S 7 KA 2/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KA 2/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 1/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Zulassungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV Nordrhein vom 31.10.2002 in der Fassung des Beschlusses der Berufungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV Nordrhein vom 31.01.2008 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Fallzahlenbegrenzung und der Beschränkung des Zugangsweges neu zu bescheiden. Der Beklagte und die Beigeladene zu 5) tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Umfang der Ermächtigung von Hochschulambulanzen der Klägerin zur ambulanten ärztlichen Behandlung von Versicherten.

Die als Anstalt öffentlichen Rechts organisierte Klägerin beantragte unter dem 29.05.2002 eine Ermächtigung ihrer Hochschulambulanzen zur ambulanten Behandlung von Versicherten und der in § 75 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) genannten Personen ab 01.01.2003. Mit Beschluss vom 30.10.2002 (Bescheid vom 31.10.2002) erteilte der Zulassungsausschuss für Ärzte diese Ermächtigung, jedoch beschränkt auf 13.125 Versicherte pro Quartal (im Folgenden: Fallzahlbegrenzung) sowie auf solche Versicherte, die sich auf Überweisung von Vertragsärzten vorstellen, befristet bis 31.12.2004 und mit weiteren Auflagen. Nach erfolglosem Verfahren vor dem Berufungsausschuss (Beschluss des Beklagten vom 12.03.2003) hob das Sozialgericht im sich anschließenden Klageverfahren (Az. S 7 KA 4/03) die Befristung auf und verurteilte den Beklagten im Hinblick auf die ausgesprochene Fallzahlbegrenzung sowie auf die Beschränkung des Zugangsweges zur Neubescheidung (Urteil vom 15.07.2004). Die hiergegen gerichtete Berufung wurde am 14.09.2005 zurückgenommen. Im daraufhin erneut durchgeführten Verfahren gab der Beklagte der Klägerin unter dem 13.01.2006 auf, eine schriftliche Stellungnahme der in Betracht kommenden Hochschullehrer vorzulegen, welche "Studentenzahlen" von ihr für Forschung und Lehre benötigt würden. Die Klägerin nahm am 08.11.2006 sowie am 20.02.2007 Stellung und führte aus, die Entscheidungskompetenz über die für aktuelle Forschungsvorhaben und Lehrveranstaltungen geeigneten Patienten könne nur bei ihr (bzw. ihren Hochschulambulanzen) liegen. Die Fallzahlen spiegelten den tatsächlichen Bedarf für Forschung und Lehre nicht mehr wider, weil die Forschungsaktivitäten deutlich zugenommen hätten (dies dokumentiere etwa die Einrichtung von Forschungsschwerpunkten sowie die Zunahme von Forschungs- bzw. Drittmittelprojekten; Letztere hätten sich von 573 im Jahr 2000 auf 1.034 im Jahr 2005 fast verdoppelt). Gleichzeitig legte die Klägerin eine Aufstellung über die in den einzelnen Fachkliniken benötigten Patienten vor. Der Beklagte zog daraufhin Frequenztabellen der Kliniken der Klägerin bei. Demgegenüber verwies die Beigeladene zu 5) im Verwaltungsverfahren auf die Ergebnisse der Hochschulambulanzstudie (Lauterbach, u.a.: Hochschulambulanzstudie, St. Augustin 2002). Danach liege die Rekrutierungsquote im Bereich der Forschung bei lediglich 5%, d.h. die Anzahl der angesprochenen Patienten übersteige die Anzahl der letztendlich rekrutierten Patienten um das 6-fache. Aus diesem Grund sei eine Filterung der Patienten durch niedergelassene Vertragsärzte geboten. Der Beklagte wies nach Auswertung der Stellungnahmen mit Beschluss vom 23.01.2008 (der Klägerin zugegangen am 14.02.2008) den Widerspruch gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 30.10.2002 zurück und bestätigte die Beschränkung der Fallzahlbegrenzung sowie die Beschränkung des Zugangsweges. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe nicht darzutun vermocht, dass eine Begrenzung auf 13.125 Versicherte pro Quartal für Forschung und Lehre nicht ausreiche. Die Berechnung der Klägerin sei schon deshalb nicht plausibel, weil sie eine Reihe von Positionen enthalte, die nicht Forschung oder Lehre zuzurechnen seien, so u.a. Dissertationsvorhaben und Publikationen. Überdies sei es nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, bestimmte Forschungsaufträge bzw. Drittmittelprojekte zu finanzieren. Zudem seien persönliche Ermächtigungen erteilt worden, überdies bestünden Institutsermächtigungen, in denen Leistungen erbracht würden, die für Forschung und Lehre nutzbar gemacht werden könnten. Auch die Begrenzung des Zulassungsweges sei rechtmäßig. Den Zugang von einer Überweisung durch Vertragsärzte abhängig zu machen, verhindere, dass völlig ungeeignete Patienten zur Verfügung stehen. Überdies könne durch Kooperation mit niedergelassenen Vertragsärzten sichergestellt werden, dass für bestimmte Fallstudien ausreichend Patienten zur Verfügung stehen.

