Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 736/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1530/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger höhere Verletztenrente in dem Zeitabschnitt vom 18.06. bis 31.12.2007 zusteht.
Der 1948 geborene Kläger fuhr am 09.02.2007 mit dem Fahrrad zur Arbeit. Wegen Eisglätte stürzte er und zog sich eine laterale Schenkelhalsfraktur links zu. Er wurde im Universitätsklinikum U. vom 09.02. bis 20.02.2007 stationär behandelt und am Unfalltag operativ mit einer Schraubenosteosynthese versorgt (Entlassungsbericht von Prof. Dr. G. vom 20.02.2007). Die stationäre Weiterbehandlung vom 20.02. bis 13.03.2007 erfolgte in der B.-Klinik Ü., aus der der Kläger arbeitsunfähig zur ambulanten Weiterbehandlung entlassen wurde (Entlassungsbericht der B.-Klinik Ü. vom 15.03.2007). Arbeitsfähigkeit trat am 18.06.2007 ein.
Mit Bescheid vom 20.06.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 18.06.2007 bis 30.04.2008 eine Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 v.H. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, denn ein Grund für die Befristung der Rente sei nicht erkennbar. Er beantrage zudem eine Rente nach einer MdE um 30 v.H. Die Beklagte holte das Gutachten von Prof. Dr. G. vom 16.11.2007 ein, der die unfallbedingte MdE auf 30 v.H. einschätzte. Als wesentliche Unfallfolgen lägen nach verzögerter Frakturheilung bei Osteoporose eine mediale Schenkelhalsfraktur mit Fraktursinterung und somit eine Beinlängenverkürzung von 2,5 cm links vor. Durch Überstand der Schrauben werde eine Weichteilirritation bei Bewegung, im Sitzen und in Seitenlage bedingt. Nach Auswertung des nachgereichten Messblattes zum Gutachten, wonach die Beweglichkeit der linken Hüfte im Vergleich zur Gegenseite um 20° vermindert und muskuläre Schonzeichen nicht vorhanden seien, vertrat Beratungsarzt Dr. S. die Auffassung, allenfalls unter Berücksichtigung der Beinverkürzung und der Weichteilirritation könne "hier mühsam" eine MdE um 20 v.H. begründet werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Der Kläger erhob am 27.02.2008 Klage vor dem Sozialgericht Ulm. Das Sozialgericht holte von Amts wegen das Gutachten vom 18.09.2008 ein, in dem der Sachverständige Dr. K. unter Bezugnahme auf die unfallmedizinische Literatur die verbliebenen Unfallfolgen mit einer MdE um 20 v.H. bewertete. Die Beinverkürzung um 2,5 cm rechtfertige eine MdE um 10 v.H. Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Beweglichkeit des linken Hüftgelenks und des fehlenden Nachweises von Verletzungen des nervus ischiatikus, Hüftkopfnekrose und sekundärer Coxarthrose bewege sich die angenommene MdE von 20 v.H. am oberen Rand des Ermessensspielraums. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG holte das Sozialgericht von PD Dr. K. das Gutachten vom 19.01.2009 ein. Danach sei für den Zeitraum vom 18.07.2007 bis 31.12.2007 einen MdE um 30 v.H., nach knöcherner Konsolidierung und Verbesserung der Gehstrecke und Gewöhnung ab 01.01.2008 eine MdE um 20 v.H. gerechtfertigt. Zu berücksichtigen sei eine Gehstreckenlimitierung zwischen 300 und 400 m, nur 100 m noch im Jahr 2007. Die Verkürzung des Schenkelhalses und damit der Hochstand des trochanter major entspreche funktionell einer Lähmung der Glutealmuskulatur. Es reiche nicht aus, eine knöcherne Konsolidierung der Fraktur festzustellen, sondern zu berücksichtigen sei auch die entsprechende Deformierung des Knochens.
In der mündlichen Verhandlung gab die Beklagte das Teilanerkenntnis ab, dem Kläger unbefristete Rente nach einer MdE um 20 v.H. über den 01.05.2008 hinaus zu gewähren. Der Kläger nahm das Teilanerkenntnis an.
Mit Urteil vom 24.02.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf das Gutachten von Dr. K. und die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. S ...
