L 1 AS 3437/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 2224/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 3437/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anfechtbarkeit eines Schreibens der Beklagten an die Klägerin.

Die Klägerin lebt mit ihrem im vorliegenden Verfahren Bevollmächtigten als Paar zusammen; das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ist zwischen den Beteiligten umstritten (vgl. Urteil des SG Freiburg vom 19. Juni 2009 – S 17 AS 5355/08; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Februar 2010 - L 12 AS 3668/09).

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die Beklagte an die Klägerin des vorliegenden Verfahrens und teilte ihr mit, dass ihr Partner Herr J. einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gestellt habe. Da die Klägerin und Herr J. bereits seit 2005 im gemeinsamen Haus wohnten und das Haus auch gemeinsam erworben hätten, würden die Indizien dafür sprechen, dass zwischen beiden eine Partnerschaft bestehe. Aus den eingereichten Unterlagen sei auch ersichtlich, dass ein gemeinsames Girokonto vorliege und gemeinsam über das Konto verfügt werde. Daher werde die Auffassung vertreten, die Klägerin gehöre zur Bedarfsgemeinschaft mit Herrn J ... Um festzustellen, ob und inwieweit ein Leistungsanspruch bestehe, werde sie gebeten, bis spätestens 12. April 2010 folgende Unterlagen bzw. Nachweise vorzulegen und die erbetene Erklärung abzugeben: Anlage WEP, EK und VM; Lohnabrechnungen 7/08 – 1/09; Kontoauszüge 5/08 – 7/08. Die Auskunfts- und Nachweispflicht ergebe sich aus § 60 SGB II. Dem Schreiben war keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt.

Mit Schreiben vom 9. April 2010 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin "Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. März 2010" (richtig wäre: 22. März 2010) mit der Begründung, es bestehe keine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 4 Nr. 1 SGB II. Es stehe gerade nicht fest, dass er und die Klägerin eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II bildeten. Auf Indizien, die nach Auffassung der Beklagten für das Bestehen einer Partnerschaft sprächen, könne der Auskunftsanspruch nicht gestützt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2010 wies die Beklagte den Widerspruch "gegen das Schreiben der Arbeitsgemeinschaft Landkreis Emmendingen vom 22. März 2010" zurück. Der Widerspruch sei bereits unzulässig, da es sich bei dem der Klägerin übersandten Schreiben nicht um einen Verwaltungsakt handle. Die Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 4 SGB II könne zwar grundsätzlich durch Verwaltungsakt konkretisiert werden, dies sei bislang jedoch noch nicht erfolgt.

Dagegen hat die Klägerin am 28. April 2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung führt ihr Bevollmächtigter aus, die Verpflichtung Dritter nach § 60 Abs. 4 SGB II sei eine echte Rechtspflicht, die mit Zwang durchgesetzt werden könne. Der Bescheid vom 22. März 2010 habe alle Merkmale eines Verwaltungsaktes.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. Juni 2010 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da ein Rechtsschutzinteresse für die Rechtsverfolgung nicht bestehe. Die Beklagte habe spätestens durch den Widerspruchsbescheid vom 13. April 2010 zum Ausdruck gebracht, dass sie keinen Verwaltungsakt habe erlassen wollen. Daher sei es ihr auch verwehrt, den von ihr angenommenen Auskunftsanspruch nach § 60 Abs. 4 SGB II mit Zwang durchzusetzen oder gegen die Klägerin eine Geldbuße zu verhängen. Auch sonstige tatsächliche oder rechtliche Nachteile für die Klägerin seien durch besagtes Schreiben nicht zu erkennen. Jedenfalls wäre die Klage auch unbegründet, denn die Beklagte, die ersichtlich keinen Verwaltungsakt habe erlassen wollen, habe den Widerspruch zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

Gegen den dem Bevollmächtigten der Klägerin am 28. Juni 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser für die Klägerin am 21. Juli 2010 Berufung eingelegt.

