Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 55/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 6.897,62 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.03.2010 zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Der Streitwert wird auf 6.897,62 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung für stationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von 6.897,62 EUR.
Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus und dort in der Klinik für Neurologie und Neurolinguistik eine spezielle Aphasiestation. Die bei der Beklagten versicherte am 00.00.0000 geborene H. C. (im Folgenden: Versicherte) erlitt am 29.03.2005 einen Schlaganfall, in dessen Folge eine Aphasie (zentrale Sprachstörung) und eine spastische Hemiparese (Halbseitenlähmung) rechts eintraten. Vom 16.09. bis 02.11.2007 erhielt die Versicherte auf der Aphasiestation der Klägerin eine Aphasiespezialbehandlung zu Lasten der Beklagten. Im Hinblick auf "signifikante sprachliche Fortschritte" im Therapieverlauf erging am 11.11.2008 eine Empfehlung der Klägerin an die Versicherte und deren behandelnden Ärzte für eine weitere stationäre Behandlung von ca. sieben Wochen auf der Aphasiestation.
Ende Dezember 2008 beantragte die Versicherte die empfohlene Krankenbehandlung unter Vorlage einer entsprechenden vertragsärztlichen Verordnung vom 23.12.2008. Mit Bescheid vom 15.01.2009 gegenüber der Versicherten und Schreiben vom 22.01.2009 gegenüber der Beklagten erklärte die Beklagte, sie werde die Kosten einer notwendigen stationären Behandlung von vier Wochen übernehmen; sie behielt sich eine Zwischenprüfung und einen Widerruf der Kostenübernahme sowie eine Überprüfung der Abrechnung vor.
Am 05.04.2009 begann die stationäre Behandlung der Versicherten auf der Aphasiestation.
Am 24.04.2009 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Kostenübernahme für weitere drei Wochen. Dazu legte sie eine fachärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. Huber und Prof. Dr. Schulz vom 24.04.2009 vor; darin wurde mitgeteilt, dass im Verlauf der bisherigen seit dem Schlaganfallereignis durchgeführten therapeutischen Maßnahmen in verschiedenen sprachlichen Bereichen signifikante Verbesserungen hätten erzielt werden können und weitere Verbesserungen zu erwarten gewesen seien, weshalb eine erneute stationäre Aphasiebehandlung empfohlen worden sei; Art und Ausmaß der Störungen bei der Versicherten machten die Durchführung von interdisziplinären, wissenschaftlich abgesicherten Intensivmaßnahmen notwendig; die bisher erreichten Verbesserungen ließen erwarten, dass die Versicherte von der angestrebten Verlängerung stark profitieren werde. Der Stellungnahme ebenfalls beigefügt waren allgemeine "Informationen für Krankenkassen und Medizinische Dienste", in denen das Konzept der Aachener Aphasiespezialbehandlung dargelegt wurde.
Daraufhin schaltete die Beklagte erstmals den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser kam am 30.04.2009 zum Ergebnis, dass die Notwendigkeit für Krankenhausbehandlung für die Durchführung von Aphasietherapie nicht erkenntlich sei; bezüglich des bisherigen Behandlungsverlaufs fänden sich keine differenzierten Darstellungen der bisherigen Behandlungsfortschritte. Daraufhin legte die Klägerin eine ergänzende fachärztliche Stellungnahme der Klinikärzte vom 04.05.2009 vor. Auch im Hinblick darauf erkannte der MDK in einer Stellungnahme vom 07.05.2009 die Notwendigkeit einer weiteren vollstationären Aphasiebehandlung nicht an, u.a. mit der Begründung, dass sich die Verbesserungen zumindest teilweise vermutlich auch im Zeitraum ab 2007 bis zum Beginn der stationären Aphasiebehandlung ergeben hätten. Nach Erhalt dieser MDK-Beurteilung beendete die Klägerin die Behandlung der Versicherten und entließ sie am 08.05.2009 aus dem Krankenhaus. Nach weiterem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten unter Einschluss des MDK stellte die Klägerin der Beklagten am 29.10.2009 für die Behandlung der Versicherten 6.897,62 EUR in Rechnung. Die Beklagte beglich diese Forderung nicht.
