L 9 R 2733/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 2356/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2733/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. März 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger aufgrund eines Leistungsfalls vom 28. Juni 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. Juli 2006 zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1955 geborene Kläger kam im August 1970 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Er hat keinen Beruf erlernt und war in Deutschland - mit geringen Unterbrechungen - von September 1970 bis 2003 beschäftigt, überwiegend als Schweißer. Nach Insolvenz seines Arbeitgebers war er arbeitslos und bezog seit Februar 2004 Leistungen der Agentur für Arbeit. Wegen der vorliegenden versicherungsrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf zum Bescheid vom 10. Oktober 2006 (Seiten 125ff. der Rentenakten) verwiesen.

Am 28. Juni 2006 erlitt er einen Vorderwandinfarkt. Bei einer erfolgreichen Akut-Koronar-angiographie wurden drei Stents (prox. RIVA, distale RCX und mediale RCA) gelegt. Wegen anhaltender Beschwerden wurde am selben Tag eine erneute Koronarangiographie durchgeführt und ein weiterer Stent (distale RIVA) gelegt. Nach dem bis 13. Juli 2006 dauernden Krankenhausaufenthalt befand sich der Kläger vom 24. Juli bis 22. August 2006 zu einem Anschlussheilverfahren in der Rehabilitationsklinik H.-K ... Die dortigen Ärzte stellten beim Kläger im Entlassungsbericht vom 21./22. August 2006 folgende Diagnosen: • Zustand nach Vorderwandinfarkt am 28. Juni 2006 • Schwere koronare 3-Gefäß-Erkrankung mit RIVA-Verschluss • Zustand nach PTCA und Stent hochproximaler RIVA-Stenose, mediale RCA, distale RCX und distale RIVA am 29. Juni 2006 • Linksherzinsuffizienz mit mittelgradig eingeschränkter systolischer LV-Pumpfunktion • Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Arterielle Hypertonie, Adipositas, OSAS, pathologische Glukosetoleranz, positive Familienanamnese bezüglich koronarer Herzkrankheit • Zustand nach Nieren-Operation rechts bei Nephrolithiasis mit Nierenkolik 1982. Der Kläger wurde als arbeitsunfähig entlassen. Die Ärzte führten aus, aufgrund des Zustandes nach Herzinfarkt könne der Kläger auch in Zukunft seine frühere schwere Tätigkeit als Schweißer nicht mehr verrichten. Nach Rekonvaleszenz werde voraussichtlich ab Anfang Oktober 2006 wieder Arbeitsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten gegeben sein.

Am 8. September 2006 beantragte der Kläger wegen des Herzinfarkts die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Beiziehung des Entlassungsberichts der Rehabilitationsklinik H.-K. und Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme bei Dr. H. vom 5. Oktober 2006 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2006 die Gewährung von Rente ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Auf den Widerspruch des Klägers vom 8. November 2006 holte die Beklagte einen Befundbericht bei Dr. L., Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 29. November 2006, die Arztbriefe der St. V.-Kliniken Karlsruhe vom 22. August 2006 und 5. Januar 2007 sowie der Schwerpunktpraxis Kardiologie der Drs. R./R./E. vom 3. November 2006 vorlegte, sowie weitere beratungsärztliche Stellungnahmen von Dr. H. vom 8. Dezember 2006 und 8. Februar 2007 ein. Dem Arztbrief vom 5. Januar 2007 ist zu entnehmen, dass sich beim Kläger in den letzten Monaten eine stark ausgeprägte Angina pectoris-Symptomatik entwickelt hatte, weswegen eine Herzkatheteruntersuchung am 2. Dezember 2006 wiederholt wurde. Hierbei wurden eine signifikante Rezidiv-Stenose des Ramus interventricularis anterior im mittleren Drittel sowie hochgradig stenosierte Seitenäste der rechten Kranzarterie festgestellt. Trotz der Intervention besserte sich die Angina pectoris-Symptomatik nicht. Wegen der schon erfolgten intensiven medikamentösen Therapie und der begrenzten zusätzlichen therapeutischen Möglichkeiten sollte der Kläger an einem ärztlich überwachten Trainingsprogramm teilnehmen und Anfang März sollte eine nochmalige Kontrollkoronarangiographie durchgeführt werden, falls sich die Symptome nicht besserten. Nachdem Dr. H. ein Leistungsvermögen von sechs Stunden für leichte Tätigkeiten annahm (Stellungnahme vom 8. Februar 2007) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2007 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 10. Mai 2005 unter Vorlage eines Arztbriefes der Schwerpunktpraxis für Kardiologie Drs. R./R./E. vom 30. April 2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben und vorgetragen, sein Kardiologe und seine Hausärztin seien der Meinung, er sei nicht mehr in der Lage, einer Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nachzugehen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört, eine Arbeitgeberauskunft sowie Gutachten eingeholt.

Der Nervenarzt Dr. U. hat am 17. September 2007 mitgeteilt, er behandle den Kläger seit Juni 2007 wegen Angst und Depression gemischt. Der Kardiologe Dr. R. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 20. September 2007 auf die von ihm erstellten Arztbriefe vom 3. November 2006, 3. Dezember 2006, 13. Dezember 2006, 5. Januar 2007, 26. Februar 2007, 4. März 2007, 30. April 2007 und 17. September 2007 verwiesen und ausgeführt, bei der letzten Herzkatheteruntersuchung vom 17. September 2007 habe sich eine weitere Verschlechterung der Pumpfunktion der linken Herzkammer gezeigt. Auch die Füllungsdrucke der linken Herzkammer seien stark erhöht. Aufgrund der schweren Herzerkrankung und der Verschlechterung trotz intensiver Therapie sei der Kläger nach seiner Einschätzung nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. hat am 27. September 2007 angegeben, der Kläger klage über Atemnot, Herzschmerzen, Angina pectoris auch bei geringster Belastung und Müdigkeit. Er sei nicht in der Lage, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der Urologe Dr. F. hat unter dem 28. September 2007 über Behandlungen des Klägers vom 27. Januar 2006 bis 26. Juni 2007 wegen Flankenschmerzen rechts und über spontane Steinabgänge berichtet.

Die K. Fahrzeugwerke GmbH hat am 13. September 2007 mitgeteilt, der Kläger sei bei ihrer Rechtsvorgängerin mit Schlosser- und Schweißarbeiten im Fahrzeug-Rahmenbau beschäftigt gewesen und in Tarifgruppe 7 des Tarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie Nord-Würt-temberg/Nord-Baden eingestuft gewesen. Die Anlern-/Einlernphase für die Tätigkeiten habe in der Regel je nach Arbeitsauftrag ein bis zwei Monate gedauert.

Der Arzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. K. hat im Gutachten vom 12. Februar 2008 beim Kläger folgende Diagnosen gestellt: • Ursprünglich koronare 3-Gefäßerkrankung mit Zustand nach wiederholten Koronarinterventionen, letztmalig im März 2007, mit gutem Interventionsergebnis • Zustand nach Vorderwandinfarkt mit ausgedehnter Narbenbildung am 29. Juni 2006 • Mittelgradige Einschränkung der linksventrikulären Funktion entsprechend dem myo-kardialen Funktionsstadium II - III • Chronischer nicht anginöser Brustschmerz bei chronifizierter Depressivität • Angina pectoris Beschwerdestadium CCS II mit unauffälliger ergometrischer Belastbarkeit bis 75 Watt entsprechend 1,0 Watt/kg Körpergewicht • Belastungslinksherzinsuffizienz entsprechend dem Beschwerdestadium NYHA II • Behandelte Hypertonie ohne Folgeschäden • Hypercholesterinämie, diätetisch eingestellter Diabetes mellitus. Dem Kläger könnten leichte bis mittelschwere Arbeiten täglich sechs Stunden und mehr zugemutet werden, wie das Handhaben von ein bis drei kg schwer gehenden Steuereinrichtungen, unbelastetes Begehen von Treppen und Leitern sowie Heben und Tragen mittelschwerer Lasten in der Ebene bis 15 kg. Nicht mehr zumutbar seien schwere Arbeiten, Tätigkeiten in Körperzwangshaltungen, unter belastenden Umgebungseinflüssen wie starker Lärm, Kälteexposition, Hitze über 30°, im Akkord, unter Zeitdruck sowie Nachtarbeit. Im Gegensatz zu den behandelnden Kardiologen sehe er im Verlauf keine Verschlechterung der kardiologischen Befunde. Es sei kein Zusammenhang zwischen den Beschwerden des Klägers und dem koronaren Befund oder der linksventrikulären Funktion zu erkennen. Da eine Verschlechterung nicht feststellbar sei, gelte die Beurteilung der Rehabilitationsklinik unverändert. Die Hauptursache für die subjektiv empfundene Einschränkung der Leistungsfähigkeit liege nicht auf kardiologischem Gebiet. Vielmehr spreche dies für eine erhebliche Störung der Krankheitsverarbeitung, weshalb ein psychiatrisches Gutachten zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit erforderlich sei.

Der Neurologe und Psychiater Dr. N. hat im Gutachten vom 30. Mai 2008 beim Kläger eine Anpassungsstörung mit Depression sowie einen linksthorakalen Schmerz als Ausdruck einer somatoformen autonomen Störung diagnostiziert. Leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen bis 15 kg könne der Kläger täglich noch sechs Stunden und mehr verrichten. Zu vermeiden seien Arbeiten unter Zeitdruck (wie Akkord- und Fließbandarbeiten), mit höherer Verantwortung, nervlicher Belastung und höherer geistiger Beanspruchung sowie Nachtarbeiten.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG Prof. Dr. K., ehemaliger Direktor der Abteilung Innere Medizin III des Universitätsklinikums H., mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. In dem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 10. Dezember 2008 ist dieser zum Ergebnis gelangt, beim Kläger lägen folgende Gesundheitsstörungen vor: • Zustand nach großem Vorderwandinfarkt im Juni 2006 (CK max 3699 U/L) infolge Verschlusses der RIVA proximal • Koronare Dreigefäßerkrankung • Linksherzinsuffizienz bei eingeschränkter systolischer Pumpfunktion • Diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikels • Cerebrovaskulärer Insult 1996 • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (11/02 PTA der A. femoralis superficialis links) • Arterielle Hypertonie • Hypercholesterinämie • Diabetische Stoffwechsellage • Positive Familienanamnese (Tod des Vaters im Alter von 59 Jahren infolge Herzinfarkts) • Adipositas • Anpassungsstörung mit Depression, linksthorakale Schmerzen als Ausdruck einer somatoformen autonomen Störung • Nephrolithiasis bei Zustand nach Nierenoperation rechts bei Koliken 1982 • Pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom rechts, Verdacht auf neuropathisches Schmerzsyndrom. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten. Er leide an einem allgemeinen Gefäßaufbrauch, der nicht nur die Herzkranzgefäße betreffe, sondern auch zu Durchblutungsstörungen der Hirnarterien und der Beinarterien in relativ jugendlichem Alter geführt habe. Beim Kläger seien innerhalb eines Dreivierteljahres - von Juni 2006 bis März 2007 - sechs Interventionen an den Herzkranzgefäßen erforderlich gewesen. Das entspreche nicht dem normalen Verlauf nach PCI mit Stentim-plantation und belege die hohe Progressionsneigung der arteriosklerotischen Veränderungen beim Kläger.

MD L. hat in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 27. Januar 2009 ausgeführt, die synoptische Würdigung von Prof. Dr. K. möge zwar zutreffen, sei jedoch nicht zu belegen, da er den Kläger nicht selbst befragt bzw. untersucht habe.

Mit Urteil vom 26. März 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, unter Berücksichtigung seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Schweißer sei der Kläger ausgehend vom Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts (BSG) als Angelernter im unteren Bereich einzustufen, der sozial zumutbar auf sämtliche ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne. Dort könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Zu diesem Ergebnis komme das SG aufgrund der in den schlüssigen Gutachten des Dr. K. und Dr. N. auf kardiologischem und neurologisch-psychi-atrischem Fachgebiet vorgenommenen Leistungseinschätzung. Nicht anzuschließen vermöge sich das SG der im Gutachten von Prof. Dr. K. getroffenen Leistungseinschätzung. Ausschlaggebend für die Entscheidung des SG sei letztlich, dass der Kläger im Rahmen der Untersuchung durch Dr. K. zwei Minuten lang bis 100 Watt belastbar gewesen sei, wobei bis 75 Watt keine Hinweise auf eine Belastungskoronarinsuffizienz zu finden gewesen seien. Der Abbruch auf der 100 Watt-Stufe sei wegen Angabe eines Brennens hinter dem Brustbein erfolgt. Leichte Tätigkeiten könne der Kläger noch verrichten, da auf leichter Belastungsstufe, nämlich auf der ergometrischen 50- bis 75-Watt-Stufe, keine eindeutigen Pathologika festzustellen gewesen seien. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 15. Juni 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Juni 2009 Berufung eingelegt und vorgetragen, sein behandelnder Kardiologe Dr. R. und Prof. Dr. K. hätten bestätigt, dass er an einer schweren Herzerkrankung leide, die mit einer erheblichen Leistungsminderung verbunden sei und selbst das Verrichten einer leichten Tätigkeit unmöglich mache. Darüber hinaus liege noch eine depressive Erkrankung vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2007 aufzuheben und ihm ab 1. Juli 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunkt zuließen.

Der Senat hat den Arzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. K., Oberarzt an der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Mannheim, mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat in dem zusammen mit Dr. L. erstatteten Gutachten vom 5. August 2010 beim Kläger folgende Diagnosen gestellt: • Koronare Dreigefäßerkrankung mit multiplen koronaren Interventionen: 1. Zustand nach großem Vorderwandinfarkt mit Akutintervention (Rekanalisation und Stent-implantation des proximalen RIVA), zusätzlich in gleicher Sitzung primäre Stentimplanta-tion einer hochgradigen distalen RCX-Stenose und primäre Stentimplantation einer subtotalen RCA-Stenose am 29. Juni 2006 2. Erneute Koronarangiographie am gleichen Tag wegen persistierender Ischämie mit erfolgreicher prima-vista Angioplastik und Stentimplantation des distalen RIVA mit anschließendem slow-flow-Phänomen als Hinweis auf mikrovaskuläre Obstruktion, Gabe von Nitro und Reopro-Bolus wegen weiterhin persistierender Angina pectoris Symptomatik 3. InStent-Restenose im Bereich des distalen RIVA mit komplizierter Intervention (Angio-plastik der InStentstenose, elektromechanische Entkopplung mit AV-Block III° und Reanimation nach Platzierung des Führungsdrahtes) am 2. Dezember 2006 4. InStent-Restenose am distalen Ende des RIVA-Stent mit Stentimplantation und Progression der koronaren Herzerkrankung mit signifikanter Stenose im Bereich der nativen RCX mit Stentimplantation am 3. März 2007 5. Mikroangiopathie (mikrovaskuläre Dysfunktion) mit persistierender therapierefraktärer Angina pectoris Symptomatik auf niedriger Belastungsstufe • Linksherzinsuffizienz 1. Mittelgradig eingeschränkte systolische Funktion des linken Ventrikel (MR-tomographisch EF 40 %) 2. Diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikel • Zustand nach cerebrovaskulärem Insult 1996 • Periphere arterielle Verschlusskrankheit mit Zustand nach Angioplastie der A. femoralis superficialis links 11/2002 • Arterielle Hypertonie • Hypercholesterinämie • Positive Familienanamnese hinsichtlich eines Herzinfarktes • Leichte Adipositas • Diabetische Stoffwechsellage • Anpassungsstörung mit Depression, linksthorakaler Schmerz als Ausdruck einer somatoformen autonomen Störung • Zustand nach Nierenoperation rechts bei Nephrolithiasis 1982 • Pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom rechts, Verdacht auf neuropathisches Schmerzsyndrom Dr. K. ist zum Ergebnis gelangt, beim Kläger liege eine schwere koronare Dreigefäßerkrankung vor, die im Jahr 2006 zu einem großen Vorderwandinfarkt geführt habe. Hierdurch sei es zu einer mittelgradig reduzierten systolischen linksventrikulären Funktion gekommen. Die Bestimmung der linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdrucke im Rahmen der elektiven Herzkatheteruntersuchung vom 2. Dezember 2006 und 15. September 2007 belege ebenfalls die mittelschwere bis schwere Funktionsstörung der linken Herzkammer (Herzinsuffizienz). Zusätzlich bestehe eine diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikels (Relaxationsstörung). Der Kläger sei zwar in der Lage, eine kurzfristige ergometrische Belastung von 75 bis 100 Watt zu leisten, jedoch fänden sich in der Spiroergometrie unter diesen Bedingungen eine erniedrigende anaerobe Schwelle, eine verminderte O2-Aufnahme und ein Anstieg des Atemäquivalents für CO2, so dass diese Belastung nicht längere Zeit durchgehalten werden könne. Zudem berichte der Kläger jeweils schon auf niedriger Belastungsstufe (25 bis 50 Watt) über Angina pectoris, so dass klinisch von einer Minderdurchblutung des Myokards auszugehen sei. Aufgrund der vorliegenden Risikofaktoren und des klinischen Verlaufs mit glaubhafter Angabe von ischämie-bedingten Beschwerden bei leichter körperlicher Belastung sowie nach Adenosinprovokation (Stress-MRT) sei daher zusätzlich zum Vorliegen des arteriosklerotischen Befalls der großen, epikardialen Herzkranzgefäße (Makroangiopathie) vom Vorliegen eines Befalls der kleinen intramyokardialen Gefäße (Mikroangiopathie, mikrovaskuläre Dysfunktion) auszugehen. Der Kläger sei aufgrund der mittelgradig eingeschränkten systolischen Funktion und der diastolischen Funktionsstörung des linken Ventrikels sowie aufgrund der Mikroangiopathie mit Angina pectoris-Symptomatik auf niedriger Belastungsstufe nicht mehr in der Lage, auch leichte körperliche Arbeiten auszuführen. Von einem weiteren Fortschreiten der Erkrankung sei auszugehen.

MD L. hat in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 1. September 2010 ausgeführt, die objektiven Befunde im kardiologischen Gutachten vom 5. August 2010 belegten nicht eindeutig, dass der Kläger nicht mehr nennenswert arbeiten könne. Es sei nach wie vor nicht eindeutig belegt, dass der Kläger wirklich auf leichter Stufe durch die Belastungskoronarinsuffizienz erheblich beeinträchtigt sei.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Mit den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte zu Unrecht die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats voll erwerbsgemindert, da er nicht mehr in der Lage ist, regelmäßig mindestens drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten zu verrichten. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der Gutachten von Dr. K. vom 5. August 2010 und Prof. Dr. K. vom 10. Dezember 2008 sowie der sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Kardiologen vom 20. September 2007 und der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. L. vom 27. September 2007.

Beim Kläger liegt eine koronare Dreigefäßerkrankung vor, die zu zahlreichen koronaren Interventionen geführt hat. Nachdem der Kläger am 28. Juni 2006 einen Vorderwandinfarkt erlitten hatte, zeigte sich bei der am 29. Juni 2006 durchgeführten Koronarangiographie eine schwere koronare Dreigefäßerkrankung mit proximalem Verschluss des RIVA sowie eine subtotale mittlere RCA-Stenose und eine hochgradige distale RCX-Stenose, die dilatiert und mit Stents versorgt werden mussten. Des weiteren fanden sich noch mittelgradige Stenosierungen der Gefäße. Wegen anhaltender Schmerzen im linken Arm wurde am selben Tag eine weitere Koronarangiographie durchgeführt und eine RIVA-7-Stenose mittels Primärstenting versorgt. Wegen stark ausgeprägter Angina pectoris-Symptomatik wurde am 2. Dezember 2006 eine erneute Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, wobei sich im mittleren Drittel des RIVA im Segment 7 eine signifikante Rezidiv-Stenose zeigte. Daneben bestanden noch hochgradige Stenosierungen größerer Seitenäste der rechten Kranzarterie. Bei dieser Herzkatheteruntersuchung war es zu einer Komplikation mit Kreislaufabfall und vorübergehender elektro-mechanischer Entkopplung gekommen mit der Notwendigkeit einer Reanimation. Nach der Intervention hatte der Kläger immer wieder Beschwerden im Brustkorb, auch bei leichten Anstrengungen. Die erneute Herzkatheteruntersuchung am 3. März 2007 aufgrund der fortbestehenden Angina pectoris-Sympto-matik ergab, dass sich im Übergangsbereich des distalen RIVA-Stents zum Nativgefäß eine erneute hochgradige Stenose ausgebildet hatte. Zusätzlich hatten die Veränderungen im Bereich des RCX zugenommen, weswegen beide Stellen mit einem Stent versorgt wurden. Trotz der Katheterintervention trat beim Kläger klinisch keine Besserung ein. Der Kläger hatte weiterhin häufig retrosternale Schmerzen in Ruhe, die auf Nitrospray ansprachen; zusätzlich trat bei leichter Belastung (1 Stockwerk Treppensteigen) Druck im Brustkorb auf. Daneben hatte sich der linke Ventrikel vergrößert. Zusätzlich entstand eine mittelgradige pulmonale arterielle Hypertonie. Angesichts dessen hält der Senat die Beurteilung der behandelnden Kardiologen im Arztbrief vom 30. April 2007 für zutreffend, dass beim Kläger nicht nur eine erhebliche Schmerzwahrnehmung, sondern objektiv eine erhebliche Störung der Funktion der linken Herzkammer vorliegt. Die fünfte Kontroll-Angiographie vom 15. September 2007 zeigte zwar ein gutes Interventionsergebnis, allerdings auch eine Verschlechterung der linksventrikulären Funktion, so dass eine prophylaktische Defibrillatorimplantation erwogen wurde (Arztbrief der Kardiologen vom 17. September 2007). Angesichts der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen (Zustand nach großem Vorderwandinfarkt im Juni 2006 infolge des Verschlusses der RIVA proximal, koronare Dreigefäßerkrankung, Linksherzinsuffizienz bei eingeschränkter systolischer Pumpfunktion, diastolische Funktionsstörung des linken Ventrikels) und des oben dargestellten Verlaufs der Erkrankung ist der Kläger nach Überzeugung des Senats nicht mehr in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten regelmäßig mindestens drei Stunden täglich zu verrichten. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat insbesondere aufgrund der übereinstimmenden und überzeugenden Beurteilungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. K. sowie der behandelnden Kardiologen Drs. R./-R./E. sowie der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. L ...

Prof. Dr. K. hat für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass der Kläger an einem allgemeinen Gefäßaufbrauch leidet, der nicht nur die Herzkranzgefäße betrifft, sondern auch zu Durchblutungsstörungen der Hirnarterien (cerebrovaskulärer Insult 1996) und der Bein-arterien (periphere arterielle Verschlusskrankheit, PTC der A. femoralis superficialis links im November 2002) in relativ jungem Alter geführt hat. Die aus Anlass des Vorderwandinfarkts durchgeführte Koronarangiographie zeigte im Alter von 51 Jahren bereits eine schwere Dreigefäßerkrankung. Diese Befunde belegen, dass es sich beim Kläger um eine schwere frühe Manifestation einer koronaren, peripheren und cerebralen Durchblutungsstörung handelt. Außerdem weist der Kläger zahlreiche Risikofaktoren (genetische Disposition, diabetische Stoffwechsellage, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Adipositas) auf, die eine rasche Progression der arteriosklerotischen Veränderungen erwarten lassen. Da beim Kläger innerhalb eines ¾-Jahres - von Juni 2006 bis März 2007 - sechs Interventionen an den Herzkranzgefäßen erforderlich waren, belegt dies die hohe Progressionsneigung der arteriellen Veränderungen beim Kläger. Bei ihm liegt eine kombinierte Form der Linksherzinsuffizienz vor, die sowohl aus einer systolischen als auch einer diastolischen Funktionsstörung besteht. Dies ergibt sich aus dem bei der Angiographie gemessenen Wert von 25 mmHg (Norm 4- 12 mmHg). Dieser erhöhte linksventrikuläre diastolische Druck kann Atemnot bereits bei geringerer Belastung - wie vom Kläger auch geschildert - hervorrufen und führt zu pektanginösen Beschwerden, die bei einer zusätzlichen koronaren Herzerkrankung verstärkt auftreten infolge einer Minderdurchblutung vor allem der Innenschichten des Herzens. Zwar konnte der Kläger kurzfristig eine Belastung von 75 - 100 Watt tolerieren. Es fand sich jedoch in der Spirometrie unter diesen Bedingungen eine erniedrigende anaerobe Schwelle, eine verminderte O2-Aufnahme und ein Anstieg des Atemäquivalents für CO2, was belegt, dass diese Belastung nicht längere Zeit durchgehalten werden kann. Zudem berichtete der Kläger schon auf niedriger Belastungsstufe (25 - 50 Watt) über Angina pectoris-Beschwerden, so dass von einer Minderdurchblutung des Myokards auszugehen ist.

Der Beurteilung von Dr. K. und MD L. vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dr. K. hat sich nicht eingehend mit dem Verlauf der Erkrankung des Klägers auseinandergesetzt und nicht dargelegt, aufgrund welcher Erwägungen er annimmt, dass der Kläger auf der 75-Wattt Stufe für längere Dauer belastbar sein soll. Soweit er die Beschwerden des Klägers allein auf psychische Ursachen zurückgeführt, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen, zumal die Beschwerden des Klägers auf Nitrospray ansprachen, wie die behandelnden Kardiologen im Arztbrief vom 26. Februar 2007 ausführten. Soweit Dr. K. zur Begründung für seine Beurteilung darauf abstellt, die Beurteilung der Rehabilitationsklinik gelte weiterhin, da eine Verschlechterung nicht feststellbar sei, berücksichtigt er schon nicht, dass der Kläger als arbeitsunfähig entlassen und ein sechsstündiges Leistungsvermögen nur bei unterstellter Rekonvaleszenz angenommen worden war. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Entlassungsbericht am 21./22. August 2006 konnten jedoch die weiteren Komplikationen und erforderlichen Interventionen noch gar nicht berücksichtigt werden. Durch die ausführlichen und überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. K. und Dr. K. ist die Beurteilung von Dr. K. widerlegt. Soweit MD L. meint, auch durch das Gutachten von Dr. K., der die Beurteilungen von Professor Dr. K. und der behandelnden Kardiologen des Klägers Drs. R./-R./E. bestätigt, sei es nach wie vor nicht eindeutig belegt, dass der Kläger wirklich auf leichter Stufe durch die Belastungskoronarinsuffizienz erheblich beeinträchtigt sei, ist dies kein Argument, das geeignet ist, die Beurteilungen der Sachverständigen Prof. Dr. K. und Dr. K. in Zweifel zu ziehen.

Da eine Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers unwahrscheinlich ist, wie Prof. Dr. K. und Dr. K. übereinstimmend dargelegt haben, und von einem weiteren Fortschreiten der Erkrankung auszugehen ist, steht dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu (§ 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI).

Ausgehend vom Eintritt des Leistungsfalls am 28. Juni 2006 und einem Rentenantrag vom 8. September 2006 steht dem Kläger, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und und in dem dem Leistungsfall vorausgehenden maßgeblichen Fünfjahreszeitraum auch mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge entrichtet hat (insofern ist auf den Versicherungsverlauf vom 10. Oktober 2006 zu verweisen), entsprechend seinem Antrag Rente ab 1. Juli 2006 wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu (§ 99 Abs. 1 S. 1 SGBIV). Auf die Berufung des Klägers waren das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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