Hiergegen richtet sich die am 13.03.2008 erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Zulassungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV Nordrhein vom 31.10.2002 in der Fassung des weiteren Beschlusses des Berufungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV Nordrhein vom 23.01.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der ausgesprochenen Fallzahlenbegrenzung und der Beschränkung des Zugangsweges neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1) bis 4) stellen keinen eigenen Antrag.

Die Beigeladene zu 5) beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen zu 6) und 7) stellen keinen eigenen Antrag.

Die Klägerin hat die Ergebnisse einer umfangreichen Befragung der Hochschullehrer ihrer Kliniken ausgewertet und hieraus unter dem 10.11.2009 einen Bedarf von rund 120.000 Patienten pro Jahr abgeleitet.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte trotz Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 1) bis 4) sowie 6) und 7) aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, weil die Beigeladenen zu 1) bis 4), 6) und 7) in der schriftlichen Terminsladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind, §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), zumal diese ausdrücklich erklärt haben, den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht wahrnehmen zu wollen.

Die Klage ist als Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt SGG zulässig. Denn bei den vom Beklagten erneut ausgesprochenen Beschränkungen handelt es sich nicht um isoliert angreifbare Nebenbestimmungen, sondern um inhaltliche Begrenzungen, die den Umfang der Ermächtigung betreffen (so bereits SG Aachen, Urteil vom 15.07.2004, S 7 KA 4/03, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Beschluss des Beklagten im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da dieser rechtswidrig ist. Zwar kann vom Gericht nicht selbst festgestellt werden, ob mit der ausgesprochenen Fallzahlbegrenzung und der Beschränkung des Zugangsweges der für Forschung und Lehre der Klägerin erforderliche Umfang noch gewährleistet ist, weil dem Beklagten bei der Entscheidung ein (enger) Beurteilungsspielraum zusteht (dazu sogleich). Jedoch hat der Beklagte bei der Auslegung von § 117 Abs. 1 SGB V die grundrechtlich gewährleistete Wissenschaftsfreiheit der Klägerin nicht beachtet und der Entscheidung liegt zudem ein unvollständig ermittelter Sachverhalt zu Grunde (dazu sodann).

Grundlage für die von der Klägerin begehrte Ermächtigung ist § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V. Danach besteht die Verpflichtung der Zulassungsgremien, auf Verlangen von Hochschulen oder Hochschulkliniken die Ambulanzen, Institute und Abteilungen der Hochschulkliniken (Hochschulambulanzen) zur ambulanten ärztlichen Behandlung der Versicherten und der in § 75 Abs. 3 genannten Personen zu ermächtigen (Satz 1). Die Ermächtigung ist so zu gestalten, dass die Hochschulambulanzen die Untersuchung und Behandlung der in Satz 1 genannten Personen in dem für Forschung und Lehre erforderlichen Umfang durchführen können (Satz 2).

