Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 1547/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 484/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.10.2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor dieses Urteils hinsichtlich der Hauptsache wie folgt neu gefasst wird:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 18.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2005 verurteilt, dem Kläger unter weiterer teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 17.07.1996 für die Zeit vom 01.01.2000 bis 31.12.2004 höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sowie unter Abänderung des Bescheids vom 22.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2005 ab 01.01.2005 höhere Altersrente für Schwerbehinderte zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die vom Kläger in R. zwischen dem 19.10.1970 und 15.06.1976 zurückgelegten Versicherungszeiten ungekürzt zu berücksichtigen sind.
Der am 1940 geborene Kläger siedelte im Jahr 1990 aus R. in die Bundesrepublik Deutschland über. In R. war der Kläger als Elektriker beschäftigt, im eingangs genannten Zeitraum bei dem Montagebauunternehmen C. auf der Baustelle A. I ... Diesen Zeitraum berücksichtigte die damals noch zuständige Landesversicherungsanstalt B.-W. (nachfolgend: LVA) - neben anderen Zeiträumen - im Rentenbescheid vom 17.07.1996, mit dem dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt wurde, nur als glaubhaft gemachte Zeit mit einer Kürzung auf 5/6. Grundlage dieser Entscheidung war das vorgelegte Arbeitsbuch sowie die Bescheinigung (Adeverinta) Nr. 3161 vom 05.08.1993. In letzterer wurde dem Kläger bescheinigt, einschließlich samstags 48 Stunden pro Woche gearbeitet zu haben. Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens hinsichtlich der Bewertung anderer Zeiten legte der Kläger zu seiner Tätigkeit im Montagebauunternehmen C. die Adeverinta Nr. 1976 vom 08.08.1997 (nachfolgend: Adeverinta Nr. 1976) vor, in der u.a. tabellarische Angaben zu geleisteten Arbeits- und Überstunden sowie zu Urlaubs- und Krankheitstagen enthalten sind. Mit Bescheid vom 06.03.1998 lehnte die LVA u.a. die Anrechnung der streitgegenständlichen Zeit zu 6/6 ab. Nach ihren Informationen sei in R. regelmäßig auf Aufzeichnungen der Arbeitsunfähigkeit verzichtet worden. Die Arbeitgeber seien hierzu gesetzlich nicht verpflichtet gewesen.
Im April 2004 beantragte der Kläger u.a. erneut die Überprüfung der Kürzung rentenrechtlicher Zeiten auf 5/6. Diesen Antrag lehnte die LVA im Rentenneufeststellungsbescheid vom 30.08.2004, mit dem sie den Bescheid vom 17.07.1996 teilweise zurücknahm und für die Zeit ab 01.01.2000 höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligte (Rentenbetrag 1.615,70 DM Stand 01.01.2000), ab. Auch wenn keine konkreten Anhaltspunkte bestünden, dass es sich bei den vom Kläger vorgelegten Adeverintas um Gefälligkeitsbescheinigungen handle, seien diese doch zum Teil widersprüchlich und unschlüssig. Sie stützte sich dabei insbesondere auf die Bestätigung von Arbeitsstunden an Feiertagen in den 1980er Jahren. Hierzu führte der Kläger in dem von ihm erhobenen Widerspruch u.a. aus, er habe als Betriebselektriker auch an Feiertagen gearbeitet. Mit dem Rentenneufeststellungsbescheid vom 18.10.2004 half die LVA dem Widerspruch hinsichtlich hier nicht streitgegenständlicher Zeiten teilweise ab, ersetzte den Bescheid vom 30.08.2004 und gewährte für die Zeit ab 01.01.2000 höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Rentenbetrag 1.675,31 DM, Stand 01.01.2000), allerdings wiederum unter Anrechnung der streitigen Zeit zu 5/6. Hinsichtlich der Rentenberechnung wird auf diesen Bescheid verwiesen. Mit Bescheid vom 22.11.2004 bewilligte sie dem Kläger anstelle der bisherigen Rente eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.01.2005, wobei sie die 5/6-Kürzung beibehielt. Hinsichtlich der Berechnung im Einzelnen wird auf den Bescheid Bezug genommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2005 wies sie im Übrigen den Antrag auf 6/6-Anrechnung der rumänischen Beitragszeiten zurück. Für den Zeitraum ab dem 19.10.1970 könne nicht nachvollzogen werden, ob die vorgelegten Bescheinigungen auf der Grundlage von Lohnlisten erstellt worden seien.
