L 12 AS 1775/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 3232/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1775/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. März 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung von Bewilligungen zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 2. Februar 2006 bis zum 30. Juni 2007 und damit verbundene Erstattungsforderungen der Beklagten.

Die 1967 geborene Klägerin war vom 28. September 1990 bis zur Scheidung am 7. Juli 2005 mit Herrn R. W. verheiratet. Aus dieser Ehe gingen die gemeinsamen Kinder P. (geboren 23. Juni 1991) und K. (geboren am 31. August 1996) hervor. Die Klägerin zog mit ihren Kindern spätestens im Juni 2004 in eine von W. S. (W.S.) bewohnte Mietwohnung mit einer Wohnfläche von insgesamt 140 qm im K. in R. ein. Am 25. Mai 2004 schlossen die Klägerin und W.S. einen schriftlichen Mietvertrag, nach dem drei Zimmer, Küche, Korridor, Bad sowie Abstellraum im zweiten Obergeschoss links des Hauses K. ab dem 1. Juni 2004 auf unbestimmte Zeit an die Klägerin vermietet werden; es wurde eine monatliche Miete von 500 EUR zuzüglich Heiz- und Warmwasserkostenvorauszahlung in Höhe von 50 EUR sowie Vorauszahlung für sonstige Nebenkosten in Höhe von weiteren 50 EUR monatlich vereinbart. W.S. hatte die Wohnung selbst von W. und H. H. gemietet zu einer monatlichen Miete von 634 EUR.

Am 2. Februar 2006 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem SGB II und gab hierbei an, mit ihren Kindern P. und K. zusammen zu leben. Dass auch W.S. in der Wohnung lebte, erwähnte sie nicht. Mit Bescheid vom 14. Juni 2006 bewilligte die Beklagte Leistungen für die Zeit vom 2. Februar bis 31. Juli 2006 (der Klägerin für Februar Regelleistung und Mehrbedarf für Alleinerziehende i.H.v. 422,10 EUR, Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) i.H.v. 176,53 EUR, P. KdU i.H.v. 24,43 EUR und K. KdU i.H.v. 1,93 EUR; für März der Klägerin Regelleistung und Mehrbedarf i.H.v. 469 EUR und KdU i.H.v. 196,13 EUR, P. KdU i.H.v. 27,15 EUR, K. KdU i.H.v. 2,15 EUR; für April der Klägerin Regelleistung und Mehrbedarf i.H.v. 3,50 EUR und KdU i.H.v. 196,13 EUR; P. KdU i.H.v. 8,15 EUR, K. KdU i.H.v. 0,65 EUR; für Mai bis Juli der Klägerin Regelleistung und Mehrbedarf i.H.v. 469 EUR monatlich, KdU i.H.v. 196,13 EUR monatlich, P. KdU i.H.v. 97,15 EUR und K. KdU i.H.v. 2,15 EUR monatlich).

Am 13. Juli 2006 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der Leistungen und teilte mit, dass P. ab dem 1. August 2006 nicht mehr zum Haushalt gehöre. Mit Bescheid vom 25. Juli 2006 bewilligte die Beklagte Leistungen für August bis Oktober 2006 (der Klägerin Regelleistung und Mehrbedarf i.H.v. monatlich 386 EUR, KdU i.H.v. 294,21 EUR sowie K. KdU i.H.v. 100,22 EUR monatlich).

Auf dem Weitergewährungsantrag vom 26. September 2006 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 31. Oktober 2006 Leistungen für November und Dezember 2006 (Klägerin Regelleistung sowie Mehrbedarf i.H.v. monatlich 307,56 EUR, KdU i.H.v. 294,21 EUR, K. KdU i.H.v. 88,66 EUR monatlich.

Am 17. Januar 2007 beantragte die Klägerin erneut die Fortzahlung der Leistungen.

Mit Änderungsbescheid vom 30. Januar 2007 änderte die Beklagte die Bewilligung für den Zeitraum August bis Oktober 2006 wegen Einkommensänderung (August und September: Klägerin Regelleistung und Mehrbedarf i.H.v. 307,56 EUR, KdU i.H.v. 294,21 EUR, K. KdU i.H.v. 88,66 EUR; für Oktober: Klägerin Regelleistung und Mehrbedarf i.H.v. 314,60 EUR, KdU i.H.v. 294,21 EUR, K. KdU i.H.v. 158,62 EUR).

Mit weiterem Bescheid vom 30. Januar 2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen für Januar bis Juni 2007 (Klägerin 386 EUR Regelleistung und Mehrbedarf; KdU Klägerin und K. insgesamt 471,43 EUR).

Mit weiterem Bescheid vom 30. Januar 2007 hob die Beklagte die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 2. Februar bis 31. Oktober 2006 teilweise auf in Höhe von 733 EUR wegen erzielten Einkommens, Zahlung von Unterhaltsvorschuss und Wegfall von Unterhaltszahlungen. Entsprechend bewilligte die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 30. Januar 2007 für den Zeitraum 2. Februar 2006 bis 31. Juli 2006 geringere Leistungen (Februar 543,99 EUR, März 604,43 EUR, April 118,43 EUR, Mai 604,43 EUR, Juni 595,43 EUR, Juli 604,43 EUR). Am 7. Februar 2007 legte die Klägerin gegen den Aufhebungsbescheid vom 30. Januar 2007 Widerspruch ein.

Am 28. Februar 2007 suchte ein Außendienstmitarbeiter der Beklagten die Klägerin auf. Im Ermittlungsbericht wird ausgeführt, dass die Klägerin die Tür geöffnet und nach Kenntnisgabe über den Zweck des Besuchs erklärt habe, dass W.S. ihr Partner sei. Nach der Erklärung seitens des Außendienstes, dass die Klägerin einen Mietvertrag über eine Dreiraumwohnung abgegeben habe, sich nun herausgestellt habe, dass es sich um eine Fünfraumwohnung handele und sie mit ihrem "Vermieter" zusammenlebe, habe die Klägerin W.S. zu dem Gespräch hinzugezogen. Dieser habe gleich die eheähnliche Gemeinschaft verharmlosen wollen, indem er gesagt habe, "es sei nur sexuell". Weiter hätten die Klägerin und W.S. mitgeteilt, dass sie demnächst umziehen würden.

Mit Bescheid vom 6. März 2007 hob die Beklagte den Bescheid vom 30. Januar 2007 über die Bewilligung von Leistungen ab 1. März 2007 ganz auf, da die Klägerin in den Anträgen vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige und unvollständige Angaben gemacht habe.

Seit März 2007 zahlte die Klägerin keine Miete mehr an W.S.

Am 28. März 2007 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 6. März 2007 ein.

Am 1. April 2007 schlossen die Klägerin als Mieterin und W.S. als Vermieter einen Mietvertrag über die Mitnutzung von zwei Zimmern, Küche, Korridor, Bad, Abstellraum im Haus R. in H. ab 1. April 2007 auf unbestimmte Zeit zu einer monatlichen Miete von 400 EUR, Heiz- und Warmwasserkostenvorauszahlung von monatlich 50 EUR sowie Vorauszahlung für sonstige Nebenkosten in Höhe von weiteren 50 EUR monatlich. W.S. ist selbst Mieter dieser Wohnung.

Mit Anhörungsschreiben vom 15. Mai 2007 wandte sich die Beklagte an die Klägerin hinsichtlich des möglicherweise unrechtmäßigen Bezugs von Leistungen ab 2. Februar 2006 in Höhe von 8.469,15 EUR.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2007 nahm die Beklagte die Bewilligung von Leistungen für die Klägerin und ihre Kinder ab dem 2. Februar 2006 zurück und verfügte die Erstattung eines Betrags von insgesamt 9.892,26 EUR für den Zeitraum 2. Februar 2006 bis 28. Februar 2007 (Klägerin: Arbeitslosengeld II i.H.v. 3.110,90 EUR, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 1.422,11 EUR, KdU 3.133,95 EUR, Leistungen für Mehrbedarf 894,60 EUR; P.: KdU i.H.v. 112,55 EUR und K.: KdU i.H.v. 1.017,15 EUR). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin bei der Erstantragstellung falsche Angaben bezüglich der Kosten der Unterkunft und der eheähnlichen Gemeinschaft mit W.S. gemacht habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2007 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 30. Januar 2007 und 6. März 2007 zurück. Zwar sei der Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Januar 2007 bei isolierter Betrachtung begründet, da im August und September 2006 kein Unterhalt seitens des Vaters von K. geflossen sei. Jedoch seien sämtliche Bewilligungsbescheide rechtswidrig, da sie sich auf Tatsachen stützten, die nicht vorgelegen hätten und durch arglistige Täuschung seitens der Klägerin vermittelt worden seien. Die Klägerin habe angegeben, eine 80 qm große Dreizimmerwohnung nur mit ihren Kindern zu bewohnen. Tatsächlich bewohne sie seit 1. Juni 2004 mit einem Lebenspartner eine 140 qm große Fünfzimmerwohnung gemeinsam.

Den gegen den Rückforderungsbescheid vom 16. Juli 2007 eingelegten Widerspruch verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2007 als unzulässig, da der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 16. Juli 2007 bereits Gegenstand des mit Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2007 abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens gewesen sei.

Am 15. August 2007 hat die Klägerin zum Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage gegen den Aufhebungsbescheid vom 6. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2007 erhoben. Sie macht geltend, dass jedenfalls vor dem 1. August 2006 eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihr und W.S. nicht bestanden habe. Am 28. Januar 2008 hat die Klägerin ihre Klage dahingehend erweitert, dass auch der Aufhebungsbescheid vom 16. Juli 2006 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Juli 2007 sowie vom 14. August 2007 angefochten werde.

Am 22. Februar 2008 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 16. Juli 2007. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. März 2008 ab, da weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2008 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 5. Mai 2008 zum SG erhobene Klage (S 2 AS 1644/08). Mit Beschluss vom 26. Mai 2008 hat das SG die beiden Klagen unter dem Aktenzeichen S 2 AS 3232/07 verbunden.

Im Erörterungstermin am 23. September 2008 hat das SG die Klägerin zum Sachverhalt befragt sowie Beweis erhoben durch die Vernehmung von W.S. als Zeuge. Hinsichtlich der Einzelheiten der Vernehmung wird auf die Niederschrift vom 23. September 2008 Bezug genommen (Bl. 80 bis 87 SG-Akte).

Mit Urteil vom 3. März 2009 hat das SG sodann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2007 sei unzulässig, da sie nicht binnen der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden sei. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen ersichtlich nicht vor. Im Übrigen seien die Klagen zulässig aber unbegründet. Zwischen der Klägerin und W.S. sowie den Kindern der Klägerin, soweit diese bei ihr gewohnt hätten, habe während des streitgegenständlichen Zeitraums eine Bedarfsgemeinschaft bestanden, weil die Klägerin und W.S. eine eheähnliche Gemeinschaft bzw. eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft gebildet hätten mit der Folge, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt habe und die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Bewilligungsbescheide für die Zeit vom 2. Februar 2006 bis 30. Juni 2007 aufzuheben, so dass auch der Antrag auf Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 16. Juli 2007 zu Recht abgelehnt worden sei.

Streitgegenständlich sei der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 6. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2007 dabei nur, soweit die Klägerin selbst Adressat der Verfügungssätze sei. Soweit Adressat der Verfügungssätze die Kinder der Klägerin seien, seien diese zwar zu Recht an die Klägerin als gesetzliche Vertreterin gerichtet gewesen, von der Klägerin aber nicht angegriffen worden, da sie nur im eigenen Namen Klage erhoben habe, nicht zugleich auch im Namen ihrer Kinder. Die vom Bundessozialgericht (BSG) postulierte Übergangsfrist für eine entsprechende erweiternde Auslegung von Klagen sei am 30. Juni 2007 und damit vor der ersten hier zu beurteilenden Klageerhebung abgelaufen (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R -). Adressat des Bescheids vom 19. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. April 2008 sei ohnehin nur die Klägerin selbst.

Gemäß § 7 Abs. 3 SGB II in der bis 31. Juli 2006 geltenden Fassung (a.F.) gehörten zur Bedarfsgemeinschaft u.a. die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (Nr. 1), als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebe (Nr. 3b) sowie die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder der in den Nummern 1-3 genannten Personen, soweit sie nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beschaffen könnten (Nr. 4). Die Rechtslage habe sich ab dem 1. August 2006 insofern geändert, als nun statt des Partners in eheähnlicher Gemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person gehöre, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebe, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen werde gem. § 7 Abs. 3a SGB II vermutet, wenn Partner länger als 1 Jahr zusammen leben (Nr. 1), mit einem gemeinsamen Kind zusammen leben (Nr. 2), Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen (Nr. 3) oder befugt sind über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen (Nr. 4). Eine eheähnliche Gemeinschaft meine eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt sei, daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulasse und sich durch innere Bindungen auszeichne, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG), BVerfGE 87, 234, 264). Erforderlich sei, dass die Bindungen der Partner so eng seien, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden könne. Dies lasse sich nur anhand von Indizien feststellen. Als solche Hinweistatsachen kämen in Betracht die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen. Entscheidend sei nicht, ob der Wille für ein gegenseitiges Einstehen tatsächlich subjektiv vorhanden sei, sondern ob aus objektiver Sicht ein solcher Wille anzunehmen sei.

Aufgrund der im Erörterungstermin durchgeführten Beweisaufnahme sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass zwischen der Klägerin und W.S. im streitgegenständlichen Zeitraum eine eheähnliche Gemeinschaft bzw. eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bestanden habe. Insgesamt stelle sich das Bild einer engen freundschaftlichen, zumindest zeitweise auch sexuellen Beziehung von erheblicher Dauer und einem damit zwangsläufig einhergehenden Ausmaß an gegenseitiger Vertraulichkeit und Verantwortungsbewusstsein dar. Die Klägerin und W.S. lebten seit spätestens Juni 2004 zusammen, also zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums schon mindestens 20 Monate. Der Einzug der Klägerin bei W.S. sei im zeitlichen Zusammenhang mit der Trennung der Klägerin von ihrem Ehemann und dem Auszug der Ehefrau von W.S. aus der ehelichen Wohnung erfolgt, das Geschehen stelle sich insofern als typischen Wechsel einer Partnerschaft dar. Das Zusammenleben habe nunmehr über vier Jahre angedauert und auch aus der ex-post-Betrachtung die Einschätzung der Qualität der Beziehung beider Personen bekräftigt. Hätte das Zusammenleben der Klägerin und des W.S. nicht eine besondere, über eine bloße Wohngemeinschaft hinausgehende Qualität gehabt, wären Konflikte zwischen W.S. und P. weit weniger wahrscheinlich gewesen; sie hätten regelmäßig jedenfalls keinen Auszug des damals noch minderjährigen Sohnes zur Folge gehabt. Diesen Auszug habe die Klägerin in Kauf genommen, um weiterhin mit W.S. zusammen zu leben. Zudem seien die Klägerin und W.S. im April 2007 zusammen in eine neue Wohnung gezogen. Wenn aus Anlass der Aufgabe der bisherigen Wohnung gemeinsam eine neue Wohnung bezogen werde, deute dies auf den Wunsch des Fortbestehens einer engen räumlichen Verbindung hin, der ohne entsprechende emotionale Veranlassung nicht plausibel erscheine. Die Klägerin habe dabei sogar in Kauf genommen, R. verlassen zu müssen, obwohl ihre Mutter dort lebe und ihre Tochter dort zur Schule gegangen sei. Der Hinweis der Klägerin auf die behauptete Unmöglichkeit, eine eigene Wohnung zu beziehen, sei nicht plausibel. Das Bild einer eheähnlichen Gemeinschaft vervollständige sich weiter mit Blick auf das gemeinsame Agieren der Klägerin und des W.S. während des Rechtsstreits und den vorangegangenen Verwaltungsverfahren. W.S. habe der Klägerin nicht nur die technischen Mittel für die Verfassung der Schriftsätze zur Verfügung gestellt, sondern offenbar auch deren Formulierung unternommen. Selbst wenn dies noch als unbeachtlicher Freundschaftsdienst betrachtet werden könnte, gehe der Umstand, dass W.S. der Klägerin seit nunmehr knapp zwei Jahren die behauptete, schriftlich niedergelegte Verpflichtung zur Zahlung von Mietzins stunde und nicht die mietrechtlichen Konsequenzen in Gestalt der Kündigung des Mietverhältnisses ziehe, doch weit darüber hinaus. Der Einordnung als eheähnlicher Gemeinschaft bzw. Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft stehe die von der Klägerin und W.S. behauptete Abwesenheit gemeinsamer Unternehmungen nicht entgegen. Zum einen gehe das Gericht davon aus, dass gemeinsame Aktivitäten betont heruntergespielt werden sollten. Zum anderen verwirkliche sich aber in der gemeinsamen aktiven Mitgliedschaft im Musikverein und in der Narrenzunft schon ein beachtliches Maß gemeinsamer Freizeitgestaltung, das dem in vielen eheähnlichen oder gar ehelichen Gemeinschaften nicht nachstehen dürfte. Im Übrigen erklärten sich getrennte Tagesabläufe ohne weiteres durch die Berufstätigkeit des W.S.

Voraussetzung für die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sei u.a. die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers. Gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II seien bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, auch das Einkommen oder Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Der monatliche Bedarf der Bedarfsgemeinschaft setze sich zusammen aus den Regelleistungen der Klägerin und des W.S. in Höhe von jeweils monatlich 311 EUR, dem Sozialgeld von P. in Höhe von monatlich 207 EUR bzw. ab 23. Juni bis Ende Juli 2006 in Höhe von monatlich 276 EUR sowie dem Sozialgeld für K. in Höhe von 207 EUR. Hinzu kämen KdU in Höhe von monatlich höchstens 634 EUR. Ein Mehrbedarf für Alleinerziehende sei nicht zu berücksichtigen, da die Klägerin aufgrund ihrer Beziehung zu W.S. gerade nicht als alleinerziehend gelten könne. Dieser Gesamtbedarf werde gedeckt durch das Einkommen von W.S., der aus seiner selbstständigen Tätigkeit und aufgrund Vermietung nach eigenen Angaben jährlich einen Gewinn von insgesamt 15.000 bis 20.000 EUR erziele und sein Vermögen in Gestalt eines Hauses mit mindestens fünf Wohnungen und einer Gewerbeeinheit, das die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II überschreite und nicht nach § 12 Abs. 3 SGB II von der Berücksichtigung ausgeschlossen sei. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, ihre mangels Hilfebedürftigkeit von Anfang an rechtswidrigen Bewilligungen überwiegend mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, die Voraussetzungen des § 45 SGB X seien erfüllt. Insbesondere könne sich die Klägerin gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, da die Bewilligungen auf Angaben beruhten, die sie vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig gemacht habe, als sie bei ihren Leistungsanträgen nicht angegeben habe, mit W.S. in einer gemeinsamen Wohnung zu leben. Die Fristen des § 45 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2 SGB X seien gewahrt. Die Beklagte habe auch den Antrag auf Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 16. Juli 2007 zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X lägen nicht vor, da bei Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 16. Juli 2007 das Recht nicht unrichtig angewandt und auch nicht von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise.

W.S. wurde wegen seiner Aussagen im Erörterungstermin vor dem SG am 23. September 2008 vom Amtsgericht R. mit Urteil vom 30. September 2009 wegen falscher uneidlicher Aussage verwarnt, die Verhängung einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 EUR blieb vorbehalten. In den Gründen führte das Amtsgericht R. u.a. aus, W.S. habe als Zeuge zu dem entscheidungserheblichen Punkt, ob er mit U. W. eheähnlich zusammen gelebt habe, bewusst wahrheitswidrig angegeben, er habe zu keinem Zeitpunkt eine sexuelle Beziehung mit ihr gehabt. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte mittlerweile geständig sei und nicht vorgeahndet, habe man mit einer bloßen Verwarnung mit Strafvorbehalt auskommen können.

Gegen das ihr am 18. März 2009 zugestellte Urteil des SG richtet sich die am 16. April 2009 eingelegte Berufung der Klägerin. Soweit das SG die Klage der Klägerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2007 als unzulässig zurückweise, sei festzuhalten, dass die Beklagte selbst den Widerspruch der Klägerin wohl zu Unrecht als unzulässig verworfen habe. Selbst wenn vor dem Hintergrund der Begründung der Beklagten eine Klage nicht innerhalb der Monatsfrist gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. August 2007 erfolgt sein sollte, sei wegen der falschen Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage durch die Beklagte in jedem Fall eine Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2007 auf den Überprüfungsantrag der Klägerin nach § 44 SGB X zu überprüfen. Soweit das SG weiter ausführe, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 6. März 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2007 nur streitgegenständlich seien, soweit die Klägerin selbst Adressat der Verfügungssätze sei, sei von einer unrichtigen Anwendung formellen und materiellen Rechts auszugehen. Eine Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides sei ausschließlich gegenüber der Klägerin selbst erfolgt, sie sei auch alleinige Adressatin. Bereits vor diesem Hintergrund ergebe die Auslegung, dass sich die Klägerin gegen die Regelung der Bescheide insgesamt wende, auch soweit diese inhaltlich ihre Kinder P. und K. beträfen. Insoweit wäre eine erweiternde Auslegung der Klage geboten gewesen. Das erstinstanzliche Urteil beruhe auch auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung und Beweisaufnahme. Das Urteil sei ohne mündliche Verhandlung ergangen, eine Anhörung der Klägerin und des Zeugen sei lediglich in der nichtöffentlichen Sitzung vom 23. September 2008 allein durch den Vorsitzenden der erkennenden Kammer erfolgt. Dennoch seien die ausschließlich in der nichtöffentlichen Sitzung protokollierten Äußerungen durch die Kammer als Beweis gewürdigt und dem Urteil zugrunde gelegt worden. Die Kammer habe sich mangels Unmittelbarkeit aber in keiner Weise ein Bild von den Äußerungen der Klägerin machen können.

Das SG habe den zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt, es lege unrichtige und unvollständige Tatsachen zugrunde und wende letztlich auch das Recht unrichtig an, als es das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen der Klägerin und W.S. annehme. Die Vermutung einer Einstehensgemeinschaft könne nur gerechtfertigt sein, wenn seit länger als einem Jahr eine Haushalts- bzw. Wirtschaftsgemeinschaft zwischen der Klägerin und W.S. bestanden hätte, was aber in keiner Weise der Fall gewesen sei. Die Klägerin habe sich im November 2003 von ihrem Ehemann getrennt, dieser sei aus dem ehelichen Haus ausgezogen. Allerdings sei er in der Folgezeit wiederholt zurückgekehrt und habe im Haus randaliert. Vor diesem Hintergrund habe die Klägerin auch aus Angst um sich und die Kinder nicht im ehelichen Haus wohnen bleiben können. Nachdem sie W.S. bereits seit ca. 15 Jahren insbesondere durch das gemeinsame Musizieren im Musikverein gekannt habe und dieser aufgrund der Trennung von seiner Ehefrau die Möglichkeit gehabt habe, drei Zimmer der durch ihn bewohnten Wohnung unter zu vermieten, sei die Klägerin mit ihren Kindern in die Wohnung des W.S. eingezogen. Das SG verkenne hierbei, dass zwar sicher eine sehr lange Bekanntschaft die Klägerin und W.S. verbinde, aber zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form eine mit einer ehelichen Gemeinschaft oder Lebenspartnerschaft zu vergleichende Übernahme von Verantwortung vorgelegen habe. Das SG habe nicht berücksichtigt, dass zwischen W.S. und der Klägerin ein (Unter-)Mietvertrag, also eine Grundlage für ein gemeinsames Wohnen gerade ohne Bildung einer Partnerschaft bestanden habe. Innerhalb der Wohnung seien die Räumlichkeiten der Klägerin und ihrer Familie von W.S. räumlich getrennt gewesen, sie hätten auf unterschiedlichen Etagen gewohnt, es hätten getrennte Schlaf- und Badezimmer bestanden. In H. habe sich die Situation später so dargestellt, dass ebenfalls eine räumliche Trennung vorgenommen worden sei. Schlafzimmer des Vermieters sowie die Toilette seien außerhalb der Wohnung gewesen. Lediglich Büro und Badezimmer seien in der Wohnung der Klägerin gewesen und das Badezimmer sei gemeinsam benutzt worden. Darüber hinaus sei keinerlei finanzielle Unterstützung von Seiten des W.S. erfolgt, es habe eine getrennte Haushaltsführung vorgelegen und es hätten keine gemeinsamen Konten oder Verfügungsgewalt über Konten des anderen bestanden. Es seien keine gemeinsamen Kinder erzogen worden, W.S. sei nicht mit der Erziehung der Kinder der Klägerin befasst gewesen. Soweit das SG vor diesem Hintergrund eine Einstand- und Verantwortungsgemeinschaft bejahe, sei nicht berücksichtigt worden, dass die Beweislast hierfür allein die Beklagte trage. Zu der Situation vor dem Umzug nach H. sei noch anzumerken, dass die bisherige Wohnung in R. trotz eines laufenden Zeitmietsvertrags aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen dem Vermieter und W.S. durch den Vermieter fristlos gekündigt worden sei. Der Schluss des SG, dass die Unmöglichkeit für die Klägerin, zum damaligen Zeitpunkt eine eigene Wohnung zu beziehen, nicht plausibel sei, ignoriere die Situation der Klägerin, die zum Auszugstermin mit zwei Kindern ohne gültigen Mietvertrag dagestanden habe. Außerdem habe sich W.S. insoweit verantwortlich gefühlt, der Klägerin weiterhin den vertraglich zugesagten Wohnraum gemäß dem Mietvertrag zur Verfügung zu stellen, andernfalls hätte die Klägerin obdachlos werden können. In der Folge habe die Klägerin nach zwei Jahren Arbeitssuche zunächst eine (Teilzeit-) Beschäftigung gefunden und habe anschließend auch eine eigene Wohnung finden können. Zwischenzeitlich sei sie zurück nach R. gezogen. Auch dies zeige, dass ein über das zeitweilige gemeinsame Wohnen und die gemeinsame Vereinsteilnahme hinausgehendes gemeinsames Leben nicht gegeben sei. Bei den Vermutungen des SG über den Grund des Auszuges des Sohnes P. im Sommer 2006 bleibe das Ziel des Vaters von P. unerwähnt, seinen Sohn zu sich zu nehmen, um letztlich den Unterhalt aufrechnen zu können. Die Klägerin habe auch nicht den Auszug des Sohnes in Kauf genommen, um mit W.S. zusammen zu leben, vielmehr habe ihr ihre Anwältin von einem Sorgerechts- Rechtsstreit hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung vor dem Hintergrund des damaligen Alters des Sohnes abgeraten. Der Hinweis des SG auf Hilfestellung des W.S. bezüglich des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens begründe ebenfalls keine Einstehensgemeinschaft. W.S. habe selbst ein wirtschaftliches Interesse daran, die vereinbarten Mietzinszahlungen zu erhalten. Soweit er, weil die Klägerin und er sich schon sehr lange kennen, den Mietzins gestundet habe, begründe auch dies nicht die Annahme einer Einstandsgemeinschaft. Die Intention, bedarfsdeckende Leistungen nur vorschussweise im Wege der "Nothilfe" zu erbringen, sei unvereinbar mit der Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft. Ansonsten könnte die Behörde eine Einstandsgemeinschaft erzwingen, in dem sie nach Ablauf eines Jahres die Leistungen einstelle und dadurch letztlich Zuwendungen erzwinge.

Die Klägerin beantragt:

1. Das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. März 2009 wird aufgehoben. 2. Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 6. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2007 wird aufgehoben. 3. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 16. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2007 wird aufgehoben. 4. Hilfsweise, die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2008 verurteilt, ihren Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16. Juli 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin habe eine vollumfängliche Aufklärung des Sachverhalts stattgefunden. Aus der eingehenden Zeugenvernehmung habe sich eindeutig ergeben, dass die Klägerin bereits bei der Antragstellung auf SGB II-Leistungen in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit W.S. gelebt habe und die Angaben im Antrag vorsätzlich falsch gemacht worden seien. Die Ausführungen der Bevollmächtigten zu den Wohn- und Wirtschaftsverhältnissen der Klägerin seien mehrfach und nachweislich widerlegt. Nicht die Beklagte müsse die Vermutung widerlegen, sondern die Klägerin müsse Nachweise erbringen, die die Vermutung widerlegten. Der gemeinsame Umzug der Klägerin und des W.S. von R. nach H. mit einer Hinterlassenschaft von Mietschulden in Höhe von 3.000 EUR, bei denen die von der Beklagten geleisteten Zahlungen an die Klägerin für die KdU zweckentfremdet und weder von der Klägerin, noch von ihrem Partner an den tatsächlichen Vermieter weitergeleitet worden seien, erhärteten zusätzlich die Vermutung der weiterhin bestehenden eheähnlichen Gemeinschaft. Nach der Vernehmung seien lediglich geringe Zweifel vorhanden gewesen, ob die eheähnliche Gemeinschaft noch zum Zeitpunkt des Erörterungstermins angedauert habe oder zwischenzeitlich beendet worden sei. Aus diesem Grund habe die Beklagte einem Vergleichsvorschlag zugestimmt. Das Verhalten der Klägerin bezüglich des Vergleichsvorschlags und dessen Ablehnung habe die Beklagte wie auch das SG davon überzeugt, dass weiterhin eine eheähnliche Gemeinschaft vorgelegen habe. Die Klägerin habe ohne Einkünfte und ohne Zahlung ihres Mietanteils gegenüber W.S. nahezu zwei Jahre nach Aufhebung der Leistungen nach dem SGB II bei W.S. gelebt, ohne dass dies zu einer existenziellen Notlage oder einer Kündigung bzw. Räumung der Wohnung geführt hätte. Einer Erweiterung der Klage auf die Kinder der Klägerin werde entgegen getreten. Die Begründung des gemeinsamen Umzugs und des Verbleibs in einer gemeinsamen Wohnung seien nicht plausibel, denn gerade die Trennung von W.S. und der Bezug einer eigenen Wohnung, sei es in einer Notunterkunft der Stadt R., hätte sämtliche Existenzprobleme, so sie vorhanden gewesen wären, gelöst, da dann wieder Ansprüche auf SGB II-Leistungen vorhanden gewesen wären. Die Klägerin habe keine Nachweise vorgelegt, dass überhaupt eine Wohnungssuche stattgefunden habe. Insoweit trage auch nicht das Argument der Nothilfe, da diese im Normalfall immer befristet vom Helfenden geleistet werde und für die in Anspruch nehmende Person ein Handlungsdruck entstehe. Dieser Handlungsdruck sei bei der Klägerin jedoch offensichtlich nicht vorhanden gewesen, da über fast zwei Jahre weder ein Auszug stattgefunden habe, keine Wohnungssuche erfolgt sei, keine existenzielle Notlage entstanden sei noch der Vergleich angenommen worden sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR übersteigt. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen.

Streitgegenstand sind die angefochtenen Bescheide nur, soweit sie die Klägerin und nicht auch deren Kinder betreffen. Insoweit hat sich die Beklagte vorab im Wege eines Verfahrensvergleichs bereit erklärt, im Fall des Obsiegens der Klägerin nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens den Bescheid vom 6. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2007 sowie den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 16. Juli 2007 auch betreffend P. und K. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu überprüfen; im Gegenzug haben P. und K. das Verfahren für erledigt erklärt.

Soweit die Klägerin den Aufhebungsbescheid vom 6. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2007 anfechtet, liegt eine Rechtsverletzung der Klägerin nicht vor, denn die Beklagte hat zu Recht die Leistungsbewilligung mit Wirkung ab 1. März 2007 aufgehoben.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung oder Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3.) er die Rechtswidrigkeit kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat. Im Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ist gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Insoweit findet keine Ermessensentscheidung statt, so dass auch Härtefallgesichtspunkte nicht berücksichtigt werden können.

Vorliegend war die Bewilligung rechtswidrig, denn die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, sie war nicht hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II schreibt bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, die Berücksichtigung auch des Einkommens und Vermögens des Partners des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen vor. Nach § 7 Abs. 3 SGB II a.F. gehört zur Bedarfsgemeinschaft u.a. als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (Nr. 3b). Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II der ab 1. August 2006 geltenden Fassung gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen wird nach § 7 Abs. 3a SGB II vermutet, wenn (1.) Partner länger als ein Jahr zusammen leben, (2.) mit einem gemeinsamen Kind zusammen leben, (3.) Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder (4.) befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

Das SG hat unter ausführlicher Darstellung der hierzu ergangenen Rechtsprechung umfassend und zutreffend begründet, dass zwischen der Klägerin und W.S. eine eheähnliche Gemeinschaft bzw. Verantwortungsgemeinschaft bestanden hat und W.S. deshalb zur Bedarfsgemeinschaft gehört. Der Senat sieht zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Entgegen der Auffassung der Klägerin konnte das SG die im Beweisaufnahmetermin gewonnenen Erkenntnisse bei der Entscheidung durch den Spruchkörper verwenden, ohne dass insoweit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vorliegt. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) erfordern, dass sich alle die Entscheidung treffenden Richter einen persönlichen Eindruck von Beteiligten oder Zeugen gemacht haben, wenn sie ihre Entscheidung darauf stützen (vgl. BSG SozR 3-1500 § 128 Nr. 15). Dies gilt nur dann nicht, wenn der persönliche Eindruck, den die Richter in einer früheren mündlichen Verhandlung von einem Zeugen bzw. Beteiligten gewonnen haben, protokolliert oder auf sonstige Weise aktenkundig gemacht worden ist und sich die Beteiligten dazu erklären konnten. Vorliegend hat sich die Kammer indes nicht auf persönliche Eindrücke von der Klägerin oder dem Zeugen gestützt, sondern auf die in der Niederschrift protokollierten Aussagen und die dort aufgetretenen Widersprüche. Der Verwertung der allein durch den Vorsitzenden durchgeführten Beweisaufnahme steht daher nichts entgegen, da sich das SG auf objektive Kriterien gestützt hat und nicht auf einen persönlichen Eindruck (vgl. BSG, Beschluss vom 17. August 2006 - B 12 KR 79/05 B - (juris)).

Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren noch auszuführen, dass auch der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt ist, dass zwischen der Klägerin und W.S. eine eheähnliche Gemeinschaft bzw. Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft bestanden hat. Unabhängig davon, dass die gesetzliche Vermutung eines wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II aufgrund des Zusammenlebens bereits seit Mitte 2004 und damit länger als ein Jahr eingreift, sprechen auch die sonstigen Umstände in der Gesamtbetrachtung eindeutig für eine eheähnliche Gemeinschaft bzw. Einstehensgemeinschaft. Der Vortrag der Klägerin in der Berufungsinstanz ist nicht geeignet, die lebensnahe Würdigung der Gesamtumstände, die vom SG bereits sehr ausführlich dargestellt worden ist und vom Senat in gleicher Weise vorgenommen wird, in Zweifel zu ziehen und zu widerlegen.

Unter Zugrundelegung einer somit anzunehmenden Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und W.S. liegt Bedürftigkeit der Klägerin nach § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB II nicht vor. Insoweit kann ebenfalls auf die Ausführungen des SG Bezug genommen werden (§ 153 Abs. 2 SGG). Neben den Einkünften des W.S. aus selbstständiger Tätigkeit sowie Vermietung und Verpachtung in Höhe von mindestens 15.000 bis 20.000 EUR (Reingewinn) zuzüglich dem Einkommen der Klägerin aus Kindergeld und Unterhaltszahlungen bzw. Unterhaltsvorschuss, die insgesamt jedenfalls bedarfsdeckend sind, steht auch das vermietete Hausgrundstück des W.S. mit mindestens fünf Wohnungen und einer Gewerbeeinheit als nicht geschütztes Vermögen (§ 12 Abs. 3 SGB II) einer Leistungsgewährung entgegen.

Die Klägerin kann keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Sie hat durch ihre vorsätzlich unvollständig und unrichtig gemachten Angaben im Antrag hinsichtlich der Wohnsituation verschleiert, dass sie mit W.S. zusammenlebt. Die Bewilligungen beruhen daher auf den unzutreffenden Angaben im Antrag. Auch die Fristen des § 45 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 2 SGB X sind eingehalten.

Soweit die Klägerin die Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 16. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2007 verlangt, hat das SG die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, denn angesichts der erst am 28. Januar 2008 dahingehend erfolgten Klageerweiterung ist die Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ersichtlich nicht eingehalten, auch Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.

Soweit die Klägerin sich mit ihrer Klage gegen die Ablehnung der Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 16. Juli 2007 richtet, ist die Klage unbegründet, denn die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen nicht vor. Bei Erlass des Bescheids vom 16. Juli 2007 wurde weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Die Beklagte hat zu Recht die Bewilligungen rückwirkend für den Zeitraum ab 2. Februar 2006 aufgehoben, die Voraussetzungen des § 45 SGB X lagen vor. Insoweit kann auf die oben gemachten Ausführungen Bezug genommen werden. Die Pflicht der Klägerin zur Erstattung der im Zeitraum 2. Februar 2006 bis 28. Februar 2007 überzahlten Leistungen beruht auf § 50 Abs. 1 SGB X, die Pflicht zur Erstattung der in diesem Zeitraum von der Beklagten entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 und 5 SGB III. Die Erstattungsbeträge sind mit 3.310,90 EUR (Regelleistung), 1.261,93 EUR (Krankenversicherungsbeiträge), 160,18 EUR (Pflegeversicherungsbeiträge), 3.133,95 EUR (KdU) und 894,60 EUR (Mehrbedarf wegen Alleinerziehung) zutreffend berechnet worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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