L 4 R 425/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2306/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 425/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1953 geborene Klägerin stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien und reiste 1977 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Eine Berufsausbildung absolvierte sie nicht. In Deutschland war sie als Küchenhilfe und zuletzt als Fabrikarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 01. April 2007 ist sie arbeitslos bzw. arbeitsunfähig krank. Ihr Versicherungsverlauf (vom 06. April 2010, von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegt) weist zuletzt durchgehende Pflichtbeitragszeiten seit 11. April 1988 bis 31. Dezember 2009 auf.

Am 27. Oktober 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab hierin an, sie halte sich für erwerbsgemindert seit ca. 1997 wegen psychischer Beschwerden (Angstzustände, Depressionen, Schlaflosigkeit) und könne keine Arbeiten mehr verrichten. Am 24. Januar 2008 untersuchte daraufhin auf Ersuchen der Beklagten Neurologe und Psychiater Dr. S. von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg - Sozialmedizin im Zentrum S. die Klägerin und erstattete das Gutachten vom selben Tag. Er diagnostizierte einen ängstlich-depressiven Verstimmungszustand bei Hinweisen auf langfristig zurückreichende Dysthymie. Körperlich neurologisch seien bei der Klägerin keine krankhaften Befunde festzustellen. Aktuell habe die Klägerin nicht gravierend depressiv verstimmt gewirkt. Ein angegebenes Gefühl, kontrolliert zu werden, habe nicht einer psychotischen Störung oder einer belangvollen paranoiden Erkrankung entsprochen. Insgesamt habe die Klägerin unsicher, ängstlich, wenig abgrenzungsfähig gewirkt und Selbstwertstörungen sowie dependente Züge deutlich gemacht. In ihrer Belastbarkeit sei sie aufgrund der psychopathologischen Auffälligkeiten qualitativ beeinträchtigt. Eine zeitliche Limitierung liege jedoch noch nicht vor. Die Klägerin könne nach den aktuellen Befunden auf nervenärztlichem Gebiet leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne Nachtschicht, ohne erheblich überdurchschnittlichen, das arbeitsmarktübliche Ausmaß übersteigenden Zeitdruck, ohne erhöhte Anforderungen an die Konzentration und die Umstellungsfähigkeit noch zumindest sechs Stunden am Tag verrichten. Zu denken sei hierbei an einfache ausreichend überwachte Fabriktätigkeiten oder andere Hilfsarbeiten. Einen Befundbericht holte die Beklagte bei den Ärzten für Allgemeinmedizin Dr. B. und Bu. ein. Diese berichteten unter dem 08. Februar 2008 über die Behandlung der Klägerin und gaben als Diagnosen an: paranoid-halluzinatorische Psychose und Hypertonie. Mitunter bestünden Rücken- und Schulterschmerzen sowie Schwindel. Außer einer gewissen Adipositas hätten sie bei einer Untersuchung am 08. Februar 2008 keinen krankhaften Befund erhoben. Dem Befundbericht fügten sie zwei Berichte des Neurologen und Psychiaters Dr. Be. vom 31. August und 22. November 2007 bei, in denen dieser jeweils eine paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostizierte.

Mit Bescheid vom 29. Februar 2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Erwerbsfähigkeit sei durch einen ängstlich-depressiven Verstimmungszustand bei Hinweisen auf langfristig zurückreichende Dysthymie beeinträchtigt. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein mit der Begründung, es träten bei ihr Ängste auf, wenn sie das Haus verlasse. Sie habe Angst davor, verfolgt, angeschaut oder ausgelacht zu werden. Aufgrund dieser Situation sei eine Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich. Die Beklagte ließ hierzu eine Stellungnahme nach Aktenlage ihres Chirurgen und Unfallchirurgen Dr. L. erstellen, der eine weitere medizinische Sachaufklärung nicht für erforderlich hielt. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2008 den Widerspruch zurück. In Auswertung der Unterlagen habe ihr ärztlicher Sachverständiger festgestellt, dass die Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes und für den bisherigen Beruf über ein zeitliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich verfüge. Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) liege schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin ihren bisherigen Beruf als Montagearbeiterin noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne.

