Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 138/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegner werden im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens (Az.: S 6 P 176/10 SG Münster) die Veröffentlichung des Transparenzberichts über den von der Antragstellerin betriebenen ambulanten Pflegedienst aufgrund der MDK- Prüfung am 17. März 2010 über die Internetportale der Antragsgegner - oder in sonstiger Weise - zu unterlassen. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob die Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterlassung der Veröffentlichung eines Transparenzberichts über ihren ambulanten Pflegedienst verlangen kann.
Der gemäß § 72 des Sozialgesetzbuches - Elftes Buch - (SGB XI) durch Versorgungsvertrag zugelassene, einer Klinik angeschlossene Krankenpflegedienst der Antragstellerin wurde am 17. März 2010 gemäß §§ 114 ff SGB XI im Auftrag der Antragsgegner vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) geprüft. Zu diesem Zeitpunkt versorgte der Pflegedienst insgesamt 79 Kunden, davon 40 Pflegebedürftige mit Sachleistungsbezug. Fünf Kunden wurden vom MDK in die Prüfung einbezogen.
Der auf der Grundlage des Prüfberichts erstellte, der Antragstellerin per Internet mit einem Erkennungscode zugeleitete, aber noch nicht veröffentlichte Transparenzbericht weist als Gesamtergebnis die Note "ausreichend" (3,8) aus. Der Qualitätsbereich "Pflegerische Leistungen" erhielt die Note "mangelhaft" (4,6). Der Bereich "Ärztlich verordnete pflegerische Leistungen" wurde ebenfalls mit "mangelhaft" (5,0) bewertet. Im Qualitätsbereich "Dienstleistung und Organisation" wurde der Pflegedienst mit "befriedigend" (2,6) beurteilt. Als Ergebnis der Befragung der Kunden, das nicht in das Gesamtergebnis einfließt, wurde die Note "gut" (2,2) angegeben.
Mit Schreiben vom 23. April 2010 wandte sich die Antragstellerin gegen eine Reihe von Bewertungen in dem Prüfbericht. Gestützt auf eine Stellungnahme des MDK vom 07. Juni 2010 gaben die Antragsgegner durch Bescheid vom 16. Juni 2010 der Antragstellerin auf, die vom MDK vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten zu treffen.
Gegen diesen nach Angaben der Antragstellerin ihr erst am 16. September 2010 zugegangenen Bescheid richtet sich die am 11. Oktober 2010 erhobene Klage (Az.: S 6 P 196/10) und der zugleich gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (Az.: S 6 P 195/10 ER), mit dem die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage begehrt.
Bereits am 12. Juli 2010 stellte die Antragstellerin den hier streitigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der den Antragsgegnern die vorläufige Unterlassung der Veröffentlichung des Transparenzberichts aufgegeben werden soll. Am 23. September 2010 erhob die Antragstellerin eine entsprechende Unterlassungsklage (Az.: S 6 P 176/10).
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, ihr stehe ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegner zu. Die geplante Veröffentlichung des Transparenzberichts stelle einen schweren Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit dar. Der Transparenzbericht entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen für die Veröffentlichung, nach denen die Pflegeeinrichtungen insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität überprüft werden sollen. Die angewandten Prüfkriterien stellten hingegen überwiegend lediglich Dokumentationsdefizite fest. Aufgrund der drohenden irreversiblen Verletzung ihres Grundrechts der Berufsfreiheit bestehe auch ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Bei einer Veröffentlichung des Transparenzberichts bereits vor einer Entscheidung in der Hauptsache wäre der zu befürchtende, mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbundene Reputationsschaden bereits unumkehrbar eingetreten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Wettbewerb unter Anbietern von ambulanten Pflegediensten im Vergleich zu stationären Einrichtungen größer sei. Denn die Entscheidung für einen anderen als den bisher benutzten ambulanten Pflegedienst falle deutlich leichter als der Umzug von einer stationären Pflegeeinrichtung in eine andere.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens die Veröffentlichung des Transparenzberichts über den von ihr betriebenen ambulanten Pflegedienst aufgrund der MDK-Prüfung am 17. März 2010 über die Internetportale der Antragsgegner - oder in sonstiger Weise - zu unterlassen.
Die Antragsgegner beantragen, den Antrag zurückzuweisen.
Sie vertreten die Auffassung, der Antragstellerin stehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund zu. Sie stützen sich auf die Beschlüsse des Sächsischen Landessozialgerichts vom 24. Februar 2010 (Az.: L 1 P 1/10 B ER), des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 2010 (Az.: L 10 P 10/10 B ER) und des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 05. Oktober 2010 (Az.: L 4 P 12/10 B ER).
Durch die Zwischenentscheidung vom 13. Juli 2010 hat die Kammer die Antragsgegner vorläufig bis zu einer Eilentscheidung des Gerichts verpflichtet, von einer Veröffentlichung des Transparenzberichts abzusehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, auf die Verwaltungsakten der Antragsgegner sowie auf die Streitakten der Verfahren S 6 P 176/10, S 6 P 195/10 ER und S 6 P 196/10 verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Ziel des Begehrens der Antragstellerin ist die Verhinderung der Veröffentlichung eines Transparenzberichts. Deshalb ist die Sicherungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der statthafte Rechtsbehelf. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Dabei genügt es nach der gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO), dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, d. h. überwiegend wahrscheinlich gemacht sind. Ein Anordnungsanspruch liegt bei der hier begehrten Sicherungsanordnung vor, wenn der Antragsteller das Bestehen einer zu sichernden Rechtsposition glaubhaft macht. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die unmittelbar bevorstehende Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustands droht. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. So vermindern sich etwa die Anforderungen an den Anordnungsgrund, wenn der Anordnungsanspruch offensichtlich begründet ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86 b Rdnr. 25 a, 27a, 29).
Ein Anordnungsanspruch ist nach Auffassung der Kammer gegeben. Der Antragstellerin steht ein aus der Abwehrfunktion der Grundrechte abzuleitender öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Eine Veröffentlichung des Transparenzberichts würde das Grundrecht der Antragstellerin auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 des Grundgesetzes - GG - ) verletzen.
Nach der gesetzlichen Regelung (§ 115 Abs. 1 a, Satz 1 SGB XI) stellen die Landesverbände der Pflegekassen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualtitätsprüfungen des MDK zugrunde zu legen ( § 115 Abs. 1 a Satz 2 SGB XI). Für ambulante Pflegedienste wird § 115 Satz 1 a SGB XI konkretisiert durch die auf der Grundlage des § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen, der Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erlassene Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant (PTVA) vom 29. Januar 2009. Diese beinhaltet die Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen. Die Qualitätsprüfung bildet die Grundlage der Transparenzberichte.
Ob der Unterlassungsanspruch der Antragstellerin bereits deshalb begründet ist, weil die in § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vorgesehene Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die demokratisch nicht hinreichend legitimierten Vertragsparteien angesichts des Parlamentsvorbehalt und der Schranken des Art. 80 GG verfassungswidrig ist, mag hier dahinstehen. Denn der Unterlassungsanspruch ist schon aus anderen Gründen gegeben.
Die auf der Grundlage der PTVA erstellten Transparenzberichte über ambulante Pflegedienste entsprechenden nämlich ebenso wie die Transparenzberichte nach der Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) - vgl. insoweit das Urteil der Kammer vom 20. August 2010, Az.: S 6 P 111/10 - nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die PTVA sieht für ambulante Pflegedienste die Veröffentlichung von Noten für 49 aufgelistete Bewertungskriterien vor, die vier Qualitätsbereichen zugeordnet werden, die jeweils - für ihren Bereich- eine Gesamtnote erhalten. Das Gesamtergebnis errechnet sich - ohne das Ergebnis der Befragung der Kunden - aus 37 Beurteilungskriterien. Die Bewertungssystematik sieht vor, dass jedes Kriterium eine Einzelbewertung anhand einer Skala von 0 bis 10 erhält, wobei 0 die schlechteste und 10 die beste Bewertung ist. Die Skalenwerte werden sodann nach einer im Anhang der Anlage 2 der PTVA dargestellten Tabelle in Noten "mit einer Stelle nach dem Komma" umgerechnet. Die nicht arithmetische Zuordnung dieser Tabelle sieht etwa für die Skalenwerte von 8,7 - 10 die Note "sehr gut" und für die Skalenwerte von 0 - 4,49 die Note "mangelhaft" vor. Für neun einrichtungsbezogene - den gesamten ambulanten Pflegedienst betreffende - Kriterien ist bestimmt, dass sie nur eine dichotome (erfüllt / nicht erfüllt) Bewertung erhalten. In diesen Fällen können nur die Skalenwerte 10 oder 0 vergeben werden. Aber auch bei den kundenbezogenen Kriterien erfolgt die Bewertung über dichotome Bewertungen des einzelnen in die Prüfung einbezogenen Kunden. Dies bedeutet, dass bespielsweise dann, wenn ein bestimmtes Kriterium bei acht von zehn einbezogenen Kunden erfüllt ist, der Skalenwert 8 vergeben wird. In einer Anlage zu den PTVA ist die "Ausfüllanleitung für die Prüfer" niedergelegt. Sie beschreibt, wann ein Kriterium durch den Prüfer als erfüllt oder nicht erfüllt zu bewerten ist. In einer weiteren Anlage wird das Verfahren der Veröffentlichung und die Darstellung der Prüfergebnisse im Internet geregelt. Hier ist z.B. bestimmt, dass der ambulante Pflegedienst dem Transparenzbericht einen Kommentar mit einem maximalen Umfang von "3.000 Zeichen inklusive Leerzeichen" beifügen kann und dass der Vergleichwert im jeweiligen Bundesland nur einzutragen ist, wenn mindestens 20 % aller ambulanten Pflegedienste im Bundesland durch den MDK geprüft sind.