Gegen das dem Kläger am 11.03.2010 zugestellte Urteil hat er am 29.03.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt der Kläger aus, Prof. Dr. G. habe ebenso wie PD Dr. K. die MdE ab 18.06.2007 auf 30 v.H. eingeschätzt. Zu berücksichtigen sei der um ca. 40° nach dorsal verkippte Hüftkopf mit der Verkürzung des Schenkelhalses um 1,4 cm. Eine Hüftgelenks-endoprothese sei funktionell wesentlich günstiger als die diagnostizierten Unfallfolgen. Im Zeitraum vom 18.06.2007 bis 31.12.2007 habe nach dem Gutachten von PD Dr. K. eine stärkere Beeinträchtigung vorgelegen, die eine MdE um 30 v.H. rechtfertige.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.02.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2008 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 24.02.2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 09.02.2007 Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. für die Zeit vom 18.06.2007 bis 31.12.2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Der Vergleich mit einer kompletten Lähmung der Glutealmuskulatur sei unzutreffend. Beim Kläger liege ein leichtes Trendelenburg-hinken links vor, was nicht mit dem Vollbild einer Lähmung der Glutealmuskulatur zu vergleichen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft. Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist nur noch das Begehren des Klägers, die mit Bescheid vom 20.06.2007 bewilligte Gesamtvergütung, die den Zeitraum vom 18.06.2007 bis 30.04.2008 umfasst, bis 31.12.2007 auf der Grundlage einer MdE um 30 v.H. zu erhöhen. Die darüber hinausgehende Klage auf Gewährung einer unbefristeten Verletztenrente dürfte mangels anfechtbarer Entscheidung der Beklagten unzulässig gewesen sein, hat sich aber durch Annahme des Teilanerkenntnisses der Beklagten erledigt. Der mit der Berufung geltend gemachte Erhöhungsbetrag der Verletztenrente (Erhöhung der Rente nach einer MdE um 20 v.H. auf 30 v.H.) im Zeitraum vom 18.06.2007 bis 31.12.2007 ergibt 967,23 EUR (6 Monate x Differenzbetrag 151,13 EUR + 12 Tage x 151,13/30 EUR), womit der Beschwerdewert von 750 EUR überschritten ist. Die Berufung ist auch insgesamt zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Verletztenrente. Die für den noch streitigen Zeitraum von der Beklagten zu Grunde gelegte MdE um 20 v.H. ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Kläger geltend gemachte MdE um 30 v.H. lag nicht vor.
Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil die Rechtsgrundlagen und die Rechtsgrundsätze zur Bemessung der MdE vollständig und rechtsfehlerfrei dargelegt und angewendet. Der Senat verweist nach eigener Überprüfung insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils (Seite 5-7 des Urteilsabdrucks; § 153 Abs. 2 SGG).
Das Berufungsvorbringen zwingt zu keiner anderen Beurteilung. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 16.11.2007, das auf der Untersuchung des Klägers am 18.10.2007 beruht und somit den Befund im streitigen Zeitraum beschreibt, im Textteil ausdrücklich von einer deutlichen Muskelverschmächtigung im Bereich des linken Oberschenkels und leichtgradig im Bereich des Unterschenkels sowie von einer endgradigen Bewegungseinschränkung der linken Hüfte ausgeht, ist dies nicht überzeugend. Nach den Bewertungsgrundsätzen der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 584f), worauf das Sozialgericht im angefochtenen Urteil bereits hingewiesen hat, ist für die Bewertungskategorie einer MdE um 20 v.H. eine Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk von 30-50° zu fordern, mit zusätzlicher Muskelverschmächtigung um mehr als 2 cm und leichter Gangbehinderung. Abgesehen von der Gangbehinderung, Prof. Dr. G. beschreibt ein leicht hinkendes Gangbild, sind die anderen Voraussetzungen nicht nachgewiesen.