Deswegen hat der Kläger am 17.03.2005 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Er hat betreffend den streitgegenständlichen Zeitraum die Adeverinta Nr. 131 vom 01.09.2008 der SC A. Bauwerke AG (nachfolgend: Adeverinta Nr. 131) vorgelegt. Darin wird bestätigt, der Kläger habe in der Zeit vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 zehn Stunden inklusive samstags gearbeitet und eine Zulage von 25 % für "systematische Überstundenarbeit (10-Stunden-Programm)" bezogen. Die Daten seien den Lohn- und Gehaltslisten entnommen worden. Mit Urteil vom 22.10.2009 hat das SG die Beklagte als zuständig gewordene Funktionsnachfolgerin der LVA verurteilt u.a. den eingangs genannten und einen weiteren Zeitraum als nachgewiesene Zeiten zu 6/6 festzustellen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Es hat sich auf die Adeverintas Nr. 1976 und Nr. 131 gestützt. Danach seien die angegebenen Anwesenheits- bzw. Fehlzeiten den Lohn- und Gehaltslisten entnommen worden. Eine Übersicht über die konkreten Arbeitszeiten liege vor. Auch Krankheitstage seien erfasst. Nach den überzeugenden Darlegungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung habe er an sechs Tagen in der Woche gearbeitet und als einziger Elektriker häufig Überstunden und auch Bereitschaftsdienste an Sonn- und Feiertagen machen müssen. Soweit er in der mündlichen Verhandlung eine nach der Adeverinta im Jahr 1975 gelegene, längere Krankheitszeit auf das Jahr 1972 datiert habe, sei nachvollziehbar, dass er sich nach über 30 Jahren nicht mehr genau an das Jahr erinnert habe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 05.01.2010 zugestellte Urteil, soweit es die Zeit vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 betrifft, am 28.01.2010 Berufung eingelegt. Sie hält die vom SG herangezogenen Adeverintas für unschlüssig. Für den Oktober 1970 würden zehn Arbeitstage bescheinigt, obwohl zwölf Arbeitstage möglich gewesen wären. Die Umrechnung von Arbeitsstunden in Arbeitstage sei unter Zugrundelegung einer Arbeitszeit von zehn Stunden bei einer Sechs-Tage-Woche nicht nachvollziehbar. So werde im November 1970 ein Tag zu viel bescheinigt. Im September 1975 seien 27 Krankheitstage bestätigt worden, obwohl unter Berücksichtigung der Sonntage nur 26 Arbeitstage möglich gewesen wären. Die Überstunden seien anhand der vorliegenden Bescheinigungen nicht nachvollziehbar. Ferner gebe der Umstand, dass im Jahr 1974 kein Urlaub ausgewiesen werde, Anlass zu Zweifeln.
Die Beklagte beantragt (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.10.2009, soweit es die Zeit vom 19.10.1970 bis 15.06.1996 betrifft, aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger erachtet das Urteil des SG für zutreffend. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 22.10.2010 hat der Kläger ergänzt, die Arbeitszeiten seien von der Jahreszeit und vom Arbeitsanfall abhängig gewesen. Bei dringenden Arbeiten sei manchmal auch Sonntagsarbeit angeordnet worden. Wenn man an diesen Sonntagen nicht zur Arbeit erschienen sei, sei dies als ein unentschuldigter Tag vermerkt worden. Irrtümlich habe er vor dem SG eine längere Krankheit auf das Jahr 1972 datiert. Er habe sich damals die Zehen gebrochen. Er erinnere sich noch, vom Arzt drei Wochen krankgeschrieben worden zu sein und meine, dass diese Krankschreibung noch verlängert worden sei.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend ist das SG für den noch streitigen Zeitraum (vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 - nur insoweit hat die Beklagte das Urteil des SG angefochten) von nachgewiesenen und nicht nur glaubhaft gemachten Beitragszeiten ausgegangen.
Gegenstand des Rechtsstreits ist zum einen der während des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 30.08.2004 und damit nach § 86 SGG Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens gewordene Bescheid vom 18.10.2004 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005, § 95 SGG), mit dem die Beklagte über den Antrag des Klägers auf Überprüfung des bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 17.07.1996 über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entschied, diesen Bescheid vom 17.07.1996 teilweise zurücknahm und höhere Rente ab dem 01.01.2000 bewilligte, zugleich aber sinngemäß einen noch höheren Rentenanspruch - nämlich u.a. unter voller Anrechnung des streitigen Zeitraumes vom 19.10.1979 bis 15.06.1976 - ablehnte. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist dagegen der Bescheid vom 30.08.2004, der eine vergleichbare Regelung enthielt, indessen durch den Bescheid vom 18.10.2004 - so ausdrücklich in diesem Bescheid - ersetzt wurde, sodass dieser Bescheid keine Rechtswirkungen mehr entfaltet (§ 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) und vom Kläger deshalb zu Recht nicht angefochten wird.
