Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 157/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 8/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2008 wird die Beklagte verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Widerspruch des Klägers erneut zu entscheiden. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf höheres Honorar.
Der Kläger war im streitbefangenen Quartal 1/2008 ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in H-E, an dem ein Facharzt für Innere Medizin, eine Fachärztin für Chirurgie und Allgemeinmedizin sowie ein Arzt/eine Ärztin der Fachgruppe 02 (27 02 000) beteiligt waren.
Dem Quartalskonto/Abrechnungsbescheid 1/2008 vom 28.07.2008 war ein Nachweis Individualbudget (IB)/Begrenzungsregelung gem. § 7 und § 13 HVV beigefügt, aus dem hervorgeht, dass das IB (2.420.279,5 Punkte) oberhalb des Grenzwertes der Fachgruppe lag (2.289.812 Punkte). Zur Ermittlung des individuellen Punktzahlvolumens wurde eine Quote der Fachgruppe von 71,0840 % herangezogen.
Diesem Abrechnungsbescheid widersprachen die Gesellschafter des Klägers. Sie seien ein hausärztliches MVZ im ländlichen Bereich, betreuten fünf Altersheime, machten Hausbesuche, hätten rund um die Uhr geöffnet und keinen Tag im Jahr geschlossen. Bei den hausärztlichen Ordinationsziffern 03111 und 03112 EBM lägen sie mehr als 100 %, bei den Hausbesuchen nach Ziffer 01410 EBM sogar 425 % über dem Vergleich. Nun würden sie abquotiert auf 71 % wie Fachärzte, obwohl solche die hausärztlichen Leistungen nicht erbrächten. Wenn sie nicht - wie in der Vergangenheit - wie Hausärzte honoriert würden, müssten sie umgehend Personal entlassen, wahrscheinlich auch ärztliches Personal, und würden den Betrieb in der gewohnten Form nicht aufrecht erhalten können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück:
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die IB-Regelung dem Grunde nach rechtmäßig. Insbesondere sei es rechtmäßig, durchschnittlich und/oder überdurchschnittlich abrechnenden Praxen bzw. MVZ Zuwachsmöglichkeiten im Rahmen von Regelungen über IBs insgesamt zu verwehren, zumal Sondersituationen in ausreichendem Maße über Ausnahmeentscheidungen berücksichtigt werden könnten. Dem MVZ sei ein IB in Höhe bzw. oberhalb des durchschnittlichen Punktzahlengrenzwertes der Fach-/Untergruppe zugeordnet worden. Eine darüber hinaus gehende erlaubte Zuwachsmöglichkeit bestehe nicht.
Hiergegen richtet sich die am 12.12.2008 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend trägt vor, er sei der Fachgruppe 32 (MVZ) zugeordnet worden, deren Quote gemäß § 6 HVV 71,0840 % betrage. Die entsprechen-
de Quote für die Fachgruppe 80 (Allgemeinärzte) betrage 77,9622 %.
Es bestünden bereits grundsätzlich Bedenken, eine eigenständige "Fachgruppe MVZ" zu bilden. Die möglichen Strukturen eines MVZ seien sowohl im Hinblick auf die Rechtsformen und Organisationsstrukturen als auch medizinisch bezogen auf die verschiedenen, an einem MVZ beteiligten Fachrichtungen (z.B. Orthopäden, Gynäkologen, Urologen, Anästhesisten, Chirurgen etc.) vielfältig. Mitunter seien auch Krankenhäuser, Apotheken oder Reha-Einrichtungen ebenfalls beteiligt. Hieraus ergebe sich eine heterogene Zusammensetzung der zum Quartal 1/2008 neu eingeführten Fachgruppe 32, die eine sachgerechte Vergleichbarkeit bzw. Zuordnung nicht zulasse.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Widerspruchsbescheid vom 03.12.2008 aufzuheben und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seinen Widerspruch erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig.
Die im IB verbleibenden punktzahlbewerteten Leistungen eines MVZ seien mit einem Punktwert von 5,11 ct. bewertet und im Anschluss mit der durchschnittlichen Fachgruppenquote aller Fachärzte multipliziert und entsprechend vergütet worden. Dies halte sich im Rahmen des Gestaltungsspielraums bei der Honorarverteilung. Aufgrund der Fachübergreiflichkeit von MVZ sei in aller Regel - abgesehen von einem MVZ gebildet aus Haus- und Kinderarzt - ein über-wiegend fachärztlicher Anteil vorhanden, der es rechtfertige, generell von einer fachärztlichen Tätigkeit des MVZ auszugehen. Dabei erscheine es auch vertretbar, einen Mix aus sämtlichen Facharztgruppen vorzunehmen und nicht individualisiert auf die jeweils beteiligten Fachgruppen abzustellen.
Die Beklagte habe im Übrigen keinen Fachgruppentopf für MVZ gebildet und keine neue Fachgruppe eingeführt. Alle betroffenen MVZ hätten aus abrechnungstechnischen Gründen eine insoweit gleichlautende 32-er Abrechnungsnummer erhalten. Dies bedeute nicht per se die Bildung einer neuen Fachgruppe bzw. eines Honorarkontingentes.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im Sinne einer Verpflichtung zur Neubescheidung begründet.
Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtswidrig sind.
Die Regelungen der Beklagten bzw. der Vertragspartner des Honorarverteilungsvertrages (HVV) über das IB stellen sich grundsätzlich als rechtmäßig dar (vgl. für die Zeit ab 01.04.2005 aber LSG NRW, Urteil vom 08.09.2010 - L 11 KA 60/07 -). Rechtlich unbedenklich ist dabei auch die Kombination von IBs und floatendem Element, die durch die Quotierung des für den einzelnen Arzt zulässigen Punktzahlvolumens entsprechend dem im jeweiligen Honorartopf zur Verfügung stehenden Honorarvolumen zur Gewährung eines Punktwerts von 10 Pf. (5,11 ct.) vorgenommen wird (BSG, Urteile vom 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 - u.a.; LSG NRW, Urteil vom 30.10.2006 - L 11 KA 126/04 -). Diese "Fachgruppenquote" ist insofern als Rechengröße das Ergebnis einer Verhältnisrechnung zwischen tatsächlich erbrachter Gesamtleistung der Fachgruppe und dem im jeweiligen Honorartopf zur Verfügung stehenden Honorarvolumen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.03.2006 - L 10 KA 22/05 -). Die Honorartöpfe für die einzelnen Facharztgruppen sind in § 6 b Abs. 4 HVV (Rhein. Ärzteblatt 7/2007, 58 ff.) zwischen den Gesamtvertragspartnern vereinbart und reichen von Anästhesisten der FG 01 bis zu Humangenetikern u.a. der FG 72. Einen Honorartopf für MVZ weist diese Regelung nicht aus.
Die Fachgruppenquote für MVZ bestimmt sich insofern auch nicht aus einem bestimmten Honorartopf, dessen Größe einem festgelegten prozentualen Anteil an dem Verteilungsbetrag der Gesamtvergütung entspricht, sondern folgt einer anderen Systematik. So werden gemäß § 6 c Abs. 1 HVV zunächst der hausärztliche Verteilungsbetrag und die Honorartöpfe im fachärztlichen Versorgungsbereich für die nach § 95 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zugelassenen MVZ quartalsweise bereinigt. Sodann werden gemäß § 7 Abs. 2 HVV Leistungen, die über das jeweils zugeordnete maximal abrechenbare individuelle Punktzahlvolumen hinaus abgerechnet werden, auf dieses Punktzahlvolumen gekürzt. Schließlich werden die nach der Kürzung verbleibenden punktzahlbewerteten Leistungen eines MVZ mit einem Punktwert von 5,11 ct. bewertet, danach mit der durchschnittlichen Fachgruppenquote aller Fachärzte multipliziert und entsprechend vergütet.
Dieses Vorgehen ist für das Quartal 1/2008, in dem - soweit ersichtlich - erstmals diese Regelung angewandt wurde, im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Dabei kann die Kammer allerdings den Vortrag der Beklagten, der Kläger hätte wie alle anderen MVZ aus abrechnungstechnischen Gründen eine 32-er Abrechnungsnummer erhalten, nicht nachvollziehen. Sowohl der Abrechnungsbescheid 1/2008 nebst allen Anlagen als auch der Widerspruchsbescheid vom 03.12.2008 tragen die Abrechnungsnummer 27 19 000; die Fachgruppe 19 ist diejenige der Internisten.
Der Beklagten bzw. den Vertragspartnern des HVV als Normgeber steht bei der Neuregelung komplexer Materien ein besonders weiter Spielraum in Form von Ermittlungs-, Erprobungs- und Umsetzungsspielräumen zu. Dieser rechtfertigt sich daraus, dass sich häufig bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften deren Auswirkungen nicht in allen Einzelheiten übersehen lassen und deshalb auch gröbere Typisierungen und geringere Differenzierungen zunächst hingenommen werden müssen. Mit dieser relativ weiten Gestaltungsfreiheit bei Anfangs- und Erprobungsregelungen korrespondiert eine Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht des Normgebers, wenn sich im Vollzug von ursprünglich gerechtfertigten Regelungen herausstellt, dass die die Norm legitimierenden Gründe weggefallen oder die Auswirkungen für einzelne Normadressaten unzumutbar geworden sind (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - m.w.N.).
Die Beklagte geht davon aus, dass aufgrund der Fachübergreiflichkeit von MVZ in aller Regel ein überwiegend fachärztlicher Anteil vorhanden sei, der es rechtfertige, generell von einer fachärztlichen Tätigkeit des MVZ auszugehen. Diese generalisierende Betrachtung hält sich zumindest in der Anfangsphase der Regelung noch im Rahmen des Gestaltungsspielraums.
Medizinische Versorgungszentren sind gemäß § 95 Abs. 1 SGB V in der Fassung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte, die in das Arztregister eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Ein MVZ ist dann fachübergreifend, wenn in ihr Ärzte mit verschiedenen Facharzt- oder Schwer- punktbezeichnungen tätig sind; es ist nicht fachübergreifend, wenn die Ärzte der hausärztlichen Arztgruppe nach § 101 Abs. 5 SGB V angehören und wenn die Ärzte oder Psychotherapeuten der psychotherapeutischen Arztgruppe nach § 101 Abs. 4 SGB V angehören. Sind in einem MVZ ein fachärztlicher und ein hausärztlicher Internist tätig, so ist die Einrichtung fachübergreifend. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass alle möglichen Kombinationen verschiedener Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen das Tatbestandsmerkmal "fachübergreifend" im o.g. Sinne erfüllen (BT-Drucks. 16/2474, S. 21, zu Nr. 5(§ 95) Buchst. a). Insofern durften die Vertragspartner des HVV in ihrer ersten Einschätzung durchaus davon ausgehen, dass angesichts des gesetzgeberischen Ziels der MVZ, den Versicherten eine fachübergreifende Versorgung aus einer Hand anzubieten, überwiegend fachärztliche Anteile vorhanden sind, die pauschalierend und typisierend die Zuordnung zu einer generell fachärztlichen Tätigkeit des MVZ rechtfertigen.
Inwieweit diese Annahme hinsichtlich der Fachgruppenquote zu einem Mix aus sämtlichen Facharztgruppen berechtigt, lässt die Kammer offen. Zutreffend weist der Kläger jedenfalls darauf hin, dass MVZ außerordentlich heterogen besetzt sein können, was die Angaben in der online-Arztsuche der Beklagten auch belegen. Die Fachgruppenquoten für Fachärzte im Quartal 1/2008 bewegen sich zwischen minimal 64,8132 % (FG 63 - Ärzte für physikalische und rehabilitative Medizin) und maximal 78,1924 % (FG 26 - Laborärzte). In welcher Weise die Beklagte die Fachgruppenquote für MVZ (FG 32) mit 71,0840 % aus der durchschnittlichen Fachgruppenquote aller Fachärzte berechnet hat, lässt sich den Verwaltungsakten nicht entnehmen; auch der HVV enthält insofern keine konkreten Vorgaben z.B. zur Gewichtung der einzelnen Fachgruppen etwa anhand der jeweiligen Anteile an der zu verteilenden Gesamtvergütung (vgl. § 6 Abs. 4 HVV).
Darauf kommt es vorliegend letztlich auch nicht entscheidend an. Die Gesellschafter des Klägers haben in ihrem Widerspruch dargelegt, sie seien ein hausärztliches MVZ im ländlichen Bereich, betreuten fünf Altersheime, machten Hausbesuche und wichen bei den entsprechenden hausärztlichen Ordinationsziffern und der Hausbesuchsziffer deutlich von der Vergleichsgruppe der Fachärzte ab. Wenn sie nicht - wie in der Vergangenheit - wie Hausärzte honoriert würden, bedrohe dies den Bestand ihres Betriebes in der gewohnten Form. Dies hätte die Beklagte zum Anlass nehmen müssen, eine Entscheidung über eine Ausnahmeregelung gemäß § 12 Abs. 1 HVV herbeizuführen. Da die Auswirkungen des HVV nicht in allen Einzelheiten vorherbar sind, wird nach dieser Bestimmung der Vorstand der Beklagten im Falle erheblicher Fehleinschätzung beauftragt, Korrekturmaßnahmen zu beschließen, um überproportionale, die Kalkulationssicherheit gefährdende Honorarauswirkungen im Einzelfall zu verhindern oder abzuschwächen. Hierauf weist der Widerspruchsbescheid auf Seite 3 von 4 auch zutreffend hin, indem er ausführt, Sondersituationen könnten in ausreichendem Maße über Ausnahmeentscheidungen berücksichtigt werden. Indes macht der Bescheid keinen Gebrauch von dieser Regelung. Die Aussage, für den Kläger bestehe eine weitere Zuwachsmöglichkeit nicht, weil dessen IB bereits den Fachgruppendurchschnitt erreicht oder überschritten habe, trifft sein Begehren nicht. Es geht ihm nicht um eine Erhöhung seines maximal abrechenbaren Punktzahlvolumens, sondern um eine Gleichstellung mit der Fachgruppe der Allgemeinärzte und damit auch mit deren Quote (FG 80), da er ein allgemeinärztliches Leistungsspektrum behandele.
Die Beklagte wird daher über den Widerspruch des Klägers unter Anwendung der Regelung des § 12 HVV neu zu entscheiden haben. Die Kompetenz ihres Vorstandes, Ausnahmen für atypische Versorgungssituationen vorzusehen, ist insoweit höchstrichterlich anerkannt (zuletzt BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf höheres Honorar.
Der Kläger war im streitbefangenen Quartal 1/2008 ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in H-E, an dem ein Facharzt für Innere Medizin, eine Fachärztin für Chirurgie und Allgemeinmedizin sowie ein Arzt/eine Ärztin der Fachgruppe 02 (27 02 000) beteiligt waren.
Dem Quartalskonto/Abrechnungsbescheid 1/2008 vom 28.07.2008 war ein Nachweis Individualbudget (IB)/Begrenzungsregelung gem. § 7 und § 13 HVV beigefügt, aus dem hervorgeht, dass das IB (2.420.279,5 Punkte) oberhalb des Grenzwertes der Fachgruppe lag (2.289.812 Punkte). Zur Ermittlung des individuellen Punktzahlvolumens wurde eine Quote der Fachgruppe von 71,0840 % herangezogen.
Diesem Abrechnungsbescheid widersprachen die Gesellschafter des Klägers. Sie seien ein hausärztliches MVZ im ländlichen Bereich, betreuten fünf Altersheime, machten Hausbesuche, hätten rund um die Uhr geöffnet und keinen Tag im Jahr geschlossen. Bei den hausärztlichen Ordinationsziffern 03111 und 03112 EBM lägen sie mehr als 100 %, bei den Hausbesuchen nach Ziffer 01410 EBM sogar 425 % über dem Vergleich. Nun würden sie abquotiert auf 71 % wie Fachärzte, obwohl solche die hausärztlichen Leistungen nicht erbrächten. Wenn sie nicht - wie in der Vergangenheit - wie Hausärzte honoriert würden, müssten sie umgehend Personal entlassen, wahrscheinlich auch ärztliches Personal, und würden den Betrieb in der gewohnten Form nicht aufrecht erhalten können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück:
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die IB-Regelung dem Grunde nach rechtmäßig. Insbesondere sei es rechtmäßig, durchschnittlich und/oder überdurchschnittlich abrechnenden Praxen bzw. MVZ Zuwachsmöglichkeiten im Rahmen von Regelungen über IBs insgesamt zu verwehren, zumal Sondersituationen in ausreichendem Maße über Ausnahmeentscheidungen berücksichtigt werden könnten. Dem MVZ sei ein IB in Höhe bzw. oberhalb des durchschnittlichen Punktzahlengrenzwertes der Fach-/Untergruppe zugeordnet worden. Eine darüber hinaus gehende erlaubte Zuwachsmöglichkeit bestehe nicht.
Hiergegen richtet sich die am 12.12.2008 erhobene Klage.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend trägt vor, er sei der Fachgruppe 32 (MVZ) zugeordnet worden, deren Quote gemäß § 6 HVV 71,0840 % betrage. Die entsprechen-
de Quote für die Fachgruppe 80 (Allgemeinärzte) betrage 77,9622 %.
Es bestünden bereits grundsätzlich Bedenken, eine eigenständige "Fachgruppe MVZ" zu bilden. Die möglichen Strukturen eines MVZ seien sowohl im Hinblick auf die Rechtsformen und Organisationsstrukturen als auch medizinisch bezogen auf die verschiedenen, an einem MVZ beteiligten Fachrichtungen (z.B. Orthopäden, Gynäkologen, Urologen, Anästhesisten, Chirurgen etc.) vielfältig. Mitunter seien auch Krankenhäuser, Apotheken oder Reha-Einrichtungen ebenfalls beteiligt. Hieraus ergebe sich eine heterogene Zusammensetzung der zum Quartal 1/2008 neu eingeführten Fachgruppe 32, die eine sachgerechte Vergleichbarkeit bzw. Zuordnung nicht zulasse.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Widerspruchsbescheid vom 03.12.2008 aufzuheben und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seinen Widerspruch erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig.
Die im IB verbleibenden punktzahlbewerteten Leistungen eines MVZ seien mit einem Punktwert von 5,11 ct. bewertet und im Anschluss mit der durchschnittlichen Fachgruppenquote aller Fachärzte multipliziert und entsprechend vergütet worden. Dies halte sich im Rahmen des Gestaltungsspielraums bei der Honorarverteilung. Aufgrund der Fachübergreiflichkeit von MVZ sei in aller Regel - abgesehen von einem MVZ gebildet aus Haus- und Kinderarzt - ein über-wiegend fachärztlicher Anteil vorhanden, der es rechtfertige, generell von einer fachärztlichen Tätigkeit des MVZ auszugehen. Dabei erscheine es auch vertretbar, einen Mix aus sämtlichen Facharztgruppen vorzunehmen und nicht individualisiert auf die jeweils beteiligten Fachgruppen abzustellen.
Die Beklagte habe im Übrigen keinen Fachgruppentopf für MVZ gebildet und keine neue Fachgruppe eingeführt. Alle betroffenen MVZ hätten aus abrechnungstechnischen Gründen eine insoweit gleichlautende 32-er Abrechnungsnummer erhalten. Dies bedeute nicht per se die Bildung einer neuen Fachgruppe bzw. eines Honorarkontingentes.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im Sinne einer Verpflichtung zur Neubescheidung begründet.
Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtswidrig sind.
Die Regelungen der Beklagten bzw. der Vertragspartner des Honorarverteilungsvertrages (HVV) über das IB stellen sich grundsätzlich als rechtmäßig dar (vgl. für die Zeit ab 01.04.2005 aber LSG NRW, Urteil vom 08.09.2010 - L 11 KA 60/07 -). Rechtlich unbedenklich ist dabei auch die Kombination von IBs und floatendem Element, die durch die Quotierung des für den einzelnen Arzt zulässigen Punktzahlvolumens entsprechend dem im jeweiligen Honorartopf zur Verfügung stehenden Honorarvolumen zur Gewährung eines Punktwerts von 10 Pf. (5,11 ct.) vorgenommen wird (BSG, Urteile vom 10.12.2003 - B 6 KA 54/02 - u.a.; LSG NRW, Urteil vom 30.10.2006 - L 11 KA 126/04 -). Diese "Fachgruppenquote" ist insofern als Rechengröße das Ergebnis einer Verhältnisrechnung zwischen tatsächlich erbrachter Gesamtleistung der Fachgruppe und dem im jeweiligen Honorartopf zur Verfügung stehenden Honorarvolumen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.03.2006 - L 10 KA 22/05 -). Die Honorartöpfe für die einzelnen Facharztgruppen sind in § 6 b Abs. 4 HVV (Rhein. Ärzteblatt 7/2007, 58 ff.) zwischen den Gesamtvertragspartnern vereinbart und reichen von Anästhesisten der FG 01 bis zu Humangenetikern u.a. der FG 72. Einen Honorartopf für MVZ weist diese Regelung nicht aus.
Die Fachgruppenquote für MVZ bestimmt sich insofern auch nicht aus einem bestimmten Honorartopf, dessen Größe einem festgelegten prozentualen Anteil an dem Verteilungsbetrag der Gesamtvergütung entspricht, sondern folgt einer anderen Systematik. So werden gemäß § 6 c Abs. 1 HVV zunächst der hausärztliche Verteilungsbetrag und die Honorartöpfe im fachärztlichen Versorgungsbereich für die nach § 95 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zugelassenen MVZ quartalsweise bereinigt. Sodann werden gemäß § 7 Abs. 2 HVV Leistungen, die über das jeweils zugeordnete maximal abrechenbare individuelle Punktzahlvolumen hinaus abgerechnet werden, auf dieses Punktzahlvolumen gekürzt. Schließlich werden die nach der Kürzung verbleibenden punktzahlbewerteten Leistungen eines MVZ mit einem Punktwert von 5,11 ct. bewertet, danach mit der durchschnittlichen Fachgruppenquote aller Fachärzte multipliziert und entsprechend vergütet.
Dieses Vorgehen ist für das Quartal 1/2008, in dem - soweit ersichtlich - erstmals diese Regelung angewandt wurde, im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Dabei kann die Kammer allerdings den Vortrag der Beklagten, der Kläger hätte wie alle anderen MVZ aus abrechnungstechnischen Gründen eine 32-er Abrechnungsnummer erhalten, nicht nachvollziehen. Sowohl der Abrechnungsbescheid 1/2008 nebst allen Anlagen als auch der Widerspruchsbescheid vom 03.12.2008 tragen die Abrechnungsnummer 27 19 000; die Fachgruppe 19 ist diejenige der Internisten.
Der Beklagten bzw. den Vertragspartnern des HVV als Normgeber steht bei der Neuregelung komplexer Materien ein besonders weiter Spielraum in Form von Ermittlungs-, Erprobungs- und Umsetzungsspielräumen zu. Dieser rechtfertigt sich daraus, dass sich häufig bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften deren Auswirkungen nicht in allen Einzelheiten übersehen lassen und deshalb auch gröbere Typisierungen und geringere Differenzierungen zunächst hingenommen werden müssen. Mit dieser relativ weiten Gestaltungsfreiheit bei Anfangs- und Erprobungsregelungen korrespondiert eine Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht des Normgebers, wenn sich im Vollzug von ursprünglich gerechtfertigten Regelungen herausstellt, dass die die Norm legitimierenden Gründe weggefallen oder die Auswirkungen für einzelne Normadressaten unzumutbar geworden sind (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - m.w.N.).
Die Beklagte geht davon aus, dass aufgrund der Fachübergreiflichkeit von MVZ in aller Regel ein überwiegend fachärztlicher Anteil vorhanden sei, der es rechtfertige, generell von einer fachärztlichen Tätigkeit des MVZ auszugehen. Diese generalisierende Betrachtung hält sich zumindest in der Anfangsphase der Regelung noch im Rahmen des Gestaltungsspielraums.
Medizinische Versorgungszentren sind gemäß § 95 Abs. 1 SGB V in der Fassung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) fachübergreifende ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte, die in das Arztregister eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Ein MVZ ist dann fachübergreifend, wenn in ihr Ärzte mit verschiedenen Facharzt- oder Schwer- punktbezeichnungen tätig sind; es ist nicht fachübergreifend, wenn die Ärzte der hausärztlichen Arztgruppe nach § 101 Abs. 5 SGB V angehören und wenn die Ärzte oder Psychotherapeuten der psychotherapeutischen Arztgruppe nach § 101 Abs. 4 SGB V angehören. Sind in einem MVZ ein fachärztlicher und ein hausärztlicher Internist tätig, so ist die Einrichtung fachübergreifend. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass alle möglichen Kombinationen verschiedener Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen das Tatbestandsmerkmal "fachübergreifend" im o.g. Sinne erfüllen (BT-Drucks. 16/2474, S. 21, zu Nr. 5(§ 95) Buchst. a). Insofern durften die Vertragspartner des HVV in ihrer ersten Einschätzung durchaus davon ausgehen, dass angesichts des gesetzgeberischen Ziels der MVZ, den Versicherten eine fachübergreifende Versorgung aus einer Hand anzubieten, überwiegend fachärztliche Anteile vorhanden sind, die pauschalierend und typisierend die Zuordnung zu einer generell fachärztlichen Tätigkeit des MVZ rechtfertigen.
Inwieweit diese Annahme hinsichtlich der Fachgruppenquote zu einem Mix aus sämtlichen Facharztgruppen berechtigt, lässt die Kammer offen. Zutreffend weist der Kläger jedenfalls darauf hin, dass MVZ außerordentlich heterogen besetzt sein können, was die Angaben in der online-Arztsuche der Beklagten auch belegen. Die Fachgruppenquoten für Fachärzte im Quartal 1/2008 bewegen sich zwischen minimal 64,8132 % (FG 63 - Ärzte für physikalische und rehabilitative Medizin) und maximal 78,1924 % (FG 26 - Laborärzte). In welcher Weise die Beklagte die Fachgruppenquote für MVZ (FG 32) mit 71,0840 % aus der durchschnittlichen Fachgruppenquote aller Fachärzte berechnet hat, lässt sich den Verwaltungsakten nicht entnehmen; auch der HVV enthält insofern keine konkreten Vorgaben z.B. zur Gewichtung der einzelnen Fachgruppen etwa anhand der jeweiligen Anteile an der zu verteilenden Gesamtvergütung (vgl. § 6 Abs. 4 HVV).
Darauf kommt es vorliegend letztlich auch nicht entscheidend an. Die Gesellschafter des Klägers haben in ihrem Widerspruch dargelegt, sie seien ein hausärztliches MVZ im ländlichen Bereich, betreuten fünf Altersheime, machten Hausbesuche und wichen bei den entsprechenden hausärztlichen Ordinationsziffern und der Hausbesuchsziffer deutlich von der Vergleichsgruppe der Fachärzte ab. Wenn sie nicht - wie in der Vergangenheit - wie Hausärzte honoriert würden, bedrohe dies den Bestand ihres Betriebes in der gewohnten Form. Dies hätte die Beklagte zum Anlass nehmen müssen, eine Entscheidung über eine Ausnahmeregelung gemäß § 12 Abs. 1 HVV herbeizuführen. Da die Auswirkungen des HVV nicht in allen Einzelheiten vorherbar sind, wird nach dieser Bestimmung der Vorstand der Beklagten im Falle erheblicher Fehleinschätzung beauftragt, Korrekturmaßnahmen zu beschließen, um überproportionale, die Kalkulationssicherheit gefährdende Honorarauswirkungen im Einzelfall zu verhindern oder abzuschwächen. Hierauf weist der Widerspruchsbescheid auf Seite 3 von 4 auch zutreffend hin, indem er ausführt, Sondersituationen könnten in ausreichendem Maße über Ausnahmeentscheidungen berücksichtigt werden. Indes macht der Bescheid keinen Gebrauch von dieser Regelung. Die Aussage, für den Kläger bestehe eine weitere Zuwachsmöglichkeit nicht, weil dessen IB bereits den Fachgruppendurchschnitt erreicht oder überschritten habe, trifft sein Begehren nicht. Es geht ihm nicht um eine Erhöhung seines maximal abrechenbaren Punktzahlvolumens, sondern um eine Gleichstellung mit der Fachgruppe der Allgemeinärzte und damit auch mit deren Quote (FG 80), da er ein allgemeinärztliches Leistungsspektrum behandele.
Die Beklagte wird daher über den Widerspruch des Klägers unter Anwendung der Regelung des § 12 HVV neu zu entscheiden haben. Die Kompetenz ihres Vorstandes, Ausnahmen für atypische Versorgungssituationen vorzusehen, ist insoweit höchstrichterlich anerkannt (zuletzt BSG, Urteil vom 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R - m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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