Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 46 SB 1245/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 78/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2008 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu 1/4 zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" – Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht –.
Der Kläger leidet seit einer kieferorthopädischen Behandlung im Jahre 2000 an einem Tinnitus am rechten Ohr. Auf seinen Antrag vom 6. März 2006 stellte der Beklagte auf der Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. P vom 22. April 2006 mit Bescheid vom 23. Mai 2006 einen GdB von 20 fest. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Beklagte setzte zunächst mit Teilabhilfebescheid vom 2. November 2006 den GdB auf 30 herauf. Nach Einholung des Gutachtens des Praktischen Arztes Dr. Y vom 15. Februar 2007 stellte er mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2007 einen GdB von 40 fest, wobei er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde legte:
a) psychische Störungen (Neurosen), psychosomatische Störungen (30), b) Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (20), c) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung (20), d) Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks (10), e) Nabelbruch (10).
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" verneinte er.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger die Feststellung eines GdB von mehr als 40 und die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" begehrt. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 4. März 2008 den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 50 anzuerkennen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit Ausführungsbescheid vom 4. April 2008 hat der Beklagte bei dem Kläger ab 6. März 2006 einen GdB von 50 festgestellt.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er bringt vor, dass er sich seit Mai 2005 ständig zu Hause aufhalte. Denn er könne die Straße nicht betreten, da bei Straßenlärm der Ton im Ohr unerträglich anschwelle. Er hat das in einem Rentenstreitverfahren eingeholte Gutachten des Nervenarztes Dr. G vom 12. November 2008 vorgelegt, der seit Mai 2005 eine mehr als mittel- bis schwergradige (majore) Depression diagnostiziert hat. Das Leistungsvermögen des Klägers für Tätigkeiten im Erwerbsleben sei seitdem vollständig aufgehoben.
Der Beklagte hat, dem Vorschlag des Psychiaters Dr. S in dessen versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 21. Januar 2009 folgend, mit Bescheid vom 24. Februar 2009 bei dem Kläger ab März 2006 einen GdB von 60 festgestellt.
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Nervenarzt Dr. G gehört worden. In dem antragsgemäß nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 11. Mai 2010 hat der Sachverständige die Diagnose seines Vorgutachtens bestätigt. Durch die Depression sei der Kläger in dessen Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Ob nach 2008 eine wesentliche Änderung eingetreten sei, könne nicht festgestellt werden, weil für diesen Zeitraum keine ärztlichen bzw. psychologischen Befunde vorlägen.
Ergänzend hat der Kläger einen im Rentenverfahren eingeholten Befundbericht seines Hausarztes vom 14. September 2009 eingereicht.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2008 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 23. Mai 2006 und des Teilabhilfebescheides vom 2. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2007 sowie in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 4. April 2008 und des Änderungsbescheides vom 24. Februar 2009 zu verpflichten, bei ihm ab März 2006 einen Grad der Behinderung von 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Entscheidung fest.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung eines GdB von mehr als 60.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen von 2005 und – zuletzt – 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.
Nach den überzeugenden Feststellungen des Nervenarztes Dr. G in dessen Rentengutachten vom 12. November 2008, die er in dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 11. Mai 2010 wiederholt hat, leidet der Kläger seit Mai 2005 an einer mehr als mittel- bis schwergradigen (majoren) Depression. Der von dem Psychiater Dr. S in dessen versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 21. Januar 2009 vorgeschlagenen Bewertung dieser psychischen Erkrankung mit einem Einzel-GdB von 40 wird gefolgt, da sie den in Teil B Nr. 3.7 (Bl. 27) der Anlage zur VersMedV für stärker behindernde Störungen vorgegebenen GdB-Rahmen von 30 bis 40 ausschöpft. Die Annahme schwerer Störungen, z.B. im Sinne einer Zwangskrankheit, mit mittelgradigen oder schweren sozialen Anpassungsstörungen, für die ein GdB von 50 bis 70 bzw. von 80 bis 100 vorgesehen ist, ist vorliegend nicht gerechtfertigt. Zwar ist der Kläger faktisch an das Haus gebunden, weshalb sein Leistungsvermögen im Erwerbsleben nach Einschätzung des Gutachters aufgehoben ist. Anzeichen für erhebliche familiäre Probleme, etwa infolge eines sozialen Rückzugs, der eine vorher intakte Ehe stark gefährden würde, bestehen jedoch nicht. Nach den eigenen Angaben des Klägers sind seine Frau und er trotz der krankheitsbedingten Einschränkungen glücklich miteinander.
