L 4 P 823/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 P 2556/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 823/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin auch in der Zeit vom 01. Februar 2008 bis 02. September 2010 Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I hat.

Die am 1917 geborene Klägerin ist bei der Beklagten mit einem Tarifsatz von 30 vom Hundert (v. H.) privat pflegeversichert. Die restlichen 70 v. H. werden durch Beihilfeansprüche abgedeckt.

Bei der Klägerin besteht eine Sehschwäche (rechts weitgehend blind, links Sehkraft von 40 Prozent), Osteoporose, Schwerhörigkeit, Diabetes mellitus Typ II und eine dementielle Entwicklung. Außerdem erhielt sie im September 2006 ein künstliches Kniegelenk rechts. Nach der Knieoperation litt die Klägerin unter einer allgemeinen Schwäche. Sie konnte nur mit Begleitperson gehen und bedurfte auch beim Aufstehen und Hinsetzen überwiegend der Hilfe.

Die Klägerin beantragte deshalb erstmals am 28. November 2006 die Gewährung von Pflegegeld. Nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens der Dr. T., M. GmbH, vom 10. Januar 2007, welches Pflegebedürftigkeit i. S. des § 1 Abs. 6 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), Bedingungsteil für die private Pflegeversicherung aus dem Jahre 1996 (MB/PPV) nach Pflegestufe I feststellte (Zeitbedarf für die Verrichtungen der Grundpflege 79 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung 45 Minuten) und eine Wiederholungsbegutachtung in etwa zwölf Monaten empfahl, da die Verminderung des Hilfebedarfs durch ambulante Rehabilitationsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden könne, stellte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Januar 2007 bei der Klägerin Pflegebedürftigkeit nach Stufe I fest und zahlte u.a. zeitlich begrenzt bis zum 31. Januar 2008 ab dem 01. November 2006 ein monatliches Pflegegeld von EUR 205,00.

Im Dezember 2007 ließ die Beklagte die Klägerin erneut untersuchen. Die ärztliche Gutachterin Dr. T. von der M. GmbH hielt im Gutachten vom 20. Dezember 2007 zum Untersuchungszeitpunkt keine Pflegestufe mehr für gerechtfertigt, weil die Klägerin nunmehr wieder selbstständig mit einem Rollator oder Toilettenstuhl gehen könne, alle Lagewechsel wieder selbstständig erfolgten und die allgemeine Belastbarkeit sowie der geistige Zustand sich gebessert hätten. Dr. T. führte aus, dass für die Grundpflege nur noch ein Zeitbedarf von 18 Minuten (Körperpflege 14 Minuten, Mobilität vier Minuten) und für die hauswirtschaftliche Versorgung ein solcher von 45 Minuten bestehe. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin unter dem 07. Januar 2008 mit, dass der notwendige Hilfebedarf das Maß der Stufe I nicht mehr erreiche und deshalb Leistungen aus der Pflegeversicherung nicht mehr erbracht werden könnten. Mit Ablauf des 31. Januar 2008 werde die Zahlung der Leistungen eingestellt. Die "Bescheide" vom 22. Januar 2007, mit denen Pflegeleistungen und Leistungen des allgemeinen Betreuungsbedarfs zugesagt worden seien, würden hiermit aufgehoben. Dagegen trug die Klägerin vor, dass sie sich mit dieser Entscheidung nicht einverstanden erklären könne. Unter Vorlage eines Tagesablaufprotokolls wies sie darauf hin, dass sie nicht nur bei der Körperpflege, sondern auch bei der Ernährung (Einkauf, Kochen usw.) und der Mobilität weiterhin der Hilfe bedürfe. Die Beklagte holte zur weiteren Aufklärung ein sogenanntes Zweitgutachten der M. GmbH ein, das Dr. M.-B. am 21. Februar 2008 erstattete. Die Tochter der Klägerin berichtete der Gutachterin bei der Begutachtung über einen Sturz mit Prellungen. Die Gutachterin schätzte den Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege auf 26 Minuten (Körperpflege 16 Minuten, Mobilität zehn Minuten) und für hauswirtschaftliche Versorgung auf 45 Minuten. Die Waschutensilien sowie die Vorlagen würden bereitgelegt. Die Klägerin benötige Unterstützung beim Waschen, Duschen und An- und Auskleiden. Der Nachtstuhl werde entleert. Zahlreiche im Tagesablaufprotokoll angegebene Verrichtungen könnten bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nicht berücksichtigt werden. Die Beklagte teilte der Klägerin sodann mit Schreiben vom 04. März 2008 mit, dass sich durch den "Untersuchungsbericht" vom 21. Februar 2008 bestätigt habe, dass der notwendige Hilfebedarf das Maß der Stufe I nicht erreiche. Der Antrag werde endgültig abgelehnt.

Mit Schreiben vom 03. März 2008 teilte die Klägerin mit, dass sie nunmehr derart erhöhte Zuckerwerte habe, dass zweimal täglich die Werte gemessen und dementsprechend eine Insulinspritze verabreicht werden müsse. Auch die Ohren und Augen litten unter dieser Erkrankung und außerdem sei deswegen eine Ernährungsumstellung erforderlich. Darüber hinaus ließen Schmerzen im Rücken aufgrund eines Sturzes nicht nach, sodass ein Schmerzmittel zweimal am Tag verabreicht werden müsse und sie der Unterstützung beim Aufstehen von Bett, Sofa oder Stuhl bedürfe und eine ständige Begleitung und Hilfe bei den Hygienetätigkeiten erforderlich sei, damit ein erneuter Sturz vermieden werde. Die Beklagte wies die Klägerin hierauf mit Schreiben vom 10. März 2008 darauf hin, dass dieses neue Vorbringen keinen Einfluss auf ihre Leistungsentscheidung habe. Dies sei bereits im Gutachten vom 21. Februar 2008 ausreichend berücksichtigt worden.

Am 01. April 2008 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie wies auf den vorgelegten Tagesablauf sowie das Schreiben vom 03. März 2008 sowie weiter darauf hin, dass die von der Beklagten vorgenommene Einstufung der Pflegebedürftigkeit offenkundig falsch sei. Völlig außen vorgeblieben sei bisher, dass sie auch in der Nacht der Hilfe bedürfe. Auch nachts müsse, vor allem wegen einer Blasenschwäche mit Entzündung, die die Einführung von Scheidenzäpfchen erfordere, jemand dienstbereit sein. Diese Zeit sei zu berücksichtigen. Wegen eines nächtlichen Sturzes im März 2008, bei dem sie sich den dritten Lendenwirbel angebrochen habe, sei ihr ein Korsett empfohlen worden, das morgens und nach dem Mittagschlaf angelegt und abends bzw. vor dem Mittagschlaf wieder abgelegt werden müsse. Sie selbst könne das Korsett nicht anlegen. Bereitschaftszeiten der Pflegeperson müssten im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 09. September 2003 (C 151/02) zu Bereitschaftszeiten für Ärzte anerkannt werden. Ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit sei auch bei einer privatrechtlichen Versicherung erforderlich.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage der Pflichtversicherungsdaten der Klägerin, der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV 1996) und der aktuell gültigen Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV 2009) entgegen. Die von ihr vorgenommene Einstufung sei zutreffend. Das nächtliche Aufsuchen des Toilettenstuhls werde im Zweitgutachten berücksichtigt. Etwaige Bereitschaftszeiten im Bereich der Grundpflegezeit seien nicht mit einzurechnen. Die Behandlung der Zuckererkrankung und das Verabreichen von Scheidenzäpfchen gehöre zur Behandlungspflege. Im Hinblick auf einen im März 2008 erlittenen Sturz könne die Klägerin einen neuen Antrag stellen.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. Januar 2009 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe die Gewährung von Pflegleistungen über den 31. Januar 2008 hinaus zu Recht abgelehnt. Die Klägerin sei zwar pflegebedürftig, sie erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen einer erheblichen Pflegebedürftigkeit im Sinne der Pflegestufe I. Dies stehe aufgrund der von der Beklagten eingeholten Gutachten fest. An diese Feststellungen seien die Beteiligten grundsätzlich gebunden, da dies in § 6 Abs. 2 Satz 1 MB/PPV 1996 vertraglich vereinbart worden sei. Die Feststellungen des Sachverständigen seien nur dann nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abwichen, wobei nur auf den Sachstand und die Erkenntnismittel zur Zeit der Begutachtung abzustellen sei. Eine offenbare und erhebliche Abweichung von der wirklichen Sachlage vermöge das Gericht nicht festzustellen. In beiden von der Beklagten eingeholten Gutachten, die im Ergebnis nur unwesentlich voneinander abwichen, seien die pflegerelevanten Erkrankungen der Klägerin und die daraus resultierenden Einschränkungen nachvollziehbar und schlüssig beschrieben. Ob die Gutachterinnen jeden einzelnen Zeitwert korrekt festgesetzt hätten, sei unerheblich, da dem Gericht aufgrund der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Beteiligten bei der Sachverhaltsfeststellung Grenzen gesetzt seien.

Am 20. Februar 2009 hat die Klägerin hiergegen Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie wendet sich insbesondere dagegen, dass sich das SG bei seiner Beurteilung auf die im Vorverfahren eingeholten Gutachten gestützt und es unterlassen habe, von Amts wegen oder auf Antrag ein entsprechendes Sachverständigengutachten einzuholen. Das SG habe die von der Beklagten eingeholten Erkenntnisse übernommen, ohne diese selbst auf sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Auch wenn dies auf privatrechtlichen Vereinbarungen beruhen sollte, sei eine solche Vorgehensweise mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Die Übernahme von Erkenntnissen einer Partei als verbindlich für die Entscheidung eines Gerichts könne nicht hingenommen werden. Dies stelle nicht nur einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Regeln dar, sondern bewirke letztendlich eine Versagung rechtlichen Gehörs. Es dürfe nicht darauf ankommen, ob der Sicherungsträger hoheitlich oder privat wirtschaftlich organisiert sei. Auch wenn der Bedarf der Grundpflege von den verschiedenen Pflegegutachten nur auf ein Maximum von 31 Minuten eingeschätzt werde, stelle dies keine vollständige Erfassung des tatsächlichen und keine angemessene Würdigung des Pflegebedarfs dar. Zu berücksichtigen seien auch tägliche krankengymnastische Übungen (15 Minuten täglich) und die Tatsache, dass sie im Alter von 93 Jahren schlicht und ergreifend nicht mehr in der Lage sei, für sich selbst zu sorgen.

Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin am 26. Mai 2009 einen neuen Antrag auf Gewährung von Pflegegeld gestellt. Diesen Antrag hat die Beklagte auf der Grundlage eines weiteren von ihr bei der M. GmbH in Auftrag gegebenen Gutachtens des Internisten Dr. Sc. vom 30. Juli 2009, in dem der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege auf 31 Minuten (Körperpflege 17 Minuten, Ernährung zwei Minuten, Mobilität zwölf Minuten) geschätzt worden war, mit Schreiben vom 31. August 2009 abgelehnt. Auf einen weiteren Antrag vom 06. September 2010 und gestützt auf das von der Beklagten bei der M. GmbH in Auftrag gegebene weitere Gutachten des Dr. Sc. vom 30. September 2010, in dem dieser insbesondere wegen eines weiteren Hilfebedarfs aufgrund im August 2010 aufgetretener starker Darmblutungen und sich hieraus ergebender deutlicher Schwächung, den Bedarf im Bereich der Grundpflege auf 86 Minuten (Körperpflege 56 Minuten, Ernährung vier Minuten, Mobilität 26 Minuten) geschätzt hat, hat die Beklagte dem Antrag für die Zeit ab 03. September 2010 stattgegeben und zahlt der Klägerin nunmehr wieder Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01. Februar 2008 bis 02. September 2010 Pflegegeld nach Pflegestufe I zu zahlen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Ausführungen des SG seien nicht zu beanstanden.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat für die Zeit vom 01. Februar 2008 bis 02. September 2010 keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Zulässige Klageart ist die isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG). Es reicht aus, dass die von der Versicherten beanspruchte Leistung zunächst bei der Beklagten geltend gemacht und von dieser endgültig abgelehnt worden ist, sodass Rechtsschutz nur noch durch Beschreitung des Klagewegs gewährt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R - in Juris).

Streitgegenstand ist der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I für die Zeit vom 01. Februar 2008 bis zum 02. September 2010. Befristet bis 31. Januar 2008 hat die Beklagte der Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe I bezahlt. Seit 03. September 2010 zahlt die Beklagte der Klägerin erneut Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist, nachdem die Klägerin Leistungen ab 01. Februar 2008 begehrt, der ab 01. Januar 2008 geltende § 192 Abs. 6 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit dem zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag über eine private Pflegepflichtversicherung, bis 31. Dezember 2008 zu den diesem Vertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Bedingungsteil MB/PPV 1996) und ab 01. Januar 2009 dem Bedingungsteil MB/PPV 2009 in der ab 01. Januar 2008 geltenden Fassung. Versicherte Personen erhalten bei häuslicher Pflege Ersatz von Aufwendungen für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung (häusliche Pflegehilfe) gemäß Nr. 1 des Tarifs PV (inhaltsgleich § 4 A Abs. 1 Satz 1 MB/PPV 1996 und MB/PPV 2009). Anstelle von Aufwendungsersatz für häusliche Pflegehilfe gemäß Abs. 1 können versicherte Personen ein Pflegegeld gemäß Nr. 2.1 des Tarifs PV beantragen (inhaltsgleich § 4 A. Abs. 2 Satz 1 MB/PPV 1996 und MB/PPV 2009).

Pflegebedürftige der Pflegestufe I sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Buchst. a MB/PPV 1996 und dem in der Sache inhaltsgleichen § 1 Abs. 1, Abs. 6 Buchst. a MB/PPV 2009 Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Nach § 1 Abs. 8 MB/PPV 1996 bzw. MB/PPV 2009 jeweils Buchst. a) muss der erforderliche Pflegeaufwand in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Diese versicherungsvertraglichen Leistungsvoraussetzungen stimmen wörtlich mit den gesetzlichen Bestimmungen der sozialen Pflegeversicherung (§§ 15, 37 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI -) überein und entsprechen damit der gesetzlich normierten Garantie eines vergleichbaren Standards (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Für ihre Auslegung gelten identische Grundsätze (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 3 P 6/03 R - a.a.O.). Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Bereich der Körperpflege sind das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung sowie das Beheizen (§ 1 Abs. 5 Buchst. a) bis c) MB/PPV 1996 und 2009). Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven (abstrakten) Maßstab zu beurteilen, da § 1 Abs. 6 MB/PPV sowohl in der Fassung von 1996 als auch 2009 wie § 14 SGB XI allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht die im Einzelfall tatsächlich erbrachte Pflege abstellt (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 19 zu § 14 SGB XI).

Die Klägerin hat den nach § 6 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV 1996/2009 erforderlichen Antrag am 28. November 2006 gestellt. Dieser Antrag ist nicht durch die Entscheidung der Beklagten vom 22. Januar 2007, mit dem sie Leistungen für die Zeit vom 01. November 2006 bis 31. Januar 2008 bewilligt hat, erloschen. Das Begehren der Klägerin war auf Dauer gerichtet. Dies wird auch daraus deutlich, dass sich die Klägerin gegen die Einstellung der Leistung ab 01. Februar 2008 wandte.

Auf das Schreiben vom 22. Januar 2007 kann die Klägerin ihr Begehren jedoch nicht stützen, denn hiermit hat die Beklagte nur für die Zeit vom 01. November 2006 bis 31. Januar 2008 Leistungen bewilligt. Auf eine mit diesem Schreiben erfolgte Bewilligung über den 31. Januar 2008 hinaus kann sich die Klägerin deshalb nicht berufen. Die mit Schreiben vom 07. Januar 2008 insoweit erfolgte Aufhebung war entbehrlich.

Für die Zeit vom 01. Februar 2008 bis zum 02. September 2010 liegen die Voraussetzungen für die Zahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I nicht vor.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage, welcher pflegerelevante Sachverhalt zugrundezulegen ist, sind jeweils § 1 Abs. 9 Satz 1 MB/PPV 1996 bzw. 2009, wonach der Versicherungsfall mit der ärztlichen Feststellung der Pflegebedürftigkeit beginnt. Zu der hierzu erforderlichen ärztlichen Untersuchung enthalten § 6 Abs. 2 MB/PPV 1996/2009 die näheren Einzelheiten. Dort heißt es u.a.: "Eintritt, Stufe und Fortdauer der Pflegebedürftigkeit sind durch einen vom Versicherer beauftragten Arzt festzustellen." In Erfüllung dieser versicherungsvertraglichen Vereinbarung hat die Beklagte zunächst das M.-Gutachten der Ärztin Dr. T. vom 20. Dezember 2007 und zur Abklärung der Einwendungen das weitere M.-Gutachten der Ärztin Dr. M.-B. vom 21. Februar 2008 eingeholt und der Bewertung des Sachverhalts zugrundegelegt. Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VVG in der seit 01. Januar 2008 geltenden Fassung (zuvor § 64 Abs. 1 Satz 1 VVG) sind Versicherer und Versicherungsnehmer an die Feststellungen des ärztlichen Sachverständigen zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder zur Höhe des Schadens grundsätzlich gebunden, wenn dies - wie hier durch § 6 Abs. 2 MB/PPV 1996/2009 - vertraglich vereinbart worden ist. Dies hat das BSG zur Vorgängervorschrift § 64 VVG und § 6 Abs. 2 MB/PPV 1996 bereits am 22. August 2001 B 3 P 21/00 R - in Juris entschieden und mit Urteil vom 22. Juli 2004 bestätigt. Dem schließt sich der Senat an. Danach sind die Feststellungen des Sachverständigen nur dann nicht verbindlich, "wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen", wobei auf den Sachstand und die Erkenntnismittel zum Zeitpunkt der Begutachtung abzustellen ist. Daraus ergibt sich dann auch eine Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle. Für eine gerichtliche Sachverhaltsaufklärung zur Frage des Umfangs des Pflegebedarfs, z.B. durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, besteht nur dann Veranlassung, wenn und soweit ein nach den Bestimmungen der MB/PPV 1996/2009 eingeholtes Gutachten offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht (§ 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 VVG) oder ein Sachverständiger die erforderlichen Feststellungen ausnahmsweise nicht treffen kann oder will oder sie verzögert (§ 84 Abs. 1 Satz 3 VVG). Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Wertermittlungen und Schätzungen schon ihrer Natur nach mit Unklarheiten behaftet sind und die Möglichkeit eines gewissen Spielraums eröffnen. Deshalb wäre das Sachverständigengutachten von nur geringem Wert, wenn sein Ergebnis wegen jeder Unrichtigkeit in einem Einzelpunkt angegriffen werden könnte. Mit diesem Verfahren wird bezweckt, dass die Schadensregulierung möglichst rasch mit sachverständiger Hilfe erledigt und gerade kein Streit vor den staatlichen Gerichten um die oftmals komplizierte Schadensfeststellung ausgetragen wird. Dem dient auch das in § 84 Abs. 1 Satz 1 VVG genannte Erfordernis der "offenbaren" Diskrepanz sowie das Kriterium der "Erheblichkeit". Mit diesen Anforderungen soll die Anfechtungsmöglichkeit auf die wenigen Fälle "ganz offensichtlichen Unrechts" beschränkt, soll Abhilfe nur bei "offensichtlichen Fehlentscheidungen" ermöglicht werden (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 a.a.O. m.w.N. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). In prozessualer Hinsicht bewirkt die Vereinbarung eines Sachverständigenverfahrens, insbesondere dass das Gericht die durch den Sachverständigen getroffenen Feststellungen grundsätzlich zu übernehmen hat und im Umfang dieser Feststellungen dem Gericht prinzipiell Beweiserhebung und Beweiswürdigung entzogen sind. Dies hat das SG richtig erkannt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil im Sozialgerichtsprozess ansonsten das Amtsermittlungsprinzip gilt. Denn der Umfang der Amtsermittlung richtet sich nach den materiell-rechtlichen Vorgaben. Dies ist hier § 84 VVG, dem sich die Beteiligten vertraglich unterworfen haben. Sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer können im Prozess eine Überprüfung des Gutachtenergebnisses nur auf der Grundlage des § 84 VVG verlangen (BSG Urteil vom 22. August 2001, a.a.O. zur Vorgängervorschrift § 64 VVG).

Diese materiell-rechtliche Vorgabe rechtfertigt auch die Unterscheidung von gesetzlich und privat Pflegeversicherten. Verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht erkennbar.

Damit liegt auch kein Verstoß gegen rechtliches Gehör vor, denn auch rechtliches Gehör wird nur im Rahmen dessen gewährt, was prozessual zugrundezulegen ist. Die Beteiligten haben durch den Abschluss des privaten Pflegeversicherungsvertrags die Anwendung zivilrechtlicher Grundsätze vereinbart.

Die Regelungen des § 84 VVG und die daraus abzuleitenden Konsequenzen für die gerichtliche Aufklärung des die Pflegebedürftigkeit begründenden Sachverhalts (Einschränkung der Amtsermittlungspflicht) gelten nicht nur für Leistungsansprüche aus der privaten Pflegeversicherung, denen - wie im Normalfall - vorprozessual eingetretene Umstände zugrunde liegen, sondern in vergleichbarer Weise auch dann, wenn - wie hier - der Leistungsanspruch im Laufe des Berufungsverfahrens vom Versicherten nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage eingetretenen neuen Sachverhalt gestützt wird. Als Konsequenz aus der Regelung des auch insoweit geltenden § 84 VVG während des laufenden Klage- oder Berufungsverfahrens hat der Versicherer außergerichtlich ein weiteres Gutachten zur Frage, ob der neue Sachverhalt den geltend gemachten Leistungsanspruch rechtfertigt, einzuholen. Dem ist die Beklagte nachgekommen. Sie hat auf die weiteren Anträge der Klägerin am 26. Mai 2009 bzw. 06. September 2010 weitere Gutachten bei Dr. Schnapper eingeholt und auf der Grundlage des von Dr. Schnapper erstatteten Gutachtens vom 30. September 2010 auch für die Zeit ab 03. September 2010 wieder die Pflegestufe I zuerkannt.

Unter Berücksichtigung dessen sind die von der Beklagten veranlassten Gutachten verbindlich. Diese Gutachten waren nicht offenbar unrichtig. Zum Einen hat es die Beklagte nicht abgelehnt, zu dem neuen Tatsachenvortrag der Versicherten weitere eigene Gutachten einzuholen und zum Anderen wurde von der Klägerin nicht substantiiert die "offenbare Unrichtigkeit" der außergerichtlichen Gutachten für die Zeit vom 01. Februar 2008 bis 02. September 2010 dargelegt. Sie hat die von Dr. T. und Dr. M.-B. erstatteten Gutachten vom 20. Dezember 2007 und 13. Februar 2008 nicht substantiiert angegriffen. Dies erfolgte insbesondere weder durch den unter dem 31. Januar 2008 vorgelegten Tagesablauf noch durch das Schreiben vom 03. März 2008. Eine offenbare Unrichtigkeit der Gutachten ist mithilfe dieses Tagesablaufprotokolls nicht dargetan. Das Tagesablaufprotokoll enthält über den berücksichtigten Hilfebedarf beim Waschen, bei der Darm- und Blasenentleerung und beim An- und Auskleiden hinaus keine Bedarfe, die im Rahmen der Pflegeversicherung Berücksichtigung finden könnten. Teilweise handelt es sich um die ebenfalls in den Gutachten berücksichtigte hauswirtschaftliche Versorgung in Form der Zubereitung des Frühstücks, Lüften, Aufräumen, Reinigen, Essen einkaufen und zubereiten, zum Teil um Behandlungspflege (Tabletten bereitstellen und überwachen, Sturzvermeidungsübungen) bzw. Spaziergänge, die ebenso wenig wie die Bereitschaft zur Hilfe, Berücksichtigung finden können (zu Spaziergängen BSG, Urteil vom 10. Oktober 2000 - B 3 P 15/99 R - in juris). Auch die mit Schreiben vom 03. März 2008 geltend gemachte Hilfe aufgrund der Zuckererkrankung stellt zum einen Behandlungspflege, zum anderen hauswirtschaftliche Versorgung dar. Ebenso verhält es sich im Hinblick auf die Tabletteneinnahme wegen Schmerzen im Rücken. Eine offenbare Unrichtigkeit ergibt sich auch nicht deshalb, weil aufgrund der Schmerzen im Rücken eine Unterstützung bei Lagewechseln erforderlich sei, denn insoweit ist zu beachten, dass nach dem Gutachten von Dr. T. vom 20. Dezember 2007 ein Bedarf im Bereich der Grundpflege von 18 Minuten und nach dem Gutachten von Dr. M.-B. von 26 Minuten angenommen wurde, sodass auch unter Annahme eines insoweit zusätzlich erforderlichen Hilfebedarfs bei Lagewechseln die Pflegestufe I, die einen Hilfebedarf von mindestens 46 Minuten pro Tag erfordert, nicht erreicht wird und die Gutachten damit nicht offenbar unrichtig werden. Ergänzend ist insoweit darauf hinzuweisen, dass auch das nachfolgende Gutachten von Dr. Schnapper vom 30. Juli 2009 nur einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 29 Minuten und damit ebenfalls weit unterhalb der erforderlichen 46 Minuten, annahm. Etwas anderes lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Klägerin zeitweise eines Korsetts bedurfte. Abgesehen davon, dass es sich insoweit um einen vorübergehenden Bedarf gehandelt hat - auch nach dem Vortrag der Klägerin war das Korsett erforderlich, um den Heilungsprozess zu unterstützen -, weshalb der zur Berücksichtigung im Rahmen der Grundpflege maßgebliche Sechsmonatszeitraum nicht erreicht ist, gilt auch insoweit, dass auch dies nur einen Hilfebedarf von wenigen Minuten erfordert und deshalb noch nicht dazu führt, dass die Grenze zur Pflegestufe I überschritten wird. Den nächtlichen Hilfebedarf hat Dr. M.-B. in ihrem Gutachten berücksichtigt. Darüber hinaus sind Bereitschaftszeiten nicht einzurechnen. Dies gilt insbesondere auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Bereitschaftszeiten für Ärzte, denn diese Entscheidung erging im Rahmen des Arbeitsrechts und unter Zugrundelegung arbeitsrechtlicher Verträge. Hier handelt es sich um die Pflegeversicherung und bei der Pflegeversicherung gehört zur Grundpflege nicht die Bereitschaft oder etwaige Überwachungstätigkeiten. Die Entscheidung des EuGH ist auf die Pflegeversicherung, die den Hilfebedarf in § 1 MB/PVV 1996/2009 und in § 14 SGB XI im Einzelnen darlegt, nicht übertragbar. Die Aufzählung der in § 1 Abs. 5 MB/PPV 2009 genannten Bedarfe ist abschließend (vgl. hierzu auch Urteil des BSG vom 06. August 1998 - B 3 P 17/97 R -). Etwas anderes gilt im Hinblick auf die Bereitschaft nur dann, wenn die Beaufsichtigung während einer konkreten Grundpflegeverrichtung erforderlich ist. Dies wird hier von der Klägerin bzw. der Pflegeperson nicht geltend gemacht.

Weitere Gutachten von Amts wegen zum Umfang des Pflegebedarfs waren bei dieser Sach- und Rechtslage nicht einzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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