L 15 SF 169/10 B E

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SF 48/10 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 169/10 B E
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erledigungsgebühr hat nicht nur für die Erledigungsgebühr im Vorverfahren, sondern generell Bedeutung.
2. Die Erledigung des Rechtsstreits "durch die anwaltliche Mitwirkung" setzt eine besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts im Sinn einer qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung bei der Erledigung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung voraus.
3. Die Annahme eines (vollen) Anerkenntnisses ist noch keine über die normale Prozessführung hinaus gehende, qualifizierte Mitwirkung des Rechtsanwalts an der Erledigung.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 9. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.



Gründe:


I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus der Staatskasse zusteht. Streitig ist die Erledigungsgebühr.

Im Klageverfahren am Sozialgericht Bayreuth S 4 AS 1446/08 ging es um die Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheids, mit dem der Beklagte die freie Verpflegung während eines Krankenhausaufenthalts als Einnahme des nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) leistungsberechtigten Kläger angerechnet hatte. Mit Beschluss vom 25.09.2009 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger ab 04.02.2009 Prozesskostenhilfe und ordnete den Beschwerdeführer bei. Im Erörterungstermin am 20.04.2010 (25 Minuten) gab der Richter ausweislich der Niederschrift rechtliche Hinweise zu Protokoll, woraufhin der Beklagte den Anspruch anerkannte (einschließlich Kostenanerkenntnis). Der Kläger nahm das Anerkenntnis an.

Mit Schriftsatz vom 21.04.2010 stellte der Beschwerdeführer Kostenerstattungsantrag. Die Vergütung für seine anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe bezifferte er auf 1040,71 Euro abzüglich der im Wege eines Vorschusses erhaltenen 250,50 Euro. Aufgeführt waren eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG: 240 Euro, eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG: 170 Euro, eine Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG: 200 Euro und eine Erledigungsgebühr gemäß Nrn. 1006, 1005 VV RVG: 190 Euro (außerdem Fahrtkosten 5,25 Euro, Tage- und Abwesenheitsgeld 2,50 Euro, Pauschale 40 Euro, Dokumentenpauschale für 62 Ablichtungen 26,80 Euro, insgesamt netto 874,55 Euro, zzgl. 19 % MWSt 166,16 Euro). Mit Fax vom 12.05.2010 stellte der Beschwerdeführer klar, dass die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG nur versehentlich zur Abrechnung gelangt sei, diese Gebühr sei nicht angefallen.

Die Kostenbeamtin setzte die aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren am 06.05.2010 auf 247,22 Euro fest:

Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG 170,00 Euro
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
Fotokopiekosten, Nr. 7000 VV RVG 20,50 Euro
Reisekosten, Nr. 7003 VV RVG 5,25 Euro
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV RVG 2,50 Euro


Zwischensumme: 418,25 Euro
19% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG 79,47 Euro


insgesamt 497,72 Euro
abzüglich Vorschuss vom 09.11.2009 250,50 Euro


verbleiben zur Auszahlung 247,22 Euro

Wegen der Ablehnung der Erledigungsgebühr hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Nach dem Protokoll aus der Sitzung vom 20.04.2010 sei, so der Beschwerdeführer, der Sachverhalt umfangreich erörtert worden. Um die Beklagte zu bewegen und um ein Urteil zu vermeiden, habe ein deutlicher Hinweis des Gerichts zu § 330 Abs. 1 SGB III erfolgen müssen. Aus der Sitzung ergäbe sich somit seine umfangreiche Mitwirkung dahingehend, dass der Beklagte sich bereit erklärt habe, ein Anerkenntnis abzugeben. Bei diesem Verfahren habe er mitgewirkt. Eine Mitwirkung sei auch aus dem Protokoll ersichtlich, denn das Anerkenntnis sei ausdrücklich angenommen worden und es sei erklärt worden, dass der Rechtsstreit erledigt ist. Diese Mitwirkung sehe er als ausreichend an.

Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Beschluss vom 09.06.2010 die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.05.2010 als unbegründet zurückgewiesen. Die Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG sei schon dem Grunde nach nicht entstanden, Ausführungen zu ihrer Höhe würden sich daher erübrigen. Bei der Erledigungsgebühr der Nr. 1002 i.V.m. Nr. 1006 müsse sich die Rechtssache jedenfalls "durch die anwaltliche Mitwirkung" erledigen. Da die Erledigungsgebühr an die Stelle der Einigungsgebühr trete, müsse eine Mitwirkung des Anwalts an der die Erledigung verursachenden Maßnahme vorliegen. Ohne besondere, auf die Beilegung der Sache ohne Entscheidung gerichtete Tätigkeit, die zur Erledigung nicht nur ganz unwesentlich beigetragen hat, entstehe die Gebühr nicht. Bei Erledigung der Rechtssache ohne Zutun des Anwalts könne weder nach Nr. 1006 noch nach Nr. 1002 eine zusätzliche Erfolgsgebühr entstehen. Hier sei nicht zu erkennen, worin ein solches besonderes Bemühen des Erinnerungsführers an einer Erledigung des vorliegenden Verfahrens liegen könnte. Der Erinnerungsführer trage selbst vor, dass das Gericht in der Verhandlung gegenüber der beklagten Partei habe deutlich werden müssen, um diese zur Abgabe eines Anerkenntnisses zu bewegen. Ein besonderes Bemühen des Erinnerungsführers selbst, das über die - unter Umständen ausführliche - Besprechung der Sach- und Rechtslage wesentlich hinausgehe, sei nicht erkennbar.

Gegen den am 11.06.2010 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 22.06.2010 Beschwerde eingelegt und weiterhin die Festsetzung der Erledigungsgebühr in Höhe von 190 Euro zuzüglich der Mehrwertsteuer (226,10 Euro) verlangt. Die Sach- und Rechtslage sei am 20.04.2010 ausweislich des Sitzungsprotokolls umfangreich erörtert worden. Es seien in der etwa halbstündigen Sitzung umfangreiche Argumente ausgetauscht worden. Der Beklagte habe dann ein Anerkenntnis abgegeben, das nach Rücksprache angenommen worden sei. Es liege somit sowohl eine umfangreiche Mitwirkungshandlung in der Sitzung als auch eine Mitsprache zwischen dem Prozessbevollmächtigten und seinem Auftraggeber über die Annahme des Angebots vor. Es sei deswegen nicht im Ansatz ersichtlich, wie der Anfall der Erledigungsgebühr ernsthaft in Abrede gestellt werden könne. Sollte das Gericht die Auffassung vertreten, es müsse eine körperliche Umarmung des Sitzungsgegners erfolgen, um diesen unter Tränen aufzufordern, doch bitte nunmehr der Erledigung des Rechtsstreits zuzustimmen, verkenne diese Auffassung die Anforderungen an eine Erledigung bzw. Einigung im Rechtssinn.

Der Beschwerdegegner hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Die Annahme des Anerkenntnisses, wodurch sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe, könne nicht als eine besondere Tätigkeit bzw. ein besonderes Bemühen gewertet werden, wie es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 07.11.2006, B 1 KR 23/06 R) und der weit überwiegenden Meinung in der Literatur für die Entstehung der Erledigungsgebühr erforderlich ist. Diese Tätigkeit sei vielmehr mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Der Austausch umfangreicher Argumente in der Sitzung sei mit der Terminsgebühr honoriert worden.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere auch statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands (190 Euro zzgl. 19 % MWSt) 200 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das Sozialgericht Bayreuth hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 09.06.2010 zu Recht entschieden, dass dem Beschwerdeführer eine höhere Vergütung nicht zusteht. Er hat für seine anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe den mit der Kostenfestsetzung vom 06.05.2010 anerkannten Anspruch gegen die Staatskasse, nicht aber darüber hinaus Anspruch auf Zahlung einer Erledigungsgebühr.

Die Voraussetzungen für die Erledigungsgebühr gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. Nrn. 1006, 1005, 1002 VV RVG sind nicht erfüllt, weil sich der Rechtsstreit nicht "durch die anwaltliche Mitwirkung" erledigt hat. Nach den amtlichen Erläuterungen zu Nr. 1002 Satz 1 VV RVG entsteht die Gebühr, "wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt." Nach Satz 2 gilt das Gleiche, "wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt." Nach Nr. 1005 VV RVG entsteht eine Gebühr im Fall einer "Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG): Die Gebühren 1000 und 1002 betragen 40,00 bis 520,00 Euro." Ist über den Gegenstand ein gerichtliches Verfahren anhängig, sieht Nr. 1006 VV RVG für die Gebühr 1005 einen Rahmen von 30,00 bis 350,00 Euro vor. Der Rechtsstreit S 4 AS 1446/08 ist ein gerichtliches Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG, § 183 Satz 1 SGG).

Die Erledigung des Rechtsstreits "durch die anwaltliche Mitwirkung" setzt regelmäßig eine besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus, die über die normale Prozessführung hinaus geht. Die Erledigungsgebühr ist eine Erfolgsgebühr, die die Entlastung des Gerichts und das erfolgreiche anwaltliche Bemühen um die Herstellung des Rechtsfriedens ohne Sachentscheidung des Gerichts honoriert. Die "anwaltliche Mitwirkung" erfordert daher einen besonderen, nicht ganz unwesentlichen Beitrag des Rechtsanwalts zur Erledigung des Rechtsstreits ohne eine gerichtliche Entscheidung. Dabei reichen für das Entstehen der Erledigungsgebühr nicht schon Tätigkeiten aus, die durch andere Gebühren wie etwa die Verfahrensgebühr oder die Terminsgebühr honoriert werden (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, VV 1002 Rn. 9; Müller-Rabe in Gerold/ Schmidt, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, VV 1002 Rn. 38, VV 1005-1007 Rn. 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.11.2009, L 20 B 36/09 SO; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 05.05.2010, 1 O 27/10). Mit überzeugender Argumentation verlangt auch das Bundessozialgericht für das Entstehen der Erledigungsgebühr (im Widerspruchsverfahren) gemäß Nr. 1002 VV RVG eine besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts im Sinn einer qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache (Urteile vom 07.11.2006, B 1 KR 23/06 R und B 1 KR 13/06 R; vom 21.03.2007, B 11a AL 53/06 R; vom 02.10.2008, B 9/9a SB 5/07 R und B 9/9a SB 3/07 R; vom 05.05.2009, B 13 R 137/08 R; vgl. auch Bayer. LSG, Urteil vom 28.07.2010, L 15 SB 4/09). Entgegen der Auffassung des Sächsischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 12.08.2008, L 6 B 327/08 AS-KO) hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1002 VV RVG generell Bedeutung und ist nicht etwa nur für die Erledigungsgebühr im Vorverfahren beachtlich. Dies folgt aus der gesetzlichen Systematik. Die in Nr. 1005 VV RVG verwendeten und auch bei Anwendung der Nr. 1006 VV RVG maßgeblichen Begriffe Einigung und Erledigung sind in Nr. 1000 VV RVG ("Einigung") und in Nr. 1002 VV RVG ("Erledigung") definiert.

Eine anwaltliche Tätigkeit im Sinn eines besonderen, qualifizierten Beitrags des Rechtsanwalts zur Erledigung des Rechtsstreits liegt hier nicht vor.

Die umfangreiche Erörterung der Sach- und Rechtslage in dem knapp halbstündigen Gerichtstermin am 20.04.2010 rechtfertigt entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht den Ansatz der Erledigungsgebühr. Diese anwaltliche Tätigkeit wird mit der Terminsgebühr honoriert. Das Anerkenntnis hat der Beklagte auch nicht wegen des Austausches von Argumenten der Verfahrensbeteiligten, sondern wegen der zu Protokoll gegebenen rechtlichen Hinweise des Gerichts abgegeben.

Der Beschwerdeführer hat die Erledigungsgebühr auch nicht damit verdient, dass er das vom Beklagten abgegebene Anerkenntnis nach Rücksprache mit seinem Mandanten angenommen hat. Zwar hat die Annahme des Anerkenntnisses gemäß § 101 Abs. 2 SGG verfahrensbeendende und damit den Rechtsstreit erledigende Wirkung. Die Annahme eines Anerkenntnisses ist aber, wie auch eine Klagerücknahmeerklärung oder eine Erledigt-erklärung, noch keine über die normale Prozessführung hinaus gehende, qualifizierte Mitwirkung des Rechtsanwalts an der Erledigung (vgl. Hartmann, a.a.O. VV 1002 Rn. 9 und Rn. 14 zur "Erledigtanzeige" und zur "Klagerücknahme"; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.08.2010, L 3 SF 6/09 E; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 05.05.2010, 1 O 27/10). Die Abgabe einer solchen Prozesserklärung wird mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Eine besondere Mühewaltung des Rechtsanwalts, die die Entstehung der zusätzlichen Gebühr rechtfertigen würde, ist nicht erkennbar. Wenn der Prozessgegner ein Anerkenntnis abgegeben und damit dem Kläger den vollen Klageerfolg zugestanden hat, wird ein Rechtsanwalt seinen Mandanten regelmäßig ohne Mühe zur Annahme des Anerkenntnisses bewegen können.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 07.11.2006 (B 1 KR 13/06 R) interpretiert der Beschwerdeführer zu Unrecht dahingehend, dass für die Entstehung der Erledigungsgebühr eine besondere Mitwirkung des Rechtsanwalts nicht erforderlich sei. Das Gegenteil ist der Fall (siehe oben). Die von ihm außerdem zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 20.11.2008 (IX ZR 186/07, MDR 2009, S. 293 f.) ist nicht einschlägig; sie betrifft nicht die Erledigungsgebühr, sondern die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG.

Diese Entscheidung trifft der Kostensenat des Bayerischen Landessozialgerichts nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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