Zum anderen ist Gegenstand des Rechtsstreits der während des Widerspruchsverfahrens gegen die Bescheide vom 30.08.2004 und 18.10.2004 ergangene Bescheid über die Bewilligung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen vom 22.11.2004 (ebenfalls in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005, § 95 SGG). Dieser Bescheid wurde von der Beklagten in nicht zu beanstandender Weise gemäß § 86 SGG in das anhängige Widerspruchsverfahrens einbezogen. Denn die Altersrente trat nahtlos an die Stelle der bislang gewährten Erwerbsminderungsrente und enthielt dieselbe, vom Kläger gerade mit dem Ziel des Erhalts höherer Rente angegriffene 5/6-Kürzung. Dies reichte jedenfalls nach der bis zum 31.03.2008 geltenden Fassung des vergleichbaren, die Einbeziehung von Bescheiden im gerichtlichen Verfahren regelnden § 96 SGG für eine solche Einbeziehung aus (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 96 Rdnr. 5a).
Der Kläger macht somit bei sachgerechter Auslegung seines prozessualen Begehrens (§ 123 SGG) einen höheren Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - dies im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X im Hinblick auf den bestandskräftigen Rentenbescheid vom 17.07.1996 - und höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen und damit - was die Rentenhöhe anbelangt - den Erlass eines Grundurteiles (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) geltend. Anderes haben weder die Beteiligten noch das SG angenommen. Entsprechend hätte das SG eine dieses Begehren erfassende sachdienliche Antragstellung anregen (§ 106 Abs. 1 SGG) und die Beklagte folgerichtig zur Gewährung höherer Rente - hinsichtlich der Erwerbsunfähigkeitsrente unter weiterer Rücknahme des Rentenbescheides vom 17.07.1996 - verurteilen müssen. Die vom SG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, die im noch streitigen Zeitraum "zurückgelegten Beitragszeiten als nachgewiesene Zeiten zu 6/6 festzustellen" stellt insoweit lediglich eine verkürzte Formulierung des prozessualen Begehrens auf Erlass eines Grundurteiles dar. Dieser prozessualen Situation trägt der Senat durch Neufassung des von der Beklagten angegriffenen Urteilstenors in der Hauptsache Rechnung.
Der Kläger hat - aus den vom SG genannten Gründen - gegen die Beklagte Anspruch auf eine weitere Rücknahme des Bescheides vom 17.07.1996 und auf Gewährung höherer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Rechtsgrundlage dieses Begehrens ist § 44 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Regelung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte, hier also vom bestandskräftigen Rentenbescheid vom 17.07.1996.
Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen allerdings längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird dabei von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bei einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den die Leistungen rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Dem entsprechend kann der Kläger - ausgehend von seiner im April 2004 beantragten Überprüfung - höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst ab dem 01.01.2000 verlangen, wobei diese Rente lediglich bis 31.12.2004 bewilligt war und nahtlos durch die Altersrente abgelöst wurde.
Maßgebend für die Berechnung des Monatsbetrags der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit des Klägers ist § 64 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Von Bedeutung sind dabei insbesondere die persönlichen Entgeltpunkte des Versicherten (§ 66 SGB VI). Diese werden für im Bundesgebiet zurückgelegte Beitragszeiten ermittelt. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei Vertriebenen wie dem Kläger Beitragszeiten, die bei einem nicht deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung genügt es zunächst, wenn die nach dem Gesetz erheblichen Tatsachen glaubhaft gemacht sind (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG). Allerdings werden nach § 22 Abs. 3 FRG für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die gemäß § 22 Abs. 1 FRG ermittelten Entgeltpunkte um 1/6 gekürzt. Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung ausführlich und zutreffend zum einen die Veranlassung des Gesetzgebers für die Schaffung dieser Kürzungsregelung und zum anderen auch die gerade bezogen auf Beschäftigungszeiten in R. maßgeblichen Kriterien hinsichtlich der Abgrenzung zwischen nachgewiesenen und nur glaubhaft gemachten Zeiten sowie die insoweit grundlegende Rechtsprechung des 9. Senats des Landessozialgerichts B.-W. dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe (Seites 5 bis 7) Bezug genommen. Unter Anwendung dieser Kriterien ist das SG zutreffend auf der Grundlage der Adeverintas Nr. 1976 und Nr. 131 zu der Überzeugung gelangt, dass die vom Kläger vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 zurückgelegten Beschäftigungszeiten nachgewiesen sind. Die Adeverinta Nr. 1976 enthält monatsweise zusammengefasste Angaben zu Krankheits- und Urlaubstagen sowie zu Stunden und Überstunden. Ferner ergibt sich aus der Adeverinta Nr. 131, dass Grundlage dieser Angaben Lohn- und Gehaltslisten waren. Dies wird von der Beklagten nicht - mehr - in Frage gestellt.
Die von ihr zur Begründung der Berufung herangezogenen Gesichtspunkte geben keinen Anlass, von einer Unschlüssigkeit der Adeverinta Nr. 1976 auszugehen.
Zutreffend ist, dass die angegebenen Stunden und Überstunden bei strikter Zugrundelegung einer täglichen Arbeitszeit von zehn Stunden bei einer Sechs-Tage-Woche oder, wie vom Kläger auch dargestellt, bei Zugrundelegung einer regelmäßig geringeren Arbeitszeit an Samstagen nicht glatt auf die angegebenen Arbeitstage umgerechnet werden können. Dies stellt jedoch angesichts der Erklärung des Klägers im Erörterungstermin am 22.10.2010, dass die Arbeitszeiten auch von der Jahreszeit und vom Arbeitsanfall abhängig waren, was in der Baubranche naheliegend ist, keinen Grund dar, an der Schlüssigkeit der Adeverinta zu zweifeln. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass die vom Kläger angegebenen und in der Adeverinta Nr. 131 bestätigten regelmäßigen Arbeitszeiten tatsächlich nur als "regelmäßige" jedoch nicht als immer auf die Stunde eingehaltene Arbeitszeiten zu werten sind. Die insoweit von der Beklagten aufgezeigten rechnerischen Ungenauigkeiten sprechen alleine schon wegen der Witterungsabhängigkeit in der Baubranche vielmehr für die Qualität der Adeverinta Nr. 1976. Diese enthält ersichtlich individuelle Zahlen, die nur bei der Rückrechnung anhand nicht realistischer Bezugsgrößen - strikte 6-Tage-Woche, strikt eingehaltene "regelmäßige" Arbeitszeiten - zu vermeintlichen Ungenauigkeiten, die von der Beklagten selbst mit maximal einem Tag und damit sehr gering dargestellt werden, führen. Hier - wie es die Beklagte andeutet - zu fordern, dass die genaue Arbeitszeitverteilung auf den Tag zu dokumentieren sei, wäre - wie sich aus der vom Kläger vorgelegten Aufstellung über einen Nachfolgezeitraum ergibt (Bl. 25 ff SG-Akte) - zwar nicht unmöglich, würde jedoch die anzulegenden Beweisanforderungen überspannen.
Zweifel an der Adeverinta Nr. 1976 wegen der Eintragungen zum Erholungsurlaub sind ebenfalls nicht veranlasst. Die Beklagte weist insoweit selbst auf die Möglichkeit hin, dass der im Jahr 1974 nach der Adeverinta nicht genommene Urlaub auf andere Jahre verteilt worden sein könnte. Genau dies hat der Kläger im Erörterungstermin vom 22.10.2010 glaubwürdig bestätigt.
Erklärbar ist auch der Umstand, dass im November 1970 26 Arbeitstage bescheinigt werden, obwohl bei einer Sechs-Tag-Woche nur 25 Arbeitstage möglich sind. Denn der Kläger hat glaubwürdig angegeben, dass er zum Teil auch Sonn- und Feiertagsarbeit zu leisten hatte. Unter diesem Gesichtspunkt kann auch erklärt werden, dass im September 1975 27 Krankheitstage bei an sich nur 26 Arbeitstagen bestätigt wurden.
Zutreffend weist die Beklagte zwar darauf hin, dass im Oktober 1970 - bei Annahme einer Sechs-Tage-Woche - in der Adeverinta Nr. 1976 zwei Arbeitstage zu wenig ausgewiesen sind. Allein der Umstand, dass eine Erklärung der Angabe von zehn Arbeitstagen bei zwölf möglichen Arbeitstagen fehlt, vermag weder die Richtigkeit der Adeverinta in Zweifel zu ziehen noch ergeben sich hieraus Anhaltspunkte für deren Unschlüssigkeit, wie dies die Beklagte meint. Denn angesichts der Tatsache, dass die Adeverinta - wie dargelegt - im Übrigen gerade keine Unschlüssigkeit aufweist, kann davon ausgegangen werden, dass auch für Oktober 1970 zutreffend bescheinigt wurde. Ob die naheliegende Erklärung, dass der Kläger in seinen ersten zwei Arbeitswochen im neuen Betrieb nur fünf Tage arbeitete, zutrifft, ist daher letztlich unerheblich.
Die Kürzung der streitgegenständlichen Zeit in der ursprünglichen Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 17.07.1996 erweist sich damit als unzutreffend, mit der Folge, dass die Beklagte den Bescheid vom 17.07.1996 teilweise zurücknehmen und dem Kläger höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren hat, im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 44 SGB X - wie ausgeführt - allerdings erst ab 01.01.2000 und bis zum Ende dieses Rentenbezuges am 31.12.2004.
In Anknüpfung an diese Ausführungen steht dem Kläger für die Zeit ab 01.01.2005 auch eine höhere Altersrente, für deren Berechnung ebenfalls § 64 SGB VI einschlägig ist, zu. Insoweit ist der Bescheid vom 22.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2005 abzuändern und die Beklagte zur Gewährung höherer Altersrente für Schwerbehinderte zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 18.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2005 verurteilt, dem Kläger unter weiterer teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 17.07.1996 für die Zeit vom 01.01.2000 bis 31.12.2004 höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sowie unter Abänderung des Bescheids vom 22.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2005 ab 01.01.2005 höhere Altersrente für Schwerbehinderte zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die vom Kläger in R. zwischen dem 19.10.1970 und 15.06.1976 zurückgelegten Versicherungszeiten ungekürzt zu berücksichtigen sind.
Der am 1940 geborene Kläger siedelte im Jahr 1990 aus R. in die Bundesrepublik Deutschland über. In R. war der Kläger als Elektriker beschäftigt, im eingangs genannten Zeitraum bei dem Montagebauunternehmen C. auf der Baustelle A. I ... Diesen Zeitraum berücksichtigte die damals noch zuständige Landesversicherungsanstalt B.-W. (nachfolgend: LVA) - neben anderen Zeiträumen - im Rentenbescheid vom 17.07.1996, mit dem dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt wurde, nur als glaubhaft gemachte Zeit mit einer Kürzung auf 5/6. Grundlage dieser Entscheidung war das vorgelegte Arbeitsbuch sowie die Bescheinigung (Adeverinta) Nr. 3161 vom 05.08.1993. In letzterer wurde dem Kläger bescheinigt, einschließlich samstags 48 Stunden pro Woche gearbeitet zu haben. Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens hinsichtlich der Bewertung anderer Zeiten legte der Kläger zu seiner Tätigkeit im Montagebauunternehmen C. die Adeverinta Nr. 1976 vom 08.08.1997 (nachfolgend: Adeverinta Nr. 1976) vor, in der u.a. tabellarische Angaben zu geleisteten Arbeits- und Überstunden sowie zu Urlaubs- und Krankheitstagen enthalten sind. Mit Bescheid vom 06.03.1998 lehnte die LVA u.a. die Anrechnung der streitgegenständlichen Zeit zu 6/6 ab. Nach ihren Informationen sei in R. regelmäßig auf Aufzeichnungen der Arbeitsunfähigkeit verzichtet worden. Die Arbeitgeber seien hierzu gesetzlich nicht verpflichtet gewesen.
Im April 2004 beantragte der Kläger u.a. erneut die Überprüfung der Kürzung rentenrechtlicher Zeiten auf 5/6. Diesen Antrag lehnte die LVA im Rentenneufeststellungsbescheid vom 30.08.2004, mit dem sie den Bescheid vom 17.07.1996 teilweise zurücknahm und für die Zeit ab 01.01.2000 höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligte (Rentenbetrag 1.615,70 DM Stand 01.01.2000), ab. Auch wenn keine konkreten Anhaltspunkte bestünden, dass es sich bei den vom Kläger vorgelegten Adeverintas um Gefälligkeitsbescheinigungen handle, seien diese doch zum Teil widersprüchlich und unschlüssig. Sie stützte sich dabei insbesondere auf die Bestätigung von Arbeitsstunden an Feiertagen in den 1980er Jahren. Hierzu führte der Kläger in dem von ihm erhobenen Widerspruch u.a. aus, er habe als Betriebselektriker auch an Feiertagen gearbeitet. Mit dem Rentenneufeststellungsbescheid vom 18.10.2004 half die LVA dem Widerspruch hinsichtlich hier nicht streitgegenständlicher Zeiten teilweise ab, ersetzte den Bescheid vom 30.08.2004 und gewährte für die Zeit ab 01.01.2000 höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Rentenbetrag 1.675,31 DM, Stand 01.01.2000), allerdings wiederum unter Anrechnung der streitigen Zeit zu 5/6. Hinsichtlich der Rentenberechnung wird auf diesen Bescheid verwiesen. Mit Bescheid vom 22.11.2004 bewilligte sie dem Kläger anstelle der bisherigen Rente eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.01.2005, wobei sie die 5/6-Kürzung beibehielt. Hinsichtlich der Berechnung im Einzelnen wird auf den Bescheid Bezug genommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2005 wies sie im Übrigen den Antrag auf 6/6-Anrechnung der rumänischen Beitragszeiten zurück. Für den Zeitraum ab dem 19.10.1970 könne nicht nachvollzogen werden, ob die vorgelegten Bescheinigungen auf der Grundlage von Lohnlisten erstellt worden seien.
Deswegen hat der Kläger am 17.03.2005 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Er hat betreffend den streitgegenständlichen Zeitraum die Adeverinta Nr. 131 vom 01.09.2008 der SC A. Bauwerke AG (nachfolgend: Adeverinta Nr. 131) vorgelegt. Darin wird bestätigt, der Kläger habe in der Zeit vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 zehn Stunden inklusive samstags gearbeitet und eine Zulage von 25 % für "systematische Überstundenarbeit (10-Stunden-Programm)" bezogen. Die Daten seien den Lohn- und Gehaltslisten entnommen worden. Mit Urteil vom 22.10.2009 hat das SG die Beklagte als zuständig gewordene Funktionsnachfolgerin der LVA verurteilt u.a. den eingangs genannten und einen weiteren Zeitraum als nachgewiesene Zeiten zu 6/6 festzustellen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Es hat sich auf die Adeverintas Nr. 1976 und Nr. 131 gestützt. Danach seien die angegebenen Anwesenheits- bzw. Fehlzeiten den Lohn- und Gehaltslisten entnommen worden. Eine Übersicht über die konkreten Arbeitszeiten liege vor. Auch Krankheitstage seien erfasst. Nach den überzeugenden Darlegungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung habe er an sechs Tagen in der Woche gearbeitet und als einziger Elektriker häufig Überstunden und auch Bereitschaftsdienste an Sonn- und Feiertagen machen müssen. Soweit er in der mündlichen Verhandlung eine nach der Adeverinta im Jahr 1975 gelegene, längere Krankheitszeit auf das Jahr 1972 datiert habe, sei nachvollziehbar, dass er sich nach über 30 Jahren nicht mehr genau an das Jahr erinnert habe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 05.01.2010 zugestellte Urteil, soweit es die Zeit vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 betrifft, am 28.01.2010 Berufung eingelegt. Sie hält die vom SG herangezogenen Adeverintas für unschlüssig. Für den Oktober 1970 würden zehn Arbeitstage bescheinigt, obwohl zwölf Arbeitstage möglich gewesen wären. Die Umrechnung von Arbeitsstunden in Arbeitstage sei unter Zugrundelegung einer Arbeitszeit von zehn Stunden bei einer Sechs-Tage-Woche nicht nachvollziehbar. So werde im November 1970 ein Tag zu viel bescheinigt. Im September 1975 seien 27 Krankheitstage bestätigt worden, obwohl unter Berücksichtigung der Sonntage nur 26 Arbeitstage möglich gewesen wären. Die Überstunden seien anhand der vorliegenden Bescheinigungen nicht nachvollziehbar. Ferner gebe der Umstand, dass im Jahr 1974 kein Urlaub ausgewiesen werde, Anlass zu Zweifeln.
Die Beklagte beantragt (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.10.2009, soweit es die Zeit vom 19.10.1970 bis 15.06.1996 betrifft, aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger erachtet das Urteil des SG für zutreffend. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 22.10.2010 hat der Kläger ergänzt, die Arbeitszeiten seien von der Jahreszeit und vom Arbeitsanfall abhängig gewesen. Bei dringenden Arbeiten sei manchmal auch Sonntagsarbeit angeordnet worden. Wenn man an diesen Sonntagen nicht zur Arbeit erschienen sei, sei dies als ein unentschuldigter Tag vermerkt worden. Irrtümlich habe er vor dem SG eine längere Krankheit auf das Jahr 1972 datiert. Er habe sich damals die Zehen gebrochen. Er erinnere sich noch, vom Arzt drei Wochen krankgeschrieben worden zu sein und meine, dass diese Krankschreibung noch verlängert worden sei.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend ist das SG für den noch streitigen Zeitraum (vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 - nur insoweit hat die Beklagte das Urteil des SG angefochten) von nachgewiesenen und nicht nur glaubhaft gemachten Beitragszeiten ausgegangen.
Gegenstand des Rechtsstreits ist zum einen der während des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 30.08.2004 und damit nach § 86 SGG Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens gewordene Bescheid vom 18.10.2004 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005, § 95 SGG), mit dem die Beklagte über den Antrag des Klägers auf Überprüfung des bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 17.07.1996 über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entschied, diesen Bescheid vom 17.07.1996 teilweise zurücknahm und höhere Rente ab dem 01.01.2000 bewilligte, zugleich aber sinngemäß einen noch höheren Rentenanspruch - nämlich u.a. unter voller Anrechnung des streitigen Zeitraumes vom 19.10.1979 bis 15.06.1976 - ablehnte. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist dagegen der Bescheid vom 30.08.2004, der eine vergleichbare Regelung enthielt, indessen durch den Bescheid vom 18.10.2004 - so ausdrücklich in diesem Bescheid - ersetzt wurde, sodass dieser Bescheid keine Rechtswirkungen mehr entfaltet (§ 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) und vom Kläger deshalb zu Recht nicht angefochten wird.
Zum anderen ist Gegenstand des Rechtsstreits der während des Widerspruchsverfahrens gegen die Bescheide vom 30.08.2004 und 18.10.2004 ergangene Bescheid über die Bewilligung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen vom 22.11.2004 (ebenfalls in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005, § 95 SGG). Dieser Bescheid wurde von der Beklagten in nicht zu beanstandender Weise gemäß § 86 SGG in das anhängige Widerspruchsverfahrens einbezogen. Denn die Altersrente trat nahtlos an die Stelle der bislang gewährten Erwerbsminderungsrente und enthielt dieselbe, vom Kläger gerade mit dem Ziel des Erhalts höherer Rente angegriffene 5/6-Kürzung. Dies reichte jedenfalls nach der bis zum 31.03.2008 geltenden Fassung des vergleichbaren, die Einbeziehung von Bescheiden im gerichtlichen Verfahren regelnden § 96 SGG für eine solche Einbeziehung aus (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 96 Rdnr. 5a).
Der Kläger macht somit bei sachgerechter Auslegung seines prozessualen Begehrens (§ 123 SGG) einen höheren Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - dies im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X im Hinblick auf den bestandskräftigen Rentenbescheid vom 17.07.1996 - und höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen und damit - was die Rentenhöhe anbelangt - den Erlass eines Grundurteiles (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) geltend. Anderes haben weder die Beteiligten noch das SG angenommen. Entsprechend hätte das SG eine dieses Begehren erfassende sachdienliche Antragstellung anregen (§ 106 Abs. 1 SGG) und die Beklagte folgerichtig zur Gewährung höherer Rente - hinsichtlich der Erwerbsunfähigkeitsrente unter weiterer Rücknahme des Rentenbescheides vom 17.07.1996 - verurteilen müssen. Die vom SG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, die im noch streitigen Zeitraum "zurückgelegten Beitragszeiten als nachgewiesene Zeiten zu 6/6 festzustellen" stellt insoweit lediglich eine verkürzte Formulierung des prozessualen Begehrens auf Erlass eines Grundurteiles dar. Dieser prozessualen Situation trägt der Senat durch Neufassung des von der Beklagten angegriffenen Urteilstenors in der Hauptsache Rechnung.
Der Kläger hat - aus den vom SG genannten Gründen - gegen die Beklagte Anspruch auf eine weitere Rücknahme des Bescheides vom 17.07.1996 und auf Gewährung höherer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Rechtsgrundlage dieses Begehrens ist § 44 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Regelung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte, hier also vom bestandskräftigen Rentenbescheid vom 17.07.1996.
Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen allerdings längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird dabei von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bei einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den die Leistungen rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X). Dem entsprechend kann der Kläger - ausgehend von seiner im April 2004 beantragten Überprüfung - höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst ab dem 01.01.2000 verlangen, wobei diese Rente lediglich bis 31.12.2004 bewilligt war und nahtlos durch die Altersrente abgelöst wurde.
Maßgebend für die Berechnung des Monatsbetrags der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit des Klägers ist § 64 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Von Bedeutung sind dabei insbesondere die persönlichen Entgeltpunkte des Versicherten (§ 66 SGB VI). Diese werden für im Bundesgebiet zurückgelegte Beitragszeiten ermittelt. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei Vertriebenen wie dem Kläger Beitragszeiten, die bei einem nicht deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung genügt es zunächst, wenn die nach dem Gesetz erheblichen Tatsachen glaubhaft gemacht sind (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG). Allerdings werden nach § 22 Abs. 3 FRG für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die gemäß § 22 Abs. 1 FRG ermittelten Entgeltpunkte um 1/6 gekürzt. Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung ausführlich und zutreffend zum einen die Veranlassung des Gesetzgebers für die Schaffung dieser Kürzungsregelung und zum anderen auch die gerade bezogen auf Beschäftigungszeiten in R. maßgeblichen Kriterien hinsichtlich der Abgrenzung zwischen nachgewiesenen und nur glaubhaft gemachten Zeiten sowie die insoweit grundlegende Rechtsprechung des 9. Senats des Landessozialgerichts B.-W. dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe (Seites 5 bis 7) Bezug genommen. Unter Anwendung dieser Kriterien ist das SG zutreffend auf der Grundlage der Adeverintas Nr. 1976 und Nr. 131 zu der Überzeugung gelangt, dass die vom Kläger vom 19.10.1970 bis 15.06.1976 zurückgelegten Beschäftigungszeiten nachgewiesen sind. Die Adeverinta Nr. 1976 enthält monatsweise zusammengefasste Angaben zu Krankheits- und Urlaubstagen sowie zu Stunden und Überstunden. Ferner ergibt sich aus der Adeverinta Nr. 131, dass Grundlage dieser Angaben Lohn- und Gehaltslisten waren. Dies wird von der Beklagten nicht - mehr - in Frage gestellt.
Die von ihr zur Begründung der Berufung herangezogenen Gesichtspunkte geben keinen Anlass, von einer Unschlüssigkeit der Adeverinta Nr. 1976 auszugehen.
Zutreffend ist, dass die angegebenen Stunden und Überstunden bei strikter Zugrundelegung einer täglichen Arbeitszeit von zehn Stunden bei einer Sechs-Tage-Woche oder, wie vom Kläger auch dargestellt, bei Zugrundelegung einer regelmäßig geringeren Arbeitszeit an Samstagen nicht glatt auf die angegebenen Arbeitstage umgerechnet werden können. Dies stellt jedoch angesichts der Erklärung des Klägers im Erörterungstermin am 22.10.2010, dass die Arbeitszeiten auch von der Jahreszeit und vom Arbeitsanfall abhängig waren, was in der Baubranche naheliegend ist, keinen Grund dar, an der Schlüssigkeit der Adeverinta zu zweifeln. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass die vom Kläger angegebenen und in der Adeverinta Nr. 131 bestätigten regelmäßigen Arbeitszeiten tatsächlich nur als "regelmäßige" jedoch nicht als immer auf die Stunde eingehaltene Arbeitszeiten zu werten sind. Die insoweit von der Beklagten aufgezeigten rechnerischen Ungenauigkeiten sprechen alleine schon wegen der Witterungsabhängigkeit in der Baubranche vielmehr für die Qualität der Adeverinta Nr. 1976. Diese enthält ersichtlich individuelle Zahlen, die nur bei der Rückrechnung anhand nicht realistischer Bezugsgrößen - strikte 6-Tage-Woche, strikt eingehaltene "regelmäßige" Arbeitszeiten - zu vermeintlichen Ungenauigkeiten, die von der Beklagten selbst mit maximal einem Tag und damit sehr gering dargestellt werden, führen. Hier - wie es die Beklagte andeutet - zu fordern, dass die genaue Arbeitszeitverteilung auf den Tag zu dokumentieren sei, wäre - wie sich aus der vom Kläger vorgelegten Aufstellung über einen Nachfolgezeitraum ergibt (Bl. 25 ff SG-Akte) - zwar nicht unmöglich, würde jedoch die anzulegenden Beweisanforderungen überspannen.
Zweifel an der Adeverinta Nr. 1976 wegen der Eintragungen zum Erholungsurlaub sind ebenfalls nicht veranlasst. Die Beklagte weist insoweit selbst auf die Möglichkeit hin, dass der im Jahr 1974 nach der Adeverinta nicht genommene Urlaub auf andere Jahre verteilt worden sein könnte. Genau dies hat der Kläger im Erörterungstermin vom 22.10.2010 glaubwürdig bestätigt.
Erklärbar ist auch der Umstand, dass im November 1970 26 Arbeitstage bescheinigt werden, obwohl bei einer Sechs-Tag-Woche nur 25 Arbeitstage möglich sind. Denn der Kläger hat glaubwürdig angegeben, dass er zum Teil auch Sonn- und Feiertagsarbeit zu leisten hatte. Unter diesem Gesichtspunkt kann auch erklärt werden, dass im September 1975 27 Krankheitstage bei an sich nur 26 Arbeitstagen bestätigt wurden.
Zutreffend weist die Beklagte zwar darauf hin, dass im Oktober 1970 - bei Annahme einer Sechs-Tage-Woche - in der Adeverinta Nr. 1976 zwei Arbeitstage zu wenig ausgewiesen sind. Allein der Umstand, dass eine Erklärung der Angabe von zehn Arbeitstagen bei zwölf möglichen Arbeitstagen fehlt, vermag weder die Richtigkeit der Adeverinta in Zweifel zu ziehen noch ergeben sich hieraus Anhaltspunkte für deren Unschlüssigkeit, wie dies die Beklagte meint. Denn angesichts der Tatsache, dass die Adeverinta - wie dargelegt - im Übrigen gerade keine Unschlüssigkeit aufweist, kann davon ausgegangen werden, dass auch für Oktober 1970 zutreffend bescheinigt wurde. Ob die naheliegende Erklärung, dass der Kläger in seinen ersten zwei Arbeitswochen im neuen Betrieb nur fünf Tage arbeitete, zutrifft, ist daher letztlich unerheblich.
Die Kürzung der streitgegenständlichen Zeit in der ursprünglichen Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 17.07.1996 erweist sich damit als unzutreffend, mit der Folge, dass die Beklagte den Bescheid vom 17.07.1996 teilweise zurücknehmen und dem Kläger höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren hat, im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 44 SGB X - wie ausgeführt - allerdings erst ab 01.01.2000 und bis zum Ende dieses Rentenbezuges am 31.12.2004.
In Anknüpfung an diese Ausführungen steht dem Kläger für die Zeit ab 01.01.2005 auch eine höhere Altersrente, für deren Berechnung ebenfalls § 64 SGB VI einschlägig ist, zu. Insoweit ist der Bescheid vom 22.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2005 abzuändern und die Beklagte zur Gewährung höherer Altersrente für Schwerbehinderte zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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