Zur Begründung trägt der Bevollmächtigte vor, es sei allgemein anerkannt, dass ein Auskunftsbegehren einen Verwaltungsakt darstelle. Das Schreiben vom 22. März 2010 enthalte auch alle Merkmale eines Verwaltungsaktes. Es sei bei der Auslegung auf den Empfängerhorizont, nicht auf den Willen der Behörde abzustellen. Der Wortlaut des Schreibens sei eindeutig auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet. Im Übrigen sei die Nichterteilung einer Auskunft nach den §§ 62, 63 SGB II schadensersatz- und bußgeldbewehrt. Bereits in Urteilen vom 16. August 1989 und 18. Mai 1996 (Az.: 7 RAr 82/88 bzw. 7 RAr 2/95) habe das Bundessozialgericht ausgeführt, dass ein Auskunftsanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen sei. Im Übrigen habe die Beklagte auf den nach ihrer Meinung "Nichtverwaltungsakt" einen Widerspruchsbescheid erlassen, so dass bereits auf diesem Weg ein Verwaltungsakt vorliege. Darüber hinaus nehme die Beklagte eine Bedarfsgemeinschaft an und stütze dies lediglich auf Indizien, was unzulässig sei. Mittlerweile gehe sie im Verfahren S 7 AS 3468/10 von einem Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin aus (Bescheid vom 16. April 2010; Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2010 – beide allerdings erlassen gegenüber dem Bevollmächtigten), was belege, dass sie auch in dem hier streitigen Verfahren durch Verwaltungsakt habe handeln wollen. Der Leistungsträger sei auch verpflichtet, Auskunftsansprüche nach § 60 SGB II durchzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Juni 2010 sowie den Bescheid vom 22. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten, der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Gerichtsakten im Verfahren S 7 AS 5355/08 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte hat keinen durch Widerspruch und Anfechtungsklage anfechtbaren Verwaltungsakt erlassen. Ob bereits das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschreitung des Klagewegs fehlt, wie das SG ausgeführt hat, kann offen bleiben.

Ein Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]). Einen durch Anfechtungswiderspruch und -klage anfechtbaren Verwaltungsakt hat die Beklagte durch das Schreiben vom 22. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2010 jedoch nicht erlassen. Es liegt vielmehr ein nichtförmliches Verwaltungshandeln der Beklagten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts vor (zu dieser Rechtsform ausführlich Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage S. 246 ff).

Es besteht keine Rechtspflicht der Beklagten, den Auskunftsanspruch nach § 60 Abs. 4 SGB II durch Verwaltungsakt geltend zu machen. § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II normiert eine Auskunftspflicht für Partner der Anspruchssteller im Sinne des § 7 SGB II gegenüber der Agentur für Arbeit, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach dem SGB II erforderlich ist. Die Norm enthält keine Regelung zur Frage, in welcher Form der Auskunftsanspruch gegenüber dem Dritten geltend zu machen ist. In Literatur und Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, ob § 60 Abs. 4 SGB II überhaupt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für das Handeln durch Verwaltungsakt darstellen kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. April 2007 – L 13 AS 40/07 ER unter Verweis auf Schoch, in: LPK-SGB II § 60 Rn. 2; vgl. zum Ganzen auch Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II § 60 Rn. 44 mit zahlreichen Nachweisen). Dies kann vorliegend offen bleiben, da § 60 Abs. 4 SGB II den Leistungsträger jedenfalls nicht verpflichtet, durch Verwaltungsakt zu handeln. Keine andere Beurteilung rechtfertigen die vom Bevollmächtigten der Klägerin zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) (7 RAr 82/88 = SozR 4100 § 144 Nr. 1; BSG 7 RAr 2/95). In beiden Entscheidungen hatte sich das BSG lediglich mit der Frage zu beschäftigen, ob § 144 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), der ebenfalls eine Auskunftspflicht Dritter normierte, ermächtigte, durch Verwaltungsakt zu handeln. Das BSG hat weder für den im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden § 144 AFG noch als grundsätzliche These die Behauptung aufgestellt, die Behörde müsse Auskunftsansprüche durch Verwaltungsakt geltend machen.

Deshalb begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass die Beklagte nicht die Handlungsform des Verwaltungsaktes gewählt hat, um ihren Auskunftsanspruch gegenüber der Klägerin geltend zu machen, sondern ein schlichtes Anschreiben an die Klägerin versandt hatte. Dass die Beklagte gegenüber der Klägerin keinen Verwaltungsakt erlassen wollte, ergibt sich jedenfalls aus ihren Ausführungen im Widerspruchsbescheid, worin die Beklagte durch die Zurückweisung des Widerspruchs als unzulässig deutlich zum Ausdruck brachte, dass sie das Schreiben vom 22. März 2010 nicht als Verwaltungsakt ansieht, sondern als schlichte Aufforderung gegenüber der Klägerin (schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln). Gegenstand der vom Klägerbevollmächtigten erhobenen Anfechtungsklage ist das Schreiben vom 22. März 2010 in der Gestalt, das es durch den Widerspruchsbescheid vom 13. April 2010 erhalten hat (§ 95 SGG). Darauf, ob ein der Form dem Schreiben vom 22. März 2010 vergleichbares Schriftstück der Beklagten an anderer Stelle ggf. als Verwaltungsakt behandelt worden ist, kommt es deshalb nicht an, da entscheidend, auch für die Handlungsform, der Inhalt des Widerspruchsbescheids ist.

