L 12 AL 111/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AL 236/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 111/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 257/01 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.04.2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Zahlung einer Abfindung durch den Arbeitgeber.

Der 1942 geborene Kläger war in der Zeit vom 10.09.1964 bis zum 31.03.1999 als Vorarbeiter in der Zieherei der ... AG beschäftigt. Die Arbeitgeberin des Klägers führte im Sommer des Jahres 1998 umfangreiche Umstrukturierungsarbeiten durch, in dessen Zuge Personal abgebaut wurde. Aufgrund der damit einhergehenden Betriebsänderung schlossen der Betriebsrat, der bei der Arbeitgeberin des Klägers gebildet war, und die Arbeitgeber seite einen Interessenausgleich und Sozialplan. Der Kläger war von dieser Betriebsänderung betroffen. Aus betriebs- und personen bedingten Gründen wurde das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 7 Monaten am 11.08.1998 zum 31.03.1999 gekündigt. Wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes und sozialen Besitzstandes war eine Abfindung von 75.000,00 DM vereinbart. Die Tarifvertragsparteien hatten der Kündigung am 07.08.1998 zugestimmt.

Am 04.02.1999 meldete der Kläger sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 15.04.1999 stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zum 11.08.1999 mit der Begründung, die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber sei nur gegen Zahlung einer Abfindung möglich gewesen, fest. Daher gelte eine Kündigungsfrist von einem Jahr, die nicht eingehalten worden sei. Folglich ruhe der Leistungsanspruch für diesen Zeitraum.

Den hiergegen am 28.04.1999 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.1999 als unbegründet zurück, beschränkte aber den Ruhenszeitraum auf die Zeit bis zum 25.07.1999.

Dagegen hat der Kläger am 04.08.1999 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben, die er u. a. damit begründete, die im Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der metallverarbeitenden Industrie Nordrhein-Westfalens (MTV Metall NRW) aufgeführten Möglichkeiten der Kündigung eines an sich unkündbaren älteren Arbeitnehmers seien alternativ zu verstehen. Die Zustimmung der Tarifvertragsparteien habe mit der Zahlung der Abfindung nichts zu tun, so dass § 143 a Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III) nicht anwendbar sei. Dieser bestimme das Ruhen des Anspruchs, wenn der Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden könne, § 20 MTV knüpfe aber gerade nicht an das Vorliegen eines mit der Zahlung von Entlassungsentschädigungen verbundenen Sozialplanes an, sondern lasse die Kündigung unter den genannten Voraussetzungen grundsätzlich im Falle von Betriebsänderungen zu. Diese müssten jedoch nicht zwingend mit einem Sozialplan einhergehen. Die Zustimmung der Tarifvertragsparteien sei auch nicht wegen der Gewährung der Abfindung erfolgt. Die von der Beklagten vorgenommene Gesetzesauslegung sei verfassungswidrig, da sie nicht tarifgebundene Arbeitnehmer bevorteile.

Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 15.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1999 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich zur Stützung ihrer Auffassung auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 05.02.1998 (SozR 3-4100 § 117 Nr. 15) bezogen.

Mit Urteil vom 17.04.2000 hat das SG die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Die Beklagte habe zu Recht das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit bis zum 25.07.1999 festgestellt. Das Arbeitsverhältnis habe nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden können. Daher sei die Beklagte zutreffend von der fiktiven 1-jährigen Kündigungsfrist des § 143 a Abs. 1 SGB III ausgegangen. Sei bereits ein Sozialplan erstellt worden, der für den betroffenen Arbeitnehmer eine Entschädigung vorsehe, so sei selbst dann, wenn neben der Kündigungsmöglichkeit gegen Zahlung einer Abfindung eine zweite Kündigungsmöglichkeit (Zustimmung der Tarifsvertragsparteien) bestanden habe, allein maßgeblich, dass die Kündigung in solchen Fällen mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien nicht realisierbar gewesen wäre, wenn eine Entlassungsentschädigung nicht gezahlt worden wäre. Die verfassungsrechlichen Bedenken hinsichtlich des § 143 a Abs. 1 SGB III teile die Kammer nicht.

Gegen das ihm am 22.05.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.06.2000 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er macht im Wesentlichen geltend: Das SG und die Beklagte seien zu Unrecht von einem Ruhenstatbestand ausgegangen. Das von der Beklagten zitierte Urteil des BSG sei unzutreffend, da dort verkannt werde, dass bei Betriebsänderungen durchaus auch Entlassungen möglich seien, die nicht mit einer Entlassungsentschädigung verknüpft seien. Eine Betriebsänderung ziehe keineswegs zwangsläufig einen Sozialplan mit Leistungen des Arbeitgebers nach sich. Die in § 20 Nr. 4 des MTV Metall NRW genannten Ausnahmetatbestände zur grundsätzlichen Unkündbarkeit älterer Arbeitnehmer seien nicht kumulative, sondern alternative Möglichkeiten zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte unterstelle jedoch unzulässigerweise, dass die Zustimmung der Tarifvertragsparteien nur im Hinblick auf die Abfindungsgewährung erfolgt sei. Nach dem Wortlaut des § 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III seien jedoch die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf einen Ausnahmezustand von grundsätzlicher tarifvertraglicher Unkündbarkeit gestützt sei, wie z. B. der Ausnahmeregelung "Zustimmung der Tarifvertragsparteien", die völlig losgelöst von der Zahlung einer möglichen, aber nicht vorgesehenen Zahlung einer Ermessens-Entlassungs-Entschädigung sei. Die Heranziehung der fiktiven Kündigungsfrist von einem Jahr könne nach dem klaren Gesetzeswortlaut daher ausschließlich bei einer zwingend vorgeschriebenen Leistung des Arbeitgebers in Betracht kommen. Letztendlich verstosse die Entscheidung der Beklagten gegen Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz, da die tarifgebundenen Arbeitnehmer schlechter behandelt würden als nicht tarifgebundene.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.04.2000 zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und betont:

Der Arbeitgeber des Klägers hätte eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses praktisch ohne Zahlung einer Abfindung nicht realisieren können. In diesem Sinne habe das BSG in dem zitierten Urteil vom 05.02.1998 in SozR 3-4100 § 117 Nr. 15 entschieden. Danach sei allein ausschlaggebend, ob der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis auch ohne eine Abfindungszahlung hätte kündigen können. Gerade diese Fallgestaltung sei vorliegend nicht gegeben.

Der Senat hat die Beteiligten auf die zu dem § 143 a SGB III wortgleiche Vorschrift des § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG ergangene Entscheidung des BSG vom 29.01.2001 in SozR 3 - 4100 § 117 Nr. 22 hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 15.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1999 ist rechtmäßig. Zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 25.07.1999 ruhte.

Das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches beurteilt sich nach § 143 a SGB III in der Fassung des am 01.04.1999 in Kraft getretenen Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes (EEÄndG vom 24.3.1999; BGBl. I 396), denn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist erst mit der zum 01.04.1999 eingetretenen Arbeitslosigkeit entstanden. Es galt daher eine (fingierte) Kündigungsfrist von einem Jahr, weil der Kläger nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden konnte (§ 143 a Abs. 1 Satz 4 SGB III).

Nach § 20 Nr. 4 des hier anwendbaren MTV Metall NRW konnte dem Kläger, der das 55. Lebensjahr vollendet hatte und dem Unternehmen mehr als 10 Jahren angehörte, grundsätzlich nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung wird allerdings durch die Möglichkeit der sonstigen Änderungskündigung oder bei Betriebsänderung, wenn ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist, oder bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien (wieder) eröffnet. Die weitere Kündigungsmöglichkeit "Zustimmung der Tarifvertragsparteien" wurde mit Wirkung vom 01.04.1995 durch die Tarifvertragsparteien beschlossen. Diese Kündigungsmöglichkeit ist neben die Möglichkeiten, Änderungskündigungen, die nicht den Zwecke der Entgeltsminderung verfolgen, oder Kündigungen bei Betriebsänderung getreten. Im Falle des Klägers lag zum einen die Zustimmung der Tarifvertragsparteien vor, zum anderen war unstreitig ein Sozialplan aufgestellt worden, der eine Abfindung für den Kläger vorsah. Selbst wenn daher die Kündigungsmöglichkeit "Zustimmung der Tarifvertragsparteien" besonders in § 20 Nr. 4 MTV Metall NRW aufgeführt wird, kann dies nach der Auffassung des Senats jedoch auf den konkreten Fall des Klägers bezogen nur in Zusammenhang mit der Betriebsänderung gesehen werden. Denn es steht zu vermuten, dass die auf der Grundlage des Sozialplanes gezahlte Abfindung nicht ausschließlich als Ausgleich für den Verlust eines sozialen Besitzstandes gezahlt wurde, sondern auch künftige, nunmehr untergehende Arbeitsentgeltansprüche ausgleichen sollte (vgl. insoweit zur Anwendbarkeit des wortgleichen § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG: BSG-Urteil vom 29.01.2001 in SozR 3-4100 § 177 Nr. 22 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte). Entscheidend ist darauf abzustellen, dass der Arbeitgeber im Hinblick auf das Alter und die lange Dauer der Betriebszugehörigkeit keine realisierbare alternative Möglichkeit der ordentlichen Kündigung des Kläger auch ohne Abfindung hatte. Sodann erscheint das zeitweilige Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld gerechtfertigt, weil dadurch ins gesamt der Praxis entgegengewirkt werden sollte, ältere, an sich unkündbare Arbeitnehmer gegen Zahlung von Abfindung freizusetzen und damit u. a. die Arbeitslosenversicherung zu belasten (vgl. BSG aaO; Begründung des EEÄndG, BT-Drucks. 14/394 S. 6.). Jedenfalls erfasst die Regelung des § 143 a Abs. 1 SGB III solche tarifvertraglichen Bestimmungen, in deren die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung erst durch die Zubilligung der Entlassungsentschädigung eröffnet wird (Gagel, Sozialgesetzbuch III - Arbeitsförderung -, § 143 a SGB III, Rdnr. 61).

Dem steht auch nicht entgegen, dass die tatsächlich gezahlte Abfindung auf einem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geschlossen Sozialplan beruhte (siehe BSG a.a.O.). Ohne die durch den Tarifvertrag eröffnete Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, wäre die Abfindungsregelung des Sozialplanes für den Kläger erst gar nicht zum Tragen gekommen. Insoweit besteht nach der Auffassung des Senats eine "Verbindung" zwischen der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung durch Zustimmung der Tarifvertragsparteien und der Zahlung der Abfindung. Hätte der Kläger keinen Anpruch auf eine Abfindung aus dem Sozialplan gehabt, so hätten die Tarifvertragsparteien - bei lebensnaher Betrachtung - der ordentlichen Kündigung nicht zugestimmt.

Entscheidend für das Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld ist letztlich, dass der Kläger allein "wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses" eine Abfindung erhalten hat (BSG a.a.O.).

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend ausnahmsweise eine fristgebundende außerordentliche Kündigung vorlag, sind nicht gegeben.

Hinsichtlich der verfassungrechtlichen Bedenken des Klägers verweist der Senat auf die von ihm für zutreffend gehaltenen detaillierten Ausführungen in dem zitierten Urteil des BSG vom 29.01.2001.

Wegen der vorzitierten Entscheidung des BSG zu der wortgleichen Vorschrift des § 117 Abs. 2 Satz 4 AFG hat der Senat die Revision nicht zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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