L 9 R 1842/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 R 9229/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1842/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. März 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung für seine inzwischen verstorbene Ehefrau.

Die 1947 geborene und am 16. November 2006 verstorbene Ehefrau des Klägers St. T. (S.) erhielt vom 1. Juni 1997 bis 30. Juni 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 26. Februar 2003). Der Bescheid wurde ihr an die angegebene Anschrift "V., GR-48062 K., Griechenland" übersandt.

Mit an S. unter der Anschrift "V., GR-48062 K., Griechenland" adressiertem Bescheid vom 25. Januar 2006 lehnte die Beklagte einen Rentenantrag von S. vom 1. Juli 2003 ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Nach den ärztlichen Untersuchungsergebnissen sei die Erwerbsfähigkeit durch folgende Krankheiten oder Behinderungen beeinträchtigt: Adipositas Grad I, Bluthochdruckkrankheit, kompensierte chronische Niereninsuffizienz, koronare Herzkrankheit - Bypass-OP 1997 -, Diabetes mellitus Typ IIb, diätetisch eingestellt, Bandscheibenvorfälle ohne neurologische Defizite, Verschleißerscheinungen der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne neurologische Ausfallerscheinungen. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne S. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Gemäß der Verfügung vom 25. Januar 2006 (abgezeichnet "P., A.") wurde der Bescheid über die "P." verschickt (Bl. 164a Verwaltungsakten). Anlässlich des Rentenantrages war S. am 14. Dezember 2005 vom Internisten M. und vom Orthopäden Dr. G. untersucht worden, wobei sie am 13. Dezember 2005 von ihrem Wohnort nach Thessaloniki hin- und am 15. Dezember 2005 zurückreiste. Am 16. November 2006 verstarb S. an einem Lungenödem.

Mit Schreiben vom 21. November 2006, eingegangen bei der Beklagten am 24. November 2006, beantragte der Kläger mit der o. a. Adresse der S. die Gewährung von Witwerrente. Mit Schreiben vom 6. März 2007 fragte er - nachdem er Erklärungen vom 18. Dezember 2006 und Unterlagen vorgelegt hatte - an, ob der Antrag auf Gewährung von Witwerrente eingegangen und eine Entscheidung ergangen sei. Mit Bescheid vom 3. April 2007 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 16. November 2006 große Witwerrente. Mit Bescheid vom 30. Mai 2008 wurde diese Rente ab 1. Juli 2008 neu berechnet.

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2007, eingegangen bei der Beklagten am 11. Oktober 2007, bat der Kläger, ihn über den Stand des Antrages auf Rente wegen Erwerbsminderung seiner Ehefrau (S.) zu unterrichten.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 1. Juli 2003 sei mit Bescheid vom 25. Januar 2006 abgelehnt worden. Der Bescheid sei am 26. Januar 2006 an die Versicherte gesandt worden.

Daraufhin bat der Kläger um Übersendung einer Kopie des Bescheides vom 25. Januar 2006, weil man den Bescheid nicht erhalten habe (wörtlich: "weil den Bescheid vom 25.01.2006 nicht erhalten haben"). Mit Schreiben vom 26. November 2007 übersandte die Beklagte dem Kläger ein Duplikat des Bescheides vom 25. Januar 2006, der seinerzeit an seine Ehefrau gesandt worden sei.

Am 18. Dezember 2007 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben und die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau vom 1. Juli 2003 bis zu ihrem Todestag begehrt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Beklagte habe den Rentenantrag zu Unrecht abgelehnt. Der griechische Versicherungsträger habe ab Antragstellung bis zum Todestag Rente gewährt. Den Bescheid habe er mit Schreiben der Beklagten vom 26. November 2006 (gemeint wohl 2007) erhalten.