Am 08.03.2010 hat die Klägerin Klage auf Zahlung der geforderten Vergütung erhoben. Sie trägt vor, aus Sicht ihrer behandelnden Ärzte seien weitere Fortschritte im Rahmen einer weiteren stationären Aphasiespezialbehandlung zu erwarten gewesen, die weder durch teil-, vor- oder nachstationäre Behandlung, noch durch ambulante Behandlungsalternativen außerhalb eines Krankenhauses hätten erreicht werden können; die stationäre Behandlung sei somit erforderlich gewesen. Das Behandlungskonzept mit täglicher logopädischer Einzeltherapie, spezifischen Selbsttrainingsaufgaben, mehrmaliger wöchentlicher Gruppentherapie, computergestützten neuropsychologischem Sprachtraining zur Steigerung der Aufmerksamkeit und der Konzentration, Physiotherapie und physikalischer Therapie habe dem Behandlungskonzept des früheren Klinikaufanthalts im Jahre 2007 entsprochen und sei der Beklagten bereits hieraus und aus den dem aktuellen Kostenübernahmeantrag beigefügten Unterlagen bekannt gewesen. Angesichts des lange im Vorfeld geplanten Aufenthaltes der Versicherten habe die Beklagte die Möglichkeit gehabt, die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme zu prüfen und eine Kostenübernahme mit Blick auf gegebenenfalls alternative Behandlungsmöglichkeiten zu versagen. Hiervon habe sie jedoch keinen Gebrauch gemacht, sondern eine vierwöchige Kostenübernahme erteilt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilten, ihr 6.897,62 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.03.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist daraufhin, dass sie die Kostenzusage unter dem Vorbehalt einer Prüfung durch den MDK erteilt habe. Der MDK habe die Notwendigkeit vollstationärer Krankenhausbehandlung verneint, weshalb eine Rücknahme der Kostenübernahmeerklärung möglich gewesen sei. Vor der Behandlung habe sie außer der Verordnung überhaupt keine Unterlagen gehabt; im Interesse der Versicherten sei eine schnelle Entscheidung getroffen worden, denn es sei zunächst davon ausgegangen worden, dass die Entscheidung zur medizinischen Notwendigkeit der Therapie durch den Arzt korrekt gewesen sei.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts und der Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung hat das Gericht ein medizinisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. I. (Leitender Oberarzt der Abteilung Neurologie des Universitätsklinikums Freiburg/Labor für klinische und experimentelle Schlaganfallforschung) eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 11.10.2010 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Patientenakte der Versicherten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin macht den Anspruch auf Zahlung der Vergütung für erbrachte Krankenhausleistungen gegen die Beklagte zurecht mit der (echten) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend. Die Klage eines Krankenhausträgers auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein so genannter Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (BSG, Urteil vom 20.11.2008 - B 3 KN 4/08 KR R - m.w.N.).
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem am 01.01.1997 in Kraft getretenen Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Nordrhein-Westfalen vom 06.12.1996 über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung (Sicherstellungsvertrag) zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen. Die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung festgelegt wird (BSG, Urteil vom 12.06.2008 - B 3 KR 19/07 R).
Zweifelhaft ist allerdings, ob sich der Vergütungsanspruch - jedenfalls für die ersten vier Wochen der Behandlung - bereits aus der Kostenzusage vom 22.01.2009 ergibt. Rein formal betrachtet scheint die Beklagte nicht mit ihrem Einwand fehlender Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung ausgeschlossen zu sein. Denn in der Kostenübernahmeerklärung heißt es: "Zwischenprüfung und Widerruf der Kostenübernahme sowie eine Überprüfung der Abrechnung nach Pflegesätzen, Fallpauschalen und Sonderentgelten behalten wir uns vor. Diese Kostenzusage gilt vorbehaltlich des Widerrufs, sofern und solange eine Mitgliedschaft bei unserer Kasse besteht." Der Sachverhalt gibt jedoch Anlass, die Rechtmäßigkeit des in die Kostenzusage aufgenommenen Vorbehalts in Zweifel zu ziehen. Aus § 6 Abs. 5 des Sicherstellungsvertrages ergibt sich, dass eine Kostenzusage im Regelfall vorbehaltlos zu erteilen ist; sie kann (nur) dann rückwirkend zurückgenommen werden, wenn sie auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruhte. Die ärztliche Verordnung der Krankenhausbehandlung ging am 29.12.2008 bei der Beklagten ein. Selbst wenn - wie die Beklagte geltend macht - der Behandlungsbeginn ursprünglich für Anfang Februar 2009 vorgesehen war und sie im Interesse der Versicherten eine schnelle Entscheidung treffen wollte, hätte sie mehr als einen Monat Zeit gehabt, die Notwendigkeit der Behandlung, wenn sie daran Zweifel hegte, durch den MDK im Vorfeld der Behandlung überprüfen zu lassen. Soweit sie geltend macht, sie sei bei ihrer Entscheidung "zunächst davon ausgegangen, dass die Entscheidung zur medizinischen Notwendigkeit der Therapie durch den Arzt korrekt" gewesen sei, hätte gerade dies eine vorbehaltlose Kostenzusage nahe gelegt. Denn hätte sich im Nachhinein herausgestellt, dass die Angaben, mit denen die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung begründet worden waren, aus vom Krankenhaus zu vertretenen Gründen unzutreffend gewesen wären, hätte dies gemäß § 6 Abs. 5 des Sicherstellungsvertrages eine rückwirkende Rücknahme der Kostenzusage gerechtfertigt. Wenn der Beklagten - wie sie ebenfalls geltend macht - zunächst außer der ärztlichen Verordnung "überhaupt keine Unterlagen" vorgelegen hätten, um die Notwendigkeit der Behandlung überprüfen zu können, hätte es nahe gelegen, solche umgehend bei der Klägerin anzufordern, wie es auch § 2 Abs. 1 Satz 2 des von den Beteiligten des Sicherstellungsvertrages ebenfalls geschlossenen Vertrages gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V zur "Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung" vorsieht. Insbesondere hätte es nahe gelegen, die Klägerin und die Versicherte auf - aus Sicht des MDK in Betracht kommende - "Alternativbe- handlungsmöglichkeiten in speziellen Aphasiestationen von Reha-Kliniken, z.B. in Soltau oder Bad Liebenstein hinzuweisen und - im Interesse der Versicherten - auch abzuklären, ob dort zeitnah freie Behandlungskapazitäten zur Verfügung standen. Wenn die Krankenkasse in dieser Hinsicht jedoch nichts unternimmt, eine Kostenzusage unter Vorbehalt erteilt und diese aufgrund nachträglicher Überprüfung zurücknimmt u.a. mit dem Hinweis auf stationäre Behandlungsalternativen in Reha-Kliniken, begegnet dies nicht zuletzt im Hinblick auf das Vertrauen, das die Verhältnisse der Krankenkassen zu ihren Versicherten bzw. den Leistungserbringern (hier: Krankenhaus) prägt und prägen sollte, erheblichen rechtlichen Bedenken. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der Widerrufsvorbehalt in der Kostenzusage rechtswidrig war.