Aus dem nachgeforderten Messblatt zum Gutachten von Prof. Dr. G. ergibt sich, dass für die funktionell wichtigste Bewegungsrichtung, nämlich für die Streckung und Beugung der Hüftgelenke (in Teilen der unfallmedizinischen Literatur wird zur MdE-Bewertung allein auf die Bewegungseinschränkung der Hüfte für Streckung/Beugung abgestellt, vgl. Mehrhoff/Meindl/Muhr Unfallbegutachtung, 11. Aufl., Seite 168; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Anh. 12), keine Seitendifferenz bestand (rechts 10/0/120, links 10/0/120) wie auch für die Bewegungsebene Abspreizen/Anführen (rechts 40/0/25, links 40/0/25), nur die Außen-/Innenrotation ergab Einzelabweichungen um 5°, in der Summe um 20°, wie auch Beratungsarzt Dr. S. darlegt. Eine Einschränkung ab 30° wird nicht erreicht. Im Messblatt sind die einzelnen Umfangmaße der beiden unteren Extremitäten nicht angegeben, die Tabelle enthält aber den ausdrücklichen Vermerk "alle ohne pathologischen Befund". Ob darin ein Widerspruch zum zitierten Textteil des Gutachtens besteht, ist nicht aufklärbar, weil je nach Einschätzung des Gutachters erkennbare Seitendifferenzen im Muskelumfang bis zu 1 cm oder 2 cm Messtoleranzen oder der üblichen Bandbreite von Normalwerten zugeordnet werden. Jedenfalls ergibt sich auch aus dem Textteil, seine Richtigkeit unterstellt, nicht mit hinreichender Sicherheit, dass eine Muskelverschmächtigung um mehr als 2 cm vorgelegen hat.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch die Frakturfehlstellung hinreichend berücksichtigt. Die Bewertungskategorien der unfallmedizinischen Literatur beziehen die typischen funktionellen Auswirkungen von Schenkelhalsfrakturen ein, was in der pauschalen Bewertung des Ausmaßes einer etwaigen Beinverkürzung zum Ausdruck kommt. Die Beinlängenverkürzung um 2,5 cm (nach Dr. K. 2,0 cm) ist nach Prof. Dr. G. Folge der Gelenkfehlstellung. Die durch Schuhsohlenausgleich kompensierte Beinverkürzung ist in der MdE-Bewertung von Dr. K. und von Dr. S. aber eingestellt worden. Die funktionellen Auswirkungen der Gelenkfehlstellung sind mit dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung und Beinverkürzung hinreichend berücksichtigt.
Der von PD Dr. K. herangezogene Vergleich der kompletten Lähmung der Glutealmuskulatur, was allein eine MdE um 20 v.H. rechtfertige, ist mit den Bewertungsgrundsätzen der unfallmedizinischen Literatur nicht zu vereinbaren. Die aus Schenkelhalsfrakturen entstehenden funktionellen Beeinträchtigungen sind in den pauschalierten Schadensbildern der einzelnen Bewertungsstufen der MdE in der genannten Literatur berücksichtigt. Ausmaß der Bewegungseinschränkung und Ausmaß der Gangbehinderung sind in der Beschreibung von spezifischen Funktionsausfällen und Funktionsbehinderungen erfasst. PD Dr. K. erläutert nicht, inwieweit der von ihm bewertete Funktionsausfall nicht in die ausdrücklich genannten Bewertungsstufen Eingang gefunden hat. So werden beim Vorliegen sonstiger Voraussetzungen u.a. eine leichte Gangbehinderung mit einer MdE um 20 v.H. (s.o.), Gangbehinderungen mit Schonhinken mit einer MdE von 40 v.H. bzw. Gehunfähigkeit mit einer MdE von 70 v.H. bewertet (vgl. Schönberger u.a., a.a.O. Seite 585). Außerdem hat zur Überzeugung des Senats die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass die leichte Gangstörung des Klägers, die in dem beschriebenen Trendelenburghinken zum Ausdruck kommt, nicht mit einer kompletten Lähmung der Glutealmuskulatur vergleichbar ist. Die vom Kläger behauptete Limitierung der Wegstrecke ist in der pauschalisierten Umschreibung des Ausmaßes der Gangstörung in der genannten unfallmedizinischen Literatur grundsätzlich erfasst. Ob die bei der Untersuchung durch Prof. Dr. G. angegebene Wegstreckenverkürzung auf 100 m mit den erhobenen Befunden zu vereinbaren ist, ist von Prof. Dr. G. und PD Dr. K. nicht geprüft worden. Wesentliche Schonungszeichen sind dem Gutachten vom 16.11.2007 nicht zu entnehmen. Nach dem Messblatt bestanden keine schonungsbedingten auffälligen Muskelminderungen. Im Gutachten von Dr. K. vom 18.09.2008 wurden auch nur leichte Umfangsdifferenzen zwischen Ober- und Unterschenkelmuskulatur beschrieben, was mit der Angabe im Messblatt von Prof. Dr. G. "alle ohne pathologischen Befund" korreliert und nicht auf eine Gehbehinderung in dem angegebenen starken Ausmaß hindeutet.