Die Beklagte hat die am 18. Dezember 2007 erhobene Klage als Widerspruch angesehen und diesen mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 zurückgewiesen. Der Widerspruch sei nicht fristgemäß erhoben und deshalb unzulässig. Gemäß § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelte der Bescheid mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, d.h. am 29. Januar 2006. Die Widerspruchsfrist sei deswegen am 2. Mai 2006 abgelaufen. Die Behauptung des Klägers, seine verstorbene Ehefrau habe den Bescheid nicht erhalten, sei nicht glaubhaft. Der Bescheid sei am 26. Januar 2006 zur Post gegeben worden. Hätte er nicht zugestellt werden können, wäre er zurückgekommen, was nicht feststellbar sei.

Gegenüber dem SG hat sie unter Vorlage ihrer (Rest-)Akten noch vorgetragen, der angefochtene Bescheid sei am 25. Januar 2006 gedruckt und zugleich über die P. verschickt worden, was sich aus Blatt 164a, 164c der beigefügten Akte ergebe. Hätte der Bescheid, z. B. wegen fehlerhafter Anschrift, nicht zugestellt werden können, hätte die griechische Post den Bescheid wieder zurückgesandt, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Sämtliche Anschreiben und Bescheide seien an die unveränderte Anschrift gegangen und nicht zurückgekommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 20. März 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig. Der Widerspruch des Klägers sei verfristet. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei der Widerspruch bei der Bekanntgabe des Verwaltungsakts im Ausland binnen drei Monaten einzulegen. Dieser Zeitraum sei abgelaufen. Zwar sei die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X für Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Ausland - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht anwendbar. Dennoch bestünden keine Gründe anzunehmen, der Bescheid vom 25. Januar 2006 sei nicht bekanntgegeben worden. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 10. April 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20. April 2009 Berufung eingelegt, mit der er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung für seine verstorbene Ehefrau bis zu deren Tod weiter begehrt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2008 aufzuheben und ihm als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau vom 1. Juli 2003 bis 16. November 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsschrift ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte. Sie verweise auf ihren Widerspruchsbescheid und die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet, da der Gerichtsbescheid des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.

Die Klage war zwar - nach Erlass des Widerspruchsbescheides - zulässig, aber nicht begründet. Ob der Widerspruch zulässig ist, ist für die Frage der Zulässigkeit der Klage ohne Bedeutung.

Der Bescheid vom 25. Januar 2006, mit dem der Rentenantrag von S. vom 1. Juli 2003 abgelehnt worden war, wurde ausweislich der Akten (Verfügung "P., A." vom 25. Januar 2006 BX-Freigabe "P.") sowie der Angaben der Beklagten zum Zwecke der Bekanntgabe zur Post gegeben und spätestens am 26. Januar 2006 an die seit Jahren bekannte Adresse "V. GR-48060 K., Griechenland", wo auch der Kläger bis heute wohnhaft ist, abgesandt. Für den Senat steht fest, dass S. zu diesem Zeitpunkt und bis zu ihrem Tod unter dieser Adresse gewohnt hat, zumal sie auch den Einbestellungen zu den Begutachtungen durch den Orthopäden Dr. G. und den Internisten M. nachkam, die nur an die der Beklagten bekannten Anschrift der S. erfolgen konnten. Gegen den Bescheid vom 25. Januar 2006 hat S. als Adressatin bis zu ihrem Tod - aufgrund eines Lungenödems - am 16. November 2006 keinen Widerspruch eingelegt. Damit ist dieser Bescheid gem. § 77 SGG bindend geworden.

Die Behauptung des Klägers, der nicht Adressat des Bescheides vom 25. Januar 2006 war, er habe den Bescheid vom 25. Januar 2006 nicht erhalten, ist rechtlich ohne Relevanz. Entscheidend ist vielmehr, ob der Bescheid seiner verstorbenen Ehefrau als Adressatin, der er bekannt zu geben war, zugegangen ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Bescheid S. nicht zugegangen ist, sind nicht vorhanden. Der Kläger selbst war nicht Adressat des Bescheids. Es ist insofern nicht erkennbar, dass er aus eigener Anschauung angeben kann, dass S. den Bescheid nicht erhalten hat. Die bloße Behauptung des Klägers als insofern Dritter, S. habe den Bescheid nicht erhalten, führt nicht dazu, Zweifel am ordnungsgemäßen Postlauf und am Zugang des Bescheides bei S. zu begründen. So hat sich S., die am 14. Dezember 2005 gutachterlich vom Internisten M. und vom Orthopäden Dr. G. untersucht worden war, auch bis zu ihrem Tod am 16. November 2006 nicht nach dem Stand des Rentenverfahrens bzw. dem Ergebnis der gutachterlichen Untersuchungen erkundigt. Dies spricht dafür, dass der Bescheid, den die Beklagte spätestens am 26. Januar 2006 zur Post gegeben hat, ihr auch zugegangen ist. Der Umstand, dass sich der Kläger erst knapp ein Jahr nach dem Tod seiner Ehefrau und nicht vor bzw. kurz nach ihrem Tod nach dem Stand des Rentenverfahrens seiner Ehefrau erkundigt hat, obwohl er alsbald nach ihrem Tod einen Witwerrentenantrag gestellt hat, spricht gegen seine Behauptung, dass der Bescheid vom 25. Januar 2006 der Adressatin nicht zugegangen ist. Der Senat ist deshalb nach dem Ergebnis seiner freien Beweiswürdigung und unter Berücksichtigung des aus der Akte zu entnehmenden Schriftwechsels und der Postlaufzeiten davon überzeugt, dass der Bescheid S. spätestens zwei Wochen nach Absendung, d. h. am 9. Februar 2006, zugegangen und bekannt gegeben worden ist. Damit ist die dreimonatige Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 1 Satz 2 SGG) spätestens am 9. Mai 2006 abgelaufen. Der Widerspruch im Dezember 2007 war damit verspätet. Der Bescheid ist damit gem. § 77 SGG bestandskräftig und unanfechtbar geworden.

Im Übrigen sind auch keine Anhaltspunkte vorhanden, dass der Bescheid vom 25. Januar 2006 in der Sache zu beanstanden wäre, zumal sich die Beklagte bei ihrer Entscheidung auf die Ergebnisse der gutachterlichen Untersuchungen des Internisten M. und des Orthopäden Dr. G. vom 14. Dezember 2005 gestützt hat. Der Umstand, dass S. vom griechischen Rentenversicherungsträger bis zu ihrem Todestag eine Invaliditätsrente bezogen hat, begründet keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nach deutschem Recht. Die Feststellungen des griechischen Rentenversicherungsträger sind für den deutschen Rentenversicherungsträger und die deutschen Gerichte nicht bindend. Die Feststellung von Invalidität durch einen Rentenversicherungsträger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union ist nur insoweit für den Träger eines anderen Mitgliedsstaates verbindlich, als die Übereinstimmung von Tatbestandsmerkmalen der Invalidität im Verhältnis zwischen den betroffenen Mitgliedsstaaten im Sinne des Art. 40 Abs. 4 EWG-Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (ABL.EG 1971 Nr. L 149/2 ff.) anerkannt worden ist. Eine solche Übereinstimmung liegt im Verhältnis zwischen der griechischen Invaliditätsregelung und den Bestimmungen des deutschen Rechts über Renten wegen Erwerbsminderung bislang nicht vor (vgl. u.a. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 9. Juli 2001, B 13 RJ 61/01 B und BSG in SozR 3-6050 Art. 40 Nr. 3). An dieser Rechtslage hat sich auch durch das Inkrafttreten der EGV 883/2004 nichts geändert (vgl. Art. 46 Abs. 3 der VO i.V.m. Anlage VII sowie Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17. Juni 2010, L 14 R 777/08 in Juris).

Nach alledem war der Gerichtsbescheid des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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