Die Vorschrift des § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V ist im Kontext der verfassungsrechtlich garantierten Wissenschaftsfreiheit der Klägerin, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) zu sehen und auszulegen. Die Klägerin ist als Trägerin dieses Grundrechts (dazu, dass die Wissenschaftsfreiheit juristischen Personen - auch des öffentlichen Rechts - zu Gute kommt, die Wissenschaft betreiben und organisieren, nur Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 9. Auflage 2007, Art. 5 Rdnr. 125 mit umfangreichen Nachweisen) zur Ausübung von Forschung und Lehre berechtigt. Jegliche Beschränkung dieser Freiheit ist ein an Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu messender Grundrechtseingriff. Dabei ist zu beachten, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein sog. vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht ist, das nur durch Gesetz und inhaltlich lediglich aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts überhaupt einschränkbar ist (vgl. zum Ganzen nur BVerfG, Beschluss vom 01.03.1978, 1 BvR 333/75 u.a. = juris, Rdnr. 154 ff.; Jarass, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 131). Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass sich wegen der besonderen Stellung der Krankenversorgung sowohl im Aufgabenbereich der Universität als auch im Tätigkeitsfeld des einzelnen medizinischen Hochschullehrers eine - gewissermaßen tatbestandliche - Einschränkung dieses Grundrechts ergibt. Deshalb unterliegt z.B. der (hier nicht betroffene) Bereich der Verwaltungsorganisation nicht ohne weiteres den verfassungsrechtlichen Garantien, welche im Bereich der Selbstverwaltung wissenschaftsrelevanter Angelegenheiten und im Rahmen der Tätigkeit des Hochschullehrers in der wissenschaftlichen Forschung und Lehre Geltung beanspruchen (BVerfG, Beschluss vom 08.04.1981, 1 BvR 608/79 = juris). Eine gesetzliche Grundlage steht mit § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V zur Verfügung. Ein Verfassungsrechtsgut, das (abgesehen von dem Ziel einer bestmöglichen Patientenversorgung) eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit der Klägerin zu rechtfertigen vermag, steht nach Auffassung der Kammer allein in Gestalt der Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte, Art. 12 Abs. 1 GG, zur Verfügung (hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2007, L 5 KA 3892/07 ER-B = juris, Rdnr. 57 und 65). Der Konflikt zwischen den kollidierenden Verfassungsrechtsgütern ist im Sinne praktischer Konkordanz derart zu lösen, dass alle Rechtgüter einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, siehe etwa BVerfG, Urteil vom 16.05.1995, 1 BvR 1087/91 = BVerfGE 93, 1, 21; Jarass, a.a.O., Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 49).

Für die Auslegung von § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V führen diese verfassungsrechtlichen Vorgaben dazu, dass eine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit der Klägerin lediglich zu Gunsten der Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte erfolgen darf und beide Verfassungsrechtsgüter - Wissenschaftsfreiheit und Berufsfreiheit - zu einem möglichst schonenden Ausgleich gebracht werden müssen. Eine Beschränkung von Forschung und Lehre der Klägerin ist von vornherein nur in dem Umfang möglich, wie die Berufsfreiheit der Vertragsärzte sie erfordert. Bei dieser Einschätzung steht dem Beklagten nach Auffassung der Kammer lediglich ein sehr enger Beurteilungsspielraum zu. Anders als in Fällen, in denen es auf einen bestimmten Versorgungsbedarf ankommt und die paritätisch besetzten ortsnahen und fachkundigen Zulassungsgremien eine Vielzahl von Faktoren (wie Anzahl und Leistungsangebot der niedergelassenen und ermächtigten Ärzte, Bevölkerungs- und Morbiditätsstruktur, Umfang und räumliche Verteilung der Nachfrage aufgrund der vorhandenen Verkehrsverbindungen), die für sich und in ihrer Abhängigkeit untereinander weitgehend unbestimmt sind, in ihre Entscheidung einbeziehen müssen (dazu etwa BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 6 KA 35/99 R = juris; BSG, Urteil vom 05.11.2008, B 6 KA 10/08 R = juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.05.2009, L 11 B 5/09 KA ER = juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.10.2008, L 5 KA 3558/07 = juris), spielen Bedarfsfragen im Rahmen der Ermächtigung des § 117 Abs. 1 Satz 2 SGB V von vornherein keine Rolle (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.1998, B 6 KA 43/97 R = juris, Rdnr. 24; Urteil vom 05.02.2003, B 6 KA 26/02 R = juris, Rdnr. 44; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.11.2007, L 5 KA 3892/07 ER-B = juris, Rdnr. 56). Überdies ist mit der Wissenschaftsfreiheit der Klägerin ein grundrechtssensibler Bereich betroffen, was auch gegen einen Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien spricht (aus diesem Grund einen Beurteilungsspielraum der Hochschulen annehmend Zuck, MedR 1990, 121, 123). Angesichts dieses rechtlichen Hintergrundes verwundert es, dass in der Kommentarliteratur ohne nähere Begründung von einem Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien für die Entscheidung nach § 117 Abs. 1 SGB V ausgegangen wird (so etwa Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, 70. Ergänzungslieferung 2010, § 117 SGB V, Rdnr. 6; Kingreen, in: BeckOK SGB V, Stand: 01.09.2010, § 117 Rdnr. 3; von einem Ermessensspielraum spricht Köhler-Hohmann, in: juris-PK-SGB V, 1. Auflage 2007, § 117 SGB V, Rdnr. 23). Gleichwohl steht den Zulassungsgremien nach Auffassung der Kammer im Ergebnis ein Beurteilungsspielraum zu. Normativer Anknüpfungspunkt hierfür ist die Berufsfreiheit der Vertragsärzte, aufgrund derer eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit der Hochschulkliniken erfolgen kann (s.o.). Da für die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang durch die Ermächtigung nach § 117 Abs. 1 SGB V eine Beeinträchtigung beruflicher Interessen niedergelassener Vertragsärzte erfolgt, auch regionale Besonderheiten des Versorgungsgebietes zu berücksichtigen sind, ist ein enger Beurteilungsspielraum der Zulassungsgremien anzuerkennen. Er beschränkt sich jedoch auf die Frage der Beurteilung der Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte und damit lediglich auf einen Teilbereich der Gewichtung des Verfassungsrechtsgutes aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war die vom Beklagten getroffene Entscheidung aufzuheben, weil er die grundrechtlich gewährleistete Wissenschaftsfreiheit der Klägerin verkannt hat (und damit ein vom Gericht überprüfbarer Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliegt, dazu allgemein etwa Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 54 Rdnr. 31d) und außerdem den Sachverhalt unvollständig ermittelt hat. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer uneingeschränkten Ermächtigung nach § 117 Abs. 1 SGB V indessen war dem Gericht angesichts des bestehenden Beurteilungsspielraums verwehrt.