Der Hinweis des Klägers, nach PD Dr. K. sei die mit einer MdE von 20 v.H. bewertete funktionelle Beeinträchtigung bei einer Hüftgelenks-Endoprothese funktionell wesentlich günstiger als die bei ihm diagnostizierten Unfallfolgen, führt nicht weiter. In die MdE-Bewertung bei prothetisch versorgten Unfallverletzungen ist in der Regel über die Funktionsbewertung hinaus auch eine abstrakte Kompensation für den erlittenen Organverlust eingeflossen. Einen Organverlust hat der Kläger nicht erlitten. Dies kann jedoch dahinstehen, weil das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend die einschlägigen Bewertungsgrundsätze bei Schenkelhalsfrakturen in der unfallmedizinischen Literatur herangezogen hat.
Das Bild der funktionellen Beeinträchtigung im Ausmaß einer MdE um 30 v.H., wie vom Kläger begehrt, erfordert danach die deutliche Verschmälerung des Gelenksspaltes, Randwulstbildungen am Oberschenkelkopf, Bewegungseinschränkung um die Hälfte, Muskelminderung des Beines um mehr als 3 cm, Gangbehinderung und Verkürzung des Beines um 1-1,5 cm (vgl. Schönberger u.a., a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt. Der beim Kläger von Prof. Dr. G. am 18.10.2007 erhobene Befund einer endgradigen Bewegungseinschränkung der linken Hüfte, einer Beinverkürzung um 2,5 cm mit leichter Gangbehinderung und Überstand der Schrauben der Schraubenosteosynthese und damit bedingter Weichteilirritation erreicht den Schweregrad der Funktionsbehinderung der MdE-Stufe von 30 v.H. nicht. Eine höhere MdE als 20 v.H. ist damit zur Überzeugung des Senats auch im Hinblick auf eine notwendige Anpassung und Gewöhnung, was Abweichungen von den Bewertungskriterien für eine Dauerrente erlaubt, keinesfalls zu begründen. Der Einschätzung von Prof. Dr. G. und PD Dr. K. folgt der Senat nicht, da diese die oben genannten Bewertungskriterien nicht hinreichend berücksichtigt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger höhere Verletztenrente in dem Zeitabschnitt vom 18.06. bis 31.12.2007 zusteht.
Der 1948 geborene Kläger fuhr am 09.02.2007 mit dem Fahrrad zur Arbeit. Wegen Eisglätte stürzte er und zog sich eine laterale Schenkelhalsfraktur links zu. Er wurde im Universitätsklinikum U. vom 09.02. bis 20.02.2007 stationär behandelt und am Unfalltag operativ mit einer Schraubenosteosynthese versorgt (Entlassungsbericht von Prof. Dr. G. vom 20.02.2007). Die stationäre Weiterbehandlung vom 20.02. bis 13.03.2007 erfolgte in der B.-Klinik Ü., aus der der Kläger arbeitsunfähig zur ambulanten Weiterbehandlung entlassen wurde (Entlassungsbericht der B.-Klinik Ü. vom 15.03.2007). Arbeitsfähigkeit trat am 18.06.2007 ein.
Mit Bescheid vom 20.06.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 18.06.2007 bis 30.04.2008 eine Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 v.H. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, denn ein Grund für die Befristung der Rente sei nicht erkennbar. Er beantrage zudem eine Rente nach einer MdE um 30 v.H. Die Beklagte holte das Gutachten von Prof. Dr. G. vom 16.11.2007 ein, der die unfallbedingte MdE auf 30 v.H. einschätzte. Als wesentliche Unfallfolgen lägen nach verzögerter Frakturheilung bei Osteoporose eine mediale Schenkelhalsfraktur mit Fraktursinterung und somit eine Beinlängenverkürzung von 2,5 cm links vor. Durch Überstand der Schrauben werde eine Weichteilirritation bei Bewegung, im Sitzen und in Seitenlage bedingt. Nach Auswertung des nachgereichten Messblattes zum Gutachten, wonach die Beweglichkeit der linken Hüfte im Vergleich zur Gegenseite um 20° vermindert und muskuläre Schonzeichen nicht vorhanden seien, vertrat Beratungsarzt Dr. S. die Auffassung, allenfalls unter Berücksichtigung der Beinverkürzung und der Weichteilirritation könne "hier mühsam" eine MdE um 20 v.H. begründet werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Der Kläger erhob am 27.02.2008 Klage vor dem Sozialgericht Ulm. Das Sozialgericht holte von Amts wegen das Gutachten vom 18.09.2008 ein, in dem der Sachverständige Dr. K. unter Bezugnahme auf die unfallmedizinische Literatur die verbliebenen Unfallfolgen mit einer MdE um 20 v.H. bewertete. Die Beinverkürzung um 2,5 cm rechtfertige eine MdE um 10 v.H. Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Beweglichkeit des linken Hüftgelenks und des fehlenden Nachweises von Verletzungen des nervus ischiatikus, Hüftkopfnekrose und sekundärer Coxarthrose bewege sich die angenommene MdE von 20 v.H. am oberen Rand des Ermessensspielraums. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG holte das Sozialgericht von PD Dr. K. das Gutachten vom 19.01.2009 ein. Danach sei für den Zeitraum vom 18.07.2007 bis 31.12.2007 einen MdE um 30 v.H., nach knöcherner Konsolidierung und Verbesserung der Gehstrecke und Gewöhnung ab 01.01.2008 eine MdE um 20 v.H. gerechtfertigt. Zu berücksichtigen sei eine Gehstreckenlimitierung zwischen 300 und 400 m, nur 100 m noch im Jahr 2007. Die Verkürzung des Schenkelhalses und damit der Hochstand des trochanter major entspreche funktionell einer Lähmung der Glutealmuskulatur. Es reiche nicht aus, eine knöcherne Konsolidierung der Fraktur festzustellen, sondern zu berücksichtigen sei auch die entsprechende Deformierung des Knochens.
In der mündlichen Verhandlung gab die Beklagte das Teilanerkenntnis ab, dem Kläger unbefristete Rente nach einer MdE um 20 v.H. über den 01.05.2008 hinaus zu gewähren. Der Kläger nahm das Teilanerkenntnis an.
Mit Urteil vom 24.02.2010 wies das Sozialgericht die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf das Gutachten von Dr. K. und die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. S ...
Gegen das dem Kläger am 11.03.2010 zugestellte Urteil hat er am 29.03.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt der Kläger aus, Prof. Dr. G. habe ebenso wie PD Dr. K. die MdE ab 18.06.2007 auf 30 v.H. eingeschätzt. Zu berücksichtigen sei der um ca. 40° nach dorsal verkippte Hüftkopf mit der Verkürzung des Schenkelhalses um 1,4 cm. Eine Hüftgelenks-endoprothese sei funktionell wesentlich günstiger als die diagnostizierten Unfallfolgen. Im Zeitraum vom 18.06.2007 bis 31.12.2007 habe nach dem Gutachten von PD Dr. K. eine stärkere Beeinträchtigung vorgelegen, die eine MdE um 30 v.H. rechtfertige.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.02.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2008 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 24.02.2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 09.02.2007 Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. für die Zeit vom 18.06.2007 bis 31.12.2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Der Vergleich mit einer kompletten Lähmung der Glutealmuskulatur sei unzutreffend. Beim Kläger liege ein leichtes Trendelenburg-hinken links vor, was nicht mit dem Vollbild einer Lähmung der Glutealmuskulatur zu vergleichen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft. Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist nur noch das Begehren des Klägers, die mit Bescheid vom 20.06.2007 bewilligte Gesamtvergütung, die den Zeitraum vom 18.06.2007 bis 30.04.2008 umfasst, bis 31.12.2007 auf der Grundlage einer MdE um 30 v.H. zu erhöhen. Die darüber hinausgehende Klage auf Gewährung einer unbefristeten Verletztenrente dürfte mangels anfechtbarer Entscheidung der Beklagten unzulässig gewesen sein, hat sich aber durch Annahme des Teilanerkenntnisses der Beklagten erledigt. Der mit der Berufung geltend gemachte Erhöhungsbetrag der Verletztenrente (Erhöhung der Rente nach einer MdE um 20 v.H. auf 30 v.H.) im Zeitraum vom 18.06.2007 bis 31.12.2007 ergibt 967,23 EUR (6 Monate x Differenzbetrag 151,13 EUR + 12 Tage x 151,13/30 EUR), womit der Beschwerdewert von 750 EUR überschritten ist. Die Berufung ist auch insgesamt zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Verletztenrente. Die für den noch streitigen Zeitraum von der Beklagten zu Grunde gelegte MdE um 20 v.H. ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Kläger geltend gemachte MdE um 30 v.H. lag nicht vor.
Das Sozialgericht hat im angefochtenen Urteil die Rechtsgrundlagen und die Rechtsgrundsätze zur Bemessung der MdE vollständig und rechtsfehlerfrei dargelegt und angewendet. Der Senat verweist nach eigener Überprüfung insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils (Seite 5-7 des Urteilsabdrucks; § 153 Abs. 2 SGG).
Das Berufungsvorbringen zwingt zu keiner anderen Beurteilung. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 16.11.2007, das auf der Untersuchung des Klägers am 18.10.2007 beruht und somit den Befund im streitigen Zeitraum beschreibt, im Textteil ausdrücklich von einer deutlichen Muskelverschmächtigung im Bereich des linken Oberschenkels und leichtgradig im Bereich des Unterschenkels sowie von einer endgradigen Bewegungseinschränkung der linken Hüfte ausgeht, ist dies nicht überzeugend. Nach den Bewertungsgrundsätzen der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 584f), worauf das Sozialgericht im angefochtenen Urteil bereits hingewiesen hat, ist für die Bewertungskategorie einer MdE um 20 v.H. eine Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk von 30-50° zu fordern, mit zusätzlicher Muskelverschmächtigung um mehr als 2 cm und leichter Gangbehinderung. Abgesehen von der Gangbehinderung, Prof. Dr. G. beschreibt ein leicht hinkendes Gangbild, sind die anderen Voraussetzungen nicht nachgewiesen.
Aus dem nachgeforderten Messblatt zum Gutachten von Prof. Dr. G. ergibt sich, dass für die funktionell wichtigste Bewegungsrichtung, nämlich für die Streckung und Beugung der Hüftgelenke (in Teilen der unfallmedizinischen Literatur wird zur MdE-Bewertung allein auf die Bewegungseinschränkung der Hüfte für Streckung/Beugung abgestellt, vgl. Mehrhoff/Meindl/Muhr Unfallbegutachtung, 11. Aufl., Seite 168; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Anh. 12), keine Seitendifferenz bestand (rechts 10/0/120, links 10/0/120) wie auch für die Bewegungsebene Abspreizen/Anführen (rechts 40/0/25, links 40/0/25), nur die Außen-/Innenrotation ergab Einzelabweichungen um 5°, in der Summe um 20°, wie auch Beratungsarzt Dr. S. darlegt. Eine Einschränkung ab 30° wird nicht erreicht. Im Messblatt sind die einzelnen Umfangmaße der beiden unteren Extremitäten nicht angegeben, die Tabelle enthält aber den ausdrücklichen Vermerk "alle ohne pathologischen Befund". Ob darin ein Widerspruch zum zitierten Textteil des Gutachtens besteht, ist nicht aufklärbar, weil je nach Einschätzung des Gutachters erkennbare Seitendifferenzen im Muskelumfang bis zu 1 cm oder 2 cm Messtoleranzen oder der üblichen Bandbreite von Normalwerten zugeordnet werden. Jedenfalls ergibt sich auch aus dem Textteil, seine Richtigkeit unterstellt, nicht mit hinreichender Sicherheit, dass eine Muskelverschmächtigung um mehr als 2 cm vorgelegen hat.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch die Frakturfehlstellung hinreichend berücksichtigt. Die Bewertungskategorien der unfallmedizinischen Literatur beziehen die typischen funktionellen Auswirkungen von Schenkelhalsfrakturen ein, was in der pauschalen Bewertung des Ausmaßes einer etwaigen Beinverkürzung zum Ausdruck kommt. Die Beinlängenverkürzung um 2,5 cm (nach Dr. K. 2,0 cm) ist nach Prof. Dr. G. Folge der Gelenkfehlstellung. Die durch Schuhsohlenausgleich kompensierte Beinverkürzung ist in der MdE-Bewertung von Dr. K. und von Dr. S. aber eingestellt worden. Die funktionellen Auswirkungen der Gelenkfehlstellung sind mit dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung und Beinverkürzung hinreichend berücksichtigt.