Am 22. Juli 2008 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG). Sie legte ein Attest des Allgemeinmediziners Dr. B. vom 08. Juli 2008 vor, wonach sie seit 1995 wegen einer paranoiden halluzinatorischen Psychose regelmäßig fachärztlich durch Neurologen und Psychiater Dr. Be. betreut werde und auf regelmäßige Medikamente angewiesen sei. Akute Phasen seien seither nicht mehr aufgetreten. Nach Ansicht des Dr. Be. bestehe keinerlei Belastbarkeit, psychisch und physisch. Dies decke sich mit seiner Beurteilung. Eine Wiederaufnahme einer regelmäßigen Tätigkeit sei nicht gegeben. Der Entlassungsbericht des Leitenden Arzt Dr. G., Facharzt für Innere Medizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, vom 14. Januar 2009 bestätige diese Einschätzung. Den Einschätzungen von Hausarzt und Rehabilitationsklinik komme höherer Beweiswert zu als Gutachten, die nur aufgrund einer Momentaufnahme erstellt würden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen unter Vorlage der Stellungnahmen ihres Nervenarztes Dr. Le. vom 16. September 2008, 25. Februar und 22. Juli 2009, der nach erfolgter Sachverhaltsaufklärung durch das SG die sozialmedizinische Situation für geklärt hielt. Es bestehe weiterhin ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für Arbeiten unter betriebsüblichen Bedingungen.

Das SG befragte Neurologen und Psychiater Dr. Be. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Er erklärte unter dem 02. September 2008, bei der Klägerin bestehe eine erhebliche Minderung bzw. Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Weitergehende Stellungnahmen seien nur aufgrund eines stationären Heilverfahrens möglich. Im Übrigen verwies er auf von ihm erstellte Befundberichte aus der Zeit vom 15. Mai 1995 bis 27. Mai 2008, das Gutachten des Dr. Bur., Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg, vom 08. Juli 2008 und Berichte des B.-hospitals S. aus der Zeit vom 15. Juli 1997 bis 18. November 1998, die er seiner Auskunft beifügte.

Das SG ernannte Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Sozialmedizin Dr. He. zum Sachverständigen. Aufgrund der Untersuchung am 12. November 2008 führte der Sachverständige in seinem Gutachten vom 07. Dezember 2008 aus, die Klägerin leide unter einer Dysthymie (anhaltend ängstlich-depressive Verstimmung mit Beeinträchtigung der subjektiven Befindlichkeit). Im Übrigen bestehe der Verdacht auf einen Zustand nach akuter vorübergehender psychotischer Störung. Letztere Diagnose umfasse überwiegend den Zeitraum 1995 bis 1997. Die Klägerin sei noch in der Lage, ohne Gefährdung ihrer Gesundheit in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf regelmäßig sechs Stunden und mehr täglich zu arbeiten. Verrichtet werden könnten leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Stehen, Gehen und Sitzen. Einschränkungen bestünden im Bereich geistig-psychischer Belastbarkeit (vermindertes Umstellungs- und Anpassungsvermögen, Verantwortung für Personen und Maschinen, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge usw.). Bandarbeiten mit überwiegend leichter körperlicher Tätigkeit (Einpacken, Sortieren, aufsichtsführende Tätigkeiten usw.), Arbeiten als Küchenhilfe und vergleichbare Verrichtungen könnten durchgeführt werden.

Vom 15. Dezember 2008 bis 12. Januar 2009 an einer von der Beklagten bewilligten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik G. teil. Leitender Arzt Dr. G. nannte im (von der Beklagten vorgelegten) Entlassungsbericht vom 14. Januar 2009 als Diagnosen: Schizophrenes Residuum, mittelgradige depressive Episode, benigne essenzielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise sowie Verdacht auf medikamenteninduzierte Hepatopathie. Er führte aus, es bestehe keinerlei Stresstoleranz, sodass jegliche Tätigkeit unter Zeitdruck, im Publikumsverkehr, in der Steuerung komplexer Arbeitsabläufe nicht leidensgerecht sei. Auch Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit seien in erheblicher Weise beeinträchtigt. Es bestehe auch für leichte Arbeiten nur ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich. Die psychomentale Belastbarkeit sei durch die schizophrene Grunderkrankung in derart gravierender Weise beeinträchtigt, dass ein positives Leistungsbild momentan sowie innerhalb der folgenden zwölf Monate nicht erwartet werden könne.

Dr. He. äußerte sich auf Ersuchen des SG in einer ergänzenden Stellungnahme nach Aktenlage vom 07. Juni 2009 hierzu und hielt an seiner Beurteilung fest. Die Rehabilitationsklinik habe ähnliche Befunde erhoben und lediglich eine andere sozialmedizinische Schlussfolgerung gezogen. Er sehe wenig harte und reproduzierbare objektive Befundmerkmale für die Bejahung einer schweren gemüthaften Erkrankung mit entsprechenden Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit.

Mit Urteil vom 30. Oktober 2009 wies das SG die Klage ab. Aufgrund der Gutachten des Dr. S. und des Dr. He. (einschließlich dessen ergänzender Stellungnahme) bestehe fest, dass das Leistungsvermögen der Klägerin nicht wesentlich eingeschränkt sei. Hinweise auf eine Psychose ergäben sich nicht. Diagnosen und Leistungsbild des Rehabilitationsentlassungsberichtes seien nicht nachvollziehbar. Den Ausführungen von Dr. He. folgend führte das SG aus, Befürchtungen und Ängste der Klägerin seien nicht hinreichend konkret dargetan und sie sei auch während der Untersuchung durch den Sachverständigen nicht wahnhaft angespannt gewesen. Eine nachhaltige Einschränkung der regelhaften Teilnahme am Erwerbsleben könne es nicht erkennen.

Am 26. Januar 2010 hat die Klägerin gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 29. Dezember 2009 zugestellte Urteil Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Feststellungen von Dr. Be., Dr. B. und Dr. G. beruhten auf glaubhaften Aussagen und Untersuchungen über längere Zeiträume. Sie könnten nicht durch eine kurze gutachtliche Untersuchung entkräftet werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. Oktober 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01. November 2007 Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide weiterhin für zutreffend. Sie hat den Versicherungsverlauf vom 06. April 2010 vorgelegt.

In einem Erörterungstermin am 20. April 2010 hat der vormalige Berichterstatter des Senats die Klägerin persönlich angehört und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. E. das fachpsychiatrisches Gutachten vom 13. September 2010 aufgrund Untersuchung am 30. Juni 2010 über die Klägerin erstattet. Er hat ausgeführt, die Kläger leide gegenwärtig unter einer Dysthymie auf dem Boden einer ängstlich-vermeidenden asthenischen Grundpersönlichkeit. Die Befunderhebung sei schwierig und langwierig verlaufen aufgrund des ausweichenden und blockierenden Antwortverhaltens der Klägerin. Ein schizophrenes Residuum sei nicht diagnostizierbar. Eine testpsychologische Untersuchung habe widersprüchliche Ergebnisse erbracht. Er schließe sich Dr. S. und Dr. He. in der Einschätzung der affektiven Symptomatik als Dysthymie an. Unter externen Belastungen wie z.B. einem Unfall oder einer Kündigung sei eine Verschlimmerung oder Veränderung der Symptomatik selbstverständlich nachvollziehbar. Solche externen Stressoren lägen aber gegenwärtig nicht vor. Die gefundenen Gesundheitsstörungen wirkten sich nicht nachteilig auf die berufliche Leistungsfähigkeit aus. Die Klägerin sei aus psychiatrischer Sicht in der Lage, Erwerbstätigkeiten von täglich mindestens sechs Stunden auszuüben.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 25. Oktober 2010 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Beide Parteien haben sich hiermit ausdrücklich einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

II.

Der Senat hat über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Der Sachverhalt ist geklärt. Schriftsätzlich wurde abschließend vorgetragen und die Beteiligten sind auch mit der gewählten Verfahrensweise einverstanden.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG vom 30. Oktober 2009 ist auch unter Berücksichtigung der Ermittlungen im Berufungsverfahren nicht zu beanstanden. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte ab 01. November 2007 oder zu einem späteren Zeitpunkt keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Die Klägerin leidet unter einer langjährig bestehenden leichten depressiven Verstimmung im Sinne einer Dysthymie. Insoweit folgt der Senat den Einschätzungen des Dr. S. (dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet), und den Sachverständigen Dr. He. (für das SG) sowie Prof. Dr. E. (im LSG-Verfahren). Alle drei genannten Fachärzte haben übereinstimmend bei ihren Untersuchungen eine Störung aus dem psychotischen Formenkreis nicht bestätigen können. Prof. Dr. E. schilderte eine wache und zu allen Qualitäten orientierte Klägerin ohne Hinweise auf formale oder inhaltliche Denkstörungen. Die Klägerin war freundlich zugewandt, der Antrieb leicht vermindert bei Anzeichen für eine gewisse emotionale Labilität und leicht depressiv ausgelenkte Stimmung bei erhaltener Schwingungsfähigkeit. Das Verhalten mutete ängstlich-anklammernd und hilfesuchend an. Bei genauem Nachfragen bezüglich der psychischen Symptome wurde es jedoch ausweichend und unkonkret. Von der Klägerin bekundete Ängste vor der Zukunft oder vor Verarmung waren nicht wahnhaft zu deuten, sondern enthielten einen Bezug zur Realität. Auch Panikattacken sowohl zu Hause als auch in der Öffentlichkeit gab es. Albträume waren vor allem nach dem Unfall und nach der Kündigung aufgetreten, heute treten diese noch ca. zwei- bis dreimal in der Woche auf. In der testpsychologischen Untersuchung zeigten sich uneinheitliche, schwer durch eine spezifische Störung der Aufmerksamkeit erklärbare Werte. Insbesondere ergab das spezielle strukturierte klinische Interview hinsichtlich psychotischer und assoziierter Symptome über das Gefühl, beobachtet zu werden, hinaus keinerlei Hinweis auf aktuelles oder zurückliegendes psychotisches Erleben. Damit tragen die Feststellungen des Sachverständigen in Anamnese und Befund die gestellte Diagnose und insbesondere den Ausschluss einer aktuell noch bestehenden psychotischen Störung. Die Einschätzung von Prof. Dr. E. wird bestätigt durch die z Feststellungen der Dres. S. und He. aus dem Jahre 2008, die ein ähnliches Bild von der Klägerin zeichnen.

Nicht anschließen kann sich der Senat der Einschätzung des Dr. G. von der Rehaklinik G. sowie des behandelnden Nervenarztes Dr. Be., wonach eine schizophrene bzw. psychotische Erkrankung bei der Klägerin vorliege. Dr. Be. gibt in seinen dem SG übersandten Befundberichten jeweils stereotyp die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis an, die medikamentös behandelt werde. Der Anamnese sind keine besonderen Ereignisse zu entnehmen, vielmehr ein weitestgehend ungestörter Verlauf ohne produktive oder Minussymptomatik. Der psychische Befund erscheint im Wesentlichen als freundlich zugewandt, bei ausreichender affektiver Schwingungsfähigkeit, emotional allerdings doch etwas verhalten. Die Feststellungen von Dr. Be. sind damit nicht geeignet, die von ihm gestellte Diagnose hinreichend zu begründen. Lediglich in seinem Behandlungsbericht vom 14. Juli 1997 werden konkrete rezidivierende paranoide Wahrnehmungen beschrieben. Für den hier relevanten Zeitraum ab Rentenantragstellung sind solche Feststellungen nicht erkennbar. Desgleichen ist auch dem Rehabilitationsentlassungsbericht des Dr. G. solches nicht zu entnehmen. Die beobachteten Einschränkungen bei Selbstsicherheit, Aktivität und Initiative, Konzentration, Stimmung und Antrieb sind der Dysthymie zuzuordnen. Auch die Dr. G. schildert keine konkreten und präzisen psychotischen Symptome oder Kriterien für eine schizophrene Erkrankung.

Ausgehend hiervon haben Dr. S. sowie die Sachverständigen Prof. Dr. E. und Dr. He. zutreffend und schlüssig ableitbar keine rentenberechtigenden Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin angenommen. Im Einklang mit ihren Feststellungen stellt auch der Senat fest, dass jedenfalls leichte bis mittelschwere Tätigkeiten noch im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden können, wenn Einschränkungen bezüglich der geistigen und psychischen Belastbarkeit beachtet werden. Nachvollziehbar resultiert aus der Dysthymie ein vermindertes Umstellungs- und Anpassungsvermögen und Arbeiten mit besonderer Verantwortung für Personen und Maschinen oder in der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge sollten vermieden werden. Davon abgesehen aber sind keine Erkrankungen nachweisbar, die eine quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens begründen könnten. Insbesondere sind auch wesentliche gesundheitliche Beeinträchtigungen außerhalb des psychiatrischen Fachgebiets weder vorgetragen noch - etwa aus dem Befundbericht des Dr. B. - ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved