L 9 R 2773/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 505/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2773/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Auszahlung eines dem Grunde nach anerkannten Anspruches des 1963 geborenen Klägers auf eine Halbwaisenrente aus der Versicherung seines 1967 verstorbenen Vaters, insbesondere, ob sich die Beklagte auf den Verjährungseinwand berufen darf.

Der vom Kläger mit Fax vom 01.05.1997 geltend gemachte Anspruch auf die Gewährung einer Halbwaisenrente war bereits Gegenstand einer gerichtlichen Prüfung. Die gegen den Bescheid vom 08.07.1997 und Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 06.07.1998 (welche die Gewährung der Halbwaisenrente abgelehnt hatten) gerichtete Klage wies das Sozialgericht (SG) Reutlingen mit Urteil vom 22.07.2003 (Az: S 11 RA 2159/98, nach Wiederanrufung: S 11 RA 1861/01) ab. Das SG und die Beklagte hatten zur Begründung ausgeführt, die Waisenrente werde längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt, der Kläger habe aber bereits am 10.03.1990 das 27. Lebensjahr vollendet gehabt. Gemäß § 99 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) werde Waisenrente für nicht mehr als 12 Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt werde, geleistet. Darüber hinaus hatte das SG ausgeführt, der Kläger könne nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als ob er bzw. seine Mutter bereits im Jahr 1967 bzw. vor der tatsächlichen Antragstellung einen Waisenrentenantrag gestellt hätten. Der erkennende Senat hatte mit seinem Urteil vom 06.07.2004 (Az: L 9 RA 3311/03) das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Anspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Der Senat hatte zur Begründung seiner Entscheidung festgestellt, dass es allein auf das vor dem 01.01.1992 materiell-rechtlich wirksame Recht des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ankomme und die geltend gemachten Bezugszeiten nicht vom zeitlichen Geltungsbereich des SGB VI erfasst würden. Ein Antrag für die Entstehung des Rechts und der Einzelansprüche sei nach den damals geltenden Vorschriften des AVG nicht erforderlich gewesen. Soweit die Beklagte sich auf den Eintritt der Verjährung berufe, stehe die Erhebung dieser Einrede in ihrem Ermessen, welches sie bei einer erneuten Entscheidung nachzuholen habe.

Dem lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der 1921 geborene Vater des Klägers Dr. G.-T. M. studierte nach Ableistung des militärischen Dienstes vom 02.11.1939 bis 30.09.1941 bis zur Ablegung des Physikums an der Universität F., wechselte danach an die militärärztliche Akademie B. und schloss seine Ausbildung mit Ablegung des Doktordiploms ab. In der Folgezeit war er ab dem 01.02.1945 als Assistenzarzt im Reservelazarett K. sowie an den Krankenhäusern K. und E. tätig. Vom 01.10.1949 bis 31.03.1952 war er Leitender Arzt der Inneren Abteilung des Krankenhauses E., ab 01.04.1952 Chefarzt des Krankenhauses R ... Am 14.01.1956 stellte das Regierungspräsidium Südbaden eine Bescheinigung darüber aus, dass der Vater des Klägers zwar zum Personenkreis des Artikels 131 des Grundgesetzes (GG) gehöre, aber keinen Anspruch und keine Anwartschaft auf Versorgung nach der im Gesetz zu Artikel 131 GG getroffenen Regelung habe, weil die Voraussetzung des § 53 G 131 nicht erfüllt sei. Das Original dieser Bescheinigung wurde an den Vater des Klägers, eine Durchschrift wurde an die Beklagte übersandt. Die Beklagte überprüfte und bejahte die Durchführung einer fiktiven Nachversicherung nach § 72 G 131. Aufgrund der am 08.03.1956 erfolgten Überprüfung wurde auf der Durchschrift der Bescheinigung mit Stempelaufdruck der Vermerk "Nachversicherung nach § 72 RG gilt als in der AV durchgeführt" angebracht. Die Beklagte teilte dem Vater des Klägers mit am 14.03.1956 zur Post gegebener vordruckmäßiger Bescheinigung mit, die Nachversicherung gelte als in der Angestellten-Rentenversicherung durchgeführt. Eine Bescheiderteilung über den Umfang der Zeiten der Nachversicherung erfolgte zum damaligen Zeitpunkt nicht.

Vor dem SG hatte der Kläger geltend gemacht, seine Mutter habe im Frühsommer 1967 vom Mitarbeiter der AOK R. Herrn K. M. die Auskunft erhalten, es bestünden keinerlei Rentenansprüche aus der Versicherung des Vaters, da dieser nie etwas einbezahlt habe. Sofern diese Auskunft richtig gewesen sei, hätte für die Beklagte Handlungsbedarf bei Eingang des Nachversicherungsbetrages bestanden. Sofern diese Auskunft damals falsch gewesen sei, habe sie die Anwartschaftsberechtigten zu Unrecht von der Geltendmachung ihrer Rechte abgehalten und begründe einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, wonach der Kläger so zu stellen sei, wie er stehen würde, wenn die Hinterbliebenenrente rechtzeitig beantragt worden wäre.

Die Beklagte trug vor, das Regierungspräsidium Südbaden habe am 14.01.1956 eine Bescheinigung darüber ausgestellt, dass der Vater des Klägers zum Personenkreis des Artikels 131 GG gehöre, aber keinen Anspruch und keine Anwartschaft auf Versorgung nach der im Gesetz zu Artikel 131 GG getroffenen Regelung habe, weil die Voraussetzung des § 53 G 131 nicht erfüllt sei. Als Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst vor dem 09.05.1945 seien die Zeiträume vom 02.11.1939 bis 30.09.1939 (aktive Wehrdienstpflichtzeit) und vom 01.10.1941 bis 08.05.1945 (Berufsoffizier/Oberarzt) anerkannt. Das Original der Bescheinigung sei dem Vater des Klägers zugegangen, die Beklagte habe eine Durchschrift erhalten. Daraufhin sei geprüft worden, ob eine fiktive Nachversicherung nach § 72 G 131 durchzuführen sei. Diese sei am 08.03.1956 erfolgt. Der Vater des Klägers habe in diesem Zusammenhang eine vordruckmäßige Bescheinigung der Beklagten erhalten, mit der festgestellt worden sei, dass die Nachversicherung als in der Angestellten-Rentenversicherung durchgeführt gelte. Über den Umfang der Zeiten der Nachversicherung sei zum damaligen Zeitpunkt kein Bescheid erteilt worden. Ein Nachversicherungsbetrag sei aufgrund der fiktiven Nachversicherung nicht zu zahlen gewesen. Erst im Zusammenhang mit der Kontenklärung wegen Stellung des Antrags auf Gewährung der Witwenrente sei der Umfang der fiktiven Nachversicherungszeiten festgestellt und diese in das Versichertenkonto aufgenommen worden. Danach sei der letzte Vorgang vor der Antragstellung des Klägers die Nachversicherung im Jahr 1956 gewesen. Kenntnis vom Tod des Vaters des Klägers habe die Beklagte erst bei Rentenantragstellung am 01.05.1997 erhalten. Auch sei erst im Jahr 1997 eine Versicherungsnummer vergeben worden.

Auf Anfrage des SG teilte der ehemalige Mitarbeiter der AOK R. K. M. in der schriftlichen Auskunft vom 01.02.2002 mit, die Mutter des Klägers, Frau M., sei in den 60er und 70er Jahren regelmäßig auf die Zweigstelle der AOK R. gekommen, um ihre hauswirtschaftlichen Praktikanten an- und abzumelden. Bei solch einem Besuch habe sie ihm erzählt, sie sei augenblicklich dabei, die Versicherungsunterlagen ihres verstorbenen Ehemannes Dr. G. M. zusammenzutragen. Sie wolle versuchen, eine Witwenrente zu beantragen. So fehle ihr z.B. die Zeit von Ende der 40er Jahre. Ihr Mann habe damals am Krankenhaus K. als Medizinalassistent gearbeitet. Er - Herr M. - habe ihr versprochen, bei der AOK K. telefonisch nachzufragen, ob im dortigen Archiv Unterlagen über diese Zeit vorlägen. Der dortige Sachbearbeiter habe ihm mitgeteilt, es sei nichts aufzufinden. Dieses Ergebnis habe er an Frau M. telefonisch weitergegeben und sie darauf aufmerksam gemacht, doch einmal bei der Krankenhausverwaltung K. in dieser Sache anzufragen.

Das SG hat weiter die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Diese gab an, sie könne nicht mehr genau sagen, ob sie die AOK R. extra wegen der Rente aufgesucht habe. In den Unterlagen ihres Mannes habe sie eine Bescheinigung über Zeiten nach G 131 nicht gefunden. Was genau über die Rente mit Herrn M. gesprochen worden sei, könne sie nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Auf die nach Verkündung des Urteils des Senats vom 06.07.2004 von der Beklagten veranlasste Anfrage teilte der Kläger mit, dass ihm im März 1981 bei Vollendung des 18. Lebensjahres durchaus aufgefallen sei, dass Mitschüler in derselben Situation eine Halbwaisenrente bezogen hätten. Seine Mutter habe entsprechende Fragen ihm gegenüber immer mit der Auskunft beschieden, ihr sei nach dem Tod des Vaters mitgeteilt worden, es bestünden keine Anrechte. Erst kurz vor dem 30. Todestag des Vaters sei er zu der Erkenntnis gelangt, dass die offenen Fragen nur über ein geordnetes Verwaltungsverfahren geklärt werden könnten. Er habe von Mai 1967 bis März 1990 über keine regelmäßigen Einkünfte verfügt, erinnerlich seien ihm lediglich Ferienjobs 1979, 1981 und 1982. Bis zum Abitur im Juni 1982 und während seines Studiums der Humanmedizin von September 1982 bis Oktober 1990 habe seine Mutter für seinen Unterhalt gesorgt.

Mit Bescheid vom 28.02.2005 erklärte die Beklagte, dem Grunde nach einen Anspruch auf Halbwaisenrente nach dem AVG anzuerkennen. Ein Anspruch auf Nachzahlung sei jedoch nicht entstanden, weil der Anspruch nach § 45 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verjährt sei. Sinn und Zweck der Verjährung sei, dass Leistungsanträge binnen angemessener Frist gestellt würden, um Rechtsfrieden und eine Überschaubarkeit der öffentlichen Kassen herbeizuführen. Eine Halbwaisenrente habe den sozialpolitischen Zweck, eine laufende Unterhaltsicherung zu bewirken. Durch die Bewilligung von Halbwaisenrente solle bei Tod des Versicherten ein wirtschaftlicher Notstand behoben werden. Ein Nachzahlungsanspruch bestünde längstens bis März 1988. Eine laufende Unterhaltsleistung sei damit nicht mehr gegeben, der sozialpolitische Zweck nicht mehr erfüllt. Der Kläger habe bis 1990 Humanmedizin studiert und erziele nunmehr Einkünfte, die aus seiner Ausbildung resultierten. Während des Schulbesuchs habe er zuhause gewohnt und auch später sei der Unterhalt von seiner Mutter übernommen worden. Über einen jetzt vorliegenden wirtschaftlichen Notstand klage der Kläger nicht. Es sei deshalb anzunehmen, dass für die Zeit bis März 1998 als auch jetzt der Unterhalt gesichert gewesen sei. Damit sei weder eine grobe Unbilligkeit noch eine besondere Härte festzustellen. Die Erhebung der Einrede sei auch nicht unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeschlossen. Eine Vereitelung des Rechts aufgrund einer Rechtsverletzung durch die Beklagte liege nicht vor. Vielmehr habe das SG Reutlingen einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ausdrücklich verneint.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2006 zurück. Hiergegen richtete sich die am 09.02.2006 beim SG Reutlingen erhobene Klage.

Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte berufe sich zu Unrecht auf die Verjährung. Ein ausdrücklich gestellter Antrag sei nur deshalb unterblieben, weil die Mutter des Klägers seinerzeit eine falsche Auskunft erhalten habe. Diese falsche Auskunft des Herrn M. sei der Beklagten zuzurechnen, weswegen sie sich bei Ausübung ordnungsgemäßen Ermessens nicht auf Verjährung zu seinen Lasten berufen könne. Hätte die Mutter damals nur eine Postkarte an die BfA geschrieben, wäre es zu einem Verwaltungsverfahren, damit zur Klärung und zur Zahlung der Rente gekommen. Dass dies unterblieb, sei allein auf die gegebene falsche Auskunft zurückzuführen. Der Bescheid befasse sich im Wesentlichen nur mit der Frage, ob durch den Verjährungseinwand eine jetzige Notsituation verursacht werde. Mit der Frage, inwieweit damals eine solche verursacht worden sei, befasse sich der Bescheid hingegen nicht.

Die Beklagte hat daran festgehalten, dass eine unrichtige Auskunft seitens der Beklagten bzw. der AOK R. nicht nachgewiesen sei.

Mit Urteil vom 14.05.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Erhebung der Einrede der Verjährung sei nicht ermessensfehlerhaft. Bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung komme dem Gericht nur eine Rechtskontrolle nicht auch eine Zweckmäßigkeitsprüfung zu. Damit habe es nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder unterschritten seien, ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei und ob der Kläger durch Ermessensfehler beschwert sei. Der Kläger sei durch Ermessensfehler jedoch nicht beschwert. Unter Verweis auf seine Entscheidung vom 22.07.2003 hat es dargelegt, dass eine Beratungspflichtverletzung oder das Unterlassen einer sich aufdrängenden gebotenen Beratung durch einen Mitarbeiter der AOK nicht vorgelegen habe. Ein dringender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf habe sich bei der Vorsprache der Mutter des Klägers bei der AOK nicht ergeben. Die Beklagte habe darüber hinaus die frühere und heutige wirtschaftliche Situation des Klägers in ihre Ermessensentscheidung mit einbezogen und eine besondere Härte oder eine grobe Unbilligkeit nicht festgestellt. Es ergäben sich keine Hinweise, dass missbräuchlich oder ermessensfehlerhaft entschieden worden sei.

Gegen das dem Kläger am 29.05.2008 zugestellte Urteil hat er am 04.06.2008 Berufung eingelegt. Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrages hält er daran fest, der Verjährungseinwand dürfe nicht erhoben werden. Denn es stehe fest, dass die Auskunft des Beauftragten der Einzugsstelle falsch gewesen sei. Es würde dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, wenn der Bürger sich ohne der Möglichkeit der Gegenwehr dem Verjährungseinwand ausgesetzt sehen müsste, wenn sich erst nach Jahren herausstelle, dass eine im Gefahrenkreis des Sozialleistungsträgers gegebene Auskunft materiell falsch gewesen sei. Darüber hinaus habe eine unbillige Härte vorgelegen. Davon sei im Allgemeinen dann auszugehen, wenn die Geltendmachung eines berechtigten Anspruches zu Unrecht deshalb nicht erfolgt sei, weil sie auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln beruhte. Unabhängig von der materiellen Unrichtigkeit der gegebenen Auskunft sei diese auch unvollständig gewesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Mai 2008 abzuändern und den Bescheid vom 28. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 03. Mai 1967 Halbwaisenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an der von ihr vertretenen Rechtsauffassung fest.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Akten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Mit dem angefochtenen Bescheiden stellte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung einer Halbwaisenrente fest, lehnte aber unter Erhebung der Einrede der Verjährung den sich bis März 1988 ergebenden Zahlungsanspruch ab. Gegen die Erhebung des Verjährungseinwandes richten sich Klage und Berufung des Klägers. Sie sind unbegründet, der Beklagten ist es aus Rechtsgründen nicht verwehrt, sich auf die Einrede zu berufen und ein Leistungsverweigerungsrecht geltend zu machen.

Ansprüche auf Sozialleistungen verjähren gemäß § 45 Abs. 1 SGB I in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind. Der letzte Zahlungsanspruch im März 1988 war damit mit Ablauf des 31.12.1992 verjährt. Anhaltspunkte dafür, dass vor Einleitung des Verwaltungsverfahrens mit dem Fax des Klägers vom 01.05.1997 eine Hemmung oder Unterbrechung/Neubeginn (§ 45 Abs. 2 SGB I iVm den §§ 194 ff Bürgerliches Gesetzbuch und § 45 Abs. 3 SGB I) eingetreten wäre, sind nicht ersichtlich. Für den Beginn der Verjährung kommt es weder auf die Kenntnis des Klägers vom Rentenanspruch noch auf die Antragstellung an (vgl. BSG, Urteil v. 22.10.1996, Az: 13 RJ 17/96 in Juris).

Die Erhebung der Einrede selbst stellt auch nicht schon eine von vornherein unzulässige Rechtsausübung, also insbesondere einen Verstoß gegen Treu und Glauben dar. Eine solcher Ausschluss kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Pflichtverletzung aus dem Verhalten der Beklagten selbst ergibt und nicht aus dem Verhalten Dritter. Darüber hinaus müsste es sich um eine besonders krasse Pflichtverletzung handeln (vgl. hierzu BSG a.a.O. Rz 31, zit. nach Juris, m.w.N.). Eine solche Pflichtverletzung der Beklagten selbst ist insoweit aber weder ersichtlich noch vom Kläger behauptet worden.

Die damit grundsätzlich zulässige Erhebung der Einrede setzt regelmäßig die Ausübung von Ermessen voraus. Dieses Ermessen hat die Beklagte am Zweck der Ermächtigung orientiert ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten. Denn zutreffend hat sie den Zweck der Verjährungsregelung darin gesehen, dass unvorhergesehene Belastungen der Sozialversicherung durch Nachzahlungen für weit zurückliegende Zeiträume vermieden werden und Renten im Wesentlichen dem laufenden Unterhalt dienen sollen. Im Rahmen der anzustellenden Rechts- nicht auch Zweckmäßigkeitskontrolle der Gerichte (vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 54 Rz 28ff.) ist nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte hierzu ausführt, eine laufende Unterhaltsleistung könne mit einer Entscheidung zugunsten des Klägers nicht mehr erreicht werden. Sie überschreitet die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens auch nicht, wenn sie darin weder eine besondere Härte sieht noch von einer groben Unbilligkeit ausgeht. Eine besondere Härte ist etwa dann anzunehmen, wenn die Verjährungseinrede bei dem Betroffenen einen wirtschaftlichen Notstand auslöst oder den durch die verweigerten Zahlungen entstandenen Notstand aufrecht erhält. Für beides ist vorliegend nichts ersichtlich oder vorgetragen. Gleiches gilt für die vom Kläger behauptete grobe Unbilligkeit im Hinblick auf eine Falsch- oder auch nur unzureichende Auskunft des Mitarbeiters der AOK R. M ... Eine Falschauskunft, die sich die Beklagte zurechnen lassen müsste, ist bereits nicht nachgewiesen. Eine Auskunft dergestalt, dass ein Rentenanspruch nicht besteht oder die Mutter des Klägers von einer Rentenantragstellung absehen könne oder solle, weil die Recherchen rentenrechtliche Zeiten nicht nachgewiesen hätten, hat auch die vom SG als Zeugin vernommene Mutter des Klägers nicht behauptet. Ferner bleibt offen, ob die Mutter tatsächlich um eine Beratung wegen eines Rentenanspruches nachgesucht hat oder nur die Unterstützung bei der Erforschung des Sachverhaltes in Anspruch nehmen wollte. Ihre Aussagen lassen Letzteres vermuten, wenn sie ausführt, sie habe keinen Rentenantrag gestellt, weil Herr M. ihr sagte, dass nichts einbezahlt sei und sie sich schon überlegt habe zum Rentenversicherungsträger zu gehen, aber nachdem sie keine Grundlage dafür gehabt habe, gedacht habe, es mache keinen Sinn. Insoweit ist weder eine Falschberatung noch eine sich unmittelbar auf eine Empfehlung oder Äußerung des Herrn M. beruhende Kausalität ersichtlich, die die Zeugin von einer Antragstellung abgehalten haben könnte. Vielmehr kam sie wohl selbst zu der Erkenntnis - ohne hierfür kompetenten Rat einzuholen -, ein Rentenantrag lohne sich nicht. Dass die Zeugin um eine Beratung nachgesucht hat, ob etwa eine Rentenantragstellung sinnvoll sein könnte oder nicht, hat die Zeugin weder behauptet, noch ergibt sich solches aus den schriftlichen Angaben des Herrn M ...

Sofern der Kläger auf eine nicht erfolgte Beratung hinweist und insoweit geltend macht, Herr M. hätte die Mutter auf eine Rentenantragstellung zur Klärung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen hinweisen müssen, ergibt sich hieraus nichts anderes. Die Zurechnung der Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers wird von der Rechtsprechung ausnahmsweise dann bejaht, wenn sich aufgrund eines konkreten Verwaltungskontakts zwischen dem Bürger und einem Leistungsträger für diesen erkennbar ein zwingender sozialrechtlicher Beratungsbedarf in einer gewichtigen Frage für einen Leistungsbereich außerhalb seiner eigenen Zuständigkeit ergibt. Die Pflicht, dem Bürger nahezulegen, sich (auch) von dem RV-Träger beraten zu lassen, besteht für den aktuell angegangenen Leistungsträger auch ohne ein entsprechendes Beratungsbegehren dann, wenn anlässlich eines Kontakts des Bürgers mit einem anderen Versicherungsträger für diesen ein zwingender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf ersichtlich wird. Eine solche Spontanberatungspflicht eines Leistungsträgers, der kein RV-Träger ist, in einer rentenversicherungsrechtlichen Angelegenheit kommt aber nur dann in Betracht, wenn die in dem konkreten Verwaltungskontakt zu Tage tretenden Umstände insoweit eindeutig ("glasklar") sind, dh ohne weitere Ermittlungen einen dringenden rentenversicherungsrechtlichen Beratungsbedarf erkennen lassen (vgl. das zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergangene Urteil des BSG, 06.05.2010 - B 13 R 44/09 R, in Juris). Ein solch dringender Beratungsbedarf war auf Seiten des Mitarbeiters der AOK R. aber nach Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Informationen nicht zu erkennen. Denn der Zeugin ging es um eine Hilfestellung bei der Ermittlung rentenrechtlicher Zeiten, über die Möglichkeit, einen Rentenantrag zu stellen war sie offenkundig informiert. Sie hat nicht erkennen lassen, dass sie von einer Antragstellung Abstand nehmen wird, wenn sie die aus ihrer Sicht notwendigen Unterlagen nicht zusammen bekomme. Rentenrechtliche Zeiten waren aufgrund der nicht erfolgten bescheidmäßigen Umsetzung nicht festgestellt, von der Nachversicherung hatten offenbar weder die Mutter des Klägers noch der Mitarbeiter der AOK Kenntnis. So endete der Kontakt zwischen M. und der Zeugin nach dessen Angaben auch mit dem Hinweis, die Mutter des Klägers solle sich noch an die Krankenhausverwaltung wenden.

Von einer groben Unbilligkeit wäre aber selbst dann nicht auszugehen, wenn man von einer entsprechenden Hinweispflicht des Mitarbeiters der AOK R. ausgehen wollte und sich die Beklagte diese zurechnen lassen müsste. Die Erhebung der Einrede der Verjährung scheidet nicht schon dann aus, wenn ein solches nachgewiesen wäre (vgl. hierzu die Rechtsprechung des BSG Urteil v. 23.10.1975, 11 RA 152/74, in Juris zur groben Unbilligkeit einer Berufung auf Verjährung nach einer Falschauskunft des Sozialamtes mit Rechtsprechungsverweisen zu Falschauskünften der Ortsbehörde und des Versicherungsamtes). Es verbleibt vielmehr bei der grundsätzlich von der Beklagten nach pflichtgemäßer Ermessensausübung zu treffenden Entscheidung, ob sie die Leistung verweigern oder unter Verzicht auf die Verjährungseinrede den Anspruch erfüllen will. Rechtsfehler sind unter den von der Beklagten angestellten Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten insoweit nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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