Der Beklagte hat zunächst die der Klägerin zustehende Wissenschaftsfreiheit verkannt. Die Klägerin hat für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass die an ihren Hochschulkliniken durchgeführten Forschungsvorhaben signifikant gestiegen sind. So sind zahlreiche Sonderforschungsbereiche eingerichtet worden und die Zahl der Forschungs- bzw. Drittmittelprojekte hat sich nachweislich deutlich erhöht. Bereits aus diesem Grund erscheint es nachvollziehbar, dass mit der ausgesprochenen Fallzahlbegrenzung - die offenbar dem Stand von 1998 entspricht - die Ausübung der Forschung nicht mehr in ausreichendem Maße sichergestellt ist. Nicht nachvollziehbar ist weiter das Argument des Beklagten, die Finanzierung von Drittmittelprojekten sei nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung. Denn auch die Drittmittelforschung unterfällt der Forschungsfreiheit und genießt damit den Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Auch die Auffassung des Beklagten, es könnten im Rahmen von Institutsermächtigungen erbrachte Leistungen für Forschung und Lehre nutzbar gemacht werden, ist angesichts des hohen Stellenwertes von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht haltbar. Nicht die Klägerin muss die Ausübung von Forschung und Lehre rechtfertigen (so die Ausführungen des Beklagten im Beschluss vom 23.01.2008, S. 14), sondern Beschränkungen dieses Grundrechts bedürfen verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 5) sind die Ergebnisse der sog. Hochulambulanzstudie für den hier zu beurteilenden Fall wenig aussagekräftig. Abgesehen davon, dass diese Studie im Jahr 2002 publiziert ist und die erhobenen Daten damit mittlerweile rund zehn Jahre alt sein dürften, kann sie eine konkrete, auf die örtliche Situation der Hochschule zugeschnittene Ermittlung nicht ersetzen. So hätte es dem Beklagten im Rahmen seiner Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) oblegen, den für Forschung und Lehre erforderlichen Bedarf an Patienten der einzelnen Hochschulkliniken zu erheben. Zwar kann er sich hierfür der Mithilfe der Klägerin bedienen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 SGB X) und er hat der Klägerin auch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens unter dem 13.01.2006 aufgegeben, eine Stellungnahme der Hochschullehrer vorzulegen, welche Studentenzahlen (richtig: Patientenzahlen) für Forschung und Lehre benötigt werden. Die Klägerin hat jedoch in ihrer ersten Stellungnahme vom 08.11.2006 umfangreiches Zahlenmaterial vorgelegt und einen konkreten Bedarf beziffert und zudem die Bedarfe der einzelnen Kliniken aufgeschlüsselt. Wenn diese Daten dem Beklagten für die Beurteilung nicht ausreichten, hätte er - ggf. unter Mithilfe der Klägerin - weitere Ermittlungen durchführen müssen. Jedenfalls kann er derart konkrete Bedarfszahlen nicht anhand allgemeiner statistischer Überlegungen bzw. Hinweis auf die Hochschulambulanzstudie erschüttern. Überdies hat die Klägerin während des gerichtlichen Verfahrens die Ergebnisse einer Befragung der einzelnen Hochschullehrer ihrer Kliniken vorgelegt, aus der für Forschung und Lehre ein höherer Patientenbedarf als die vom Beklagten zugestandenen 13.125 Patienten pro Quartal folgt. Ob sich aus den Zahlen der Klägerin tatsächlich ein Bedarf von rund 120.000 Patienten pro Jahr ergibt, um Forschung und Lehre sicherstellen zu können, kann hier unentschieden bleiben. Jedenfalls folgt hieraus, dass die Begrenzung auf 13.125 Fälle pro Quartal für Forschung und Lehre unzureichend ist. Die Ergebnisse der Befragung können als Grundlage für die Entscheidung der Kammer auch Berücksichtigung finden, weil es sich um eine Vornahmeklage handelt, bei dem maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung ist (dazu allgemein Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 54 Rdnr. 34 m.w.N.). Zu einer weitergehenden Beurteilung, insbesondere der Gewichtung der Berufsfreiheit der niedergelassenen Vertragsärzte (Art. 12 Abs. 1 GG), sieht sich die Kammer angesichts des Beurteilungsspielraums des Beklagten jedoch außer Stande.

Weiter hat der Beklagte auch den Sachverhalt unvollständig ermittelt. Ist nämlich eine Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit der Klägerin lediglich aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts möglich (s.o.), so hätte der Beklagte sich zu Ermittlungen gedrängt fühlen müssen, ob zur Herstellung praktischer Konkordanz der mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG konfligierenden Verfassungsgüter (insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG, s.o.) eine vollständige Beschränkung des Zugangsweges geboten ist oder nicht eine Beschränkungsquote (etwa in Form eines prozentual festgelegten unmittelbaren Zugangs bei Zugang über die Vertragsärzte im Übrigen) ausgereicht hätte. Hierüber aber hat der Beklagte offenbar keinerlei Überlegungen angestellt. Um dies beurteilen zu können, hätte es zunächst Erhebungen bei den Vertragsärzten bedurft, in wievielen Fällen - gemessen an der Gesamtpatientenanzahl - Überweisungen an die Hochschulkliniken der Klägerin erfolgt sind. Weiter hätten auch die im Bereich der Klägerin tätigen Vertragsärzte befragt werden können, ob sie bei unmittelbarem Zugang der Patienten zu den Hochschulambulanzen einen Patientenrückgang o. ä. befürchten. Auch das Argument, die niedergelassenen Ärzte könnten am Besten einschätzen, welche Patienten für Forschung und Lehre geeignet sind, muss angesichts der grundrechtlich gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit der Klägerin zurücktreten. Überdies erscheint es der Kammer plausibel, dass die Vertragsärzte jedenfalls im Detail keine Kenntnis von den an den Kliniken der Klägerin durchgeführten Forschungsprojekten haben. Ist die Klägerin aber diejenige, die die Wissenschaftsfreiheit ausübt, so kann nicht allein den Vertragsärzten die Beurteilung anvertraut sein, welche Patienten sich grundsätzlich für die Durchführung von Forschungs- oder Lehrvorhaben eignen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 3, 1. Halbsatz Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts bleibt einem gesonderten Beschluss vorbehalten.
Rechtskraft
Aus
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