L 11 R 3243/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1484/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3243/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die am 19. Dezember 1959 geborene Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben keinen Beruf erlernt und hat überwiegend als Verkäuferin gearbeitet. Nach Zeiten von Arbeitslosigkeit arbeitet sie nunmehr seit September 2009 vier Stunden pro Tag als Verkäuferin an der Wursttheke bei der Firma E ... Der Vertrag ist bis Februar 2011 befristet. Die Einsatzzeiten sind flexibel (zwischen 11.00 und 17.00 Uhr). Seit März 2010 ist sie arbeitsunfähig erkrankt (schwere Prellung des rechten Mittelfingers). Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt.

Am 2. Dezember 2002 beantragte die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) erstmals Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide seit dem 4. April 2000 an einem Wirbelsäulenleiden, an Osteoporose, an Gonarthrose und an einem Zustand nach Ohrspeicheldrüsentumor. Im Juni 2003 wurde die Klägerin an der Universitätsklinik T. an der Halswirbelsäule operiert (Fusion C 4/5 und C 5/6 mit Bandscheibenplatzhaltern). Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin fachärztlich begutachten. Arzt für Orthopädie Dr. R. gelangte in seinem Gutachten vom 21. August 2003 zu der Einschätzung, die Klägerin könne als Montagearbeiterin nur noch unter drei Stunden arbeiten; leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könne sie unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2004).

Vom 11. Oktober bis 15. November 2005 nahm die Klägerin an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in S. B. teil. Facharzt für Orthopädie Dr. W. gelangte im Entlassungsbericht vom 28. November 2005 (Diagnosen: Rezidivierende Cervikobrachialgien nach Bandscheiben-OP C 4/C 5 und C 5/C 6 mit Cage-Einlagen, Anpassungsstörungen mit längerer depressiver Reaktion, Lumboischialgie, femoropatellare Symptomatik rechtes Kniegelenk und Impingement-Syndrom der linken Schulter) zu der Einschätzung, die Klägerin könne als Verkäuferin nur noch drei bis unter sechs Stunden arbeiten, leichte Tätigkeiten könne sie jedoch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich verrichten.

Am 28. März 2006 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie leide seit 2001 an einem Schaden der HWS, der sich trotz Operation zunehmend verschlechtere. Sie könne höchstens vier Stunden täglich arbeiten. Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des Dr. R. vom 27. Juni 2006 ein. Dieser gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Zustand nach ACIF C 4/5 und C 5/6 sowie Dekompression C 5/6 mit Cage-Einlage, Zustand nach NPP C 5/6 und C 4/5. Für ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Verkäuferin bestehe ein qualitatives Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe jedoch ein vollschichtiges Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit. Zu vermeiden seien anhaltende Arbeiten über Kopf sowie besondere Beanspruchungen der Rotationsfähigkeit. Mit Bescheid vom 10. Juli 2006 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Es liege daher weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bzw Berufsunfähigkeit vor.

Mit ihrem Widerspruch vom 9. August 2006 machte die Klägerin geltend, die Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2005 habe nicht zu einer Besserung des Gesundheitszustandes geführt. Ihre Beschwerden hätten sich seither verschlechtert, sodass sie auf Empfehlung ihrer behandelnden Ärzte einen erneuten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gestellt habe. Sie leide aber nicht nur unter orthopädischen Beschwerden, sondern vielmehr auch unter psychiatrischen. Schließlich nehme sie aufgrund der ständig vorhandenen Schmerzen Morphium und andere schmerzstillende Medikamente ein. Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dipl. med. G. vom 13. Dezember 2006 ein. Dieser gelangte für die Klägerin zu folgenden Diagnosen: Restbeschwerden nach Operation (März 2003) eines cervikalen Bandscheibenvorfalls, Anpassungsstörung im Rahmen der Sorge um den alkoholgefährdeten Sohn, jahrelanger, sich bis zur Abhängigkeit steigernder Schmerzmittelgebrauch, Ausschluss einer somatoformen Schmerzstörung, Nikotinismus und weiterhin ungeklärte Leberwertstörung. Aus nervenärztlicher Sicht sei die Klägerin in der Lage, ihre Tätigkeit als Verkäuferin sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Zu vermeiden seien überwiegend einseitige Körperhaltungen, häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von schweren Lasten sowie Tätigkeiten mit einer Belastung durch Zugluft und Kälte. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin sodann als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 15. März 2007). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zuzumuten. Als angelernte Arbeiterin des unteren Bereichs könne sie auch auf sämtliche angelernten ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden, sodass sie auch nicht berufsunfähig sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. April 2007 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und vorgetragen, sie führe überobligationsmäßig derzeit eine Berufstätigkeit von ca vier Stunden täglich durch, obwohl sie gesundheitlich hierzu nicht in der Lage sei. Sie könne deshalb auch nicht eine Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mehr als drei Stunden verrichten. Ihre Belastbarkeit sei insbesondere aufgrund der Wirbelsäulensyndrome mit erheblicher Funktionsbeeinträchtigung der HWS eingeschränkt. Ferner bestünden Schmerzen im Bereich des Schultergürtels und der Kniegelenke. Schließlich bestehe auch aus psychotherapeutischer Sicht eine Leistungseinschränkung. Massive Einnahme von Medikamenten hätten nur wenig Erfolg, wobei im Übrigen als Nebenwirkung eine Leberschädigung eingetreten sei.

Zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen.

Facharzt für Allgemeinmedizin W. hat mitgeteilt (Auskunft vom 25. Juni 2007), die bei ihm begonnene Therapie sei schon nach der vierten Sitzung von Seiten der Klägerin abgebrochen worden. Aufgrund der orthopädischen Befunde und des chronischen Schmerzsyndroms mit depressiver Anpassungsstörung bestünden erhebliche Bedenken, ob die Klägerin noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S. hat ausgeführt (Auskunft vom 30. Juni 2007), trotz der Behandlung der orthopädischen Beschwerden sei keine Besserung eingetreten. Die Beschwerden hätten sich eher verstärkt. Aufgrund der langwährenden Schmerzsymptomatik halte er die Klägerin für nicht in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Das SG hat im Anschluss daran das Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. M. vom 31. Juli 2007 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, auf dem Fachgebiet der Allgemein-Inneren-Medizin lägen keine massiveren Vorerkrankungen vor. Eine entzündliche rheumatische Erkrankung lasse sich nicht attestieren. Jedoch liege eine chronische Schmerzerkrankung vor, die einer klassisch somatisch betonten Form einer Fibromyalgie entspreche. Aus der Grundlagenforschung im Bereich der Schmerzforschung sei bekannt, dass sich ein Schmerzgedächtnis entwickle, mit Konzentrations- und Merkfähigkeitsbeeinträchtigungen. All dies treffe auch bei der Klägerin zu. Er sehe auch die depressive Symptomatik in diesem Zusammenhang. Es bestünden daher zahlreiche qualitative Leistungseinschränkungen. Es seien insgesamt nur noch körperlich leichte Tätigkeiten möglich. Die Klägerin müsse gleichförmige Körperhaltungen vermeiden, dh auch Akkord- und Fließbandarbeiten. Die Gebrauchsfähigkeit des linken Armes sei beeinträchtigt für alle Funktionen wie Greifen, Schreiben etc. Auch Kälte-, Nässe- und Zugluftreize müssten vermieden werden. Des Weiteren sei die massive Medikamentenbelastung mit WHO-Stufe-3-Analgetik zu beachten, die extrem müde mache. Die Klägerin sei noch in der Lage, mindestens vier Stunden, jedoch weniger als sechs Stunden täglich zu arbeiten. Der Grund für die zeitliche Leistungseinschränkung bestehe in der Massivität der Schmerzerkrankung und der Tatsache, dass mit WHO-Stufe-3-Analgetika doch Medikamente eingenommen würden, die gerade im Bereich leichter körperlicher Tätigkeiten die Konzentrationsfähigkeit und -leistung über längere Zeiträume massiv beeinträchtigten.