Der Umstand, dass die Beklagte über den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid entschieden hat, lässt die Rechtsnatur des Schreibens vom 22. März 2010 unverändert. Die Beklagte hatte über den Widerspruch des Bevollmächtigten durch Bescheid zu entscheiden und konnte insoweit keine Handlungsform wählen (vgl. §§ 83, 85 Abs. 3 SGG). Da die Beklagte den Widerspruch des Klägerbevollmächtigten jedoch gerade als unzulässig zurückgewiesen hat, hat sie damit nochmals ihren Erklärungswillen zum Ausdruck gebracht.

Allein die Erwähnung des § 60 Abs. 4 SGB II als Rechtsgrundlage für das Auskunftsverlangen macht das Schreiben vom 22. März 2010 noch nicht zum Verwaltungsakt. Vielmehr kann auch ein schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln einen Hinweis auf eine Rechtsgrundlage enthalten, ohne dass dies Einfluss auf die Rechtsnatur des Verwaltungshandelns hat.

Rechtsfolgen sind auch bis zur Entscheidung des Gerichts im vorliegenden Rechtsstreit gegenüber der Klägerin nicht eingetreten, auch wenn sie bislang keine Auskunft erteilt hat, so dass nicht von einem widersprüchlichen Verhalten der Beklagten auszugehen ist. Vielmehr hat die Beklagte, nachdem die Klägerin nicht bereit war, die gewünschten Auskünfte zu erteilen, sich an den hier Bevollmächtigten im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gewandt und – nachdem dieser die gewünschten Auskünfte nicht erteilt hatte – die Leistung versagt. Dies ist Gegenstand des Verfahrens S 7 AS 3468/10.

Unerheblich für die Frage der Handlungsform ist der Einwand des Bevollmächtigten, eine unterbliebene Auskunft könne nach § 62 SGB II eine Schadensersatzpflicht des Auskunftspflichtigen nach sich ziehen bzw. sei nach § 63 SGB II bußgeldbewehrt. Die Frage, welche Anforderungen an die einer Schadensersatzpflicht bzw. einer Bußgeldforderung zugrunde liegende Aufforderung zur Auskunft zu stellen sind bzw. in welche rechtliche Qualität diese Aufforderung zu kleiden ist, kann offen bleiben, da dies nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.

Nach Auffassung des Senats sprechen auch übergeordnete, insbesondere verfassungsrechtliche Gesichtspunkte nicht dafür, dem Schreiben eine Verwaltungsaktqualität beizumessen. Weder das Rechtsstaatsprinzip noch der gebotene effektive Rechtsschutz können insoweit als Argumente herangezogen werden. Denn auch als schlichtes Verwaltungshandeln kann das Schreiben nicht nur im Rahmen einer Anfechtung der ggf. folgenden Schadensersatzforderung bzw. eines Bußgeldbescheides, sondern unter Umständen auch im Wege einer Feststellungsklage nach § 55 SGG überprüft werden (so bereits BSG in SozR 4-1300 § 63 Nr. 2 zum Angebot einer Maßnahme gegenüber einem Arbeitslosen). Eine Feststellungsklage im Hinblick auf das Bestehen oder Fehlen einer Auskunftspflicht der Klägerin hat der Klägerbevollmächtigte jedoch gerade nicht erhoben. Sie wäre im Übrigen auch nicht statthaft gewesen, da das Feststellungsinteresse fehlt. Denn es ist kein berechtigtes, schutzwürdiges Interesse wirtschaftlicher oder ideeller Art erkennbar oder vorgetragen, das eine derartige Feststellung rechtfertigen würde. Die Beklagte hat, nicht zuletzt im Termin zur mündlichen Verhandlung, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht beabsichtigt, die Klägerin erneut um Auskunft zu ersuchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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