L 9 R 3562/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 1559/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3562/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente.

Die 1935 geborene Klägerin (I. Z:) heiratete 1958 den 1930 geborenen und 2009 verstorbenen Versicherten (H. Z.). Diese Ehe wurde am 5. Juni 1974 durch Urteil des Landgerichts (LG) Karlsruhe vom 5. Juni 1994 - Gesch-Nr. 12 R 169/73, rechtskräftig am selben Tag, auf Klage und Widerklage aus Verschulden beider Parteien geschieden. Aus der Ehe gingen zwei gemeinsame Kinder, der 1959 geborene Sohn A. H. und der 1962 geborene Sohn O. M. hervor. Die Klägerin heiratete am 16. November 1984 erneut; diese zweite Ehe wurde am 14. Juli 1987 rechtskräftig geschieden.

Der verstorbene H. Z. heiratete 1974 seine zweite Ehefrau St. (S. Z.) Diese beantragte am 27. April 2009 die Gewährung von Witwenrente. Mit Bescheid vom 18. Mai 2009 gewährte die Beklagte S. Z. ab 1. Mai 2009 große Witwenrente in Höhe von 705,37 EUR monatlich.

Am 23. September 2009 beantragte die Klägerin, die seit 1. März 1997 eine eigene Rente bezieht, die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente. Sie erklärte, Unterhalt habe sie nach der Scheidung nur für den Sohn in Höhe von 150,- DM erhalten. Sie selbst habe eine Ausgleichszahlung für die Wohnung, in der der Verstorbene wohnen geblieben sei, in Höhe von monatlich DM 50,-bekommen.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung von Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten ab, weil die Klägerin zu Lebzeiten ihres geschiedenen Ehegatten wieder geheiratet habe.

Gegen den Bescheid vom 6. Oktober 2009, ihr zugegangen am 10. Oktober 2009 (so ihre Erklärung vom 27. Mai 2010 vor dem Sozialgericht [SG] mit der sie klarstellte, dass mit dem im Widerspruchschreiben genannten Eingangsdatum "10.11.2009" der 10. Oktober 2009 gemeint gewesen sei), legte die Klägerin am 19. November 2009 Widerspruch ein und trug vor, es wolle ihr nicht in den Kopf, dass 16 Jahre Ehe, die keine schönen Jahre gewesen seien, sie fast in Armut gebracht hätten. Nach den Entbindungen habe sie ihre Arbeit aufgeben müssen und erst nach drei Jahren wieder eine Halbtagsarbeit gefunden. Solange sie gearbeitet habe, habe sie ihr Auskommen gehabt. Erst als sie 1997 in Rente gegangen sei, sei ihr bewusst geworden, welche Beschneidung die 16 Jahre Ehe für sie bedeuteten. Für diese 16 Jahre Ehe stehe ihr ein Ausgleich zu.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück, da er nicht fristgemäß erhoben worden sei. Gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gelte ein Bescheid, der durch die Post im Geltungsbereich dieses Gesetzes übermittelt werde, mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei. Die Widerspruchsfrist sei deswegen vom 10. Oktober 2009 bis 9. November 2009 gelaufen. Der Widerspruch sei jedoch erst nach Ablauf der Frist erhoben worden. Im Übrigen habe die Klägerin keinen Anspruch, da sie zu Lebzeiten ihres geschiedenen Ehegatten wieder geheiratet habe.

Hiergegen hat die Klägerin am 13. April 2010 Klage zum SG Karlsruhe erhoben und vorgetragen, heutzutage sei es eine Selbstverständlichkeit, dass bei einer Ehescheidung eine gerechte Teilung der Rentenanwartschaften vorgenommen werde. Sie wünsche sich eine entsprechende Lösung für Frauen, die vor 1977 geschieden worden seien. Sie würde sich freuen, wenn sie auch ihre Anteile aus 16 Jahre Ehe bekommen würde. Ihre zweite Ehe, die nur ca. zweieinhalb Jahre bzw. tatsächlich ca. 16 Monate gedauert habe, könne sie für die 16 Jahre Ehe mit dem verstorbenen H. Z. nicht entschädigen. Entscheidend sei für sie nicht, ob es Witwenrente oder Anwartschaften aus 16 Jahren Ehe heiße, wesentlich sei für sie, dass ihre kleine Rente aufgestockt werde.

Die Beklagte erwiderte, die Widerspruchsfrist sei nicht gewahrt gewesen, weswegen der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen worden sei. Eine Entscheidung in der Sache habe nicht zu erfolgen gehabt. Unabhängig davon bestehe bei Wiederheirat zu Lebzeiten des geschiedenen Ehegatten kein Anspruch auf Rente nach § 243 SGB VI. Auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Oktober 2004 - B 5 RJ 39/03 R - werde hingewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 27. Mai 2010 hat die Klägerin erklärt, im Widerspruchschreiben habe sie sich verschrieben. Der Bescheid sei bei ihr am 10.10.2009 eingegangen. Mit Urteil vom 27. Mai 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe weder gemäß § 243 Abs. 1 oder 2 SGB VI noch gemäß § 243 Abs. 4 SGB VI ein Anspruch auf eine Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten zu. Unabhängig von der Frage, ob der Widerspruch vom 19. November 2009 innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat eingelegt worden sei, bestehe jedenfalls kein Anspruch gemäß § 243 Abs. 1 oder 2 SGB VI, weil die Klägerin wieder geheiratet habe. Ein Anspruch auf eine Geschiedenenwitwenrente ergebe sich auch nicht aus § 243 Abs. 4 SGB VI, da die Klägerin noch zu Lebzeiten ihres nunmehr verstorbenen ersten Ehemannes wieder geheiratet habe. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 2. Juli 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26. Juli 2010 beim SG Berufung eingelegt und vorgetragen, sie erwarte, dass für ihre Situation Abhilfe geschaffen werde, da sie sich ungerecht behandelt fühle. Aufgrund der 16-jährigen Ehe mit H. Z. sei ihre Rente so niedrig. Sie habe zunächst in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden, weil sie Kinder im Säuglings- und Kleinkindalter zu versorgen gehabt habe. Nach 3½ Jahren habe sie halbtags gearbeitet und das Arbeitsverhältnis aufgestockt, als die Kinder größer gewesen sein. Damit habe sie ihr Auskommen gehabt; geblieben sei jedoch die Rentenlücke aus 16 Jahren Ehe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten aus der Versicherung von Hubert Zoth zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen. Sie verweise auf ihren Vortrag im Klageverfahren und auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Mit Verfügung vom 20. August 2010 hat der Senat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 20. August 2010 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Ein Anspruch der Klägerin auf Geschiedenenwitwenrente kann schon deswegen nicht festgestellt werden, weil der Bescheid vom 6. Oktober 2009 gem. § 77 SGG bindend geworden ist, da die Klägerin nicht fristgemäß Widerspruch eingelegt hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leiter, SGG, Kommentar, 9. Aufl. Rn. 2ff zu § 77).

Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Zustellungsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt, da der Bescheid vom 6. Oktober 2009 der Klägerin nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 10. Oktober 2009 zugegangen ist.

Die Berechnung der Widerspruchsfrist richtet sich nach § 64 SGG. Die Frist beginnt mit dem Tag nach dem Zugang des Bescheides zu laufen (§ 64 Abs. 1 SGG) und endet mit Ablauf desjenigen Tages, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt (§ 64 Abs. 2S 1 SGG). Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 64 Abs. 3 SGG).

Der Bescheid vom 6. Oktober 2009 ist der Klägerin am 10. Oktober 2009 bekannt gegeben worden. Nach § 64 Abs. Satz 2 SGG hat der Lauf der Widerspruchsfrist mit dem Tag nach dem Zugang, also am 11. Oktober 2009, begonnen und am 10. November 2009 geendet. Über die Widerspruchsfrist ist die Klägerin im Bescheid vom 6. Oktober 2009 belehrt worden.

Der Widerspruch ist jedoch erst am 19. November 2009 und damit nach Fristablauf bei der Beklagten eingegangen. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2010 hat die Beklagte deswegen den Widerspruch der Klägerin zu Recht als unzulässig zurückgewiesen, mit der Folge, dass der Bescheid vom 6. Oktober 2009 bindend geworden ist.

Unabhängig davon, dass der Bescheid vom 6. Oktober 2009 bestandskräftig geworden und damit bindend entschieden ist, dass ein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nicht besteht, hat das SG auch zutreffend ausgeführt, dass auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Geschiedenenwitwenrente nicht erfüllt sind.

Ein Anspruch auf eine Geschiedenenwitwenrente nach § 243 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI setzt voraus (jeweils Nr. 2), dass die Klägerin nicht wieder geheiratet hat. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, da sie am 16. November 1984 erneut geheiratet hatte. Ein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach § 243 Abs. 3 SGB VI scheitert daran, dass ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe, nämlich für S. Z. besteht (Bescheid vom 18. Mai 2009).

Ein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach § 243 Abs. 4 SGB VI kommt deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin zu Lebzeiten von H. Z. wieder geheiratet hat, wie das SG unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 20.10.2004 - B 5 RJ 39/03 R - in Juris bzw. SozR 4-2600 § 243 Nr. 2 zutreffend ausgeführt hat. Im Übrigen setzt ein Anspruch nach dieser Vorschrift voraus, dass die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatte. Beides war nicht der Fall. Ein Unterhaltsanspruch der Klägerin wäre - wenn er überhaupt jemals bestanden hätte, da die Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden wurde - durch die Wiederverheiratung der Klägerin gemäß § 67 Ehegesetz erloschen. Durch den Tod von H. Z. steht die Klägerin finanziell nicht schlechter da als zu dessen Lebzeiten.

Der Umstand, dass bei ab 1. Juli 1977 geschiedenen Ehen ein Versorgungsausgleich durchgeführt wird, während dies bei vor diesem Zeitpunkt geschiedenen Ehen nicht der Fall war, stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz dar, weil es für die Differenzierung sachliche Gründe, nämlich andere gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Ehe, ihrer Auflösung und ihren Folgen, gibt.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin wird deswegen zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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