Es kann offen bleiben, ob die Ohrgeräusche, die bei dem Kläger zu einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit führen, mit einem GdB von 30 zu bewerten sind, wie der Beklagte meint, oder bereits mit einem GdB von 40 (vgl. Teil B Nr. 5.3 (Bl. 37) der Anlage zur VersMedV). Da nach den überzeugenden gutachterlichen Darlegungen die Ohr-geräusche nicht nur HNO-ärztlich begründbar sind, sondern vielmehr psychischer Natur sind, überschneiden sich die Behinderungskomplexe der psychischen Störungen und der Ohrgeräusche erheblich. Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Der Einzel-GdB für die psychischen Störungen von 40 ist unter Berücksichtigung des für die Ohrengeräusche anzusetzenden GdB – und zwar unabhängig davon, ob er mit 30 oder 40 zu bewerten ist – auf 60 heraufzusetzen. Der nach Teil B Nr. 18.9 (Bl. 90) der Anlage zur VersMedV zutreffend festgestellte Einzel-GdB von 20 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule wirkt sich nicht erhöhend aus. Die weiteren Funktionsbehinderungen sind nicht geeignet, den Gesamt-GdB heraufzusetzen, da sie jeweils nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind. Denn nach Nr. 19 Abs. 4 der AHP bzw. Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erforderlichen Nachteilsausgleichs "RF" vorliegen (vgl. § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches, Neuntes Buch - SGB IX -).
Abzustellen ist, da der Kläger den Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" im März 2006 stellte, auf die Vorschriften des am 1. April 2005 in Kraft getretenen Achten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Achter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes vom 27. Januar 2005 (GVBl. S. 82), welches die bis dahin geltende Berliner Verordnung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 2. Januar 1992 (GVBl. S. 3) aufhob. Spätere Änderungen, zuletzt im Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes vom 2. April 2009 (GVBl. S. 138), haben die hier maßgeblichen Voraussetzungen unberührt gelassen. Der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis des Art. 5 § 6 Abs. 1 Satz 1 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, da nach der hier allein in Frage stehenden Nr. 8 auf Antrag folgende natürliche Personen und deren Ehegatten im ausschließlich privaten Bereich von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden:
behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Einen Gesamt-GdB in dieser Höhe erreicht der Kläger nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" – Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht –.
Der Kläger leidet seit einer kieferorthopädischen Behandlung im Jahre 2000 an einem Tinnitus am rechten Ohr. Auf seinen Antrag vom 6. März 2006 stellte der Beklagte auf der Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. P vom 22. April 2006 mit Bescheid vom 23. Mai 2006 einen GdB von 20 fest. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Beklagte setzte zunächst mit Teilabhilfebescheid vom 2. November 2006 den GdB auf 30 herauf. Nach Einholung des Gutachtens des Praktischen Arztes Dr. Y vom 15. Februar 2007 stellte er mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2007 einen GdB von 40 fest, wobei er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde legte:
a) psychische Störungen (Neurosen), psychosomatische Störungen (30), b) Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen (20), c) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung (20), d) Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks (10), e) Nabelbruch (10).
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" verneinte er.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger die Feststellung eines GdB von mehr als 40 und die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" begehrt. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 4. März 2008 den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 50 anzuerkennen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit Ausführungsbescheid vom 4. April 2008 hat der Beklagte bei dem Kläger ab 6. März 2006 einen GdB von 50 festgestellt.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er bringt vor, dass er sich seit Mai 2005 ständig zu Hause aufhalte. Denn er könne die Straße nicht betreten, da bei Straßenlärm der Ton im Ohr unerträglich anschwelle. Er hat das in einem Rentenstreitverfahren eingeholte Gutachten des Nervenarztes Dr. G vom 12. November 2008 vorgelegt, der seit Mai 2005 eine mehr als mittel- bis schwergradige (majore) Depression diagnostiziert hat. Das Leistungsvermögen des Klägers für Tätigkeiten im Erwerbsleben sei seitdem vollständig aufgehoben.
Der Beklagte hat, dem Vorschlag des Psychiaters Dr. S in dessen versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 21. Januar 2009 folgend, mit Bescheid vom 24. Februar 2009 bei dem Kläger ab März 2006 einen GdB von 60 festgestellt.
Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Nervenarzt Dr. G gehört worden. In dem antragsgemäß nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 11. Mai 2010 hat der Sachverständige die Diagnose seines Vorgutachtens bestätigt. Durch die Depression sei der Kläger in dessen Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert. Ob nach 2008 eine wesentliche Änderung eingetreten sei, könne nicht festgestellt werden, weil für diesen Zeitraum keine ärztlichen bzw. psychologischen Befunde vorlägen.
Ergänzend hat der Kläger einen im Rentenverfahren eingeholten Befundbericht seines Hausarztes vom 14. September 2009 eingereicht.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2008 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 23. Mai 2006 und des Teilabhilfebescheides vom 2. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2007 sowie in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 4. April 2008 und des Änderungsbescheides vom 24. Februar 2009 zu verpflichten, bei ihm ab März 2006 einen Grad der Behinderung von 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Entscheidung fest.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung eines GdB von mehr als 60.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen von 2005 und – zuletzt – 2008. Seit dem 1. Januar 2009 sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.
Nach den überzeugenden Feststellungen des Nervenarztes Dr. G in dessen Rentengutachten vom 12. November 2008, die er in dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 11. Mai 2010 wiederholt hat, leidet der Kläger seit Mai 2005 an einer mehr als mittel- bis schwergradigen (majoren) Depression. Der von dem Psychiater Dr. S in dessen versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 21. Januar 2009 vorgeschlagenen Bewertung dieser psychischen Erkrankung mit einem Einzel-GdB von 40 wird gefolgt, da sie den in Teil B Nr. 3.7 (Bl. 27) der Anlage zur VersMedV für stärker behindernde Störungen vorgegebenen GdB-Rahmen von 30 bis 40 ausschöpft. Die Annahme schwerer Störungen, z.B. im Sinne einer Zwangskrankheit, mit mittelgradigen oder schweren sozialen Anpassungsstörungen, für die ein GdB von 50 bis 70 bzw. von 80 bis 100 vorgesehen ist, ist vorliegend nicht gerechtfertigt. Zwar ist der Kläger faktisch an das Haus gebunden, weshalb sein Leistungsvermögen im Erwerbsleben nach Einschätzung des Gutachters aufgehoben ist. Anzeichen für erhebliche familiäre Probleme, etwa infolge eines sozialen Rückzugs, der eine vorher intakte Ehe stark gefährden würde, bestehen jedoch nicht. Nach den eigenen Angaben des Klägers sind seine Frau und er trotz der krankheitsbedingten Einschränkungen glücklich miteinander.
Es kann offen bleiben, ob die Ohrgeräusche, die bei dem Kläger zu einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit führen, mit einem GdB von 30 zu bewerten sind, wie der Beklagte meint, oder bereits mit einem GdB von 40 (vgl. Teil B Nr. 5.3 (Bl. 37) der Anlage zur VersMedV). Da nach den überzeugenden gutachterlichen Darlegungen die Ohr-geräusche nicht nur HNO-ärztlich begründbar sind, sondern vielmehr psychischer Natur sind, überschneiden sich die Behinderungskomplexe der psychischen Störungen und der Ohrgeräusche erheblich. Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Der Einzel-GdB für die psychischen Störungen von 40 ist unter Berücksichtigung des für die Ohrengeräusche anzusetzenden GdB – und zwar unabhängig davon, ob er mit 30 oder 40 zu bewerten ist – auf 60 heraufzusetzen. Der nach Teil B Nr. 18.9 (Bl. 90) der Anlage zur VersMedV zutreffend festgestellte Einzel-GdB von 20 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule wirkt sich nicht erhöhend aus. Die weiteren Funktionsbehinderungen sind nicht geeignet, den Gesamt-GdB heraufzusetzen, da sie jeweils nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind. Denn nach Nr. 19 Abs. 4 der AHP bzw. Teil A Nr. 3d der Anlage zu § 2 VersMedV führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erforderlichen Nachteilsausgleichs "RF" vorliegen (vgl. § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches, Neuntes Buch - SGB IX -).
Abzustellen ist, da der Kläger den Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" im März 2006 stellte, auf die Vorschriften des am 1. April 2005 in Kraft getretenen Achten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Achter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes vom 27. Januar 2005 (GVBl. S. 82), welches die bis dahin geltende Berliner Verordnung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 2. Januar 1992 (GVBl. S. 3) aufhob. Spätere Änderungen, zuletzt im Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes vom 2. April 2009 (GVBl. S. 138), haben die hier maßgeblichen Voraussetzungen unberührt gelassen. Der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis des Art. 5 § 6 Abs. 1 Satz 1 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, da nach der hier allein in Frage stehenden Nr. 8 auf Antrag folgende natürliche Personen und deren Ehegatten im ausschließlich privaten Bereich von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden:
behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Einen Gesamt-GdB in dieser Höhe erreicht der Kläger nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
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