L 11 R 999/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4733/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 999/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 1. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1963 geborene Kläger ist gelernter Gas- und Wasserinstallateur. Er war nach Ableistung seines Wehrdienstes in diesem Beruf sozialversicherungspflichtig bis 26. Februar 2007 beschäftigt. Seitdem steht er im Bezug von Sozialleistungen, zuletzt von Arbeitslosengeld II. Vom 13. März 2002 bis 12. März 2007 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet, insgesamt sind Beitragszeiten von mehr als fünf Jahren vorhanden (Versicherungsverlauf vom 27. Mai 2010).

Am 13. März 2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, wobei er zur Begründung auf massive Schlafstörungen und depressive wie aggressive Schübe mit Ausfällen gegen Menschen oder Gegenstände sowie sein Übergewicht verwies. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung nach ambulanter Untersuchung. Die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. H. beschrieb eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ, eine Panikstörung mit wiederkehrender Hyperventilation und Synkopen, eine schlafbezogene Atemstörung bei erheblichem Übergewicht (BMI 36) mit nCPAP-Therapie seit 3/06 sowie anamnestisch einen Bluthochdruck, bisher ohne medikamentöse Therapie. Bei dem Kläger bestehe eine Neigung zu emotionalen Ausbrüchen und eine Unfähigkeit, das impulshafte Verhalten zu kontrollieren. Der Kläger schilde eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, die dazu geführt habe, dass er in seinem Arbeitsverhältnis begonnen habe, Gegenstände um sich zu werfen und Mitarbeiter anzugreifen. Die Häufigkeit der Panikstörungen habe der Kläger mit ein- bis dreimal pro Woche angegeben. Er nehme seit zwei Jahren antidepressive Medikamente, wobei nach dem Sertralin- und Doxepinspiegel davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger seine Medikamente nicht einnehme. Ihrer Einschätzung nach bestehe noch ein über sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne übermäßigen Zeitdruck, ohne Nachtschicht, ohne besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, ohne Publikumsverkehr, ohne Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge und ohne Fahrtätigkeit. Die psychiatrische Erkrankung sei noch nicht ausreichend therapiert, eine engmaschige ambulante Psychotherapie solle erst in den nächsten Wochen begonnen werden. Das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom solle demnächst im Schlaflabor kontrolliert werden. Nur für die Tätigkeit als Gas- und Wasserinstallateur bestehe ein unter dreistündiges Leistungsvermögen, da damit Fahrtätigkeiten, Arbeiten mit Absturzgefahr und mit Publikumsverkehr verbunden seien.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Mai 2007 den Rentenantrag ab. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch holte die Beklagte ein nervenärztliches Gutachten ein. Dr. St. diagnostizierte eine organische Persönlichkeitsstörung und eine symptomatische Epilepsie. Hinsichtlich der geschilderten Synkopen im Rahmen von Panikanfällen oder Hyperventilationszuständen fehle es an der erforderlichen Diagnostik durch eine Kernspintomographie oder EEG-Ableitungen. Der Kläger müsse jedenfalls Tätigkeiten mit einer Absturzgefahr oder an ungeschützten Maschinen sowie das Führen von PKW oder Kleinlastwagen sowie Tätigkeiten mit Publikumsverkehr vermeiden. Der Kläger habe sich 2002 wohl ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Seither schildere sich der früher wohl hilfsbereite, ausgeglichene Kläger selbst als launisch, aggressiv und schon bei Kleinigkeiten erregbar. Selbst wenn sich nach dem Arbeitsunfall die Persönlichkeit deutlich geändert habe, schließe dies jedoch eine regelmäßige Leistungserbringung nicht aus. Menschen könnten mit verschiedenen Wesensarten durchaus Leistungen erbringen. Seinen Tagesablauf habe der Kläger dahingehend geschildert, dass er dreimal täglich mit dem Hund eine größere Strecke laufe, sich mit dem Garten beschäftige und sich auch jetzt Hühner geholt habe, ebenfalls zwei Ziegen vorhanden seien um die er sich kümmere.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2007 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit seiner dagegen am 12. Dezember 2007 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, angesichts seines ungewöhnlichen Krankheitsbildes sei er nicht in der Lage, eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes unter betriebsüblichen Bedingungen auszuüben. Deswegen sei zumindest angezeigt, ihn auf Zeit zu berenten.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört und den Kläger anschließend nervenärztlich begutachten lassen.

Der Neurologe und Psychiater Dr. M., der den Kläger seit 2003 behandelt, hat eine Verschlechterung der emotionalen Instabilität mit vermehrtem Rückzugsverhalten und der Gefahr impulsiver Durchbrüche vor dem Hintergrund einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode berichtet. Aufgrund der massiven Einschränkungen im Bereich der sozialen Kompetenz mit der Gefahr impulsiver Durchbrüche und Fehlreaktionen beim Kontakt mit anderen habe er Zweifel, dass der Kläger noch leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne, zumal massive Konflikte am Arbeitsplatz mit unüberschaubaren Konsequenzen befürchtet werden müssten. Der Allgemeinmediziner Dr. W. hat eine Einstufung der Leistungsfähigkeit für schwierig erachtet, wobei er den Eindruck gewonnen habe, dass sich der Zustand etwas gebessert habe. Ohne Zweifel leide der Kläger an einer tiefgreifenden psychiatrischen Störung, wobei er unter begleitender medizinischer Behandlung mindestens halbgradig erwerbsfähig sein solle.

Daraufhin veranlasste das SG eine nervenärztliche Begutachtung. PD Dr. Wi. diagnostizierte eine gemischte Zwangserkrankung mit Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, möglicherweise auf dem Boden einer eher zwanghaften Persönlichkeit, bei der das Auftreten von dissoziativen Bewusstseinsstörungen eher wahrscheinlich erscheine als das Vorliegen einer Epilepsie, sowie ein Schlafapnoe-Syndrom. Aktuell sei er deswegen nicht in der Lage, sechs Stunden arbeitstäglich eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Sinnvoll erscheine eine berufsfördernde Maßnahme, um den Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, während derer auch eine ambulante Therapie durchgeführt werden könne. Der Kläger habe geschildert, dass er mit dem Hund ca drei Stunden täglich spazieren gehe, koche, Fachbücher, wie auch solche über PCs und Tierbücher lese und mit seinem Kumpel das Internet nutze. Er besitze einen Führerschein, fahre aber nach Möglichkeit Strecken über 15 km nicht alleine.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin ein stationäres Heilverfahren. Vom 2. Februar bis 27. März 2009 wurde die stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik G. durchgeführt. Der Kläger wurde als arbeitsfähig entlassen. Ausweislich des Entlassungsberichts wurde eine mittelgradige ängstlich-depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung, ein Hyperventilationssyndrom, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung bei impulsivem Typ, eine dissoziative Störung, ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom sowie eine Adipositas Grad II und eine Hyperlipidämie diagnostiziert. Der Kläger sei deswegen für Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck sowie Wechsel- und Nachtschicht nicht geeignet. Die vorbeschriebene Zwangssymptomatik sei während des stationären Behandlungsverlaufs nur geringgradig ausgeprägt gewesen und könne als Copingverhalten im Hinblick auf die dissoziationsbedingten Gedächtnisstörungen verstanden werden. Die Symptomentwicklungen stünden in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer dauerhaften Zunahme emotionaler Konfliktspannungen im Rahmen sich zuspitzender familiärer Konflikte mit aggressiven Impulsen gegenüber Personen. Es sei auch an fünf Tagen eine Belastungserprobung zweimal acht und einmal vier Stunden im Bereich der Arbeitstherapie Schreinerei durchgeführt worden. Hierbei hätten sich erfreuliche Ergebnisse gezeigt, sodass eine LTA geprüft und eine SAP-Schulung veranlasst werden solle. Der Kläger wolle mit seinem alten Arbeitgeber abklären, ob er mit einer Wiedereinstellung rechnen könne und welcher Arbeitsbereich für ihn in Frage käme. Eine gute Tagesstruktur würde ihn emotional stabilisieren.

Vom 12. August bis 13. Oktober 2009 wurde der Kläger im V. v. P. Hospital stationär behandelt, wo die Diagnosen einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des impulsiven Typs, eine mittelgradige depressive Episode sowie ein Schlafapnoe-Syndrom diagnostiziert wurden. Äußerlich habe er zwar etwas martialisch (Irokensenschnitt), jedoch im Wesentlichen unauffällig gewirkt. Die Merkfähigkeit hätte keine Auffälligkeiten gezeigt, die Konzentrationsfähigkeit sei leicht herabgesetzt gewesen. Er sei zur Behandlung seiner Impulskontrollstörung aufgenommen worden, wobei sich Hinweise auf ein psychotisches Geschehen gezeigt hätten. Der Kläger sei dann aber im weiteren Behandlungsverlauf ruhig geworden und habe keine Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Insgesamt könne sein Verhalten als unauffällig bezeichnet werden. Am Ende der Behandlung sei er deutlich ruhiger gewesen. Auch während der Wochenendbeurlaubungen sei es zu keinen impulsiven aggressiven Handlungen gekommen. Seine psychischen Beschwerden verminderten nicht grundsätzlich seine Fähigkeit zu einer sechsstündigen leichten Tätigkeit, zumal durch die Behandlung eine Reduktion der beeinträchtigenden Krankheitssymptome erreicht werden könne.

Mit Urteil vom 1. Februar 2010, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 22. Februar 2010, hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, trotz der dokumentierten instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ bestehe noch keine Situation, in der sich der Kläger sozial vollkommen zurückgezogen und isoliert habe. Insbesondere der von Prof. Dr. Wi. geschilderte Tagesablauf spreche dagegen, dass der Kläger zeitlich limitiert in seinem Leistungsvermögen sei. Die in den Vordergrund gestellte Zwangserkrankung habe sich im Rahmen der erfolgten Rehabilitationsmaßnahme ebenso wenig wie in der Behandlung in der V. v. P. Klinik R. bestätigen lassen. Dort sei wie in dem Gutachten von Prof. Dr. St. eine Persönlichkeitsstörung als führend angesehen worden. In Anbetracht des mehrwöchigen Beobachtungszeitraums sei diesen Beurteilungen ein besonderer Beweiswert zuzumessen. Der Kläger könne deswegen noch Arbeiten ohne Kundenkontakt und überwiegend allein sechs Stunden und mehr verrichten, wobei es eine Vielzahl an Tätigkeiten gebe, die diesem Anforderungsprofil entsprächen.

Mit seiner dagegen am 1. März 2010 eingelegten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und zuletzt vorgetragen, dass er an akuten Schlafproblemen leide und aufgrund der Sozialphobie keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen könne. Seiner Auffassung nach sei er ein Borderliner des impulsiven Typs und reagiere auf Kritik extrem aggressiv. Er bekomme dann einen Blackout und werde für Tage bis Wochen depressiv bis hin zur akuten Suizidgedanken. Auch aus diesen Gründen könne er keiner Arbeit nachgehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 1. Februar 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hat ergänzend vorgetragen, dass sowohl die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie T., wie das V. v. P. Hospital R. Schwierigkeiten gehabt hätten, eine Leistungsbeurteilung zu treffen. Eine intensive psychotherapeutische Behandlung sei nach beider Einschätzung erforderlich, wobei LTA-Maßnahmen erwogen werden sollten. Sie hat dem Senat einen aktuellen Versicherungsverlauf vorgelegt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Senat eine Auskunft bei dem Universitätsklinikum T. eingeholt. Die Oberärztin Dr. Sch. hat mitgeteilt, dass der Kläger vom 24. März bis 29. Juni 2010 wegen seiner emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung behandelt worden sei. Zusätzlich habe man eine mittelgradige depressive Episode, eine Adipositas Grad II sowie ein Schlafapnoe-Syndrom diagnostiziert. Seine psychischen Beschwerden verminderten nicht grundsätzlich und nicht auf Dauer die Fähigkeit zu einer mindestens sechsstündigen leichten Tätigkeit. Zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit sei eine intensive ambulante psychotherapeutische Arbeit nötig. Im momentanen Zustand sei er wegen seiner emotionalen Schwierigkeiten nicht auf dem Arbeitsmarkt einsetzbar.

Nachdem der erste anberaumte Erörterungstermin vom 15. Juni 2010 wegen des stationären Aufenthalts abgesetzt werden musste, hat die Berichterstatterin den Sachverhalt mit den Beteiligten am 10. November 2010 erörtert, wobei sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung im V. v. P. Hospital R. befand. Den widerruflichen Vergleich, wonach sich die Beklagte verpflichtet hatte, dem Kläger nach Abschluss seiner psychotherapeutischen Behandlung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, insbesondere Wiedereingliederungsmaßnahmen in das alte Berufsbild, zu gewähren, hat der Kläger widerrufen.

Der Kläger hat dem Senat ein Attest des Diplom-Psychologen Ma. vorgelegt, wonach der Kläger eine Tendenz zum psychotischen Geschehen zeige und ständig eine latente Aggressivität und Unberechenbarkeit vermittle. Er sei der Auffassung, dass der Kläger eine Borderline-Persönlichkeit sei und dauerhaft nicht imstande wäre, einer geregelten Arbeit auch mit weniger als drei Stunden nachzugehen.

Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, dass der Senat nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss entscheiden, weil die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet erachten, eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten und die Beteiligten gehört worden sind (§ 153 Abs 4 SGG).

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1, 144 Abs 1 Satz 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich für die Zeit bis 31. Dezember 2007 nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung und für die anschließende Zeit nach § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007 (BGBl I Seite 554). Dies folgt aus § 300 Abs 1 SGB VI. Danach sind die Vorschriften des SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Die (aufgehobenen) Bestimmungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung finden keine Anwendung, da im vorliegenden Fall ein Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nicht in Betracht kommt (§ 302 b Abs 1 SGB VI).

Nach § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen sowie der Ermittlungen steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger nicht erwerbsgemindert ist, weil er - unter Beachtung gewisser Einschränkungen - noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dies hat bereits das SG ausführlich begründet dargelegt, weswegen der Senat auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug nimmt, denen er sich in vollem Umfang anschließt; insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs 2 SGG ab.

Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger nach dem vorgelegten Versicherungsverlauf zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung zwar erfüllt. Die Auswertung der medizinischen Unterlagen bestätigt aber auch zur Überzeugung des Senats, dass der Kläger erwerbsgemindert ist.

Leistungslimitierend sind bei dem Kläger in erster Linie seine nervenärztlichen Erkrankungen. Diese wurden von der Klinik G., dem V. v. P. Hospital sowie dem Universitätsklinikum T., wo sich der Kläger jeweils in längerer stationärer Behandlung befand, übereinstimmend als funktional-instabile Persönlichkeitsstörung vor dem Hintergrund einer mittelgradigen depressiven Episode geschildert. Soweit der behandelnde Diplom-Psychologe Ma. diese Diagnostik kritisiert und eine Borderline-Pesönlichkeit des Klägers beschrieben hat, musste der Senat dem nicht weiter nachgehen. Zum einen kommt es im Rahmen der Rentenbegutachtung allein auf die Funktionsstörungen einer Erkrankung an. Dies gilt bei dem Kläger in besonderem Maße, wie zuletzt auch der Beratungsarzt der Beklagten Dr. J. ausgeführt hat, bei dem vor allem Schwierigkeiten in der Diagnostik bestehen. Zum anderen obliegt die Diagnostik nur den Ärzten, sie allein sind als sachverständige Zeugen zu hören oder als Gutachter zu bestellen.

Zwar haben die behandelnden Ärzte Dr. M. und Dr. W. sowie die Sachverständige PD Dr. Wi. das Leistungsvermögen des Klägers aufgrund dieser nervenärztlichen Erkrankung als zeitlich limitiert angesehen. Diese Einschätzung vermochte jedoch den Senat ebenso wenig wie das SG zu überzeugen. Dagegen spricht bereits der von PD Dr. Wi. erhobene Tagesverlauf. Auch in der G.-Klinik hat der Kläger noch geschildert, dass er seinen Haushalt versorgen kann und zahlreichen Freizeitaktivitäten nachgeht. Dieses Verhalten lässt sich mit dem Vorliegen eines vollschichtigen Leistungsvermögens bei Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkung in Einklang bringen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl zB Urteil vom 24. August 2010 - L 11 R 1190/09) wird der Schweregrad psychischer Erkrankungen aus den daraus resultierenden Defiziten im Hinblick auf die Tagesstrukturierung, das allgemeine Interessenspektrum und die soziale Interaktionsfähigkeit abgeleitet und daran gemessen.

Das Vorliegen einer Epilepsie konnte diagnostisch bereits von PD Dr. Wi. ausgeschlossen werden. Auch die von ihr beschriebene Zwangserkrankung hat sich in der stationären Rehabilitationsmaßnahme diagnostisch nicht erhärten lassen. Diese war allenfalls leichtgradig ausgeprägt und führt nicht zu der von PD Dr. Wi. angenommenen zeitlichen Limitierung des Leistungsvermögens.

Der Senat misst ebenso wie das SG den Aussagen nach stattgehabten längeren stationären Behandlungen einen erheblichen Beweiswert zu, da jeweils die Möglichkeit bestand, über den Kläger über einen längeren Zeitraum einen aussagekräftigen Eindruck zu gewinnen. Der Kläger konnte sich unter den stationären Bedingungen jeweils bereits nach kurzer Zeit stabilisieren. Dies erklärt, warum die dort behandelnden Ärzte als Ursache der emotionalen Störungen die familiären Konflikte angenommen haben und der Kläger sich jeweils, nachdem er sich aus diesem Umfeld lösen konnte, relativ rasch wieder zugänglich wurde. Vor diesem Hintergrund ist auch die Annahme gerechtfertigt, dass eine stufenweise Wiedereingliederung in das Arbeitsleben, wie sie zuletzt mit dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag initiiert war, zu einer weiteren Stabilisierung des Klägers führen wird. Dies hat auch bereits PD Dr. Wi. so gesehen.

Der Sachverhalt ist aufgeklärt. Insbesondere bedurfte es nicht einer erneuten Befragung des V. v. P.-Hospitals in R., wo sich der Kläger seit 11. Oktober 2010 erneut in stationärer Behandlung befindet. Der klägerische Bevollmächtigte hat selbst im Erörterungstermin angegeben, dass die stationäre Aufnahme allein zur medikamentösen Einstellung erfolgte. So kann zur Zeit nicht davon ausgegangen werden, dass eine erhebliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes vorliegt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so steht gegenwärtig nicht fest, dass der Kläger deswegen dauerhaft für mehr als sechs Monate leistungsgemindert sein wird.

Die weiteren Diagnosen eines Schlafapnoe-Syndroms bzw der Adipositas Grad II limitieren den Kläger nicht weiter zeitlich in seinem Leistungsvermögen.

Die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit scheidet aufgrund des Lebensalters des Klägers aus, da er nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist.

Die Berufung des Klägers war deswegen zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved