Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2077/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3076/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2008.
Der Antragsteller ist selbstständiger Ingenieur, Architekt und Stadtplaner. Er ist freiwillig versichertes Mitglied der Antragsgegnerin.
Mit Bescheid vom 26. November 2008 setzte die Antragsgegnerin ab 01. Dezember 2008 den Beitrag für die Krankenversicherung auf EUR 558,00 und den Beitrag für die Pflegeversicherung auf EUR 79,20, Gesamtbeitrag damit EUR 637,20, fest. Sie teilte dem Antragsteller mit, sein Beitrag zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung berechne sich nach der Höhe seiner Einnahmen. Deshalb habe man ihn bereits mehrmals um Angaben dazu gebeten. Man habe jedoch keine Antwort erhalten. Daher berechne sich sein Beitrag nach den maximalen Einnahmen in Höhe von EUR 3.600,00. Der Bescheid enthält folgende Rechtsbehelfsbelehrung: "Falls Sie mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sein sollten, können Sie innerhalb eines Monats nach deren Bekanntgabe Widerspruch einlegen. Ihre mhplus prüft Ihre Einwände gern. Bitte wenden Sie sich in diesem Fall schriftlich an die mhplus Betriebskrankenkasse, Karlstrasse 3, 79618 Rheinfelden, oder kommen Sie in unsere Geschäftsstelle."
Jedenfalls ab 01. Mai 2009 zahlte der Antragsteller Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr. Für die Zeit vom 01. Mai 2009 bis 28. Februar 2010 lief ein Rückstand an Beiträgen in Höhe von insgesamt EUR 6.082,64 auf. Hinzu kamen Säumniszuschläge bis 16. März 2010 in Höhe von EUR 1.982,50 sowie Mahngebühren in Höhe von EUR 81,20, insgesamt EUR 8.146,34.
Am 08. April 2010 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2008 bei der Antragsgegnerin ein. Diese teilte ihm mit Schreiben vom 28. April 2010 mit, der Widerspruch sei zu spät eingelegt worden und könne daher nicht berücksichtigt werden. Außerdem erläuterte sie die Sach- und Rechtslage und bezifferte den aktuellen Beitragsrückstand auf EUR 8.785,09. Sie erließ des Weiteren den "Leistungsbescheid/vollstreckbare Ausfertigung" vom 03. Mai 2010 über den zuvor genannten Gesamtbetrag von EUR 8.146,34, der dem Antragsteller durch Gerichtsvollzieherin V.-H. zugestellt wurde mit der Aufforderung, den Betrag bis 25. Mai 2010 an sie (die Gerichtsvollzieherin) in bar zu zahlen oder zu überweisen.
Am 19. Mai 2010 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) einstweiligen Rechtsschutz. Er habe die Widerspruchsfrist aufgrund einer Erkrankung verpasst. Die errechnete Forderung der Antragsgegnerin belaufe sich auf ca. 70 Prozent seiner Bruttoeinkünfte im Jahr 2009 und übersteige spürbar dasjenige, was er im Jahr 2010 bisher an Einnahmen habe erzielen können. Diese Zahlungsverpflichtung, bezüglich derer die Antragsgegnerin die Vollstreckung eingeleitet habe, führe unumgänglich zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen mit dem Hinweis, den Widerspruch des Antragstellers mit Schreiben vom 28. April 2010 abgewiesen zu haben. Außerdem sei der Antragsteller erneut darauf hingewiesen worden, dass für die Berechnung der Beiträge seine Steuerbescheide benötigt würden. Diese lägen bislang nicht vor.
Mit Beschluss vom 01. Juni 2010 lehnte das SG den Antrag ab. Der Antrag sei dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. November 2008 begehre. Er sei indes unbegründet, denn nach vorläufiger Prüfung sei der Bescheid vom 26. November 2008 bereits bestandskräftig. Der Antragsteller habe deutlich zu spät Widerspruch eingelegt. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren sei, bestünden nicht. Außerdem liege für den Antragsteller keine unbillige Härte vor. Sollte sich im Widerspruchsverfahren die Festsetzung der Beiträge doch als rechtswidrig erweisen, könnten die von der Antragsgegnerin eingezogenen Beiträge ohne weiteres an den Antragsteller zurückgezahlt werden. Sofern der Antragsteller seiner Zahlungspflicht nachkomme, drohten ihm auch keine Nachteile für seinen Versicherungsschutz.
Am 29. Juni 2010 hat der Antragsteller Beschwerde zur Niederschrift des SG eingelegt, die das SG dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) zur Entscheidung vorgelegt hat. Seine finanzielle Lage habe sich weiter zugespitzt, weil die ungerechtfertigte Beitragsforderung der Antragsgegenerin Monat für Monat weiter anwachse. Dass er nicht rechtzeitig Widerspruch eingelegt habe, sei Folge einer unverschuldeten schweren und langandauernden Depressionserkrankung, weshalb er auch versäumt habe, Einkommensteuererklärungen einzureichen, sowie späterer (im Dezember 2009 und Januar 2010) akuter Infektionserkrankungen. Dass er selbst in der Akutphase seiner Depressionserkrankung nicht in ärztlicher Behandlung gewesen sei, liege allein daran, dass er die meiste Zeit keinen Krankenschein bzw. Krankenversicherungsschutz besessen habe und die Behandlung auch sonst nicht habe bezahlen können. Ein Indiz für seinen krankheitsbedingten langanhaltenden seelischen Rückzug sei in dem starken Rückgang seiner Einnahmen in der betroffenen Zeitspanne zu sehen. Sicherlich könnten auch mehrere Menschen aus seinem engeren und weiteren Umfeld die Symptome und Verhaltensauswirkungen bezeugen, welche den zum fraglichen Zeitpunkt akuten Erkrankungszustand belegten. Der zwischenzeitlich anwaltlich vertretene Antragsteller hat dann noch den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 des Finanzamts K.-S. vom 09. August 2010, in dem das Finanzamt die Einkünfte des Antragstellers wegen nicht abgegebener Steuererklärung auf EUR 600,00 geschätzt hat, vorgelegt und gebeten, im Hinblick auf Einigungsbemühungen der Beteiligten mit einer Entscheidung bis zur 47. Kalenderwoche 2010 zuzuwarten. Danach hat er sich nicht mehr geäußert.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01. Juni 2010 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2008 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller habe gegen ihren Bescheid nicht fristgerecht Widerspruch eingelegt. Ebenfalls lägen keine Nachweise eines niedrigeren Einkommens vor. Sie hat die Beitragsschuld des Antragstellers auf zwischenzeitlich ca. EUR 13.000,00 beziffert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge im einstweiligen Rechtsschutz sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. November 2008 anzuordnen, zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Der - nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten - erhobene Widerspruch des Antragstellers vom 08. April 2010 - den weder der Antragsteller noch die Antragsgegnerin vorgelegt haben - gegen den Bescheid vom 26. November 2008 - wobei der Senat davon ausgeht, dass dieser Bescheid der letzte maßgebliche Beitragsbescheid ist - hat keine aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Der angefochtene Bescheid setzt die Höhe der monatlich zu zahlenden Beiträge zur Antragsgegnerin fest. Sein Regelungsgehalt ist damit eine Entscheidung über die Beitragspflicht und eine Anforderung von Beiträgen.
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu entscheiden. Maßgeblich ist, ob das Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit schwerer wiegt als das gegenläufige Interesse am Erhalt der aufschiebenden Wirkung. Die Interessenabwägung fällt grundsätzlich von vornherein zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit aus, wenn der Widerspruch oder die Klage gegen den Verwaltungsakt aufgrund der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur summarischen Prüfung erkennbar aussichtlos ist. Sie fällt von vornherein für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung aus, wenn der Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung erkennbar rechtswidrig ist. Ist keiner dieser Fälle der erkennbaren Aussichtslosigkeit des Widerspruchs oder der erkennbaren Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gegeben, so sind die Beteiligteninteressen anhand sonstiger Umstände im Einzelfall zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen.
Vorliegend ist der gegen den Beitragsbescheid vom 26. November 2008 eingelegte Widerspruch erkennbar aussichtslos.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist ein Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Als schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Erste Alternative, Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Der Antragsteller hat vorliegend gegen den Bescheid vom 26. November 2008, dessen zeitnahe Bekanntgabe er nicht bestreitet, erst weit über ein Jahr nach seiner Bekanntgabe Widerspruch eingelegt und damit weder die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG noch die einjährige Widerspruchsfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG, der nach § 84 Abs. 3 Satz 3 SGG entsprechend gilt, eingehalten.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Widerspruchsfrist kann dem Antragsteller voraussichtlich durch die Antragsgegnerin nicht gewährt werden. Zum einen hat der Antragsteller Wiedereinsetzungsgründe nicht glaubhaft gemacht. Der allgemeine Hinweis auf eine depressive Erkrankung und spätere akute Infekterkrankungen genügt zur Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Fristversäumnis nicht, sodass auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Antragsteller Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren wäre. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller die geltend gemachten Krankheitsgründe für die Versäumung der Widerspruchsfrist auch nach Einschaltung seiner Prozessbevollmächtigten nicht näher konkretisiert und glaubhaft gemacht hat, und weil auch schon die Fristen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelaufen sind. Zum anderen ist nach § 67 Abs. 3 SGG, der nach § 84 Abs. 3 Satz 3 SGG entsprechend gilt, nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Hierzu fehlen jegliche Anhaltspunkte. Auch insoweit reicht der allgemeine Hinweis auf die Erkrankungen nicht aus.
Somit muss davon ausgegangen werden, dass die Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin den vom Antragsteller gegen den Bescheid vom 26. November 2008 eingelegten Widerspruch vom 08. April 2010 als unzulässig zurückweisen wird.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2008.
Der Antragsteller ist selbstständiger Ingenieur, Architekt und Stadtplaner. Er ist freiwillig versichertes Mitglied der Antragsgegnerin.
Mit Bescheid vom 26. November 2008 setzte die Antragsgegnerin ab 01. Dezember 2008 den Beitrag für die Krankenversicherung auf EUR 558,00 und den Beitrag für die Pflegeversicherung auf EUR 79,20, Gesamtbeitrag damit EUR 637,20, fest. Sie teilte dem Antragsteller mit, sein Beitrag zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung berechne sich nach der Höhe seiner Einnahmen. Deshalb habe man ihn bereits mehrmals um Angaben dazu gebeten. Man habe jedoch keine Antwort erhalten. Daher berechne sich sein Beitrag nach den maximalen Einnahmen in Höhe von EUR 3.600,00. Der Bescheid enthält folgende Rechtsbehelfsbelehrung: "Falls Sie mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sein sollten, können Sie innerhalb eines Monats nach deren Bekanntgabe Widerspruch einlegen. Ihre mhplus prüft Ihre Einwände gern. Bitte wenden Sie sich in diesem Fall schriftlich an die mhplus Betriebskrankenkasse, Karlstrasse 3, 79618 Rheinfelden, oder kommen Sie in unsere Geschäftsstelle."
Jedenfalls ab 01. Mai 2009 zahlte der Antragsteller Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr. Für die Zeit vom 01. Mai 2009 bis 28. Februar 2010 lief ein Rückstand an Beiträgen in Höhe von insgesamt EUR 6.082,64 auf. Hinzu kamen Säumniszuschläge bis 16. März 2010 in Höhe von EUR 1.982,50 sowie Mahngebühren in Höhe von EUR 81,20, insgesamt EUR 8.146,34.
Am 08. April 2010 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2008 bei der Antragsgegnerin ein. Diese teilte ihm mit Schreiben vom 28. April 2010 mit, der Widerspruch sei zu spät eingelegt worden und könne daher nicht berücksichtigt werden. Außerdem erläuterte sie die Sach- und Rechtslage und bezifferte den aktuellen Beitragsrückstand auf EUR 8.785,09. Sie erließ des Weiteren den "Leistungsbescheid/vollstreckbare Ausfertigung" vom 03. Mai 2010 über den zuvor genannten Gesamtbetrag von EUR 8.146,34, der dem Antragsteller durch Gerichtsvollzieherin V.-H. zugestellt wurde mit der Aufforderung, den Betrag bis 25. Mai 2010 an sie (die Gerichtsvollzieherin) in bar zu zahlen oder zu überweisen.
Am 19. Mai 2010 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) einstweiligen Rechtsschutz. Er habe die Widerspruchsfrist aufgrund einer Erkrankung verpasst. Die errechnete Forderung der Antragsgegnerin belaufe sich auf ca. 70 Prozent seiner Bruttoeinkünfte im Jahr 2009 und übersteige spürbar dasjenige, was er im Jahr 2010 bisher an Einnahmen habe erzielen können. Diese Zahlungsverpflichtung, bezüglich derer die Antragsgegnerin die Vollstreckung eingeleitet habe, führe unumgänglich zum Ende seiner beruflichen Tätigkeit.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen mit dem Hinweis, den Widerspruch des Antragstellers mit Schreiben vom 28. April 2010 abgewiesen zu haben. Außerdem sei der Antragsteller erneut darauf hingewiesen worden, dass für die Berechnung der Beiträge seine Steuerbescheide benötigt würden. Diese lägen bislang nicht vor.
Mit Beschluss vom 01. Juni 2010 lehnte das SG den Antrag ab. Der Antrag sei dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. November 2008 begehre. Er sei indes unbegründet, denn nach vorläufiger Prüfung sei der Bescheid vom 26. November 2008 bereits bestandskräftig. Der Antragsteller habe deutlich zu spät Widerspruch eingelegt. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren sei, bestünden nicht. Außerdem liege für den Antragsteller keine unbillige Härte vor. Sollte sich im Widerspruchsverfahren die Festsetzung der Beiträge doch als rechtswidrig erweisen, könnten die von der Antragsgegnerin eingezogenen Beiträge ohne weiteres an den Antragsteller zurückgezahlt werden. Sofern der Antragsteller seiner Zahlungspflicht nachkomme, drohten ihm auch keine Nachteile für seinen Versicherungsschutz.
Am 29. Juni 2010 hat der Antragsteller Beschwerde zur Niederschrift des SG eingelegt, die das SG dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) zur Entscheidung vorgelegt hat. Seine finanzielle Lage habe sich weiter zugespitzt, weil die ungerechtfertigte Beitragsforderung der Antragsgegenerin Monat für Monat weiter anwachse. Dass er nicht rechtzeitig Widerspruch eingelegt habe, sei Folge einer unverschuldeten schweren und langandauernden Depressionserkrankung, weshalb er auch versäumt habe, Einkommensteuererklärungen einzureichen, sowie späterer (im Dezember 2009 und Januar 2010) akuter Infektionserkrankungen. Dass er selbst in der Akutphase seiner Depressionserkrankung nicht in ärztlicher Behandlung gewesen sei, liege allein daran, dass er die meiste Zeit keinen Krankenschein bzw. Krankenversicherungsschutz besessen habe und die Behandlung auch sonst nicht habe bezahlen können. Ein Indiz für seinen krankheitsbedingten langanhaltenden seelischen Rückzug sei in dem starken Rückgang seiner Einnahmen in der betroffenen Zeitspanne zu sehen. Sicherlich könnten auch mehrere Menschen aus seinem engeren und weiteren Umfeld die Symptome und Verhaltensauswirkungen bezeugen, welche den zum fraglichen Zeitpunkt akuten Erkrankungszustand belegten. Der zwischenzeitlich anwaltlich vertretene Antragsteller hat dann noch den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 des Finanzamts K.-S. vom 09. August 2010, in dem das Finanzamt die Einkünfte des Antragstellers wegen nicht abgegebener Steuererklärung auf EUR 600,00 geschätzt hat, vorgelegt und gebeten, im Hinblick auf Einigungsbemühungen der Beteiligten mit einer Entscheidung bis zur 47. Kalenderwoche 2010 zuzuwarten. Danach hat er sich nicht mehr geäußert.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01. Juni 2010 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2008 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller habe gegen ihren Bescheid nicht fristgerecht Widerspruch eingelegt. Ebenfalls lägen keine Nachweise eines niedrigeren Einkommens vor. Sie hat die Beitragsschuld des Antragstellers auf zwischenzeitlich ca. EUR 13.000,00 beziffert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge im einstweiligen Rechtsschutz sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. November 2008 anzuordnen, zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Der - nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten - erhobene Widerspruch des Antragstellers vom 08. April 2010 - den weder der Antragsteller noch die Antragsgegnerin vorgelegt haben - gegen den Bescheid vom 26. November 2008 - wobei der Senat davon ausgeht, dass dieser Bescheid der letzte maßgebliche Beitragsbescheid ist - hat keine aufschiebende Wirkung. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Der angefochtene Bescheid setzt die Höhe der monatlich zu zahlenden Beiträge zur Antragsgegnerin fest. Sein Regelungsgehalt ist damit eine Entscheidung über die Beitragspflicht und eine Anforderung von Beiträgen.
Die Frage, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs anzuordnen ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu entscheiden. Maßgeblich ist, ob das Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit schwerer wiegt als das gegenläufige Interesse am Erhalt der aufschiebenden Wirkung. Die Interessenabwägung fällt grundsätzlich von vornherein zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit aus, wenn der Widerspruch oder die Klage gegen den Verwaltungsakt aufgrund der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur summarischen Prüfung erkennbar aussichtlos ist. Sie fällt von vornherein für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung aus, wenn der Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung erkennbar rechtswidrig ist. Ist keiner dieser Fälle der erkennbaren Aussichtslosigkeit des Widerspruchs oder der erkennbaren Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gegeben, so sind die Beteiligteninteressen anhand sonstiger Umstände im Einzelfall zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen.
Vorliegend ist der gegen den Beitragsbescheid vom 26. November 2008 eingelegte Widerspruch erkennbar aussichtslos.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist ein Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Als schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Erste Alternative, Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Der Antragsteller hat vorliegend gegen den Bescheid vom 26. November 2008, dessen zeitnahe Bekanntgabe er nicht bestreitet, erst weit über ein Jahr nach seiner Bekanntgabe Widerspruch eingelegt und damit weder die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG noch die einjährige Widerspruchsfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG, der nach § 84 Abs. 3 Satz 3 SGG entsprechend gilt, eingehalten.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Widerspruchsfrist kann dem Antragsteller voraussichtlich durch die Antragsgegnerin nicht gewährt werden. Zum einen hat der Antragsteller Wiedereinsetzungsgründe nicht glaubhaft gemacht. Der allgemeine Hinweis auf eine depressive Erkrankung und spätere akute Infekterkrankungen genügt zur Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Fristversäumnis nicht, sodass auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Antragsteller Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist zu gewähren wäre. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller die geltend gemachten Krankheitsgründe für die Versäumung der Widerspruchsfrist auch nach Einschaltung seiner Prozessbevollmächtigten nicht näher konkretisiert und glaubhaft gemacht hat, und weil auch schon die Fristen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelaufen sind. Zum anderen ist nach § 67 Abs. 3 SGG, der nach § 84 Abs. 3 Satz 3 SGG entsprechend gilt, nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Hierzu fehlen jegliche Anhaltspunkte. Auch insoweit reicht der allgemeine Hinweis auf die Erkrankungen nicht aus.
Somit muss davon ausgegangen werden, dass die Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin den vom Antragsteller gegen den Bescheid vom 26. November 2008 eingelegten Widerspruch vom 08. April 2010 als unzulässig zurückweisen wird.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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