Für die Beklagte hat Fachärztin für Chirurgie Dr. L. am 15. Oktober 2007 Stellung genommen und ua dargelegt, die Schlussfolgerungen bezüglich der Einschränkung im Hinblick auf Konzentrations- oder Gedächtnisleistungen seien weder anamnestisch erkennbar noch durch entsprechende Befunde belegt. Das Gutachten weise erhebliche Mängel in der Anamnese und der Befunderhebung auf, sodass die Leistungsbeurteilung nicht nachvollziehbar sei. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. November 2007 hat Dr. M. hierzu Stellung genommen, woraufhin die Beklagte die Stellungnahme der Dr. L. vom 17. Januar 2008 vorgelegt hat.

Das SG hat sodann nochmals Dr. S. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat mitgeteilt (Auskunft vom 30. März 2008), die Schmerzsymptomatik nehme zu und breite sich auch auf andere Körperregionen aus, verbunden mit einem zunehmenden depressiven Verstimmungszustand.

Das SG hat sodann das Gutachten des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. vom 27. Januar 2009 eingeholt. Dieser hat zu den Hobbys der Klägerin festgehalten, dass diese gern lese, schwimmen gehe (zweimal in der Woche) und immer wieder auch das Fitness-Studio besuche. Sie habe dort einen Rückenkurs absolviert. Ihren Fitness-Studio-Jahresvertrag habe sie kündigen müssen, da sie sich dies nicht mehr habe leisten könne. Sie gehe auch gemeinsam mit ihrem Ehemann spazieren. Sie habe sich in der letzten Zeit bei verschiedenen Arbeitgebern beworben, jedoch jeweils Absagen erhalten. Der Medikamenten-Blutspiegel für zwei Antidepressiva habe ergeben, dass die Werte eindeutig unterhalb des therapeutisch empfohlenen Bereichs gelegen hätten. Es sei daher wahrscheinlich, dass die Klägerin die empfohlenen Medikamente nicht regelmäßig einnehme. Die Klägerin leide an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Sie könne daher nur noch leichte körperliche Arbeiten durchführen, die nicht unter besonderem Zeitdruck und in monotonen Haltungen durchgeführt werden sollten. Bezüglich qualitativer Einbußen seien orthopädische Gesichtspunkte entscheidender als nervenärztliche. Trotz der anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen, deren Schwergrad mittelgradig sei, könnten leichte körperliche Arbeiten noch wenigstens sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Das Krankheitsbild sei nicht so schwerwiegend, dass es zu einer gedanklichen Einengung oder höhergradigen depressiven Erkrankung geführt habe, aufgrund derer eine quantitative Minderung der Erwerbstätigkeit bestehe. Dr. M. habe seine Leistungseinschätzung aus internistisch-rheumatologischer Sicht begründet. Dem wolle er aus psychiatrischem Blickwinkel nichts hinzufügen, wenngleich sich die Diagnose "somatoforme Schmerzstörung" und "Fibromyalgie" seines Erachtens sehr weit überlappten. Anders als Dr. L. halte er das Gutachten des Dr. M. jedoch für sorgfältig erstellt und in sich schlüssig.

Mit Urteil vom 18. Juni 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert, da sie doch mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten könne. Dies ergebe sich aus der Gesamtwürdigung des im Gerichtsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachtens des Dr. D. und des im Verwaltungsverfahren eingeholten fachorthopädischen Gutachtens von Dr. R. sowie des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dipl. med. G ... Die Gesundheitsstörungen der Klägerin führten lediglich zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Im Vordergrund der Beschwerden stünden die Einschränkungen aufgrund der Schmerzerkrankung. Für die Beurteilung des Leistungsvermögens stelle jedoch nicht die Diagnose das wesentliche Kriterium dar, maßgeblich seien vielmehr die vorliegenden Funktionseinschränkungen. Hierbei sage das subjektive Empfinden von Schmerzen im Bereich des Bindegewebes und der Muskeln nichts über den Umfang der tatsächlichen Beeinträchtigungen aus. Bei der sozialmedizinischen Beurteilung von somatoformen Schmerzstörungen sei vielmehr auf die vorhandenen psychopathologischen Auffälligkeiten des Erkrankten abzustellen. Nach dem Gutachten des Dr. D. könnten solche Auffälligkeiten nicht festgestellt werden. Der von der Klägerin geschilderte Tagesablauf, einschließlich ihrer angegebenen Aktivitäten im privaten Bereich und bezüglich der Hobbys, scheine hinreichend strukturiert. Auch bei der Untersuchung durch Dipl. med. G. habe sich die Klägerin als ausgeglichen, kontrolliert und agil dargestellt. Der Leistungseinschätzung des Dr. M. sei hingegen nicht zu folgen. Er habe bei seiner Beurteilung allgemeine Aussagen, nämlich dass Gedächtnisleistungen und Konzentrationsleistungen von Fibromyalgiepatienten schlechter seien als von gesunden Gleichaltrigen, herangezogen, ohne auf die konkreten Verhältnisse im vorliegenden Einzelfall einzugehen. Schließlich habe auch der von Dr. D. durchgeführte Aufmerksamkeits- und Belastungs-Test ergeben, dass die erzielten Ergebnisse im Normbereich gelegen hätten. Vor diesem Hintergrund könnten auch die Einschätzungen der behandelnden Ärzte nicht überzeugen. Als angelernte Verkäuferin könne die Klägerin auf Tätigkeiten in Arbeitsfeldern des Verpackens von Kleinteilen, Sortierens, Etikettierens oder Montierens bzw auf eine Tätigkeit einer Nebenpforte verwiesen werden. Derartige Tätigkeiten seien ihr auch gesundheitlich zumutbar. Sie habe daher auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Hiergegen richtet sich die am 17. Juli 2009 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung, mit der die Klägerin geltend macht, ihre behandelnden Ärzte hätten nachvollziehbar dargelegt, dass sie nicht mehr sechs Stunden arbeiten könne. Schließlich nehme sie Morphium und andere schmerzstillende Medikamente ein. Das SG hätte die Feststellungen im psychiatrischen Gutachten des Dr. D. nicht gegen die Feststellungen im schmerztherapeutischen Gutachten des Dr. M. verwenden dürfen. Schließlich habe Dr. D. dem Schmerzgutachter auch nicht widersprochen, wenn dieser höhergradige Einschränkungen sehe. Zudem habe Dr. D. hervorgehoben, dass bezüglich der qualitativen Einbußen orthopädische und schmerztherapeutische Gesichtspunkte entscheidender seien als nervenärztliche. Auch habe das SG nicht berücksichtigt, dass sie überobligationsmäßig versucht habe, zeitlich befristet einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen. Ihre letzte Teilzeitarbeitsstelle habe sie aber aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsausfälle wieder verloren. Sie könne daher auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten. Auch habe sich ihr Gesundheitszustand mittlerweile weiter verschlechtert. Diesbezüglich hat die Klägerin den Arztbrief des Radiologen Dr. E. vom 30. Oktober 2009 vorgelegt, wonach eine altersinadäquate Artereosklerose bestehe, jedoch eine rechtsseitige Wurzelkompression nicht gesehen worden sei. Die Klägerin hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass sie am 13. März 2010 einen Arbeitsunfall (schwere Prellung des rechten Mittelfingers) erlitten habe. Sie hat diesbezüglich die ärztliche Bescheinigung des Chirurgen Dr. R. vom 4. Mai 2010 vorgelegt. Danach habe sich die Klägerin am 13. März 2010 eine schwere Prellung des rechten Mittelfingers zugezogen; eine Fraktur habe aber nicht festgestellt werden können. Es werde vermutet, dass ein "Complex Regional Pain Syndrom" (CRPS) vorliege. Man habe deshalb eine schmerztherapeutische Behandlung eingeleitet. Die Klägerin hat des Weiteren darauf hingewiesen, dass sie wegen der Handverletzung vom 29. Juni bis 2. August 2010 stationär in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (im Folgenden BG-Klinik) behandelt worden sei. Ein Wiedereingliederungsversuch sei gescheitert. Sie hat diesbezüglich die Bescheinigung des E.-Marktes R. vom 7. September 2010 vorgelegt, wonach die Belastungserprobung ergeben habe, dass die erkrankte Hand nach zwei Stunden sehr stark angeschwollen sei, sodass die Tätigkeit nicht drei Stunden habe verrichtet werden können. Die Klägerin sei zur Zeit nicht arbeitsfähig. Die Klägerin hat des Weiteren den vorläufigen Entlassungsbericht der BG-Klinik (ohne Datum; Blatt 110 der LSG-Akte) vorgelegt, wonach sie vom 11. bis 29. Oktober 2010 wegen eines Zustandes nach CRPS behandelt worden sei. Es wurde die Vorstellung in der "Psychosomatik T." sowie die Durchführung von Ergotherapie und Krankengymnastik vorgeschlagen. Die Arbeitsfähigkeit werde wieder am 31. Dezember 2010 bestehen. Die Klägerin hat zudem die Bescheinigung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. vom 13. Dezember 2010 vorgelegt, wonach sie (die Klägerin) seit dem 2. Dezember 2010 stationär behandelt werde. Als Hauptdiagnose wurde angegeben: anhaltende somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende Depression, gegenwärtig mittelgradige Episode.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Juni 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. März 2006 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das internistische Gutachten des Dr. S. sowie das nervenärztliche Zusatzgutachten des Dr. S. eingeholt. Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. hat in seinem Gutachten festgehalten, dass die Klägerin zuletzt wegen Grippe im Herbst 2009 über eine Woche krankgeschrieben gewesen sei. Zum Tagesablauf habe die Klägerin angegeben, sie arbeite vormittags bzw nachmittags je nach ihrem Schichtplan. Im Haushalt helfe ihr Ehemann mit. Sie lese und sehe auch fern. Sie habe auch einen Bekanntenkreis und mehrere Haustiere (Katze, Aquarium und zwei Vögel). Schwimmen und Stricken könne sie jedoch jetzt nicht mehr. Eine organisch-neurologische Erkrankung, welche zu den geklagten wirbelsäulenbezogenen Beschwerden korreliere, liege nicht vor. Die Angaben über Beschwerden im HWS-Bereich seien ebenfalls nicht mit eindeutigen neurologischen Ausfällen vergesellschaftet. Die durchaus glaubhaft geschilderten Beschwerden seien nicht auf einen organneurologischen Befund zurückführbar. Hinweise auf kognitive Störungen im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms hätten nicht vorgelegen. Das Auffassungs-, Konzentrations-, Merk- und Umstellungsvermögen seien regelrecht erhalten, eine "Verhangenheit", eine Minderung der Attenz und Vigilanz, wie sie ua bei erhöhtem Analgetikakonsum, insbesondere mit Opiaten, auftreten könne, sei während des Untersuchungsablaufs nicht zu beobachten gewesen. Insgesamt hätten sich auch aktuell keine Hinweise auf eine belangvolle Depression gefunden. Lediglich einzelne Symptome könnten in Richtung einer depressiven Störung gewertet werden. Die Symptomatik sei allerdings nicht so gravierend ausgeprägt, dass hieraus eine zeitliche Einschränkung der Arbeitszeit auf weniger als sechs Stunden täglich abgeleitet werden könne. Die Klägerin leide mithin an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Sie könne zumindest leichte Arbeiten noch sechs Stunden und länger an fünf Wochentagen verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit erheblich überdurchschnittlichen, das arbeitsmarktübliche Ausmaß übersteigende Stressbelastungen. Er schätze diesbezüglich das Leistungsvermögen im Gegensatz zu Dr. M. unterschiedlich ein, zumal dieser die rein schmerztherapeutischen Aspekte gravierender eingeschätzt habe, als sie nervenärztlich festzustellen sein. Dr. S. hat zum Tagesablauf festgehalten, dass die Klägerin täglich 35 km mit dem PKW oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklege, um zur Arbeit zu gelangen. Die Klägerin leide an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, an einem Schmerzsyndrom ohne Anhalt für entzündliche Komponenten, an rezidivierenden Cervikobrachialgien nach Bandscheibenoperation C 4/C 5 und C 5/6 mit Cage-Einlagen und an zeitweisen Lumboischialgien. Sie könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichten, wenn sie nicht mit Überkopfarbeiten, Zwangshaltung der Wirbelsäule und häufigem Knien, Bücken oder Hocken verbunden seien. Sie sei daher noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich. Die zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens durch Dr. M. könne nicht nachvollzogen werden. Diese basiere vor allem auf einer theoretischen Ableitung, ohne ausreichende Würdigung der konkreten Gegebenheiten.

Der Senat hat darüber hinaus Facharzt für Chirurgie Dr. S. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Dieser hat ausgeführt (Auskunft vom 26. Mai 2010), die Klägerin sei im März und April 2010 wegen Verdachts auf Vorliegen eines CRPS untersucht und behandelt worden. Im Behandlungsverlauf sei eine Verschlimmerung der Beschwerden aufgetreten. Zuletzt habe sich die Symptomatik jedoch wieder leicht gebessert. Die Klägerin sei seit dem 13. März 2010 bis auf Weiteres arbeitsunfähig. Mittelfristig sei jedoch davon auszugehen, dass die Handverletzung rechts nicht zu einer dauerhaften schweren Beeinträchtigung führen werde, sodass der Ausübung einer leichten Tätigkeit, bezogen auf die Handverletzung rechts, nichts im Wege stehe.

Der Senat hat darüber hinaus den Entlassungsbericht des Prof. Dr. S. vom 5. August 2010 beigezogen, wonach sich die Klägerin vom 29. Juni bis 2. August 2010 wegen einer dystrophen Bewegungseinschränkung in der rechten Hand nach Quetschverletzung in stationärer Behandlung befunden habe. Danach sei unter der Therapie eine gute Bewegungsverbesserung sowie ein deutlicher Rückgang der Schmerzen im rechten Handgelenk eingetreten. Es habe sich auch ein Rückgang des CRPS gezeigt. Durch eine tägliche Beübung sowie durch den täglichen Einsatz im Alltag sowie am Arbeitsplatz werde sich die Beweglichkeit voraussichtlich weiter verbessern. Es werde daher empfohlen, die rechte Hand im Alltag und am Arbeitsplatz zur regelmäßigen Beübung einzusetzen, vorerst im Rahmen einer Arbeitsbelastungserprobung (anfänglich zwei Stunden, danach drei Stunden täglich). Nach vier Wochen könne die Klägerin wieder "vollschichtig ihre täglichen vier Stunden arbeiten".

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Denn das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2007 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder ab dem 1. März 2006 noch ab einem späteren Zeitpunkt Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I, 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302b Abs 1 SGB VI).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach § 240 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Art 1 Nr 61 des RV-Altergrenzen-anpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl I, 554) auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin, wie das SG zutreffend entschieden hat, unter Berücksichtigung der vom SG und der Beklagten vorgenommenen Ermittlungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil sie noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf den sie verweisbar ist, unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies hat auch die im Berufungsverfahren durchgeführte Beweiserhebung bestätigt. Der Senat nimmt daher auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Urteils Bezug, denen er sich in vollem Umfang anschließt; insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.

Im Hinblick auf die Ermittlungen im Berufungsverfahren ist ergänzend auszuführen, dass diese bestätigt haben, dass die Klägerin noch in der Lage ist, unter Beachtung bestimmter qualitativer Einschränkungen leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich mehr als sechs Stunden zu verrichten. Dies ergibt sich aus den Gutachten von Dr. S. und Dr. S ... Diese haben - jeweils für ihr Fachgebiet - ausdrücklich hervorgehoben, dass die von ihnen erhobenen Befunde bzw Beurteilungen den bereits in den Akten befindlichen Befunden/Beurteilungen entsprechen. Beide Gutachter haben bestätigt, dass bei der Klägerin - wie dies bereits Dr. D. in seinem Gutachten nachvollziehbar und schlüssig dargestellt hat - im Vordergrund eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung steht. Die von der Klägerin geklagten subjektiven Beschwerden sind auch nach Ansicht des Senats durchaus glaubhaft, zumal durch die HWS-Operation im Jahr 2003 ein Leidensdruck hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen ist. Insgesamt führen die von der Klägerin geklagten subjektiven Beschwerden jedoch nicht dazu, dass ihr Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht für die Ausübung leichter Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingeschränkt ist. Dies haben Dr. S. und Dr. S. bestätigt. Dr. S. hat in diesem Zusammenhang insbesondere hervorgehoben, dass die Klägerin zwar über einzelne Symptome klagt, die in Richtung einer depressiven Störung gewertet werden können. Allerdings ist die Symptomatik nicht so gravierend ausgeprägt, dass die Kriterien für die Annahme einer zumindest leichten depressiven Episode erfüllt sind. Diese Einschätzung hält der Senat für überzeugend, da nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl Urteil vom 20. Juli 2010 - L 11 R 5140/09; Urteil vom 24. September 2009 - L 11 R 742/09) der Schweregrad psychischer Erkrankungen und somatoformer Schmerzstörungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen wird. Unter Beachtung dieser Maßstäbe kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die Klägerin immer noch in der Lage ist, zumindest einer Teilzeittätigkeit als Verkäuferin nachzugehen und hierbei auch täglich 35 km mit dem PKW bzw mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fährt (bei flexiblen Arbeitszeiten). Schließlich hat sie nach ihren eigenen Angaben gegenüber Dr. S. auch noch einen Bekanntenkreis sowie mehrere Haustiere, um die sie sich kümmert. Ein Rückzugsverhalten ist daher weder im privaten noch im beruflichen Bereich zu erkennen. All diese Umstände stützen die Annahme, dass die Kriterien für eine leichte depressive Episode nicht erfüllt sind.

Darüber hinaus ist Ursache der derzeitigen Arbeitsunfähigkeit auch nicht die somatoforme Schmerzstörung, sondern die schwere Prellung des rechten Mittelfingers, die sich die Klägerin im März 2010 zugezogen hat. Davor war die Klägerin ebenfalls nicht wegen ihrer Schmerzsymptomatik krankgeschrieben, sondern zuletzt wegen einer Grippe im Herbst 2009. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. S., der in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen hat, dass während der gesamten Untersuchung keine Zeichen eines "Schmerzverhaltens" mit entsprechender Mimik, Gestik, Haltung, auch mit einer Unfähigkeit, eine bestimmte Körperhaltung längere Zeit beizubehalten, vorgelegen hat. Auch eine "Verhangenheit", eine Minderung der Attenz und Vigilanz, wie sie ua bei erhöhtem Analgetikakonsum (insbesondere mit Opiaten) auftreten kann, konnte während des Untersuchungsablaufs nicht beobachtet werden.

Die Gutachten des Dr. S. und des Dr. S. haben mithin auch bestätigt, dass der Leistungseinschätzung von Dr. M. nicht gefolgt werden kann. Der Senat hält - mit dem SG und der Beklagten - die Leistungseinschätzung des Dr. M. vor dem Hintergrund der konkret erhobenen Befunde ebenfalls nicht für nachvollziehbar. Dr. S. weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die Leistungseinschätzung des Dr. M. vor allem auf einer theoretischen Ableitung beruht, ohne ausreichende Würdigung der konkreten Gegebenheiten.

An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin am 13. März 2010 einen Arbeitsunfall (schwere Prellung des rechten Mittelfingers) erlitten hat. Wie sich aus der Auskunft des Dr. S. vom 26. Mai 2010 ergibt, ist mittelfristig davon auszugehen, dass die Handverletzung nicht zu einer dauerhaften schweren Beeinträchtigung führen wird, sodass der Ausübung einer leichten Tätigkeit auch bezogen auf die Handverletzung nichts im Wege steht. Diese Einschätzung des Dr. S. hat sich - trotz des stationären Aufenthalts vom 29. Juni bis 2. August 2010 in der BG-Klilnik - bestätigt. Dies entnimmt der Senat dem Entlassungsbericht des Prof. Dr. S. vom 5. August 2010. Denn die durchgeführte Therapie hat zu einer guten Bewegungsverbesserung mit deutlichem Rückgang der Schmerzen im rechten Handgelenk geführt. Prof. Dr. S. hat deshalb insbesondere den Einsatz der rechten Hand am Arbeitsplatz befürwortet. Zwar kann dem Schreiben ihres Arbeitgebers (E.-R.) vom 7. September 2010 entnommen werden, dass eine Belastungserprobung daran scheiterte, dass die rechte Hand stark anschwoll. Aus dem vorläufigen Entlassungsbericht der BG-Klinik über den stationären Aufenthalt vom 11. bis 29. Oktober 2010 folgt jedoch, dass die Klägerin voraussichtlich ab dem 31. Dezember 2010 wieder arbeitsfähig sein wird. Begründete Anhaltspunkte dafür, dass die Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht wegen der Handverletzung dauerhaft eingeschränkt ist, liegen mithin nicht vor, zumal nach dem zuletzt genannten Entlassungsbericht die Therapieoptionen nicht ausgeschöpft sind. Es wurde nämlich weiterhin Ergotherapie und Krankengymnastik empfohlen. Soweit sich die Klägerin seit dem 2. Dezember 2010 in stationärer Behandlung in der Medizinischen Klinik (Abteilung Innere Medizin VI) der Universität T. befindet (vgl Bescheinigung der Dr. W. vom 13. Dezember 2010), so ändert auch dies nichts am Ergebnis. Denn nach den angegebenen Hauptdiagnosen (anhaltende somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende Depression, gegenwärtig mittelgradige Episode) ergibt sich, dass es sich um eine Akutbehandlung handelt, deren weiterer Verlauf abzuwarten ist. Hierfür spricht auch, dass Dr. W. angegeben hat, dass die Behandlung auf mehrere Wochen ausgelegt ist und im Anschluss daran eine ambulante Therapie stattfinden soll. Begründete Anhaltspunkte dafür, dass bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit eingetreten ist, liegen somit nicht vor, zumal nach den Angaben der Dr. W. die Therapieoptionen offensichtlich noch nicht ausgeschöpft sind.

Im Hinblick auf die Leistungseinschränkungen braucht der Klägerin keine konkrete Berufstätigkeit benannt zu werden, weil sie ihrer Anzahl, Art und Schwere nach keine besondere Begründung zur Verneinung einer "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" oder einer "schweren spezifischen Leistungsminderung" erfordern (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 136). Sie erscheinen nämlich nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen.

Die Klägerin ist auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit. Sie hat keinen Beruf erlernt und hat während ihres Versicherungslebens allenfalls angelernte Tätigkeit verrichtet. Sie ist deswegen auch zur Überzeugung des Senats auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, auf dem noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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