Die nach diesem - hier nur zusammenfassend skizzierten - Regelungswerk erstellten Transparenzberichte können nach Auffassung der Kammer nicht rechtmäßig sein.
Angesichts der Grundrechtsbetroffenheit bei marktsteuernden Veröffentlichungen und angesichts der dabei bestehenden öffentlichen Interessen an einer zuverlässigen Information dürfen bei der rechtlichen Prüfung der veröffentlichten Bewertungen keine großzügigen Maßstäbe angelegt werden. Die Antragsgegner können sich nämlich bei ihrer hoheitlichen, quasi staatlichen Beurteilung nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. An hoheitliche Informationsakte sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen an das Maß der Sachverhaltsaufklärung und die Richtigkeit zu stellen, wie bei regulativen staatlichen Eingriffen. Insoweit verweist die Kammer - wie schon in ihrem Beschluss vom 26. Mai 2010 (Az.: S 6 P 35/10 ER) und in ihrem Urteil vom 20. August 2010 (Az.: S 6 P 111/10) - auf Aufsätze des Richters am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Di Fabio (Grundrechte im präzeptoralen Staat am Beispiel hoheitlicher Informationstätigkeit, JZ 1993, 689 ff, und Information als hoheitliches Gestaltungsmittel, JuS 1997, 1 ff), der überzeugend vor dem "unbesorgten grundrechtlichen Umgang mit staatlicher Informationstätigkeit" warnt. Auch dem sogenannten Glykol-Beschluss des BVerfG vom 26. Juni 2002 (Az.: 1 BvR 558/91) ist zu entnehmen, dass die Anlegung eines strengen Maßstabs an die inhaltliche Richtigkeit der zur Veröffentlichung anstehenden Bewertungen geboten ist. In dieser Entscheidung hat das BVerfG zum Problem der Verbreitung marktbezogener Informationen des Staates - um das es auch vorliegend geht - dargelegt, dass die Veröffentlichung solcher Informationen den grundrechtlichen Gewährleistungsanspruch von betroffenen Wettbewerbern aus Art. 12 GG nur dann nicht beeinträchtigt, wenn bei Vorliegen einer staatlichen Aufgabe insbesondere die Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Informationen beachtet würden. Blieben - so das BVerfG - selbst nach sorgsamer Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des Möglichen Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, könnte eine Verbreitung der - unsicheren - Information nur zulässig sein, wenn sie im öffentlichen Interesse läge und außerdem die Marktteilnehmer auf die verbliebenen Unsicherheiten hingewiesen würden (BVerfG, aaO, Juris, Rdnr. 60 ). Ferner hat das BVerfG klargestellt, dass Informationen wie jedes Staatshandeln dem Sachlichkeitsgebot unterliegen. Wertungen dürften nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Die Information dürfe auch bei zutreffendem Inhalt in der Form weder unsachlich noch herabsetzend formuliert sein. Im Übrigen sei die Verbreitung von Informationen unter Berücksichtigung möglicher nachteiliger Wirkungen für die betroffene Wettbewerber auf das zur Infomationsgewährung Erforderliche zu beschränken (BVerfG, aaO, Juris, Rdnr. 61). Des weiteren hebt das BVerfG (aaO, Juris, Rdnr. 62) hervor: "Insbesondere kann die staatliche Informationstätigkeit eine Beeinträchtigung im Gewährleistungsbereich des Grundrechts sein, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre. Durch die Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs können die besonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden; vielmehr müssen die für die Grundrechtseingriffe maßgebenden rechtlichen Anforderungen erfüllt sein".
Diesen Maßstäben können die auf der Grundlage der PTVA erstellten Transparenzberichte nicht genügen. Die Beurteilungskriterien der PTVA sind nämlich nicht geeignet, die von den ambulanten Pflegediensten erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere - wie das Gesetz es ausdrücklich verlangt - hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu beurteilen. Die Systematik der Bewertung ist verfehlt, die Ermittlung der Pflegenoten für den Leser nicht nachvollziehbar. Die Transparenzberichte führen die Verbraucher in die Irre.
Statt zuverlässige Aussagen über die vom Gesetzgeber in den Vordergrund gerückte Ergebnis- und Lebensqualität zu machen, betreffen die Bewertungskritierien der PTVA ganz überwiegend nur die Prozessqualität. Die Pflegenoten beurteilen nicht das erreichte Ergebnis der pflegerischen Bemühungen, sondern bewerten im wesentlichen nur die Qualität der Dokumentation.
So gibt z. B. das Kriterium Nr. 1 - "Werden die individuellen Wünsche der Körperpflege im Rahmen der vereinbarten Leistungserbringung berücksichtigt ?" - dann nach der Ausfüllanleitung für die Prüfer als erfüllt , wenn in der Pflegedokumentation die auf die Maßnahmen der Körperpflege bezogenen Wünsche nachvollziehbar dokumentiert und bei der Umsetzung berücksichtigt sind. In welchem Maße den individuellen Wünschen der Kunden tatsächlich nachgekommen wird, ist nicht Prüfgegenstand.
Bei den übrigen Kriterien verhält es sich nicht anders. Bei dieser Feststellung kann sich die Kammer auf die im Auftrag der Vereinbarungspartner erstellte "Wissenschaftliche Evaluation" zur Beurteilung der Pflege-Transparenzvereinbarungen für den ambulanten (PTVA) und stationären (PTVS) Bereich" der Professorinnen Hasseler und Wolf-Ostermann vom 21. Juli 2010 stützen. In dieser Studie wird aufgezeigt, dass - nicht viel anders als für den stationären Bereich, bei dem immerhin zwei Kriterien als Kriterien der Ergebnisqualität identifiziert werden konnten - für den ambulanten Bereich in keinem (!) der Qualitätsbereiche Kriterien der Ergebnisqualität oder der Lebensqualität gefunden werden konnten. Dieses Ergebnis kann nicht überraschen. Denn schon im Vorwort der PTVA heißt es, dass die Vertragsparteien die Vereinbarung in dem Wissen geschlossen hätten, dass es derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in Deutschland gäbe. Deshalb sei die Vereinbarung als vorläufig zu betrachten. Es bestehe Einvernehmen, diese Vereinbarung anzupassen, sobald "pflegewissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" vorlägen.
Solange aber die Transparenzberichte der PTVA die vom Gesetz als Maßstab vorgegebene Ergebnis- und Lebensqualität gar nicht messen können, dürfen sie nicht veröffentlicht werden. Noten, die im Wesentlichen nur die Qualität der Dokumentation widerspiegeln, entsprechen nicht nur nicht dem Gesetz, sondern führen den Verbraucher auch in die Irre. Zwar kommt der Dokumentation und anderen Aspekten der Prozessqualität in der Pflege fraglos eine große Bedeutung zu. Zu Recht sind sie auch Gegenstand regelmäßiger Qualitätsprüfungen. Nicht zu rechtfertigen ist aber eine Abqualifizierung durch Pflegenoten - ob bei einzelnen Kritierien oder bei den Qualitätsbereichen - wenn der Leser nicht erkennen kann, dass Grundlage der Berwertung nicht die erbrachte tatsächliche Pflegeleistung, sondern lediglich - möglicherweise überzogene - Beanstandungen bei der Dokumentation sind.
Die Transparenzberichte sind aber nicht nur deshalb rechtswidrig, weil die Beurteilungskriterien nicht dem Gesetz entsprechen. Der Unterlassungsanspruch der Antragstellerin ist auch dadurch begründet, weil die Bewertungssystematik der PTVA misslungen ist.
In der "Wissenschaftlichen Evaluation" vom 21. Juli 2010 kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass die Bewertungssystematik und die darauf aufbauende Notenbildung theoretisch-methodisch als "äußerst problematisch" zu bewerten sei (S. 202). Die dichotome Beurteilung der Einzelkriterien und die für die Zuordnung einer Note gebildeten unterschiedlich breiten Intervallbereiche führten zu einem unzulässigen Mittelwert. Wörtlich heißt es in der Studie: "Aufgrund der beschriebenen Schwächen bei der Berechnung von Bereichs- und Gesamtnoten ist eine genaue inhaltliche Interpretation dieser Noten auf der Basis der gewählten Methodik nicht mehr nachvollziehbar" (S. 204).
Anschaulich und plausibel wird die Methodenkritik, wenn man die Bewertungen der einrichtungsbezogenen Kriterien (Nr. 29 - 37) betrachtet. Die vergebenen Noten können nur "sehr gut" (1,0) oder "mangelhaft" (5,0) sein. Eine differenzierende Bewertung mit anderen Noten ist ausgeschlossen. Eine dichotome Bewertung ("Daumen hoch oder runter") könnte zwar grundsätzlich zulässig sein. Wenn man sich jedoch für eine Bewertungssystematik nach Noten entschieden hat, die - wie es in der dem Transparenzbericht angefügten "Erläuterung zum Bewertungssystem" heißt - "jeder aus seiner eigenen Erfahrung" kennt, kann eine undifferenzierte Wertung nur mit der besten Note "sehr gut" oder der schlechtesten Note "mangelhaft" nicht mehr zulässig sein.
Benotet ein Lehrer mangels Kriterien für die Beurteilung der gedanklichen Qualität von Aufsätzen die Arbeiten allein nach dem Schriftbild und der Orthographie und vergibt darüber hinaus nur die Noten "sehr gut" oder "mangelhaft", wird er bei seinen Schülern auf helle Empörung stoßen. Aber auch Pflegeeinrichtungen müssen dergleichen - jedenfalls nach Auffassung der Kammer - nicht hinnehmen.
In der am 21. Juli 2010 veröffentlichten "Wissenschaftlichen Evaluation" haben Hasseler und Wolf-Ostermann eingehend aufgezeigt, dass die klassischen Gütekriterien für jedes Bewertungsverfahren (Objektivität, Reliabilität, Validität) nicht erfüllt seien. Ihr Fazit lautet: "Aussagen, ob das Verfahren tatsächlich Pflegequalität misst, sind nicht möglich" (S. 212, 270).
Trotz dieses Ergebnisses der Evalutation haben das LSG Sachsen-Anhalt, das Hessische LSG und das LSG NRW in ihren jüngsten Beschlüssen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für Träger von stationären Pflegeeinrichtungen gegen die Veröffentlichung von Transparenzberichten abgelehnt. Die Begründungen dieser Entscheidungen geben der Kammer keinen Anlass, von ihrer bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.
Der ausführlich begründete Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 05. Oktober 2010 (Az.: L 4 P 12/10 B ER) kann schon deshalb nicht überzeugen, weil er mit keinem Wort die im Juli 2010 veröffentlichte "Wissenschaftliche Evaluation" erwähnt. Offenbar hatte der Senat von dieser Studie keine Kenntnis. Gleiches gilt wohl auch für das Urteil des SG Münster vom 20. August 2010, mit dessen Argumentation der Senat sich nicht befasst hat. Das LSG Sachsen-Anhalt vertritt im Kern die Auffassung, aufgrund der Fachkunde und der ausgewogenen Zusammensetzung der Vereinbarungsparteien entzöge sich die PTVS "mit ihrer normsetzenden Wirkung jeglicher inhaltlichen Überprüfung durch die Gerichte, soweit sie sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage hält" (aaO, Juris, Rdnr. 38). Deshalb könne insbesondere die zugrunde gelegte Bewertungssystematik nicht auf ihren "Gerechtigkeitsgehalt" überprüft werden. Dass das Bewertungssystem "völlig ungeeignet" sei, sei nicht ersichtlich.
Ähnlich ist die Argumentation des Hessischen LSG im Beschluss vom 28. Oktober 2010 (Az.: L 8 P 29/10 B ER). Das LSG vertritt die Auffassung, der Gesetzgeber habe sich nachvollziehbar von der Überlegung leiten lassen, dass die "Einzelheiten der Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik im Hinblick auf den Sachverstand der Vereinbarungsparteien und der umfassenden Beteiligung der maßgeblichen Organisationen der verschiedenen Interessen in einem Abstimmungsprozess, der in einer vertraglichen Vereinbarung ende, am ehesten sachgerecht festgelegt werden könnten" (aaO, Juris, Rdnr. 26). Das LSG berücksichtigt, dass angesichts des vom Gesetzgeber geschaffenen Zeitdrucks für die Festlegung der Kriterien der Veröffentlichung es auf der Hand lag, dass die Erstellung von wissenschaftlich fundierten Instrumenten und Qualitätsindikatoren, die valide und reliabel seien, "nicht zu leisten" gewesen sei (aaO, Juris, Rdnr. 25). Es bestehe keine Veranlassung, die in den PTVS "niedergelegten Bewertungskriterien und die Einzelheiten der Bewertungssystematik auf ihre Sachgerechtigkeit zu überprüfen". Dies gelte auch für die im Evaluationsgutachten und im Urteil des SG Münster vom 20. August 2010 dargestellte Problematik der Mittelbewertung aus dichotomen Merkmalswerten. Insoweit sei in Rechnung zu stellen, dass die Berechnungssystematik von den Vertragsparteien im "ernsthaften Bemühen" entwickelt worden seien, den gesetzlichen Vorgaben Rechnung zu tragen (aaO, Juris, Rdnr. 27). Es sei weiter - so das LSG - "in Rechnung zu stellen", dass der die Evaluation begleitende Beirat empfohlen habe, die Kriterien entsprechend den in dem Evaluationsgutachten aufgezeigten Alternativen "kurzfristig zu überarbeiten". Diese "Rechnung" kann nicht aufgehen. Dies schon deshalb, weil vor wenigen Wochen die Bemühungen zur einvernehmlichen "Weiterentwicklung" der Pflegenoten durch das Ausscheiden des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB) und des Arbeitgeber- und Berufsverbands Privater Pflege e.V. (ABVP) aus den Verhandlungen gescheitert sind.
Die Landessozialgerichte vertrauen auf den Sachverstand der Vereinbarungspartner, üben Nachsicht wegen des aus Zeitdruck mangelhaften Regelwerks, honorieren das ernsthafte Bemühen, gewähren gleichsam Kredit im Hinblick auf künftige Verbesserungen und lehnen eine inhaltliche Überprüfung der Sachgerechtigkeit der Bewertungssystematik ab. Damit werden - nach Auffassung der Kammer - diese Gerichte ihrer Aufgabe, effektiven Rechtsschutz zu gewähren nicht gerecht.
"Mitnichten", so dass Hessische LSG, aaO, Juris, Rdnr. 21, treffe die vom Sozialgericht Münster aus dem Ergebnis der Evaluation gezogene Schlussfolgerung zu, das gegenwärtige Bewertungssystem sei in der Pflegewissenschaft auf - soweit ersichtlich - einhellige Ablehnung gestoßen. Zwar sei das Ergebnis "eher ernüchternd". Auch habe die Evaluation im Ergebnis festgestellt, dass zurzeit kein Nachweis der Validität des Verfahrens gegeben sei, und dass Aussagen, ob das Verfahren tatsächlich Pflegequalität messe, nicht möglich seien. Aber in dem Evalutationsgutachten (S. 270) heiße es auch: "Der bisher fehlende Nachweis von Güteeigenschaften des Verfahrens bedeutet dabei nicht, dass diese prinzipiell nicht gegeben sind, sondern weist darauf hin, dass dieser Nachweis bisher fehlt". Allein aus dieser Einschränkung, die die Autorinnen offenkundig im Hinblick auf das von ihnen zuvor angesprochene Projekt "Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe" für noch in der Zukunft zu entwickelnde Methoden der Qualitätsprüfung machen, folgert das Hessische LSG, dass die Untauglichkeit des gegenwärtig vorliegenden Verfahrens nicht festgestellt werden könne.
In seinem Beschluss vom 15. November 2010 (Az.: L 10 P 76/10 B ER) übernimmt das LSG NRW diese Argumentation (aaO, Juris, Rdnr: 25). Es stützt sich ferner auch auf die Antwort der Bundesregierung vom 25. Oktober 2010 auf eine Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Franktion DIE LINKE (BT-Drucks. 17/3372), nach der die Weiterentwicklung der Transparenzvereinbarungen anhand praktischer Erfahrungen und deren Auswertung durch die Pflegekassen und Leistungserbringer erfolgen solle. In dieser Stellungnahme räumt jedoch die Bundesregierung durchaus zutreffend ein, dass die Transparenzvereinbarung der Pflegeselbstverwaltung nur ein "erster Schritt" auf dem Weg zum " Ziel des Gesetzgebers" sei. Dass das gesetzgeberische Ziel mit den aktuell geltenden PTVA und PTVS noch nicht erreicht ist, ist auch die Auffassung der Kammer.
Nach der Ansicht des LSG NRW, aaO, Juris, Rdnr. 26, sind die Entscheidungsbefugnisse der Landesverbände der Pflegekassen nur dann unzulässig überschritten, "wenn die Bewertung den Boden der Neutralität, der Objektivität und der Sachkunde verlassen hätte, insbesondere bei offensichtlich oder sogar bewussten Fehlurteilen, bewussten Verzerrungen, der Behauptung unwahrer Tatsachen, willkürlichem Vorgehen oder Schmähkritik (vgl. BVerfG Beschluss vom 26. Juni 2002, 1 BvR 558/91 ; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 14. Juni 2010 und 05. Oktober 2010, aaO)".
Bei diesem für maßgebend erachteten Prüfungsmaßstab beruft sich das LSG NRW zu Unrecht auf die Entscheidung des BVerfG vom 26. Juni 2002. In dieser Entscheidung hat das BVerfG (aaO, Juris, Rdnr. 49) ausgeführt, dass marktbezogene Informationen des Staates den grundrechtlichen Gewährleistungenbereich der betroffenen Wettbewerber nicht beeinträchtigen, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt. Verfassungsrechtlich von Bedeutung seien das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Informationen. Von "bewussten Fehlurteilen", "bewussten Verzerrungen", "willkürlichem Vorgehen" oder von "Schmähkritik" ist in der Entscheidung des BVerfG nirgendwo die Rede.
Das LSG NRW hat diesen besonders großzügigen Prüfungsmaßstab bereits in seinem Beschluss vom 10. Mai 2010 (Az.: L 10 P 10/10 B ER) unter Hinweis auf die Beschlüsse des SG Würzburg vom 20. Januar 2010 (Az.: S 14 P 7/10 ER) und des SG Bayreuth vom 11. Januar 2010 (Az.: S 1 P 147/09 ER) angewandt, ohne eine rechtliche Begründung für diesen Maßstab zu geben (aaO, Juris, Rdnr. 42). Die Sozialgerichte Würzburg und Bayreuth hatten unser Hinweis auf die zivilrechtliche Rechtsprechung, die zur Beurteilung von Leistungs- und Warentests entwickelt worden ist, diesen Maßstab auf die hier zu prüfende Frage der Rechtmäßigkeit von Transparenzberichten übertragen. Dies ist allerdings rechtsdogmatisch verfehlt.
Wenn - wie jüngst - der ADAC Parkhäuser testet oder die Stiftung Warentest - eine Stiftung des privaten Rechts - Lebkuchen benotet, unterliegen diese Testberichte nämlich gänzlich anderen rechtlichen Bindungen als hoheitliche, quasi staatliche Benotungen, wie sie im Falle der Veröffentlichung von Transparenzberichten gemäß § 115 SGB XI gegeben sind. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 09. Dezember 1975 (Az.: VI ZR 157/73) zur Haftung der Stiftung Warentest für wertende Äußerungen im Rahmen vergleichender Warentests ausdrücklich nur im Hinblick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG dem Beurteilenden einen weiten Freiraum eingeräumt. Deshalb sei eine Testveröffentlichung nicht schon dann unzulässig, wenn sie nur "falsch" oder nicht "sachgerecht" sei (BGH aaO, Juris, Rdnr. 24, 25). Der Entwicklung der Rechtsprechung zum Recht der freien Meinungsäußerung müsse - so der BGH - auch für die Beurteilung der Veröffentlichung von Wertungen in vergleichenden Warentests Rechnung getragen werden. Wegen des Grundrechts aus Art. 5 GG seien die Grenzen zulässiger Kritik sehr weit gezogen. Deshalb sah der BGH (u.a.) erst bei einer "Schmähkritik" oder bei Bewertungen, die "undiskutabel" seien, die Grenze der zulässigen Bewertung erreicht.
Dieser - sehr weite - Prüfungsmaßstab kann hier jedoch nicht gelten, weil sich die hoheitlich handelnden Antragsgegner auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht berufen können. Auch eine nur "entsprechende Anwendung" von Art. 5 GG wäre dogmatisch abwegig (vg. hierzu Bachem, Sozialrecht Aktuell, 2010, 123/132). Bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung von Transparenzberichten geht es nicht um den Schutz des den Antragsgegnern nicht zustehenden Grundrechts der Meinungsfreiheit. Vielmehr haben die Sozialgerichte die Aufgabe, den Einrichtungsträgern Rechtsschutz gegen die Verletzung ihres Grundrechts der Berufsfreiheit zu gewähren.
Der Antragstellerin steht nach allem ein Anordnungsanspruch zu. Aber auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Die drohende Veröffentlichung des Transparenzberichts mit der Gesamtnote "ausreichend" und den Noten "mangelhaft" für die Qualitätsbereiche "Pflegerische Leistungen" und "Ärztlich verordnete pflegerische Leistungen" würde ganz offenbar zu einem gravierenden Reputationsschaden der Einrichtung der Antragstellerin führen und sie in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit irreversibel verletzen. Daran könnte auch die der Antragstellerin gegebene Möglichkeit nichts ändern, dem Transparenzbericht eine eigene Kommentierung - im Umfang von 3.000 Zeichen - anzufügen. Ein eigener Kommentar der Pflegeeinrichtung kann nämlich gegen die hoheitliche Bewertung nur eine sehr begrenzte Marktwirksamkeit erlangen. Nach der Ansicht des LSG NRW (vgl. Beschluss vom 15. November 2010, Az.: L 10 P 76/10 B ER, Juris, Rdnr. 28) ist ein wesentlicher Nachteil, der einen Anordnungsgrund begründen könnte, nur anzunehmen, wenn der Träger einer Pflegeeinrichtung durch die Veröffentlichung eines Transparenzberichts "konkret" in seiner "wirtschaftlichen Existenz bedroht ist" oder ihm "sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht". Mit diesen überzogenen Anforderungen wird das LSG NRW dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. zuletzt Beschluss vom 08. April 2010, Az.: 1 BvR 2709/09, Juris, Rdnr. 22, m. w. N.) hat der Grundrechtsträger einen substanziellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher - so das BVerfG, aaO - nicht nur die Aufgabe zu, jeden Akt der Exekutive, der in Rechte des Grundrechtsträgers eingreift, vollständig der richterlichen Prüfung zu unterstellen, sondern auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich auszuschließen.
Die zeitliche Dauer der vorläufigen Untersagung der Veröffentlichung des Transparenzberichts hat die Kammer nach ihrem freien Ermessen gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO auf die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens in der Hauptsache geknüpft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Bei der auf § 197 a SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) beruhenden Streitwertfestsetzung (5.000 Euro) folgt die Kammer unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung der aus unterschiedlichen Gründen vertretenen Auffassung der meisten Landessozialgerichte (vgl. etwa LSG NRW, Beschluss vom 15. November 2010, Az.: L 10 P 76/10 B ER, Hessisches LSG, Beschluss vom 28. Oktober 2010, Az.: L 8 P 29/10 B ER, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07. Oktober 2010, Az.: L 27 P 32/10 B ER, LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05. Oktober 2010, Az.: L 4 P 12/10 B ER; anderer Ansicht Bayerisches LSG, Beschluss vom 04. Oktober 2010, Az.: L 2 P 19/10 B ER, das in Streitigkeiten der vorliegenden Art einen Streitwert von nur 2.500 Euro weiterhin für zutreffend erachtet).
Gründe:
I.
Streitig ist, ob die Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterlassung der Veröffentlichung eines Transparenzberichts über ihren ambulanten Pflegedienst verlangen kann.
Der gemäß § 72 des Sozialgesetzbuches - Elftes Buch - (SGB XI) durch Versorgungsvertrag zugelassene, einer Klinik angeschlossene Krankenpflegedienst der Antragstellerin wurde am 17. März 2010 gemäß §§ 114 ff SGB XI im Auftrag der Antragsgegner vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) geprüft. Zu diesem Zeitpunkt versorgte der Pflegedienst insgesamt 79 Kunden, davon 40 Pflegebedürftige mit Sachleistungsbezug. Fünf Kunden wurden vom MDK in die Prüfung einbezogen.
Der auf der Grundlage des Prüfberichts erstellte, der Antragstellerin per Internet mit einem Erkennungscode zugeleitete, aber noch nicht veröffentlichte Transparenzbericht weist als Gesamtergebnis die Note "ausreichend" (3,8) aus. Der Qualitätsbereich "Pflegerische Leistungen" erhielt die Note "mangelhaft" (4,6). Der Bereich "Ärztlich verordnete pflegerische Leistungen" wurde ebenfalls mit "mangelhaft" (5,0) bewertet. Im Qualitätsbereich "Dienstleistung und Organisation" wurde der Pflegedienst mit "befriedigend" (2,6) beurteilt. Als Ergebnis der Befragung der Kunden, das nicht in das Gesamtergebnis einfließt, wurde die Note "gut" (2,2) angegeben.
Mit Schreiben vom 23. April 2010 wandte sich die Antragstellerin gegen eine Reihe von Bewertungen in dem Prüfbericht. Gestützt auf eine Stellungnahme des MDK vom 07. Juni 2010 gaben die Antragsgegner durch Bescheid vom 16. Juni 2010 der Antragstellerin auf, die vom MDK vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten zu treffen.
Gegen diesen nach Angaben der Antragstellerin ihr erst am 16. September 2010 zugegangenen Bescheid richtet sich die am 11. Oktober 2010 erhobene Klage (Az.: S 6 P 196/10) und der zugleich gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (Az.: S 6 P 195/10 ER), mit dem die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage begehrt.
Bereits am 12. Juli 2010 stellte die Antragstellerin den hier streitigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der den Antragsgegnern die vorläufige Unterlassung der Veröffentlichung des Transparenzberichts aufgegeben werden soll. Am 23. September 2010 erhob die Antragstellerin eine entsprechende Unterlassungsklage (Az.: S 6 P 176/10).
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, ihr stehe ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegner zu. Die geplante Veröffentlichung des Transparenzberichts stelle einen schweren Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit dar. Der Transparenzbericht entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen für die Veröffentlichung, nach denen die Pflegeeinrichtungen insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität überprüft werden sollen. Die angewandten Prüfkriterien stellten hingegen überwiegend lediglich Dokumentationsdefizite fest. Aufgrund der drohenden irreversiblen Verletzung ihres Grundrechts der Berufsfreiheit bestehe auch ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Bei einer Veröffentlichung des Transparenzberichts bereits vor einer Entscheidung in der Hauptsache wäre der zu befürchtende, mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbundene Reputationsschaden bereits unumkehrbar eingetreten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der Wettbewerb unter Anbietern von ambulanten Pflegediensten im Vergleich zu stationären Einrichtungen größer sei. Denn die Entscheidung für einen anderen als den bisher benutzten ambulanten Pflegedienst falle deutlich leichter als der Umzug von einer stationären Pflegeeinrichtung in eine andere.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens die Veröffentlichung des Transparenzberichts über den von ihr betriebenen ambulanten Pflegedienst aufgrund der MDK-Prüfung am 17. März 2010 über die Internetportale der Antragsgegner - oder in sonstiger Weise - zu unterlassen.
Die Antragsgegner beantragen, den Antrag zurückzuweisen.
Sie vertreten die Auffassung, der Antragstellerin stehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund zu. Sie stützen sich auf die Beschlüsse des Sächsischen Landessozialgerichts vom 24. Februar 2010 (Az.: L 1 P 1/10 B ER), des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 2010 (Az.: L 10 P 10/10 B ER) und des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 05. Oktober 2010 (Az.: L 4 P 12/10 B ER).
Durch die Zwischenentscheidung vom 13. Juli 2010 hat die Kammer die Antragsgegner vorläufig bis zu einer Eilentscheidung des Gerichts verpflichtet, von einer Veröffentlichung des Transparenzberichts abzusehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, auf die Verwaltungsakten der Antragsgegner sowie auf die Streitakten der Verfahren S 6 P 176/10, S 6 P 195/10 ER und S 6 P 196/10 verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Ziel des Begehrens der Antragstellerin ist die Verhinderung der Veröffentlichung eines Transparenzberichts. Deshalb ist die Sicherungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der statthafte Rechtsbehelf. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Dabei genügt es nach der gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO), dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, d. h. überwiegend wahrscheinlich gemacht sind. Ein Anordnungsanspruch liegt bei der hier begehrten Sicherungsanordnung vor, wenn der Antragsteller das Bestehen einer zu sichernden Rechtsposition glaubhaft macht. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die unmittelbar bevorstehende Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustands droht. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. So vermindern sich etwa die Anforderungen an den Anordnungsgrund, wenn der Anordnungsanspruch offensichtlich begründet ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86 b Rdnr. 25 a, 27a, 29).
Ein Anordnungsanspruch ist nach Auffassung der Kammer gegeben. Der Antragstellerin steht ein aus der Abwehrfunktion der Grundrechte abzuleitender öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Eine Veröffentlichung des Transparenzberichts würde das Grundrecht der Antragstellerin auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 des Grundgesetzes - GG - ) verletzen.
Nach der gesetzlichen Regelung (§ 115 Abs. 1 a, Satz 1 SGB XI) stellen die Landesverbände der Pflegekassen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualtitätsprüfungen des MDK zugrunde zu legen ( § 115 Abs. 1 a Satz 2 SGB XI). Für ambulante Pflegedienste wird § 115 Satz 1 a SGB XI konkretisiert durch die auf der Grundlage des § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen, der Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erlassene Pflege-Transparenzvereinbarung ambulant (PTVA) vom 29. Januar 2009. Diese beinhaltet die Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen. Die Qualitätsprüfung bildet die Grundlage der Transparenzberichte.
Ob der Unterlassungsanspruch der Antragstellerin bereits deshalb begründet ist, weil die in § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vorgesehene Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die demokratisch nicht hinreichend legitimierten Vertragsparteien angesichts des Parlamentsvorbehalt und der Schranken des Art. 80 GG verfassungswidrig ist, mag hier dahinstehen. Denn der Unterlassungsanspruch ist schon aus anderen Gründen gegeben.
Die auf der Grundlage der PTVA erstellten Transparenzberichte über ambulante Pflegedienste entsprechenden nämlich ebenso wie die Transparenzberichte nach der Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) - vgl. insoweit das Urteil der Kammer vom 20. August 2010, Az.: S 6 P 111/10 - nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die PTVA sieht für ambulante Pflegedienste die Veröffentlichung von Noten für 49 aufgelistete Bewertungskriterien vor, die vier Qualitätsbereichen zugeordnet werden, die jeweils - für ihren Bereich- eine Gesamtnote erhalten. Das Gesamtergebnis errechnet sich - ohne das Ergebnis der Befragung der Kunden - aus 37 Beurteilungskriterien. Die Bewertungssystematik sieht vor, dass jedes Kriterium eine Einzelbewertung anhand einer Skala von 0 bis 10 erhält, wobei 0 die schlechteste und 10 die beste Bewertung ist. Die Skalenwerte werden sodann nach einer im Anhang der Anlage 2 der PTVA dargestellten Tabelle in Noten "mit einer Stelle nach dem Komma" umgerechnet. Die nicht arithmetische Zuordnung dieser Tabelle sieht etwa für die Skalenwerte von 8,7 - 10 die Note "sehr gut" und für die Skalenwerte von 0 - 4,49 die Note "mangelhaft" vor. Für neun einrichtungsbezogene - den gesamten ambulanten Pflegedienst betreffende - Kriterien ist bestimmt, dass sie nur eine dichotome (erfüllt / nicht erfüllt) Bewertung erhalten. In diesen Fällen können nur die Skalenwerte 10 oder 0 vergeben werden. Aber auch bei den kundenbezogenen Kriterien erfolgt die Bewertung über dichotome Bewertungen des einzelnen in die Prüfung einbezogenen Kunden. Dies bedeutet, dass bespielsweise dann, wenn ein bestimmtes Kriterium bei acht von zehn einbezogenen Kunden erfüllt ist, der Skalenwert 8 vergeben wird. In einer Anlage zu den PTVA ist die "Ausfüllanleitung für die Prüfer" niedergelegt. Sie beschreibt, wann ein Kriterium durch den Prüfer als erfüllt oder nicht erfüllt zu bewerten ist. In einer weiteren Anlage wird das Verfahren der Veröffentlichung und die Darstellung der Prüfergebnisse im Internet geregelt. Hier ist z.B. bestimmt, dass der ambulante Pflegedienst dem Transparenzbericht einen Kommentar mit einem maximalen Umfang von "3.000 Zeichen inklusive Leerzeichen" beifügen kann und dass der Vergleichwert im jeweiligen Bundesland nur einzutragen ist, wenn mindestens 20 % aller ambulanten Pflegedienste im Bundesland durch den MDK geprüft sind.
Die nach diesem - hier nur zusammenfassend skizzierten - Regelungswerk erstellten Transparenzberichte können nach Auffassung der Kammer nicht rechtmäßig sein.
Angesichts der Grundrechtsbetroffenheit bei marktsteuernden Veröffentlichungen und angesichts der dabei bestehenden öffentlichen Interessen an einer zuverlässigen Information dürfen bei der rechtlichen Prüfung der veröffentlichten Bewertungen keine großzügigen Maßstäbe angelegt werden. Die Antragsgegner können sich nämlich bei ihrer hoheitlichen, quasi staatlichen Beurteilung nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. An hoheitliche Informationsakte sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen an das Maß der Sachverhaltsaufklärung und die Richtigkeit zu stellen, wie bei regulativen staatlichen Eingriffen. Insoweit verweist die Kammer - wie schon in ihrem Beschluss vom 26. Mai 2010 (Az.: S 6 P 35/10 ER) und in ihrem Urteil vom 20. August 2010 (Az.: S 6 P 111/10) - auf Aufsätze des Richters am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Di Fabio (Grundrechte im präzeptoralen Staat am Beispiel hoheitlicher Informationstätigkeit, JZ 1993, 689 ff, und Information als hoheitliches Gestaltungsmittel, JuS 1997, 1 ff), der überzeugend vor dem "unbesorgten grundrechtlichen Umgang mit staatlicher Informationstätigkeit" warnt. Auch dem sogenannten Glykol-Beschluss des BVerfG vom 26. Juni 2002 (Az.: 1 BvR 558/91) ist zu entnehmen, dass die Anlegung eines strengen Maßstabs an die inhaltliche Richtigkeit der zur Veröffentlichung anstehenden Bewertungen geboten ist. In dieser Entscheidung hat das BVerfG zum Problem der Verbreitung marktbezogener Informationen des Staates - um das es auch vorliegend geht - dargelegt, dass die Veröffentlichung solcher Informationen den grundrechtlichen Gewährleistungsanspruch von betroffenen Wettbewerbern aus Art. 12 GG nur dann nicht beeinträchtigt, wenn bei Vorliegen einer staatlichen Aufgabe insbesondere die Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Informationen beachtet würden. Blieben - so das BVerfG - selbst nach sorgsamer Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des Möglichen Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, könnte eine Verbreitung der - unsicheren - Information nur zulässig sein, wenn sie im öffentlichen Interesse läge und außerdem die Marktteilnehmer auf die verbliebenen Unsicherheiten hingewiesen würden (BVerfG, aaO, Juris, Rdnr. 60 ). Ferner hat das BVerfG klargestellt, dass Informationen wie jedes Staatshandeln dem Sachlichkeitsgebot unterliegen. Wertungen dürften nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Die Information dürfe auch bei zutreffendem Inhalt in der Form weder unsachlich noch herabsetzend formuliert sein. Im Übrigen sei die Verbreitung von Informationen unter Berücksichtigung möglicher nachteiliger Wirkungen für die betroffene Wettbewerber auf das zur Infomationsgewährung Erforderliche zu beschränken (BVerfG, aaO, Juris, Rdnr. 61). Des weiteren hebt das BVerfG (aaO, Juris, Rdnr. 62) hervor: "Insbesondere kann die staatliche Informationstätigkeit eine Beeinträchtigung im Gewährleistungsbereich des Grundrechts sein, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre. Durch die Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs können die besonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden; vielmehr müssen die für die Grundrechtseingriffe maßgebenden rechtlichen Anforderungen erfüllt sein".
Diesen Maßstäben können die auf der Grundlage der PTVA erstellten Transparenzberichte nicht genügen. Die Beurteilungskriterien der PTVA sind nämlich nicht geeignet, die von den ambulanten Pflegediensten erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere - wie das Gesetz es ausdrücklich verlangt - hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität zu beurteilen. Die Systematik der Bewertung ist verfehlt, die Ermittlung der Pflegenoten für den Leser nicht nachvollziehbar. Die Transparenzberichte führen die Verbraucher in die Irre.
Statt zuverlässige Aussagen über die vom Gesetzgeber in den Vordergrund gerückte Ergebnis- und Lebensqualität zu machen, betreffen die Bewertungskritierien der PTVA ganz überwiegend nur die Prozessqualität. Die Pflegenoten beurteilen nicht das erreichte Ergebnis der pflegerischen Bemühungen, sondern bewerten im wesentlichen nur die Qualität der Dokumentation.
So gibt z. B. das Kriterium Nr. 1 - "Werden die individuellen Wünsche der Körperpflege im Rahmen der vereinbarten Leistungserbringung berücksichtigt ?" - dann nach der Ausfüllanleitung für die Prüfer als erfüllt , wenn in der Pflegedokumentation die auf die Maßnahmen der Körperpflege bezogenen Wünsche nachvollziehbar dokumentiert und bei der Umsetzung berücksichtigt sind. In welchem Maße den individuellen Wünschen der Kunden tatsächlich nachgekommen wird, ist nicht Prüfgegenstand.
Bei den übrigen Kriterien verhält es sich nicht anders. Bei dieser Feststellung kann sich die Kammer auf die im Auftrag der Vereinbarungspartner erstellte "Wissenschaftliche Evaluation" zur Beurteilung der Pflege-Transparenzvereinbarungen für den ambulanten (PTVA) und stationären (PTVS) Bereich" der Professorinnen Hasseler und Wolf-Ostermann vom 21. Juli 2010 stützen. In dieser Studie wird aufgezeigt, dass - nicht viel anders als für den stationären Bereich, bei dem immerhin zwei Kriterien als Kriterien der Ergebnisqualität identifiziert werden konnten - für den ambulanten Bereich in keinem (!) der Qualitätsbereiche Kriterien der Ergebnisqualität oder der Lebensqualität gefunden werden konnten. Dieses Ergebnis kann nicht überraschen. Denn schon im Vorwort der PTVA heißt es, dass die Vertragsparteien die Vereinbarung in dem Wissen geschlossen hätten, dass es derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in Deutschland gäbe. Deshalb sei die Vereinbarung als vorläufig zu betrachten. Es bestehe Einvernehmen, diese Vereinbarung anzupassen, sobald "pflegewissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" vorlägen.
Solange aber die Transparenzberichte der PTVA die vom Gesetz als Maßstab vorgegebene Ergebnis- und Lebensqualität gar nicht messen können, dürfen sie nicht veröffentlicht werden. Noten, die im Wesentlichen nur die Qualität der Dokumentation widerspiegeln, entsprechen nicht nur nicht dem Gesetz, sondern führen den Verbraucher auch in die Irre. Zwar kommt der Dokumentation und anderen Aspekten der Prozessqualität in der Pflege fraglos eine große Bedeutung zu. Zu Recht sind sie auch Gegenstand regelmäßiger Qualitätsprüfungen. Nicht zu rechtfertigen ist aber eine Abqualifizierung durch Pflegenoten - ob bei einzelnen Kritierien oder bei den Qualitätsbereichen - wenn der Leser nicht erkennen kann, dass Grundlage der Berwertung nicht die erbrachte tatsächliche Pflegeleistung, sondern lediglich - möglicherweise überzogene - Beanstandungen bei der Dokumentation sind.
Die Transparenzberichte sind aber nicht nur deshalb rechtswidrig, weil die Beurteilungskriterien nicht dem Gesetz entsprechen. Der Unterlassungsanspruch der Antragstellerin ist auch dadurch begründet, weil die Bewertungssystematik der PTVA misslungen ist.
In der "Wissenschaftlichen Evaluation" vom 21. Juli 2010 kommen die Autorinnen zu dem Ergebnis, dass die Bewertungssystematik und die darauf aufbauende Notenbildung theoretisch-methodisch als "äußerst problematisch" zu bewerten sei (S. 202). Die dichotome Beurteilung der Einzelkriterien und die für die Zuordnung einer Note gebildeten unterschiedlich breiten Intervallbereiche führten zu einem unzulässigen Mittelwert. Wörtlich heißt es in der Studie: "Aufgrund der beschriebenen Schwächen bei der Berechnung von Bereichs- und Gesamtnoten ist eine genaue inhaltliche Interpretation dieser Noten auf der Basis der gewählten Methodik nicht mehr nachvollziehbar" (S. 204).
Anschaulich und plausibel wird die Methodenkritik, wenn man die Bewertungen der einrichtungsbezogenen Kriterien (Nr. 29 - 37) betrachtet. Die vergebenen Noten können nur "sehr gut" (1,0) oder "mangelhaft" (5,0) sein. Eine differenzierende Bewertung mit anderen Noten ist ausgeschlossen. Eine dichotome Bewertung ("Daumen hoch oder runter") könnte zwar grundsätzlich zulässig sein. Wenn man sich jedoch für eine Bewertungssystematik nach Noten entschieden hat, die - wie es in der dem Transparenzbericht angefügten "Erläuterung zum Bewertungssystem" heißt - "jeder aus seiner eigenen Erfahrung" kennt, kann eine undifferenzierte Wertung nur mit der besten Note "sehr gut" oder der schlechtesten Note "mangelhaft" nicht mehr zulässig sein.
Benotet ein Lehrer mangels Kriterien für die Beurteilung der gedanklichen Qualität von Aufsätzen die Arbeiten allein nach dem Schriftbild und der Orthographie und vergibt darüber hinaus nur die Noten "sehr gut" oder "mangelhaft", wird er bei seinen Schülern auf helle Empörung stoßen. Aber auch Pflegeeinrichtungen müssen dergleichen - jedenfalls nach Auffassung der Kammer - nicht hinnehmen.
In der am 21. Juli 2010 veröffentlichten "Wissenschaftlichen Evaluation" haben Hasseler und Wolf-Ostermann eingehend aufgezeigt, dass die klassischen Gütekriterien für jedes Bewertungsverfahren (Objektivität, Reliabilität, Validität) nicht erfüllt seien. Ihr Fazit lautet: "Aussagen, ob das Verfahren tatsächlich Pflegequalität misst, sind nicht möglich" (S. 212, 270).
Trotz dieses Ergebnisses der Evalutation haben das LSG Sachsen-Anhalt, das Hessische LSG und das LSG NRW in ihren jüngsten Beschlüssen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für Träger von stationären Pflegeeinrichtungen gegen die Veröffentlichung von Transparenzberichten abgelehnt. Die Begründungen dieser Entscheidungen geben der Kammer keinen Anlass, von ihrer bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.
Der ausführlich begründete Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 05. Oktober 2010 (Az.: L 4 P 12/10 B ER) kann schon deshalb nicht überzeugen, weil er mit keinem Wort die im Juli 2010 veröffentlichte "Wissenschaftliche Evaluation" erwähnt. Offenbar hatte der Senat von dieser Studie keine Kenntnis. Gleiches gilt wohl auch für das Urteil des SG Münster vom 20. August 2010, mit dessen Argumentation der Senat sich nicht befasst hat. Das LSG Sachsen-Anhalt vertritt im Kern die Auffassung, aufgrund der Fachkunde und der ausgewogenen Zusammensetzung der Vereinbarungsparteien entzöge sich die PTVS "mit ihrer normsetzenden Wirkung jeglicher inhaltlichen Überprüfung durch die Gerichte, soweit sie sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage hält" (aaO, Juris, Rdnr. 38). Deshalb könne insbesondere die zugrunde gelegte Bewertungssystematik nicht auf ihren "Gerechtigkeitsgehalt" überprüft werden. Dass das Bewertungssystem "völlig ungeeignet" sei, sei nicht ersichtlich.
Ähnlich ist die Argumentation des Hessischen LSG im Beschluss vom 28. Oktober 2010 (Az.: L 8 P 29/10 B ER). Das LSG vertritt die Auffassung, der Gesetzgeber habe sich nachvollziehbar von der Überlegung leiten lassen, dass die "Einzelheiten der Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik im Hinblick auf den Sachverstand der Vereinbarungsparteien und der umfassenden Beteiligung der maßgeblichen Organisationen der verschiedenen Interessen in einem Abstimmungsprozess, der in einer vertraglichen Vereinbarung ende, am ehesten sachgerecht festgelegt werden könnten" (aaO, Juris, Rdnr. 26). Das LSG berücksichtigt, dass angesichts des vom Gesetzgeber geschaffenen Zeitdrucks für die Festlegung der Kriterien der Veröffentlichung es auf der Hand lag, dass die Erstellung von wissenschaftlich fundierten Instrumenten und Qualitätsindikatoren, die valide und reliabel seien, "nicht zu leisten" gewesen sei (aaO, Juris, Rdnr. 25). Es bestehe keine Veranlassung, die in den PTVS "niedergelegten Bewertungskriterien und die Einzelheiten der Bewertungssystematik auf ihre Sachgerechtigkeit zu überprüfen". Dies gelte auch für die im Evaluationsgutachten und im Urteil des SG Münster vom 20. August 2010 dargestellte Problematik der Mittelbewertung aus dichotomen Merkmalswerten. Insoweit sei in Rechnung zu stellen, dass die Berechnungssystematik von den Vertragsparteien im "ernsthaften Bemühen" entwickelt worden seien, den gesetzlichen Vorgaben Rechnung zu tragen (aaO, Juris, Rdnr. 27). Es sei weiter - so das LSG - "in Rechnung zu stellen", dass der die Evaluation begleitende Beirat empfohlen habe, die Kriterien entsprechend den in dem Evaluationsgutachten aufgezeigten Alternativen "kurzfristig zu überarbeiten". Diese "Rechnung" kann nicht aufgehen. Dies schon deshalb, weil vor wenigen Wochen die Bemühungen zur einvernehmlichen "Weiterentwicklung" der Pflegenoten durch das Ausscheiden des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB) und des Arbeitgeber- und Berufsverbands Privater Pflege e.V. (ABVP) aus den Verhandlungen gescheitert sind.
Die Landessozialgerichte vertrauen auf den Sachverstand der Vereinbarungspartner, üben Nachsicht wegen des aus Zeitdruck mangelhaften Regelwerks, honorieren das ernsthafte Bemühen, gewähren gleichsam Kredit im Hinblick auf künftige Verbesserungen und lehnen eine inhaltliche Überprüfung der Sachgerechtigkeit der Bewertungssystematik ab. Damit werden - nach Auffassung der Kammer - diese Gerichte ihrer Aufgabe, effektiven Rechtsschutz zu gewähren nicht gerecht.
"Mitnichten", so dass Hessische LSG, aaO, Juris, Rdnr. 21, treffe die vom Sozialgericht Münster aus dem Ergebnis der Evaluation gezogene Schlussfolgerung zu, das gegenwärtige Bewertungssystem sei in der Pflegewissenschaft auf - soweit ersichtlich - einhellige Ablehnung gestoßen. Zwar sei das Ergebnis "eher ernüchternd". Auch habe die Evaluation im Ergebnis festgestellt, dass zurzeit kein Nachweis der Validität des Verfahrens gegeben sei, und dass Aussagen, ob das Verfahren tatsächlich Pflegequalität messe, nicht möglich seien. Aber in dem Evalutationsgutachten (S. 270) heiße es auch: "Der bisher fehlende Nachweis von Güteeigenschaften des Verfahrens bedeutet dabei nicht, dass diese prinzipiell nicht gegeben sind, sondern weist darauf hin, dass dieser Nachweis bisher fehlt". Allein aus dieser Einschränkung, die die Autorinnen offenkundig im Hinblick auf das von ihnen zuvor angesprochene Projekt "Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe" für noch in der Zukunft zu entwickelnde Methoden der Qualitätsprüfung machen, folgert das Hessische LSG, dass die Untauglichkeit des gegenwärtig vorliegenden Verfahrens nicht festgestellt werden könne.
In seinem Beschluss vom 15. November 2010 (Az.: L 10 P 76/10 B ER) übernimmt das LSG NRW diese Argumentation (aaO, Juris, Rdnr: 25). Es stützt sich ferner auch auf die Antwort der Bundesregierung vom 25. Oktober 2010 auf eine Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter und der Franktion DIE LINKE (BT-Drucks. 17/3372), nach der die Weiterentwicklung der Transparenzvereinbarungen anhand praktischer Erfahrungen und deren Auswertung durch die Pflegekassen und Leistungserbringer erfolgen solle. In dieser Stellungnahme räumt jedoch die Bundesregierung durchaus zutreffend ein, dass die Transparenzvereinbarung der Pflegeselbstverwaltung nur ein "erster Schritt" auf dem Weg zum " Ziel des Gesetzgebers" sei. Dass das gesetzgeberische Ziel mit den aktuell geltenden PTVA und PTVS noch nicht erreicht ist, ist auch die Auffassung der Kammer.
Nach der Ansicht des LSG NRW, aaO, Juris, Rdnr. 26, sind die Entscheidungsbefugnisse der Landesverbände der Pflegekassen nur dann unzulässig überschritten, "wenn die Bewertung den Boden der Neutralität, der Objektivität und der Sachkunde verlassen hätte, insbesondere bei offensichtlich oder sogar bewussten Fehlurteilen, bewussten Verzerrungen, der Behauptung unwahrer Tatsachen, willkürlichem Vorgehen oder Schmähkritik (vgl. BVerfG Beschluss vom 26. Juni 2002, 1 BvR 558/91 ; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 14. Juni 2010 und 05. Oktober 2010, aaO)".
Bei diesem für maßgebend erachteten Prüfungsmaßstab beruft sich das LSG NRW zu Unrecht auf die Entscheidung des BVerfG vom 26. Juni 2002. In dieser Entscheidung hat das BVerfG (aaO, Juris, Rdnr. 49) ausgeführt, dass marktbezogene Informationen des Staates den grundrechtlichen Gewährleistungenbereich der betroffenen Wettbewerber nicht beeinträchtigen, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt. Verfassungsrechtlich von Bedeutung seien das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Informationen. Von "bewussten Fehlurteilen", "bewussten Verzerrungen", "willkürlichem Vorgehen" oder von "Schmähkritik" ist in der Entscheidung des BVerfG nirgendwo die Rede.
Das LSG NRW hat diesen besonders großzügigen Prüfungsmaßstab bereits in seinem Beschluss vom 10. Mai 2010 (Az.: L 10 P 10/10 B ER) unter Hinweis auf die Beschlüsse des SG Würzburg vom 20. Januar 2010 (Az.: S 14 P 7/10 ER) und des SG Bayreuth vom 11. Januar 2010 (Az.: S 1 P 147/09 ER) angewandt, ohne eine rechtliche Begründung für diesen Maßstab zu geben (aaO, Juris, Rdnr. 42). Die Sozialgerichte Würzburg und Bayreuth hatten unser Hinweis auf die zivilrechtliche Rechtsprechung, die zur Beurteilung von Leistungs- und Warentests entwickelt worden ist, diesen Maßstab auf die hier zu prüfende Frage der Rechtmäßigkeit von Transparenzberichten übertragen. Dies ist allerdings rechtsdogmatisch verfehlt.
Wenn - wie jüngst - der ADAC Parkhäuser testet oder die Stiftung Warentest - eine Stiftung des privaten Rechts - Lebkuchen benotet, unterliegen diese Testberichte nämlich gänzlich anderen rechtlichen Bindungen als hoheitliche, quasi staatliche Benotungen, wie sie im Falle der Veröffentlichung von Transparenzberichten gemäß § 115 SGB XI gegeben sind. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 09. Dezember 1975 (Az.: VI ZR 157/73) zur Haftung der Stiftung Warentest für wertende Äußerungen im Rahmen vergleichender Warentests ausdrücklich nur im Hinblick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG dem Beurteilenden einen weiten Freiraum eingeräumt. Deshalb sei eine Testveröffentlichung nicht schon dann unzulässig, wenn sie nur "falsch" oder nicht "sachgerecht" sei (BGH aaO, Juris, Rdnr. 24, 25). Der Entwicklung der Rechtsprechung zum Recht der freien Meinungsäußerung müsse - so der BGH - auch für die Beurteilung der Veröffentlichung von Wertungen in vergleichenden Warentests Rechnung getragen werden. Wegen des Grundrechts aus Art. 5 GG seien die Grenzen zulässiger Kritik sehr weit gezogen. Deshalb sah der BGH (u.a.) erst bei einer "Schmähkritik" oder bei Bewertungen, die "undiskutabel" seien, die Grenze der zulässigen Bewertung erreicht.
Dieser - sehr weite - Prüfungsmaßstab kann hier jedoch nicht gelten, weil sich die hoheitlich handelnden Antragsgegner auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht berufen können. Auch eine nur "entsprechende Anwendung" von Art. 5 GG wäre dogmatisch abwegig (vg. hierzu Bachem, Sozialrecht Aktuell, 2010, 123/132). Bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung von Transparenzberichten geht es nicht um den Schutz des den Antragsgegnern nicht zustehenden Grundrechts der Meinungsfreiheit. Vielmehr haben die Sozialgerichte die Aufgabe, den Einrichtungsträgern Rechtsschutz gegen die Verletzung ihres Grundrechts der Berufsfreiheit zu gewähren.
Der Antragstellerin steht nach allem ein Anordnungsanspruch zu. Aber auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Die drohende Veröffentlichung des Transparenzberichts mit der Gesamtnote "ausreichend" und den Noten "mangelhaft" für die Qualitätsbereiche "Pflegerische Leistungen" und "Ärztlich verordnete pflegerische Leistungen" würde ganz offenbar zu einem gravierenden Reputationsschaden der Einrichtung der Antragstellerin führen und sie in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit irreversibel verletzen. Daran könnte auch die der Antragstellerin gegebene Möglichkeit nichts ändern, dem Transparenzbericht eine eigene Kommentierung - im Umfang von 3.000 Zeichen - anzufügen. Ein eigener Kommentar der Pflegeeinrichtung kann nämlich gegen die hoheitliche Bewertung nur eine sehr begrenzte Marktwirksamkeit erlangen. Nach der Ansicht des LSG NRW (vgl. Beschluss vom 15. November 2010, Az.: L 10 P 76/10 B ER, Juris, Rdnr. 28) ist ein wesentlicher Nachteil, der einen Anordnungsgrund begründen könnte, nur anzunehmen, wenn der Träger einer Pflegeeinrichtung durch die Veröffentlichung eines Transparenzberichts "konkret" in seiner "wirtschaftlichen Existenz bedroht ist" oder ihm "sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht". Mit diesen überzogenen Anforderungen wird das LSG NRW dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. zuletzt Beschluss vom 08. April 2010, Az.: 1 BvR 2709/09, Juris, Rdnr. 22, m. w. N.) hat der Grundrechtsträger einen substanziellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher - so das BVerfG, aaO - nicht nur die Aufgabe zu, jeden Akt der Exekutive, der in Rechte des Grundrechtsträgers eingreift, vollständig der richterlichen Prüfung zu unterstellen, sondern auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich auszuschließen.
Die zeitliche Dauer der vorläufigen Untersagung der Veröffentlichung des Transparenzberichts hat die Kammer nach ihrem freien Ermessen gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO auf die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens in der Hauptsache geknüpft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Bei der auf § 197 a SGG i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) beruhenden Streitwertfestsetzung (5.000 Euro) folgt die Kammer unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung der aus unterschiedlichen Gründen vertretenen Auffassung der meisten Landessozialgerichte (vgl. etwa LSG NRW, Beschluss vom 15. November 2010, Az.: L 10 P 76/10 B ER, Hessisches LSG, Beschluss vom 28. Oktober 2010, Az.: L 8 P 29/10 B ER, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07. Oktober 2010, Az.: L 27 P 32/10 B ER, LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05. Oktober 2010, Az.: L 4 P 12/10 B ER; anderer Ansicht Bayerisches LSG, Beschluss vom 04. Oktober 2010, Az.: L 2 P 19/10 B ER, das in Streitigkeiten der vorliegenden Art einen Streitwert von nur 2.500 Euro weiterhin für zutreffend erachtet).
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