Der von PD Dr. K. herangezogene Vergleich der kompletten Lähmung der Glutealmuskulatur, was allein eine MdE um 20 v.H. rechtfertige, ist mit den Bewertungsgrundsätzen der unfallmedizinischen Literatur nicht zu vereinbaren. Die aus Schenkelhalsfrakturen entstehenden funktionellen Beeinträchtigungen sind in den pauschalierten Schadensbildern der einzelnen Bewertungsstufen der MdE in der genannten Literatur berücksichtigt. Ausmaß der Bewegungseinschränkung und Ausmaß der Gangbehinderung sind in der Beschreibung von spezifischen Funktionsausfällen und Funktionsbehinderungen erfasst. PD Dr. K. erläutert nicht, inwieweit der von ihm bewertete Funktionsausfall nicht in die ausdrücklich genannten Bewertungsstufen Eingang gefunden hat. So werden beim Vorliegen sonstiger Voraussetzungen u.a. eine leichte Gangbehinderung mit einer MdE um 20 v.H. (s.o.), Gangbehinderungen mit Schonhinken mit einer MdE von 40 v.H. bzw. Gehunfähigkeit mit einer MdE von 70 v.H. bewertet (vgl. Schönberger u.a., a.a.O. Seite 585). Außerdem hat zur Überzeugung des Senats die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass die leichte Gangstörung des Klägers, die in dem beschriebenen Trendelenburghinken zum Ausdruck kommt, nicht mit einer kompletten Lähmung der Glutealmuskulatur vergleichbar ist. Die vom Kläger behauptete Limitierung der Wegstrecke ist in der pauschalisierten Umschreibung des Ausmaßes der Gangstörung in der genannten unfallmedizinischen Literatur grundsätzlich erfasst. Ob die bei der Untersuchung durch Prof. Dr. G. angegebene Wegstreckenverkürzung auf 100 m mit den erhobenen Befunden zu vereinbaren ist, ist von Prof. Dr. G. und PD Dr. K. nicht geprüft worden. Wesentliche Schonungszeichen sind dem Gutachten vom 16.11.2007 nicht zu entnehmen. Nach dem Messblatt bestanden keine schonungsbedingten auffälligen Muskelminderungen. Im Gutachten von Dr. K. vom 18.09.2008 wurden auch nur leichte Umfangsdifferenzen zwischen Ober- und Unterschenkelmuskulatur beschrieben, was mit der Angabe im Messblatt von Prof. Dr. G. "alle ohne pathologischen Befund" korreliert und nicht auf eine Gehbehinderung in dem angegebenen starken Ausmaß hindeutet.
Der Hinweis des Klägers, nach PD Dr. K. sei die mit einer MdE von 20 v.H. bewertete funktionelle Beeinträchtigung bei einer Hüftgelenks-Endoprothese funktionell wesentlich günstiger als die bei ihm diagnostizierten Unfallfolgen, führt nicht weiter. In die MdE-Bewertung bei prothetisch versorgten Unfallverletzungen ist in der Regel über die Funktionsbewertung hinaus auch eine abstrakte Kompensation für den erlittenen Organverlust eingeflossen. Einen Organverlust hat der Kläger nicht erlitten. Dies kann jedoch dahinstehen, weil das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend die einschlägigen Bewertungsgrundsätze bei Schenkelhalsfrakturen in der unfallmedizinischen Literatur herangezogen hat.
Das Bild der funktionellen Beeinträchtigung im Ausmaß einer MdE um 30 v.H., wie vom Kläger begehrt, erfordert danach die deutliche Verschmälerung des Gelenksspaltes, Randwulstbildungen am Oberschenkelkopf, Bewegungseinschränkung um die Hälfte, Muskelminderung des Beines um mehr als 3 cm, Gangbehinderung und Verkürzung des Beines um 1-1,5 cm (vgl. Schönberger u.a., a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt. Der beim Kläger von Prof. Dr. G. am 18.10.2007 erhobene Befund einer endgradigen Bewegungseinschränkung der linken Hüfte, einer Beinverkürzung um 2,5 cm mit leichter Gangbehinderung und Überstand der Schrauben der Schraubenosteosynthese und damit bedingter Weichteilirritation erreicht den Schweregrad der Funktionsbehinderung der MdE-Stufe von 30 v.H. nicht. Eine höhere MdE als 20 v.H. ist damit zur Überzeugung des Senats auch im Hinblick auf eine notwendige Anpassung und Gewöhnung, was Abweichungen von den Bewertungskriterien für eine Dauerrente erlaubt, keinesfalls zu begründen. Der Einschätzung von Prof. Dr. G. und PD Dr. K. folgt der Senat nicht, da diese die oben genannten Bewertungskriterien nicht hinreichend berücksichtigt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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