S 58 AL 3708/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
58
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 3708/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der KV/PV-Erstattungsbescheid vom 29.7.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.8.2010 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind zu 1/3 zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides sowie eines darauf gestützten Erstattungsbescheides über die im Aufhebungszeitraum entrichteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge.

Der Kläger hatte im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) eine geringfügige Beschäftigung (400 Euro-Job) als Verkaufshilfe aufgenommen. Die Beschäftigung begann am 20.10.2009. Der Arbeitsvertrag vom 11. November 2009 war am 1.12.2009 vom Kläger unterzeichnet worden. Bis zur Ausschöpfung des Alg-Anspruchs am 29.11.2009 war ungekürzt Alg gezahlt worden. Ergänzend dazu hatte der Kläger seit Dezember 2008 Alg II vom Job Center erhalten. Sowohl über den Bezug von Alg als auch Alg II war eine Pflichtversicherung bei derselben Krankenkasse begründet worden

Anlässlich eines Alg II-Folgeantrags für die Zeit ab Dezember 2009 war dem Job Center die Beschäftigung Anfang 2010 vom Kläger gemeldet worden.

Der Beklagten wurde die Arbeitsaufnahme erst über einen Datenabgleich am 28. Mai 2010 bekannt. Weil die Beschäftigung auf eine wöchentliche Arbeitszeit von über 15 Stunden angelegt war, hob die Beklagte nach Anhörung des Klägers die Alg-Bewilligung für die Zeit vom 20.11. bis 29.11.2009 auf (Bescheid vom 9.7.2010). Mit Bescheiden vom 29.7.2010 forderte die Beklagte das überzahlte Alg (489,20 EUR) und die vom 20.10. bis 29.11.2009 entrichteten KV/PV-Beiträge (139,16 EUR) zurück.

Im Widerspruchsverfahren zur Aufhebung der Alg-Bewilligung gab der Kläger an, die Beschäftigung über das Job Center bekannt gegeben zu haben.

Am 13. September 2010 hat der Kläger nach Zurückweisung des Widerspruchs (Widerspruchs-bescheid vom 12.8.2010) beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Er macht geltend, die Rückforderung des Alg müsse unter den Vorbehalt einer Neuberechnung des Alg II gestellt werden. Ansonsten gingen ihm u. U. die im Aufhebungszeitraum zustehenden, höheren SGB II-Leistungen (Anrechnung von 240 EUR Erwerbseinkommen statt 336,90 EUR Alg) verloren.

Die KV/PV-Beiträge könnten nach § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht zurückgefordert werden, weil über den Alg II-Bezug ein weiteres Pflichtversicherungsverhältnis bestanden habe. Die Beklagte müsse sich direkt an die Krankenkasse wenden.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

die Bescheide vom 9.7. und 29.7.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.8.2010 aufzuheben.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen, im Fall einer Stattgabe die Berufung zuzulassen.

Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewech- selten Schriftsätze sowie die beigezogenen Leistungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die zu Unrecht entrichteten KV/PV-Beiträge muss die Beklagte über die Krankenkasse vom Gesundheitsfonds, nicht vom Kläger, zurückholen.

Zunächst hat der Beklagte in den angefochtenen Alg-Aufhebungsbescheiden zu Recht ausgeführt, dass der Kläger seine Mitteilungspflicht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X verletzt hat. Denn schon mit Beginn der tatsächlichen Arbeit ist dies der AA zu melden, nicht erst, wenn ein Vertrag über die Arbeitsverpflichtung abgeschlossen wird oder das Entgelt aufs Konto fließt.

Auch die Kammer geht daher davon aus, dass der Kläger die Arbeitsaufnahme anlässlich des Termins im Job Center am 13.1.2010 nicht rechtzeitig bekannt gegeben hatte, wobei zu seinen Gunsten unterstellt sei, ein Alg II-Aufstocker könne ohne grobes Verschulden glauben, mit der Information an das Job Center auch die AA ausreichend unterrichtet zu haben.

Keine Zweifel hat die Kammer daran, dass der Kläger bei einfacher Überlegung hätte wissen müssen, schon mit Aufnahme der auf Entgelterzielung gerichteten Arbeit eine Meldung an die AA oder jedenfalls das Job Center machen zu müssen. Auch wenn einem Arbeitslosen der Inhalt des Merkblattes nicht präsent sein muss, ist die Aufnahme einer Beschäftigung stets ein ins Auge springender Umstand, der eine Information darüber nahe legt, wie sich die Arbeits-aufnahme auf den Bezug von Alg auswirkt. Bei Blick in das Merkheft hätte der Kläger sehen können, dass er schon vor Abschluss des Arbeitsvertrages tätig werden muss. Außerdem hätte er dann auch erkennen können, dass der Umfang seiner Arbeit Ansprüche auf Alg ganz ausschloss.

Folge der grob fahrlässig unterlassenen Meldung ist eine Pflicht zur Erstattung des überzahlten Alg nach § 50 SGB X. Ermessen steht der Beklagten nicht zu (§ 330 Abs. 3 SGB III).

Dass der Kläger infolge der Rückzahlung des Alg – rückblickend betrachtet – einen höheren Anspruch auf Alg II gehabt hätte, ist von der Beklagten nicht zu berücksichtigen. Zum einen ist Ursache der Überzahlung ein Fehlverhalten des Klägers, zum anderen hätte der Kläger bei rechtzeitiger Erfüllung seiner Mitteilungspflicht gegenüber dem Job Center auf eine Änderung der Alg II-Bewilligung hinwirken können. Ein Fehlverhalten der AA oder des Job Centers im Sinne einer Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt nicht vor.

Sollte das Job Center rückwirkend unter dem Gesichtspunkt des tatsächlichen Zuflusses von Alg und Erwerbseinkommen im November 2009 eine Aufhebung des Alg II prüfen, mag der Kläger dort unter Verweis auf die Rückforderung des Alg auf einen Erlass der Forderung nach § 44 SGB II dringen.

Die Rückforderung des überzahlten Alg ist somit nicht zu beanstanden.

Nach § 335 Abs. 1 SGB III ergibt sich daraus aber nur dann eine Beitrags-Erstattungspflicht des Klägers, wenn er im Aufhebungszeitraum nur über den Bezug von Alg pflichtversichert war bzw. wenn in diesem Zeitraum kein anderes "Krankenversicherungsverhältnis" bestand.

Im vorliegenden Fall war der Kläger jedoch über den Bezug von Alg II nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V pflichtversichert. Eine Familienversicherung war nicht möglich, so dass die Kranken-versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V auch rechtmäßig bestand und als Mehrfach-versicherung mit einer Beitragbemessung nach § 232a Abs. 1 Nr. 2 SGB V durchgeführt wurde.

Da der Kläger sowohl von der AA als auch vom Job Center bei derselben Krankenkasse angemeldet wurde, ist das Erstattungsverfahren bzgl. der von der Beklagten an den Gesund-heitsfonds entrichteten Beiträge im Verhältnis AA - Krankenkasse durchzuführen. Der Kläger ist nach § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III von der Erstattungspflicht befreit.

Da im Ergebnis seit 20.10.2009 nur die Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V Bestand hat - § 5 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 SGB V gilt im Erstattungsverfahren nach § 335 SGB III nicht – muss das Job Center die nach § 232a SGB V gekürzten Beiträge auf den regulären Beitrag aufstocken. Auch dies geht aber nicht zu Lasten des Klägers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung wird zugelassen, da die Frage der Beitragserstattung nach § 335 SGB III bei Alg II-Aufstockern eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und noch nicht von der Rechtsprechung geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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