Nach Auswertung aller ihr über den Behandlungsfall bekannt gewordenen Umstände, medizinischen Unterlagen und Stellungnahmen sowie aufgrund des von Amts wegen eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. I. vom 11.10.2010 ist die Kammer davon überzeugt, dass die Behandlung der Versicherten auf der Aphasiestation der Klägerin als stationäre Krankenhausbehandlung notwendig war, weil die Versicherte im streitbefangenen Zeitraum krankenhausbehandlungsbedürtig war.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Besondere Mittel des Krankenhauses sind u.a. eine operative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und ein jederzeit präsenter oder rufbereiter Arzt. Dabei fordert die Rechtsprechung für die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung weder den Einsatz aller dieser Mittel noch sieht sie ihn stets als ausreichend an. Es ist vielmehr eine Gesamtbeachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/08 KR R - m.w.N.). Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung notwendig ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen. Zur Beurteilung der Notwendigkeit ist von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen (BSG/Großer Senat, Beschluss vom 25.09.2007 - GS 1/06). Nach diesen Grundsätzen war die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten vom 05.04. bis 08.05.2009 notwendig.
Die seit vielen Jahren in der Klinik der Klägerin durchgeführte Aachener Aphasiespezialbehandlung wird als intensive multidisziplinäre Komplexbehandlung durchgeführt und ist als solche in der medizinischen Fachwelt anerkannt. Sie umfasst logopädische Intensivtherapie, physiotherapeutische Behandlung der Grob- und Feinmotorikstörung, phsysikalische Therapie, neuropsychologische Diagnostik und neuropsychologisches Training am Computer, Dyskalkuliediagnostik sowie ein Training zur Zahlenverarbeitung, Milieutherapie zur Verbesserung der Selbstständigkeit im Alltag, neurologische und internistische Kontrolluntersuchungen sowie kontinuierliche ärztliche Betreuung. Das Behandlungsangebot wird für jeden Patienten individuell angepasst. Die Behandlungsdauer beträgt in der Regel sieben Wochen. Die medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung auf der Aachener Aphasiestation wird im Einzelfall entweder durch ausführliche neurologische, neuropsychologische und neulinguistische Untersuchungen in der Sprachambulanz vor Ort ermittelt oder durch sorgfältige Evaluation von früheren Befundberichten (vgl. die allgemeinen "Informationen für Krankenkassen und medizinische Dienste" der Klägerin, Blatt 4-7 der Verwaltungsakte der Beklagten). Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie "Rehabilitation aphasischer Störungen nach Schlaganfall" (4. überarbeitete Auflage 2008) ist ein wesentlicher Einflussfaktor die Therapieintensität. Studien haben gezeigt, dass eine höhere Therapiefrequenz mit einem größeren positiven Behandlungseffekt einhergeht. Gegebenenfalls ist auch nach mehr als zwölf Monaten nach dem Schlaganfallergeignis eine Wiederholung von stationärer Behandlung mit Intensivtherapie (sechs bis acht Wochen mit möglichst täglichen Therapiestunden) notwendig. Nach den Leitlinien 2000 der Gesellschaft für Aphasieforschung und -behandlung und der Deutschen Gesellschaft für Neurotraumatologie und klinische Neurophysiologie ist bei einem Schlaganfall zwischen einer Akutphase (zwei bis sechs Wochen), einer Postakutphase (ein bis zwölf Monate) und einer chronischen Phase (länger als zwölf Monate) zu unterscheiden. Spätestens nach zwölf Monaten tritt ein chronischer Zustand ein; weitere Besserung erfolgt nicht mehr spontan. Bei vielen Patienten können jedoch durch intensives Üben und Lernen weitere Fortschritte erzielt werden. Insbesondere für Aphasien gilt: Der Wiedererwerb der verlorenen oder gestörten Sprache ist auch in der chronischen Phase möglich. Die Fortsetzung von Therapie in der chronischen Phase setzt voraus, dass das Vorliegen kontinuierlicher Lernfortschritte durch standardisierte Testverfahren nachgewiesen wird. Sobald längerfristige Lernplateaus erreicht werden, ist die Fortsetzung gezielter Sprach- und Sprechtherapien nicht mehr sinnvoll.
Im Fall der Klägerin haben die Ärzte der Aachener Aphasiestation in ihren Empfehlungen an die behandelnden Hausärzte der Versicherten dargelegt, dass während der ersten stationären Behandlung vom 17.09. bis 02.11.2007 "signifikante sprachliche Fortschritte" erzielt werden konnten und weitere Fortschritte zu erwarten waren. Zwar haben die Ärzte es im Vorfeld der zweiten stationären Aphasiebehandlung unterlassen, den auch nach den beiden vorgenannten Leitlinien der Fachgesellschaften empfohlenen Aachener Aphasietest (AAT) durchzuführen. Jedoch haben die Ärzte dies am 04.05.2009 nachgeholt. Ausweislich des ausführlichen Berichts vom selben Tag haben die Testergebnisse gezeigt, dass die Versicherte nach schwankendem Anfangsverlauf insgesamt ein Lernplateau für die Anforderungen des Aachener Aphasietests erreicht hat. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse - so die Ärzte - seien stabil überzufällig besser als bei den Erst- bzw. Zweituntersuchung gewesen; bei genauer Analyse der Spontansprache (Computerunterstützt mit der Aachener Sprachanalyse ASPA) hätten sich deutliche Verbesserungen der syntaktischen und morphologischen Fähigkeiten der Versicherten gezeigt. Die Ärzte haben dies an einem Textbeispiel demonstriert. Daraus ergibt sich, dass die sprachliche Kommunikation jetzt deutlich verbessert war. Insgesamt hielten die Ärzte die Versicherte trotz chronischer Aphasie für weiterhin sprachlich lernfähig.
Daraus folgt, dass - entgegen der vom MDK zuletzt in seiner Stellungnahme vom 05.11.2010 vertretenen Auffassung - vor der zweiten Aphasiespezialbehandlung noch kein längerfristiges Lernplateau erreicht war, das die Fortsetzung gezielter Sprach- und Sprechtherapie nicht mehr hätte sinnvoll erscheinen lassen. Vielmehr wurde dies erst im Verlauf der Behandlung erreicht. Zu Beginn dieser Behandlung hatte die Versicherte Schwierigkeiten in Satzplanung, Grammatik und Wortfindung sowie in der Spontansprache. In den syntaktischen Übungen konnte sie gute Verbesserungen erzielen (Bericht der neurologischen Klinik der Klägerin vom 08.06.2009).
Dieser Behandlungserfolg, davon ist die Kammer überzeugt, wurde gerade durch die intensive Aphasiespezialbehandlung erreicht. Die Klägerin hat den Umfang der Therapie aufgelistet; danach erhielt der Versicherte allein in den Bereichen logopädische Einzeltherapie, logopädische Gruppentherapie, PC-Training: Sprache und Neuropsychologie, kommunikative und kreative Therapie sowie Physiotherapie und physikalische Therapie durchschnittlich 17,4 Zeitstunden pro Woche. Berücksichtigt man die weiteren in einem Krankenhaus regelmäßig anfallenden Handlungs- und Behandlungsbereiche, so wird deutlich, dass eine solche Behandlung nur stationär ausgeführt werden kann. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. I ... Er hat dargelegt, dass die Aphasiespezialbehandlung einen stationären Aufenthalt verlangt, da nur so die Intensität der multimodalen Förderung erreicht werden könne, die wiederum die Voraussetzung für signifikante Fortschritte sei. Dieses Therapieprinzip sei nicht nur logopädisch, physiotherapeutisch und neuropsychologisch isoliert zu rechtfertigen; vielmehr stellten das Zusammenwirken, ergänzt durch Mileutherapie mit In-Vivo-Training, Notwendigkeiten dar, um die anerkannten Fortschritte bei der Aphasietherapie von Patienten mit schwersten Schädigungen im Bereich des Sprachzentrums zu erreichen. Ein entsprechendes Setting liege am Universitätsklinikum Aachen vor, wobei diese hochintensive Therapie weit über die Intensität einer üblichen Rehabilitation hinausgehe.
Da es sich bei der Aachener Aphasiespezialbehandlung um eine Behandlung handelt, die stationär nur in einem Krankenhaus - eben dem der Klägerin - durchgeführt wird, war die Behandlung der Versicherten auch als stationäre Krankenhausbehandlung medizinisch notwendig. Dies begründet den Vergütungsanspruch der Klägerin.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 2 GKG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung für stationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von 6.897,62 EUR.
Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus und dort in der Klinik für Neurologie und Neurolinguistik eine spezielle Aphasiestation. Die bei der Beklagten versicherte am 00.00.0000 geborene H. C. (im Folgenden: Versicherte) erlitt am 29.03.2005 einen Schlaganfall, in dessen Folge eine Aphasie (zentrale Sprachstörung) und eine spastische Hemiparese (Halbseitenlähmung) rechts eintraten. Vom 16.09. bis 02.11.2007 erhielt die Versicherte auf der Aphasiestation der Klägerin eine Aphasiespezialbehandlung zu Lasten der Beklagten. Im Hinblick auf "signifikante sprachliche Fortschritte" im Therapieverlauf erging am 11.11.2008 eine Empfehlung der Klägerin an die Versicherte und deren behandelnden Ärzte für eine weitere stationäre Behandlung von ca. sieben Wochen auf der Aphasiestation.
Ende Dezember 2008 beantragte die Versicherte die empfohlene Krankenbehandlung unter Vorlage einer entsprechenden vertragsärztlichen Verordnung vom 23.12.2008. Mit Bescheid vom 15.01.2009 gegenüber der Versicherten und Schreiben vom 22.01.2009 gegenüber der Beklagten erklärte die Beklagte, sie werde die Kosten einer notwendigen stationären Behandlung von vier Wochen übernehmen; sie behielt sich eine Zwischenprüfung und einen Widerruf der Kostenübernahme sowie eine Überprüfung der Abrechnung vor.
Am 05.04.2009 begann die stationäre Behandlung der Versicherten auf der Aphasiestation.
Am 24.04.2009 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Kostenübernahme für weitere drei Wochen. Dazu legte sie eine fachärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. Huber und Prof. Dr. Schulz vom 24.04.2009 vor; darin wurde mitgeteilt, dass im Verlauf der bisherigen seit dem Schlaganfallereignis durchgeführten therapeutischen Maßnahmen in verschiedenen sprachlichen Bereichen signifikante Verbesserungen hätten erzielt werden können und weitere Verbesserungen zu erwarten gewesen seien, weshalb eine erneute stationäre Aphasiebehandlung empfohlen worden sei; Art und Ausmaß der Störungen bei der Versicherten machten die Durchführung von interdisziplinären, wissenschaftlich abgesicherten Intensivmaßnahmen notwendig; die bisher erreichten Verbesserungen ließen erwarten, dass die Versicherte von der angestrebten Verlängerung stark profitieren werde. Der Stellungnahme ebenfalls beigefügt waren allgemeine "Informationen für Krankenkassen und Medizinische Dienste", in denen das Konzept der Aachener Aphasiespezialbehandlung dargelegt wurde.
Daraufhin schaltete die Beklagte erstmals den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser kam am 30.04.2009 zum Ergebnis, dass die Notwendigkeit für Krankenhausbehandlung für die Durchführung von Aphasietherapie nicht erkenntlich sei; bezüglich des bisherigen Behandlungsverlaufs fänden sich keine differenzierten Darstellungen der bisherigen Behandlungsfortschritte. Daraufhin legte die Klägerin eine ergänzende fachärztliche Stellungnahme der Klinikärzte vom 04.05.2009 vor. Auch im Hinblick darauf erkannte der MDK in einer Stellungnahme vom 07.05.2009 die Notwendigkeit einer weiteren vollstationären Aphasiebehandlung nicht an, u.a. mit der Begründung, dass sich die Verbesserungen zumindest teilweise vermutlich auch im Zeitraum ab 2007 bis zum Beginn der stationären Aphasiebehandlung ergeben hätten. Nach Erhalt dieser MDK-Beurteilung beendete die Klägerin die Behandlung der Versicherten und entließ sie am 08.05.2009 aus dem Krankenhaus. Nach weiterem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten unter Einschluss des MDK stellte die Klägerin der Beklagten am 29.10.2009 für die Behandlung der Versicherten 6.897,62 EUR in Rechnung. Die Beklagte beglich diese Forderung nicht.
Am 08.03.2010 hat die Klägerin Klage auf Zahlung der geforderten Vergütung erhoben. Sie trägt vor, aus Sicht ihrer behandelnden Ärzte seien weitere Fortschritte im Rahmen einer weiteren stationären Aphasiespezialbehandlung zu erwarten gewesen, die weder durch teil-, vor- oder nachstationäre Behandlung, noch durch ambulante Behandlungsalternativen außerhalb eines Krankenhauses hätten erreicht werden können; die stationäre Behandlung sei somit erforderlich gewesen. Das Behandlungskonzept mit täglicher logopädischer Einzeltherapie, spezifischen Selbsttrainingsaufgaben, mehrmaliger wöchentlicher Gruppentherapie, computergestützten neuropsychologischem Sprachtraining zur Steigerung der Aufmerksamkeit und der Konzentration, Physiotherapie und physikalischer Therapie habe dem Behandlungskonzept des früheren Klinikaufanthalts im Jahre 2007 entsprochen und sei der Beklagten bereits hieraus und aus den dem aktuellen Kostenübernahmeantrag beigefügten Unterlagen bekannt gewesen. Angesichts des lange im Vorfeld geplanten Aufenthaltes der Versicherten habe die Beklagte die Möglichkeit gehabt, die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme zu prüfen und eine Kostenübernahme mit Blick auf gegebenenfalls alternative Behandlungsmöglichkeiten zu versagen. Hiervon habe sie jedoch keinen Gebrauch gemacht, sondern eine vierwöchige Kostenübernahme erteilt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilten, ihr 6.897,62 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.03.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist daraufhin, dass sie die Kostenzusage unter dem Vorbehalt einer Prüfung durch den MDK erteilt habe. Der MDK habe die Notwendigkeit vollstationärer Krankenhausbehandlung verneint, weshalb eine Rücknahme der Kostenübernahmeerklärung möglich gewesen sei. Vor der Behandlung habe sie außer der Verordnung überhaupt keine Unterlagen gehabt; im Interesse der Versicherten sei eine schnelle Entscheidung getroffen worden, denn es sei zunächst davon ausgegangen worden, dass die Entscheidung zur medizinischen Notwendigkeit der Therapie durch den Arzt korrekt gewesen sei.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts und der Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung hat das Gericht ein medizinisches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. I. (Leitender Oberarzt der Abteilung Neurologie des Universitätsklinikums Freiburg/Labor für klinische und experimentelle Schlaganfallforschung) eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 11.10.2010 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Patientenakte der Versicherten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin macht den Anspruch auf Zahlung der Vergütung für erbrachte Krankenhausleistungen gegen die Beklagte zurecht mit der (echten) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend. Die Klage eines Krankenhausträgers auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein so genannter Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (BSG, Urteil vom 20.11.2008 - B 3 KN 4/08 KR R - m.w.N.).
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. dem am 01.01.1997 in Kraft getretenen Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Nordrhein-Westfalen vom 06.12.1996 über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung (Sicherstellungsvertrag) zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen. Die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung festgelegt wird (BSG, Urteil vom 12.06.2008 - B 3 KR 19/07 R).
Zweifelhaft ist allerdings, ob sich der Vergütungsanspruch - jedenfalls für die ersten vier Wochen der Behandlung - bereits aus der Kostenzusage vom 22.01.2009 ergibt. Rein formal betrachtet scheint die Beklagte nicht mit ihrem Einwand fehlender Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung ausgeschlossen zu sein. Denn in der Kostenübernahmeerklärung heißt es: "Zwischenprüfung und Widerruf der Kostenübernahme sowie eine Überprüfung der Abrechnung nach Pflegesätzen, Fallpauschalen und Sonderentgelten behalten wir uns vor. Diese Kostenzusage gilt vorbehaltlich des Widerrufs, sofern und solange eine Mitgliedschaft bei unserer Kasse besteht." Der Sachverhalt gibt jedoch Anlass, die Rechtmäßigkeit des in die Kostenzusage aufgenommenen Vorbehalts in Zweifel zu ziehen. Aus § 6 Abs. 5 des Sicherstellungsvertrages ergibt sich, dass eine Kostenzusage im Regelfall vorbehaltlos zu erteilen ist; sie kann (nur) dann rückwirkend zurückgenommen werden, wenn sie auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruhte. Die ärztliche Verordnung der Krankenhausbehandlung ging am 29.12.2008 bei der Beklagten ein. Selbst wenn - wie die Beklagte geltend macht - der Behandlungsbeginn ursprünglich für Anfang Februar 2009 vorgesehen war und sie im Interesse der Versicherten eine schnelle Entscheidung treffen wollte, hätte sie mehr als einen Monat Zeit gehabt, die Notwendigkeit der Behandlung, wenn sie daran Zweifel hegte, durch den MDK im Vorfeld der Behandlung überprüfen zu lassen. Soweit sie geltend macht, sie sei bei ihrer Entscheidung "zunächst davon ausgegangen, dass die Entscheidung zur medizinischen Notwendigkeit der Therapie durch den Arzt korrekt" gewesen sei, hätte gerade dies eine vorbehaltlose Kostenzusage nahe gelegt. Denn hätte sich im Nachhinein herausgestellt, dass die Angaben, mit denen die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung begründet worden waren, aus vom Krankenhaus zu vertretenen Gründen unzutreffend gewesen wären, hätte dies gemäß § 6 Abs. 5 des Sicherstellungsvertrages eine rückwirkende Rücknahme der Kostenzusage gerechtfertigt. Wenn der Beklagten - wie sie ebenfalls geltend macht - zunächst außer der ärztlichen Verordnung "überhaupt keine Unterlagen" vorgelegen hätten, um die Notwendigkeit der Behandlung überprüfen zu können, hätte es nahe gelegen, solche umgehend bei der Klägerin anzufordern, wie es auch § 2 Abs. 1 Satz 2 des von den Beteiligten des Sicherstellungsvertrages ebenfalls geschlossenen Vertrages gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V zur "Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung" vorsieht. Insbesondere hätte es nahe gelegen, die Klägerin und die Versicherte auf - aus Sicht des MDK in Betracht kommende - "Alternativbe- handlungsmöglichkeiten in speziellen Aphasiestationen von Reha-Kliniken, z.B. in Soltau oder Bad Liebenstein hinzuweisen und - im Interesse der Versicherten - auch abzuklären, ob dort zeitnah freie Behandlungskapazitäten zur Verfügung standen. Wenn die Krankenkasse in dieser Hinsicht jedoch nichts unternimmt, eine Kostenzusage unter Vorbehalt erteilt und diese aufgrund nachträglicher Überprüfung zurücknimmt u.a. mit dem Hinweis auf stationäre Behandlungsalternativen in Reha-Kliniken, begegnet dies nicht zuletzt im Hinblick auf das Vertrauen, das die Verhältnisse der Krankenkassen zu ihren Versicherten bzw. den Leistungserbringern (hier: Krankenhaus) prägt und prägen sollte, erheblichen rechtlichen Bedenken. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der Widerrufsvorbehalt in der Kostenzusage rechtswidrig war.
Nach Auswertung aller ihr über den Behandlungsfall bekannt gewordenen Umstände, medizinischen Unterlagen und Stellungnahmen sowie aufgrund des von Amts wegen eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. I. vom 11.10.2010 ist die Kammer davon überzeugt, dass die Behandlung der Versicherten auf der Aphasiestation der Klägerin als stationäre Krankenhausbehandlung notwendig war, weil die Versicherte im streitbefangenen Zeitraum krankenhausbehandlungsbedürtig war.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Besondere Mittel des Krankenhauses sind u.a. eine operative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal und ein jederzeit präsenter oder rufbereiter Arzt. Dabei fordert die Rechtsprechung für die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung weder den Einsatz aller dieser Mittel noch sieht sie ihn stets als ausreichend an. Es ist vielmehr eine Gesamtbeachtung vorzunehmen, bei der den mit Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung entscheidende Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 3/08 KR R - m.w.N.). Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung notwendig ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen. Zur Beurteilung der Notwendigkeit ist von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen (BSG/Großer Senat, Beschluss vom 25.09.2007 - GS 1/06). Nach diesen Grundsätzen war die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten vom 05.04. bis 08.05.2009 notwendig.
Die seit vielen Jahren in der Klinik der Klägerin durchgeführte Aachener Aphasiespezialbehandlung wird als intensive multidisziplinäre Komplexbehandlung durchgeführt und ist als solche in der medizinischen Fachwelt anerkannt. Sie umfasst logopädische Intensivtherapie, physiotherapeutische Behandlung der Grob- und Feinmotorikstörung, phsysikalische Therapie, neuropsychologische Diagnostik und neuropsychologisches Training am Computer, Dyskalkuliediagnostik sowie ein Training zur Zahlenverarbeitung, Milieutherapie zur Verbesserung der Selbstständigkeit im Alltag, neurologische und internistische Kontrolluntersuchungen sowie kontinuierliche ärztliche Betreuung. Das Behandlungsangebot wird für jeden Patienten individuell angepasst. Die Behandlungsdauer beträgt in der Regel sieben Wochen. Die medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung auf der Aachener Aphasiestation wird im Einzelfall entweder durch ausführliche neurologische, neuropsychologische und neulinguistische Untersuchungen in der Sprachambulanz vor Ort ermittelt oder durch sorgfältige Evaluation von früheren Befundberichten (vgl. die allgemeinen "Informationen für Krankenkassen und medizinische Dienste" der Klägerin, Blatt 4-7 der Verwaltungsakte der Beklagten). Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie "Rehabilitation aphasischer Störungen nach Schlaganfall" (4. überarbeitete Auflage 2008) ist ein wesentlicher Einflussfaktor die Therapieintensität. Studien haben gezeigt, dass eine höhere Therapiefrequenz mit einem größeren positiven Behandlungseffekt einhergeht. Gegebenenfalls ist auch nach mehr als zwölf Monaten nach dem Schlaganfallergeignis eine Wiederholung von stationärer Behandlung mit Intensivtherapie (sechs bis acht Wochen mit möglichst täglichen Therapiestunden) notwendig. Nach den Leitlinien 2000 der Gesellschaft für Aphasieforschung und -behandlung und der Deutschen Gesellschaft für Neurotraumatologie und klinische Neurophysiologie ist bei einem Schlaganfall zwischen einer Akutphase (zwei bis sechs Wochen), einer Postakutphase (ein bis zwölf Monate) und einer chronischen Phase (länger als zwölf Monate) zu unterscheiden. Spätestens nach zwölf Monaten tritt ein chronischer Zustand ein; weitere Besserung erfolgt nicht mehr spontan. Bei vielen Patienten können jedoch durch intensives Üben und Lernen weitere Fortschritte erzielt werden. Insbesondere für Aphasien gilt: Der Wiedererwerb der verlorenen oder gestörten Sprache ist auch in der chronischen Phase möglich. Die Fortsetzung von Therapie in der chronischen Phase setzt voraus, dass das Vorliegen kontinuierlicher Lernfortschritte durch standardisierte Testverfahren nachgewiesen wird. Sobald längerfristige Lernplateaus erreicht werden, ist die Fortsetzung gezielter Sprach- und Sprechtherapien nicht mehr sinnvoll.
Im Fall der Klägerin haben die Ärzte der Aachener Aphasiestation in ihren Empfehlungen an die behandelnden Hausärzte der Versicherten dargelegt, dass während der ersten stationären Behandlung vom 17.09. bis 02.11.2007 "signifikante sprachliche Fortschritte" erzielt werden konnten und weitere Fortschritte zu erwarten waren. Zwar haben die Ärzte es im Vorfeld der zweiten stationären Aphasiebehandlung unterlassen, den auch nach den beiden vorgenannten Leitlinien der Fachgesellschaften empfohlenen Aachener Aphasietest (AAT) durchzuführen. Jedoch haben die Ärzte dies am 04.05.2009 nachgeholt. Ausweislich des ausführlichen Berichts vom selben Tag haben die Testergebnisse gezeigt, dass die Versicherte nach schwankendem Anfangsverlauf insgesamt ein Lernplateau für die Anforderungen des Aachener Aphasietests erreicht hat. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse - so die Ärzte - seien stabil überzufällig besser als bei den Erst- bzw. Zweituntersuchung gewesen; bei genauer Analyse der Spontansprache (Computerunterstützt mit der Aachener Sprachanalyse ASPA) hätten sich deutliche Verbesserungen der syntaktischen und morphologischen Fähigkeiten der Versicherten gezeigt. Die Ärzte haben dies an einem Textbeispiel demonstriert. Daraus ergibt sich, dass die sprachliche Kommunikation jetzt deutlich verbessert war. Insgesamt hielten die Ärzte die Versicherte trotz chronischer Aphasie für weiterhin sprachlich lernfähig.
Daraus folgt, dass - entgegen der vom MDK zuletzt in seiner Stellungnahme vom 05.11.2010 vertretenen Auffassung - vor der zweiten Aphasiespezialbehandlung noch kein längerfristiges Lernplateau erreicht war, das die Fortsetzung gezielter Sprach- und Sprechtherapie nicht mehr hätte sinnvoll erscheinen lassen. Vielmehr wurde dies erst im Verlauf der Behandlung erreicht. Zu Beginn dieser Behandlung hatte die Versicherte Schwierigkeiten in Satzplanung, Grammatik und Wortfindung sowie in der Spontansprache. In den syntaktischen Übungen konnte sie gute Verbesserungen erzielen (Bericht der neurologischen Klinik der Klägerin vom 08.06.2009).
Dieser Behandlungserfolg, davon ist die Kammer überzeugt, wurde gerade durch die intensive Aphasiespezialbehandlung erreicht. Die Klägerin hat den Umfang der Therapie aufgelistet; danach erhielt der Versicherte allein in den Bereichen logopädische Einzeltherapie, logopädische Gruppentherapie, PC-Training: Sprache und Neuropsychologie, kommunikative und kreative Therapie sowie Physiotherapie und physikalische Therapie durchschnittlich 17,4 Zeitstunden pro Woche. Berücksichtigt man die weiteren in einem Krankenhaus regelmäßig anfallenden Handlungs- und Behandlungsbereiche, so wird deutlich, dass eine solche Behandlung nur stationär ausgeführt werden kann. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. I ... Er hat dargelegt, dass die Aphasiespezialbehandlung einen stationären Aufenthalt verlangt, da nur so die Intensität der multimodalen Förderung erreicht werden könne, die wiederum die Voraussetzung für signifikante Fortschritte sei. Dieses Therapieprinzip sei nicht nur logopädisch, physiotherapeutisch und neuropsychologisch isoliert zu rechtfertigen; vielmehr stellten das Zusammenwirken, ergänzt durch Mileutherapie mit In-Vivo-Training, Notwendigkeiten dar, um die anerkannten Fortschritte bei der Aphasietherapie von Patienten mit schwersten Schädigungen im Bereich des Sprachzentrums zu erreichen. Ein entsprechendes Setting liege am Universitätsklinikum Aachen vor, wobei diese hochintensive Therapie weit über die Intensität einer üblichen Rehabilitation hinausgehe.
Da es sich bei der Aachener Aphasiespezialbehandlung um eine Behandlung handelt, die stationär nur in einem Krankenhaus - eben dem der Klägerin - durchgeführt wird, war die Behandlung der Versicherten auch als stationäre Krankenhausbehandlung medizinisch notwendig. Dies begründet den Vergütungsanspruch der Klägerin.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 2, 63 Abs. 2 GKG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved