L 4 KR 33/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 46/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 33/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Oktober 2009 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Beendigung der Familienversicherung der Beigeladenen zum 31. Dezember 2003. Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren auch streitig, ob der Kläger fristgemäß Berufung eingelegt hat.

Die am 1957 geborene Beigeladene, die mit dem Kläger verheiratet ist, war bei der Beklagten über den Kläger familienversichert. Mit Bescheid vom 10. November 2006 beendete die Beklagte gestützt auf den Einkommenssteuerbescheid der Eheleute für das Jahr 2004 und Gehaltsabrechnungen im Hinblick auf zwei geringfügige Beschäftigungen der Beigeladenen nach Anhörung des Klägers die Familienversicherung der Beigeladenen zum 31. Dezember 2003, da sich das regelmäßige monatliche Gesamteinkommen der Beigeladenen im Jahr 2005 auf EUR 569,74 belaufe. Den vom Kläger dagegen erhobenen Widerspruch wies die bei der Beklagten gebildete Widerspruchsstelle mit Widerspruchsbescheid vom 07. Dezember 2006 zurück. Die vom Kläger dagegen am 04. Januar 2007 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage wies das SG mit dem dem Klägerbevollmächtigten am 16. November 2009 per Empfangsbekenntnis zugestellten Urteil vom 22. Oktober 2009 ab.

Hiergegen hat der Kläger am 04. Januar 2010 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags hat er ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe im Zuge seiner Überprüfung aller Akten vor dem Jahreswechsel festgestellt, dass seine Sekretärin G. K. (im folgenden G. K.) im Terminskalender weder die Vorfrist von einer Woche noch die Berufungsfrist eingetragen und ihm auch die Akte nicht zur Bearbeitung vorgelegt habe. G.K. sei bei ihm seit über einem Jahrzehnt als Sekretärin beschäftigt, daher sehr erfahren und habe so gut wie nie Anlass zu Beanstandungen gegeben. Über Rechtsmittelfristen und ihre Bedeutung sei sie von ihm regelmäßig belehrt worden. Das Urteil enthalte auch eine Rechtsmittelbelehrung, sodass er Unkenntnis ausschließen könne. Er könne sich das Versehen daher nur mit einem Augenblicksversagen erklären. G.K. sei am 01. Juni 1950 geboren, habe zwischen 1965 und 1968 eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolviert und sei in diesem Beruf bis 1975 tätig gewesen. Nach einer Familienphase habe sie 1988 bei seinem Prozessbevollmächtigten angefangen und sei von ihm selbst angelernt worden. Anfangs habe er die gesamten Tätigkeiten überwacht. Nach etwa eineinhalb Jahren habe sie alle von einer Anwaltssekretärin zu erledigenden Arbeiten beherrscht. Die Anweisungen über die Eintragung von Rechtsmittelfristen und Vorfristen habe er sowohl schriftlich wie auch mündlich erteilt. In letzter Zeit habe er G.K. nur noch mündlich belehrt, meist anhand konkreter Fälle. Dies sei meist vier- bis sechsmal jährlich geschehen. Kontrollen über die Eintragungen im Termin- und Fristenkalender nehme er regelmäßig vor, wenn ihm eine Akte vorgelegt werde. Versäumnisse habe es nur ganz vereinzelt gegeben. Diese hätten fast immer noch rechtzeitig korrigiert werden können. Auf weitere Nachfrage des Senats hat der Kläger angegeben, G.K. sei im Hinblick auf die Rücksendung von Empfangsbekenntnissen angewiesen, das Datum des Zugangs des Schriftstücks zu vermerken. Außerdem sei sie - dies habe G.K. im vorgelegten Schreiben vom 23. Januar 2011 bestätigt - wiederholt darauf hingewiesen worden, dass Empfangsbekenntnisse erst nach Eintragung von Rechtsmittelfristen zur Unterschrift vorgelegt werden dürften. Anlass zu Beanstandungen hätte es nie gegeben. Dennoch habe sein Prozessbevollmächtigte stichprobenartig vor Unterzeichnung von Empfangsbekenntnissen die Eintragung von Rechtmittelfristen überprüft. Der Kläger hat die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Dezember 2009 und die eidesstattliche Versicherung der G.K. vom 04. Januar 2010, ein Fristenmerkblatt sowie das Schreiben der G.K. vom 23. Januar 2011 vorgelegt. In der Sache ist der Kläger weiterhin der Auffassung, die Beigeladene habe kein Gesamteinkommen erzielt, das die Familienversicherung ausschließe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sowie das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. Oktober 2009 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheids vom 10. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. Dezember 2006 festzustellen, dass die Beigeladene auch ab dem 01. Januar 2004 bei der Beklagten familienversichert ist.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, sie halte den Wiedereinsetzungsantrag nicht für gerechtfertigt, da G.K. keine Fachkraft sei und es ganz vereinzelt schon Versäumnisse gegeben habe. In der Sache verweist sie im Wesentlichen auf das Urteil des SG.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss, da die Berufung des Klägers unzulässig ist. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Nach § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, was nach Satz 2 der Vorschrift durch Beschluss geschehen kann, wenn sie - u.a. - nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist. So liegt der Fall hier.

Gemäß § 143 SGG findet gegen Urteile der Sozialgerichte die Berufung statt. Diese ist beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§ 151 Abs. 1 SGG). Diese Frist ist hier versäumt.

Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG, § 174 Zivilprozessordnung (ZPO) am 16. November 2009 durch Empfangsbekenntnis zugestellt. Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung. Gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 64 Abs. 3 SGG). Die einmonatige Berufungsfrist hat somit am 17. November 2009 begonnen und am 16. Dezember 2009 (Mittwoch) geendet. Die Berufung des Klägers ist erst am 04. Januar 2010 und damit nach Fristablauf bei Gericht eingegangen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden. Der Antrag ist zwar zulässig und insbesondere innerhalb der Frist des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG eingegangen. Er erweist sich jedoch als unbegründet.

Nach § 67 Abs. 1 SGG ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein Verschulden liegt vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (BSG, Beschluss vom 08. September 2010 - B 14 AS 96/10 B - mwN; in juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9.Aufl 2008; § 67 RdNr. 3). Dabei ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem vertretenen Beteiligten gemäß § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG iVm § 85 Abs. 2 ZPO stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist. Das ist unter anderem der Fall, wenn die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt es versäumt hat, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung und der Ausgangskontrolle, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen (BSG, SozR 4-1500 § 67 Nr. 7 RdNr. 14). Kein Verschulden eines Bevollmächtigten liegt dagegen vor, wenn er darlegen kann, dass ein Büroversehen vorliegt und er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BSG, Beschluss vom 08. September 2010 aaO).

Ob den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Organisationsverschulden trifft, weil er die Fristennotierung nicht genügend kontrolliert hat, kann dahingestellt bleiben. Nach obigen Grundsätzen trifft den Prozessbevollmächtigten des Klägers vorliegend ein dem Kläger zuzurechnendes Organisationsverschulden zumindest auch deshalb, weil die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass er es versäumt hat, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung und der Erledigungs- und Ausgangskontrolle, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen. Er hat zwar vorgetragen, G.K. seien Fristen und die Bedeutung von Fristen bekannt und es bestehe die Anweisung Fristen zusammen mit einer Vorfrist von einer Woche einzutragen sowie Empfangsbekenntnisse erst nach Eintragung der Rechtsmittelfrist zur Unterschrift vorzulegen. Dies genügt jedoch nicht. Sicherzustellen ist auch, dass ein Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über die Zustellung eines Urteils oder Beschlusses, durch die der Lauf einer Frist beginnt, erst unterzeichnet und zurückgibt, wenn die Eintragung des Fristendes nicht nur in den Fristenkalender, sondern auch in die Handakten sichergestellt ist. Hierzu hat er die Anbringung von Erledigungsvermerken über die erfolgte Notierung von Rechtsmittelfristen anzuordnen und nach diesen Vermerken zu forschen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden (BGH, Beschluss vom 30. März 2006 - III ZR 6/05 -; Beschluss vom 27. September 2007 - IX ZA 14/07 - jeweils in juris; Beschluss vom 05. November 2002 aaO). Dem ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht nachgekommen. Abgesehen davon, dass er schon nicht glaubhaft gemacht hat, dass er auch die Anweisung erteilt hat, dass ein Erledigungsvermerk über die erfolgte Notierung der Rechtsmittelfrist auf der Handakte angebracht wird, hat er auch nicht vorgetragen, dass er vor Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses über den Erhalt des Urteils vom 22. Oktober 2009 geprüft hat, ob in den Handakten die Notierung der Berufungsfrist im Fristenkalender vermerkt war. Damit erfolgte keine ausreichende Fristensicherung. Entschließt sich ein Bevollmächtigter gleichwohl, das Empfangsbekenntnis vor vollständiger Fristensicherung zurückzugeben, trifft ihn eine besondere Sorgfaltspflicht (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2003 - V ZR 422/00 - NJW 2003, 1528, 1529 mwN). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte jedenfalls die Prüfung der Eintragung der Frist umgehend nach Rücksendung des Empfangsbekenntnisses nachholen müssen. Hätte er dieser Pflicht genügt, wäre es aufgefallen, dass die Eintragung der Frist im Kalender nicht erfolgt ist, die Eintragung wäre nachgeholt und so die Versäumung der Berufungsfrist vermieden worden. Nachdem er auch dies nicht getan hat, trifft den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Organisationsverschulden. Entlasten kann sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch nicht damit, dass eine Prüfung erfolge, wenn die Akte vorgelegt werde. Dies stellt keine ausreichende Sicherung dar, denn dann ist die Frist wie hier - gegebenenfalls bereits versäumt. Weitere Sicherungen außerhalb der Vorlage einer Akte hat er nicht glaubhaft gemacht. Dies stellt einen weiteren entscheidenden Organisationsmangel dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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