeiträge verweigere, ihm das Anrecht auf den Betrag für die Beitragszeiten, die er geleistet habe, verweigere.

Da der Senat der Überzeugung ist, dass der Kläger seine Erstattungsbeiträge erhalten hat, ist eine Verletzung des Artikels 12 offensichtlich nicht möglich. Darüber hinaus ist der genannten Vorschrift durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der portugiesischen Republik über soziale Sicherheit vom 06.11.1964 sowie durch die EG-Verordnung 1408/71 und der ab 01.05.2010 geltenden 883/2004 Rechnung getragen. Eine Verletzung dieser Vorschriften ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Ebenso rügt der Kläger einen Verstoß der Nr 1 des Artikels 19.
Dieser lautet: Um die wirksame Ausübung des Rechts der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand im Hoheitsgebiet jeder anderen Vertragspartei zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien:
1. geeignete Stellen zu unterhalten oder sich zu vergewissern, dass solche Stellen bestehen, die diese Arbeitnehmer unentgeltlich betreuen, insbesondere durch Erteilung genauer Auskünfte sowie im Rahmen des innerstaatlichen Rechts geeignete Maßnahmen gegen irreführende Werbung zur Auswanderung und Einwanderung zu treffen.

Schon dem Wortlaut nach ist eine Verletzung der Nr 1 nicht ersichtlich.
Der Kläger trägt vor, die Beklagte bzw. die LVA Westfalen habe den Kläger nicht korrekt informiert und ihm das Recht auf Information verweigert, wo er den Betrag von 4.333,30 DM abholen könne. Nach dem oben dargelegten geht der Senat davon aus, dass der Kläger von der Bank in Porto im Auftrag der LVA Westfalen über den Eingang des Geldes benachrichtigt wurde, insofern ist eine genaue Auskunft erfolgt. Sofern dem Kläger aus dem Bescheid jedoch nicht klar war, wo genau er das Geld abholen könnte, hat ihm die LVA Westfalen keineswegs die Information verweigert, sondern er hat gar nicht nachgefragt.

Ebenso nicht ersichtlich ist, wieso Artikel 153 des Lissabonner Vertrags verletzt sein soll.
Dieser lautet: Um die Ziele zu verwirklichen, die im Artikel 151 aufgeführt sind, unterstützt die Union folgendermaßen die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und vervollständigt diese:
c) Sozialversicherung und sozialer Schutz der Arbeiter;
e) Information und Beratung der Arbeiter.

Soweit der Kläger noch bemängelt, er verstehe kein Deutsch, ist noch auf Artikel 35 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der portugiesischen Republik über soziale Sicherheit vom 06.11.1964 hinzuweisen, wonach Behörden, Gerichte und Träger der Vertragsparteien bei Anwendung dieses Abkommens unmittelbar miteinander und den beteiligten Personen und ihren Vertretern in ihren Amtssprachen verkehren können.

Nach alledem hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved