L 5 RJ 21/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 RJ 21/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Januar 1999 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des gesamten Rechtsstreits haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf weitere Gewährung ihrer Geschiedenen-Witwenrente über den 31. Dezember 1996 hinaus.

Die am ... 1916 geborene Klägerin war seit 1946 mit dem am ... 1913 geborenen Versicherten W. kinderlos verheiratet. 1960 zog sie aus der im Westteil Berlins gelegenen Ehewohnung aus. Der Versicherte siedelte 1962 in die ehemalige DDR über und war dort bis 1971 als Fräser und Lehrenbauer beschäftigt.

Die Ehe wurde durch Urteil des Stadtbezirksgerichts Lichtenberg vom ... Juli 1971 ohne Schuldausspruch und Unterhaltsregelung geschieden (rechtskräftig seit ... März 1972). Der Versicherte verstarb am ... 1976 im Ostteil Berlins und hinterließ als Witwe die am ... 1917 geborene Beigeladene zu 1 mit der er seit dem ... 1972 verheiratet gewesen war.

Mit Bescheid vom 28. November 1977 gewährte die Beklagte der weiterhin im Westteil Berlins lebenden Klägerin Geschiedenen-Witwenrente nach §§ 1265, 1268 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung -RVO- ab 1. September 1977, wobei sie laut Bearbeitervermerk darauf abstellte, dass eine Witwenrente nach diesem Gesetz an die in der DDR lebende Witwe nicht zu zahlen sei.

Die Beigeladene zu 1) bezog vielmehr aus der Versicherung des Verstorbenen eine Witwenrente nach dem Rentenrecht der ehemaligen DDR vom dortigen Sozialversicherungsträger. Diese wurde von der Beigeladenen zu 2) zum 1. Januar 1992 umgewertet und mit Bescheid vom 23. November 1995 ab diesem Zeitpunkt als große Witwenrente neu berechnet (Zahlbetrag ab 1. Januar 1996 monatlich 616,11 DM).

Nach Anhörung der Klägerin hob die Beklagte mit Bescheid vom 17. Dezember 1996 (abgesandt am selben Tage) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1997 den Rentenbescheid vom 28. November 1977 wegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen nach § 48 Sozialgesetzbuch -SGB- X mit Wirkung vom 1. Januar 1997 an auf. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen des § 243 Abs. 3 SGB VI für die weitere Gewährung einer Hinterbliebenenrente an sie als geschiedene frühere Ehefrau entfallen seien, weil seit dem 1. Januar 1992 ein Anspruch der "echten" Witwe auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des Verstorbenen bestehe.

Dagegen hat die Klägerin am 5. Mai 1997 Klage erhoben und geltend gemacht, dass die Gewährung einer Hinterbliebenenrente an die Beigeladene zu 1) ab 1. Januar 1992 keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen darstelle, weil diese bereits seit 1976 eine Witwenrente nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Rentenrecht bezogen habe, die nur nach § 307 a SGB VI umgewertet worden sei. Zudem sei eine Rücknahme des Bescheides vom 28. November 1977 gemäß § 48 Abs. 4 in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X ausgeschlossen, nachdem sie wie auch die Beigeladene zu 1) die ihnen zustehenden Rentenleistungen seit ca. 20 Jahren tatsächlich bezogen hätten.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen darin liege, dass der Beigeladenen zu 1) ab 1. Januar 1992 eine Witwenrente nach den Vorschriften des SGB VI gewährt werde. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X stehe nur einer rückwirkenden Aufhebung eines Verwaltungsaktes zehn Jahre nach einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse entgegen, nicht jedoch einer Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft.

Die Beigeladene zu 2) hat ebenfalls ihre Auffassung dahin geäußert, dass eine Aufhebung des Geschiedenen-Witwenrentenbescheides mit Wirkung für die Zukunft gemäß § 48 SGB X habe erfolgen müssen. Voraussetzung für diese Rente sei gemäß § 243 Abs. 3 SGB VI bzw. der bis 31. Dezember 1991 geltenden Vorschrift des § 1265 Abs. 1 Satz 2 RVO, dass eine Witwenrente nicht zu gewähren sei. Diese Voraussetzung habe auch dann vorgelegen, wenn bei einem ständigen Aufenthalt der Witwe im Gebiet der DDR ein Witwenrentenanspruch bestanden habe, dieser aber nach § 1317 RVO nicht zur Auszahlung gelangt sei. Das Inkrafttreten des SGB VI stelle hinsichtlich dieser besonderen Anspruchsvoraussetzung eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar.

Das Sozialgericht hat die Akte des beim Stadtbezirksgericht Lichtenberg anhängig gewesenen Scheidungsverfahrens beigezogen und von der Beklagten und der Beigeladenen zu 2) Fotokopien weiterer Rentenvorgänge und Versicherungsunterlagen der Klägerin, der Beigeladenen zu 1) und des verstorbenen Versicherten angefordert und mit Beschluss vom 3. September 1998 den Vollzug des angefochtenen Bescheides für die Zeit ab 23. Juli 1998 einstweilen ausgesetzt.

Mit Urteil vom 14. Januar 1999 hat das Gericht den Bescheid der Beklagten vom 17.Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1997 aufgehoben und in den Entscheidungsgründen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, im Wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die zulässige Klage sei begründet. Für die Aufhebung des Rentenbescheides vom 28. November 1977 mit Wirkung ab 1. Januar 1997 bestehe keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage; die Aufhebung könne insbesondere nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt werden.

Die Klägerin habe ab 1. September 1977 eine Rente nach § 1265 Satz 2 RVO bezogen. Ein Anspruch nach Satz 1 der Vorschrift habe nicht bestanden, weil die Klägerin von dem verstorbenen Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tod weder Unterhalt bezogen noch zum Zeitpunkt seines Todes von ihm zu beanspruchen gehabt habe, was das Sozialgericht unter Darlegung der maßgebenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände näher ausgeführt hat. Voraussetzung für eine Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 RVO sei gewesen, dass eine Witwenrente nicht zu zahlen gewesen sei. Diese Voraussetzung sei nach der Rechtsprechung des BSG auch dann gegeben gewesen, wenn bei einem ständigen Aufenthalt der Witwe im Gebiet der DDR ein Witwenrentenanspruch bestanden habe, die Rente nach § 1317 RVO aber nicht zur Auszahlung gelangt sei. Für den ursprünglichen Hinterbliebenenanspruch der Klägerin sei danach unschädlich gewesen, dass die Beigeladene zu 1) aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten eine Hinterbliebenenrente vom FDGB erhalten habe. Die Rechtsprechung des BSG habe im Ergebnis dazu geführt, dass aus einer Versicherung zwei vollwertige Hinterbliebenenrenten gewährt worden seien.

Mit Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 sei § 1265 RVO durch § 243 SGB VI ersetzt worden und § 1317 RVO ersatzlos weggefallen. Die der Beigeladenen zu 1) gezahlte Hinterbliebenenrente sei nach Maßgabe des § 307 a SGB VI umgewertet worden und werde von der Beigeladenen zu 2) gezahlt. Zwar seien dies Änderungen in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, sie rechtfertigten nach Auffassung der Kammer aber keine Aufhebung des zugunsten der Klägerin ergangenen Rentenbescheides. Die Änderung von Rechtsvorschriften - Ersetzung des früheren Rentenrechts durch das SGB VI und Wegfall des § 1317 RVO - stelle nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar. Eine solche sei auch nicht darin zu sehen, dass der Beigeladenen zu 1) ab 1. Januar 1992 eine (umgewertete) Witwenrente nach dem SGB VI gezahlt werde. In diesem besonderen Ausnahmefall dürfe die Auslegung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht auf den reinen Wortlaut beschränkt werden. Da die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft zwingend sei und dem Versicherungsträger keinen Spielraum eröffne, müsse die Bedeutung der Grundrechte und des Bestandsschutzes sowie der Daseinvorsorge auf Tatbestandsebene bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "wesentliche Änderung" berücksichtigt werden. Nach Überzeugung der Kammer habe die Klägerin aufgrund der langen Bezugsdauer, ihres hohen Alters und der erheblichen Bedeutung ihrer Hinterbliebenenrente für ihre Daseinsvorsorge - der im Dezember 1996 ausgezahlte Betrag von 765,27 DM umfasse mehr als ein Drittel ihres Gesamteinkommens - zumindest eine schutzwürdige eigentumsähnliche Position an der Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten erlangt. Die Aufhebung des Rentenbescheides vom 28. November 1977 mit Wirkung ab 1. Januar 1997 bedeute einen schwerwiegenden Eingriff in die geschützte eigentumsähnliche Position der Klägerin, der nicht von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gedeckt sei. Die Kammer verkenne nicht, dass ihre Entscheidung zur weiteren Zahlung von zwei vollwertigen Hinterbliebenenrenten führe, was im Widerspruch zu dem in den §§ 1270 RVO, 71 SGB VI enthaltenen Grundsatz der Zahlung nur einer Vollrente stehe. Eine Aufteilung der Renten entsprechend dem Verhältnis der jeweiligen Ehezeiträume gemäß § 91 SGB VI erfordere ein eigenständiges Verwaltungsverfahren, sei nicht Gegenstand des Klageverfahrens und würde auch zu einem für die Beigeladene zu 1) völlig unbilligen Ergebnis führen, da auch sie eine geschützte und eigentumsähnliche Position an ihrer Witwenrente erlangt habe. Die Zahlung von zwei vollwertigen Hinterbliebenenrenten stelle im Hinblick auf die Höhe der jeweiligen Rente sowie das hohe Lebensalter der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) keine unzumutbare finanzielle Belastung für die Versichertengemeinschaft dar, zumal es sich um einen gravierenden Ausnahmefall handele.

Gegen das ihr am 19. März 1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. April 1999 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die Zahlung einer Witwenrente nach den Vorschriften des SGB VI an die Beigeladene zu 1) eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen bei Erlass des Bescheides vom 28. November 1977 über die Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente darstelle, für den Voraussetzung gewesen sei, dass ein tatsächlicher Anspruch auf Auszahlung einer Witwenrente nach den Vorschriften der RVO nicht bestanden habe. Der Auffassung des Sozialgerichts, dass ein schwerwiegender Eingriff in die geschützte eigentumsähnliche Position der Klägerin nicht von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gedeckt werde, könne nicht gefolgt werden, weil das BSG in einer vom Sozialgericht ebenfalls zitierten Entscheidung vom 18. Juli 1996 zum Ausdruck gebracht habe, dass § 48 SGB X eine verfassungsgemäß ausgewogene Regelung enthalte, die dem für Gesetzgebung und Verwaltung zwingenden rechtsstaatlichen Gebot zur gerechten Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Bestandsinteresse des Bürgers und dem gleichfalls zu schützenden Änderungsinteresse der Versichertengemeinschaft Rechnung trage. Im Übrigen habe das Sozialgericht die Aufteilung von Witwenrenten auf mehrere Berechtigte gemäß § 91 SGB VI nicht hinreichend beachtet.

Im Hinblick darauf, dass die Beigeladene zu 1), die sich im Berufungsverfahren zur Sache nicht geäußert hat, am ... 2000 verstorben ist, hat die Beklagte die Wiederaufnahme der Rentenzahlung an die Klägerin ab 1. April 2000 zugesagt und demgemäß die Berufung auf die Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 31. März 2000 beschränkt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Januar 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 2) habt sich in der Sache den Ausführungen der Beklagten angeschlossen, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die im Tatbestand des angefochtenen Urteils näher bezeichneten weiteren Versicherungsunterlagen und Fotokopien der Akte des Stadtbezirksgerichts Lichtenberg zum Aktenzeichen - ... - haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten, die sie im Hinblick auf den Tod der Beigeladenen auf den Leistungszeitraum vom 1. Januar 1997 bis zum 31. März 2000 beschränkt hat, ist zulässig und begründet.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom 17. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. April 1997, mit dem die Beklagte den der Klägerin erteilten Rentenbescheid vom 28. November 1977 mit Wirkung ab 1. Januar 1997 aufgehoben hat, ist § 48 SGB X. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die Beklagte hat der Klägerin mit dem genannten Bescheid vom 28. November 1977 "nach §§ 1265, 1268 Abs. 2 RVO" eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen Ehemannes ab 1. September 1977 auf unbestimmte Zeit zuerkannt, so dass ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vorlag. Dabei handelte es sich nicht um eine Rente nach Satz 1 der Vorschrift, weil die Klägerin keinen Unterhalt von ihrem geschiedenen Ehemann erhalten hat oder beanspruchen konnte, wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, sondern um eine nach Maßgabe von Satz 2 geleistete Rente ohne Unterhaltsersatzfunktion. Diese hatte u.a. zur Voraussetzung, dass "eine Witwenrente nicht zu gewähren ist", wurde also sozusagen nur subsidiär an die geschiedene frühere Ehefrau gezahlt, wenn und solange nicht an eine vorrangig berechtigte Witwe Hinterbliebenenrente nach der RVO zu zahlen war. Nach der Rechtsprechung des BSG war diese Voraussetzung auch erfüllt, wenn die Witwe in der ehemaligen DDR lebte, weil ihr etwaiger Witwenrentenanspruch - dessen Bestehen dem Grunde nach das BSG ausdrücklich offen gelassen hat - dann gemäß § 1317 RVO ruhte (Urteil des BSG vom 29. Februar 1972 - SozR § 1265 RVO Nr. 60).

Die der Klägerin gewährte Geschiedenen-Witwenrente stand damit von Anfang an gesetzlich unter dem Vorbehalt, dass keine Witwenrente an die Beigeladene zu 1) zu zahlen war, jedenfalls nicht nach den Vorschriften der RVO. Zwar ging dies aus dem der Klägerin erteilten Bescheid nicht hervor, was zur Klarstellung wünschenswert gewesen wäre, aber nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit des unmittelbar kraft Gesetzes geltenden Vorbehaltes ist. Rechtlich unerheblich war insoweit, dass die Beigeladene zu 1) eine Hinterbliebenenrente nach dem Rentenrecht der ehemaligen DDR vom dortigen Versicherungsträger erhielt.

Im Vergleich zu dieser bei Erteilung des Rentenbescheides bestehenden Sach- und Rechtslage ist eine wesentliche Änderung eingetreten, wie die Beklagte zu Recht angenommen hat. Zum 1. Januar 1992 ist nämlich die RVO außer Kraft getreten, stattdessen gilt seitdem das SGB VI. Während § 1317 RVO - den geänderten Verhältnissen durch die Wiedervereinigung Deutschlands Rechnung tragend - ersatzlos weggefallen ist, hat § 1265 RVO in § 243 SGB VI eine Nachfolgeregelung gefunden. Nach dessen Abs. 3 besteht ein Anspruch auf eine Geschiedenen-Witwenrente ohne Unterhaltsersatzfunktion ebenfalls nur unter der Voraussetzung, "dass ... ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe ... des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften nicht besteht".

Da das SGB VI am 1. Januar 1992 auch im Beitrittsgebiet in Kraft getreten ist, hatte die Beigeladene zu 1) seitdem einen originären Anspruch auf Witwenrente nach § 46 SGB VI. Diese wurde ihr von der Beigeladenen zu 2) aufgrund des Neufeststellungsbescheides vom 23. November 1995 - rückwirkend - gezahlt. Deren Zuständigkeit ist, wie das Sozialgericht mit beiden Versicherungsträgern geklärt hat, eher zufällig durch die Aufteilung der zu bearbeitenden Bestandsrentenfälle eingetreten und beruht darauf, dass die Beigeladene zu 1) auch eine eigene Rente bezog, die von der Beigeladenen zu 2) nach § 307 b SGB VI neu festzustellen war. Damit ist, wie die Beklagte und die Beigeladene zu 2) zu Recht angenommen haben, eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des Rentenbescheides vom 28. November 1977 eingetreten, indem erstmals an die Witwe des Versicherten diejenige Hinterbliebenenrente gezahlt wurde, die die Gewährung der nur subsidiären Geschiedenen-Witwenrente an die Klägerin nach altem wie nach neuem Recht ausschließt.

Eine Berücksichtigung dieser wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf den Rentenanspruch der Klägerin mit Wirkung für die Zukunft, wie sie die Beklagte mit dem Bescheid vom 17. Dezember 1996 für die Zeit nach dessen Zugang ab 1. Januar 1997 vorgenommen hat, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht durch § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X ausgeschlossen, wie das Sozialgericht unter Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung des BSG zutreffend dargelegt hat. Die in diesen Vorschriften genannte Zehnjahresfrist - die im Übrigen nicht mit Erlass des Ausgangsbescheides zu laufen beginnt, sondern mit dem Zeitpunkt der wesentlichen Änderung der Verhältnisse - steht der Änderung auch eines schon vor langer Zeit erlassenen Bescheides für die Zukunft nicht entgegen. Diese ist vielmehr zwingend vorzunehmen, ohne dass sich hieraus verfassungsrechtliche Bedenken ergeben. § 48 SGB X enthält nämlich eine verfassungsgemäß ausgewogene Regelung, die dem für die Gesetzgebung und Verwaltung zwingenden rechtsstaatlichen Gebot zur gerechten Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Bestandsinteresse des Bürgers und dem gleichfalls zu schützenden Änderungsinteresse der Versichertengemeinschaft Rechnung trägt (vgl. Urteile des BSG vom 11. Dezember 1992 - 9 a RV 20/90 - und vom 18. Juli 1996 - 4 RA 108/94 -).

Auch im vorliegenden Fall ist die Aufhebung des Rentenbescheides mit Wirkung für die Zukunft nicht durch höherrangiges Recht ausgeschlossen. Das Rechtsstaatsprinzip erfordert gerade die Änderung des Dauerverwaltungsaktes. Dem Sozialstaatsprinzip wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass im Falle etwaig hierdurch eintretender Bedürftigkeit der Klägerin ergänzende Sozialhilfe in Betracht kommt. Eine Verletzung des in Art. 3 des Grundgesetzes - GG - normierten Gleichheitssatzes scheidet ersichtlich aus, und auch die Eigentumsgarantie aus dessen Art. 14 ist nicht tangiert. Zweifellos trifft der Entzug der Rente die Klägerin nach ca. 20-jährigem Bezug hart, zumal angesichts ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und ihres hohen Alters. Dies ist aber entgegen der Auffassung des Sozialgerichts rechtlich unbeachtlich. Ob die Klägerin, wie die Vorinstanz meint, eine zumindest eigentumsähnliche, durch Art. 14 GG geschützte Position an der ihr bislang gewährten Hinterbliebenenrente erlangt hat, ist zweifelhaft, kann aber dahinstehen. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, müsste berücksichtigt werden, dass die Klägerin zu keiner Zeit einen unbedingten Anspruch auf diese Geschiedenen-Witwenrente gehabt hat. Sie stand von Anfang an und durchgehend unter dem gesetzlichen Vorbehalt, dass keine vorrangige Witwenrente zu leisten war. Zwar enthielt der Rentenbescheid vom 28. November 1977 keinen entsprechenden Hinweis, der der Klägerin vor Augen geführt hätte, dass diese Leistung ihr auch wieder entzogen werden konnte. Rechtlich spielt dies aber keine Rolle, weil es auf Vertrauensschutz insoweit nicht ankommt. Hätte die Beigeladene zu 1) zum Beispiel noch unter der Geltung der RVO ihren Wohnsitz in den Westteil Berlins oder die alten Bundesländer verlegt, was ihr als Rentnerin auch schon vor der "Wende" möglich gewesen wäre, hätte wegen der ihr dann zustehenden Witwenrente die Rentenzahlung an die Klägerin beendet werden müssen, und zwar ohne Rücksicht auf deren Alter und die Dauer des vorherigen Leistungsbezuges. Nichts anderes gilt bei der ab 1. Januar 1992 eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage durch Inkrafttreten des SGB VI mit der Folge eines nun der Beigeladenen zu 1) zustehenden originären Witwenrentenanspruches, der durch Bescheid vom 23. November 1995 rückwirkend festgestellt worden ist. Dieser Änderung der Sach- und Rechtslage hat die Beklagte unverzüglich nach Kenntniserlangung gegenüber der Klägerin Rechnung getragen.

Nach alledem konnte das erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Der durch den Tod der Beigeladenen zu 1) geänderten Rechtslage hat die Beklagte unverzüglich durch Teilanerkenntnis Rechnung getragen, so dass ihr auch insoweit keine Kostenerstattung aufzuerlegen war.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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