Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 23 (10) AS 232/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 11/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Änderung ihres Bescheides vom 12.7.2007 sowie unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 5.9.2007 verurteilt, den Klägern für August 2007 weitere 31,50 EUR zu bewilligen. Die Beklagten hat den Klägern die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der am 00.00.1955 geborene Kläger und die am 00.00.1959 geborene Klägerin sind miteinander verheiratet; sie beziehen bei der Beklagten seit Mai 2006 Leistungen nach dem SGB II.
Mit Beschlüssen vom 14.11.2006 (betreffend die Klägerin) und 23.11.2006 (betreffend den Kläger) eröffnete das Amtsgericht Bielefeld über die jeweiligen Vermögen wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren.
Mit Schreiben der C Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft mbH vom 28.6.2007 erhielten die Kläger Mitteilung über ein Guthaben von 529,22 EUR aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung für Januar bis August 2006. Mit Schreiben vom 4.7.2007 teilte der Insolvenzverwalter den Klägern mit, das Guthaben sei Gegenstand der Insolvenzmasse.
Mit Bescheid vom 12.7.2007 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.5.2007 bis 31.10.2007. Dabei ging sie davon aus, dass auf den Zeitraum 1.5.2006 bis 31.8.2006 (Leistungsbezug während des von der Heiz- und Betriebskostenabrechnung umfassten Zeitraums) ein Guthaben von 62,95 EUR entfalle. Dieser Betrag werde in zwei Raten von 31,50 EUR und 31,45 EUR ab dem 1.8.2007 einbehalten.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger am 23.7.2007 Widerspruch und beriefen sich darauf, dass sie das Guthaben nicht zur Verfügung hätten, da es zur Insolvenzmasse gehöre.
Im Widerspruchsverfahren machte die Beklagte die Einbehaltung von 31,45 EUR für September 2007 rückgängig und wies den Widerspruch hinsichtlich der 31,50 EUR für August 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 5.9.2007 zurück.
Am 12.9.2007 haben die Kläger Klage erhoben. Sie vertreten die Auffassung, der von der Beklagten grundsätzlich zutreffend herangezogene § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II könne im Fall eines anhängigen Insolvenzverfahrens nicht angewendet werden. Individuelle Vollstreckungsmaßnahmen seien während eines Insolvenzverfahrens unzulässig; die Beklagte müsse ihre Rückforderung gegenüber dem Insolvenzverwalter verfolgen. Nach § 394 ZPO finde eine Aufrechnung nicht statt, soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 12.7.2007 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 5.9.2007 zu verurteilen, den Klägern weitere 31,50 EUR zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und meint, § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II regele eine gesetzlich fingierte Bedarfskürzung, die auch im Insolvenzverfahren gelte. Das Guthaben stamme ursprünglich aus unpfändbaren SGB II-Leistungen; daher könne es nicht zur Insolvenzmasse gehörten. De facto würde sonst die Insolvenzmasse aus Steuergeldern bedient.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und beschweren die Kläger gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten, soweit für August 2007 ein Betrag von 31,50 EUR wegen eines Guthabens aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung nicht bewilligt worden ist.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen im Sinne des § 19 Satz 1 SGB II erfüllen.
Die Kläger haben für August 2007 Anspruch auf weitere 31,50 EUR, weil die Berücksichtigung des Guthabens aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung für Januar bis August 2006 gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht zulässig ist. Die Vorschrift sieht vor, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern.
Die Vorschrift kommt hier jedoch nicht zur Anwendung, weil die Kläger das Guthaben aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung tatsächlich nie erhalten haben. Vielmehr ist es zur Insolvenzmasse im Rahmen des gegenüber beiden Klägern anhängigen Insolvenzverfahrens eingezogen worden. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II setzt jedoch voraus, dass das Guthaben dem Hilfeempfänger tatsächlich zugeflossen ist. Die Vorschrift ist mit Wirkung vom 1.8.2006 eingefügt worden, um "schiefe", auf der gespaltenen Zuständigkeit im Grundsicherungsrecht beruhende Anrechnungen der Vergangenheit zu beseitigen. Nach früherer Rechtslage profitierte bei den bisherigen Einkommensanrechnungen aufgrund von Betriebs- oder Heizkostenrückzahlungen zuerst der Bund, obwohl die überzahlten Beträge zu einem beträchtlichen Anteil von den Kommunen aufgebracht wurden. Da es sich bei Rückzahlungen und Guthaben um Einkommen handele, gehöre die Regelung allerdings systematisch zu § 11 SGB II (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 22 Rdnr. 61 b).
Daraus ergibt sich, dass § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II für die Situationen gedacht ist, in denen Geld wie Einkommen zufließt, das heißt, es muss tatsächlich Geld zurückgezahlt oder eine Gutschrift vorgenommen worden sein. Nur dadurch wird der Bedarf auf Seiten des Hilfebedürftigen gemindert, so dass eine Anrechnung auf SGB II-Leistungen gerechtfertigt ist.
Der Einwand der Beklagten, im Ergebnis werde hiermit aus Steuergeldern eine Insolvenzmasse bedient, ist für sich gesehen zutreffend, führt aber nicht zu einem anderen Ergebnis.
Nach § 35 Abs. 1 der Insolvenzordnung erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Danach gehört das hier streitige Guthaben zur Insolvenzmasse. Nach der Systematik des SGB II ist es als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II anzusehen, § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II trifft lediglich eine Spezialregelung über die Anrechnung dieses Einkommens. Es handelt sich daher nicht um Leistungen nach dem SGB II, auch wenn das Guthaben letztlich dadurch zu Stande gekommen ist, dass die Beklagte den Klägern SGB II-Leistungen bewilligt hat, damit diese die im Ergebnis zu hohen Abschläge für Heiz- und Betriebskosten zahlen konnten.
Im Übrigen unterliegen Leistungen nach dem SGB II der Zwangsvollstreckung; sie können gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden und sind nicht gemäß § 54 Abs. 3 SGB I unpfändbar. Sie unterliegen demgemäß im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung der Zwangsvollstreckung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung wird gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Frage, ob § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II zur Anwendung kommt, wenn sich der Hilfebedürftige im Insolvenzverfahren befindet, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Tatbestand:
Der am 00.00.1955 geborene Kläger und die am 00.00.1959 geborene Klägerin sind miteinander verheiratet; sie beziehen bei der Beklagten seit Mai 2006 Leistungen nach dem SGB II.
Mit Beschlüssen vom 14.11.2006 (betreffend die Klägerin) und 23.11.2006 (betreffend den Kläger) eröffnete das Amtsgericht Bielefeld über die jeweiligen Vermögen wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren.
Mit Schreiben der C Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft mbH vom 28.6.2007 erhielten die Kläger Mitteilung über ein Guthaben von 529,22 EUR aus der Betriebs- und Heizkostenabrechnung für Januar bis August 2006. Mit Schreiben vom 4.7.2007 teilte der Insolvenzverwalter den Klägern mit, das Guthaben sei Gegenstand der Insolvenzmasse.
Mit Bescheid vom 12.7.2007 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.5.2007 bis 31.10.2007. Dabei ging sie davon aus, dass auf den Zeitraum 1.5.2006 bis 31.8.2006 (Leistungsbezug während des von der Heiz- und Betriebskostenabrechnung umfassten Zeitraums) ein Guthaben von 62,95 EUR entfalle. Dieser Betrag werde in zwei Raten von 31,50 EUR und 31,45 EUR ab dem 1.8.2007 einbehalten.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger am 23.7.2007 Widerspruch und beriefen sich darauf, dass sie das Guthaben nicht zur Verfügung hätten, da es zur Insolvenzmasse gehöre.
Im Widerspruchsverfahren machte die Beklagte die Einbehaltung von 31,45 EUR für September 2007 rückgängig und wies den Widerspruch hinsichtlich der 31,50 EUR für August 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 5.9.2007 zurück.
Am 12.9.2007 haben die Kläger Klage erhoben. Sie vertreten die Auffassung, der von der Beklagten grundsätzlich zutreffend herangezogene § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II könne im Fall eines anhängigen Insolvenzverfahrens nicht angewendet werden. Individuelle Vollstreckungsmaßnahmen seien während eines Insolvenzverfahrens unzulässig; die Beklagte müsse ihre Rückforderung gegenüber dem Insolvenzverwalter verfolgen. Nach § 394 ZPO finde eine Aufrechnung nicht statt, soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 12.7.2007 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 5.9.2007 zu verurteilen, den Klägern weitere 31,50 EUR zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und meint, § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II regele eine gesetzlich fingierte Bedarfskürzung, die auch im Insolvenzverfahren gelte. Das Guthaben stamme ursprünglich aus unpfändbaren SGB II-Leistungen; daher könne es nicht zur Insolvenzmasse gehörten. De facto würde sonst die Insolvenzmasse aus Steuergeldern bedient.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und beschweren die Kläger gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in ihren Rechten, soweit für August 2007 ein Betrag von 31,50 EUR wegen eines Guthabens aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung nicht bewilligt worden ist.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen im Sinne des § 19 Satz 1 SGB II erfüllen.
Die Kläger haben für August 2007 Anspruch auf weitere 31,50 EUR, weil die Berücksichtigung des Guthabens aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung für Januar bis August 2006 gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht zulässig ist. Die Vorschrift sieht vor, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern.
Die Vorschrift kommt hier jedoch nicht zur Anwendung, weil die Kläger das Guthaben aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung tatsächlich nie erhalten haben. Vielmehr ist es zur Insolvenzmasse im Rahmen des gegenüber beiden Klägern anhängigen Insolvenzverfahrens eingezogen worden. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II setzt jedoch voraus, dass das Guthaben dem Hilfeempfänger tatsächlich zugeflossen ist. Die Vorschrift ist mit Wirkung vom 1.8.2006 eingefügt worden, um "schiefe", auf der gespaltenen Zuständigkeit im Grundsicherungsrecht beruhende Anrechnungen der Vergangenheit zu beseitigen. Nach früherer Rechtslage profitierte bei den bisherigen Einkommensanrechnungen aufgrund von Betriebs- oder Heizkostenrückzahlungen zuerst der Bund, obwohl die überzahlten Beträge zu einem beträchtlichen Anteil von den Kommunen aufgebracht wurden. Da es sich bei Rückzahlungen und Guthaben um Einkommen handele, gehöre die Regelung allerdings systematisch zu § 11 SGB II (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 22 Rdnr. 61 b).
Daraus ergibt sich, dass § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II für die Situationen gedacht ist, in denen Geld wie Einkommen zufließt, das heißt, es muss tatsächlich Geld zurückgezahlt oder eine Gutschrift vorgenommen worden sein. Nur dadurch wird der Bedarf auf Seiten des Hilfebedürftigen gemindert, so dass eine Anrechnung auf SGB II-Leistungen gerechtfertigt ist.
Der Einwand der Beklagten, im Ergebnis werde hiermit aus Steuergeldern eine Insolvenzmasse bedient, ist für sich gesehen zutreffend, führt aber nicht zu einem anderen Ergebnis.
Nach § 35 Abs. 1 der Insolvenzordnung erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Danach gehört das hier streitige Guthaben zur Insolvenzmasse. Nach der Systematik des SGB II ist es als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II anzusehen, § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II trifft lediglich eine Spezialregelung über die Anrechnung dieses Einkommens. Es handelt sich daher nicht um Leistungen nach dem SGB II, auch wenn das Guthaben letztlich dadurch zu Stande gekommen ist, dass die Beklagte den Klägern SGB II-Leistungen bewilligt hat, damit diese die im Ergebnis zu hohen Abschläge für Heiz- und Betriebskosten zahlen konnten.
Im Übrigen unterliegen Leistungen nach dem SGB II der Zwangsvollstreckung; sie können gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden und sind nicht gemäß § 54 Abs. 3 SGB I unpfändbar. Sie unterliegen demgemäß im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung der Zwangsvollstreckung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung wird gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Frage, ob § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II zur Anwendung kommt, wenn sich der Hilfebedürftige im Insolvenzverfahren befindet, von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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