L 9 U 3415/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 1438/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 3415/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - im weiteren BK 2301 - sowie die Gewährung von Verletztenrente.

Die 1953 geborene Klägerin arbeitete nach ihren Angaben in den Zeiträumen von 1985 bis 1990 bei der Firma H. Sch., Bad Sch., als Strickerin an Strickmaschinen, von 1990 bis 1995 bei der Firma R., Bad Sch., als Maschinenarbeiterin an Textilmaschinen (Rühren von Farben) sowie ab 1995 bei der Firma H. B. GmbH & Co als Maschinenarbeiterin (Maschinen für Grundierarbeiten, Isolationsmaschinen, Lackiermaschinen) und benutzte bei ihrer Arbeit ab 1995 auch Gehörschutz.

Am 31. Mai 2007 beantragte die Klägerin die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK sowie die Gewährung von Verletztenrente. Hierzu machte sie Angaben zu ihren beruflichen Tätigkeiten und damit verbundenen Lärmbelastungen sowie zu ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen.

Die Beklagte (zunächst Holz-Berufsgenossenschaft [BG] nach Fusion mit der BG Metall Nord Süd: BG Holz und Metall) zog das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Baden-Württemberg, Bezirksdirektion Mittlerer Oberrhein, bei, holte einen Bericht der Fachärztin für HNO-Heilkunde K.-G. vom 31. Oktober 2007 ein, die über Konsultationen im Zeitraum ab 2. Januar 2006 bis 30. Oktober 2007 berichtete (Tinnitus rechts, Schwindel, Hörverlust rechts; eine Ursache zur Entstehung der Schwerhörigkeit habe die Klägerin nicht angegeben; es sei ein Ohrschmalzpfropf festgestellt worden, das Trommelfell sei reizlos und intakt gewesen; Tonschwellenaudiogramme hätten im Juli 2007 einen Hörsturz rechts sowie im Oktober 2007 eine Hochtonschwerhörigkeit beidseits ergeben) und Tonaudiogramme vom 5. Juli und 30. Oktober 2007 vorlegte.

Ferner veranlasste die Beklagte Ermittlungen zu den beruflichen Lärmbelastungen. Dipl.-Ing. M. vom Präventionsdienst der bezüglich der beiden ersten Arbeitgeber, der Firmen Sch. und R., befragten Textil- und Bekleidungs-BG (TBBG), später BG Elektro Textil Feinmechanik (BGETF), inzwischen Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BGETEM), teilte am 19. November 2007 mit, eine Firma Sch. sei unter der von der Klägerin angegebenen Adresse nicht registriert. Sie sei dort vermutlich als Strickerin an Flachstrickmaschinen beschäftigt gewesen, wobei nach den Erfahrungswerten derartige Maschinen durchschnittlich einen Lärmpegel von 83 dB (A) verursachten und ein Beurteilungspegel von 85 dB (A) nicht erreicht oder überschritten werde. Die Firma R. bestehe nicht mehr. Nach den vorliegenden Erfahrungswerten gebe es in Textildruckereien normalerweise keine Arbeitsplätze mit Lärmpegeln von 85 dB (A) oder darüber. Bei den Ermittlungen bei der H. B. durch die Präventionsabteilung der Beklagten gab die Sicherheitsfachkraft Beyerle von der Firma H. B. am 6. November 2007 gemäß dem Bericht des Dr. Sch. an, nach dem betrieblichen Lärmkataster sei im Bereich des Arbeitsplatzes der Klägerin ein Beurteilungspegel zwischen 74 und 77 dB (A) gemessen worden und die Verhältnisse des Arbeitsplatzes hätten sich in der letzten Jahren nicht geändert.

Ferner zog die Beklagte Unterlagen der Betriebsärztin T. bei, wonach ein Tonaudiogramm vom 12. März 1996, erstellt im Rahmen einer arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung, noch eine annähernde Normalhörigkeit ergeben hatte. Die Auswertung des Audiogramms vom 30. Oktober 2007 ergab einen prozentualen Hörverlust von rechts 45% und links 15%.

Die Beklagte lehnte hierauf mit Bescheid vom 15. Januar 2008 die Anerkennung einer BK 2301 sowie die Gewährung von Leistungen ab, da nicht nachgewiesen sei, dass die Klägerin bei ihrer beruflichen Tätigkeit langjährig Lärmeinwirkung in gehörschädigendem Ausmaß ausgesetzt gewesen sei. Die von der behandelnden HNO-Ärztin erhobenen medizinischen Befunde hätten im Übrigen eine nicht seitengleich ausgeprägte Schwerhörigkeit mit stärkeren Hörverlusten rechts gegenüber links ergeben, was für eine Lärmschwerhörigkeit untypisch sei. Außerdem sei im Juli 2007 ein Hörsturz diagnostiziert worden, der einerseits nicht lärmbedingt auftreten könne und andererseits die rechtsseitig schlechteren Hörbefunde einschließlich Ohrgeräusche erkläre. Die berufliche Tätigkeit scheide als Ursache der Gehörerkrankung aus.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 28. Januar 2007, mit dem diese geltend machte, sie sei ab 1985 in lärmexponierter Stellung tätig gewesen und ihr Gehörschaden sei auf die beruflichen Belastungen zurückzuführen, holte die Beklagte eine weitere Äußerung des Dipl.-Ing. M. vom 14. Februar 2008 von der Präventionsabteilung der BGETF ein, der mittteilte, auch bei Einsatz mehrerer Strickmaschinen in einem Raum, was üblich sei, sei die Einwirkung benachbarter Strickmaschinen auf die Arbeitsplätze im bereits benannten Lärmpegel von 83 dB (A) berücksichtigt und Textildruckereien, wie die Firma R., bezüglich derer keine Messergebnisse vorlägen, gehörten mit zu den am wenigsten lärmbelasteten Bereichen in der Textilindustrie. Er hielt an seinen bisherigen Angaben fest. Dr. Sch. wies in der Stellungnahme zum Arbeitsplatz bei der H. B. darauf hin, dass die Angaben zum Beurteilungspegel auf dem betrieblichen Lärmkataster beruhten. Hierauf wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2008 zurück.

Deswegen hat die Klägerin am 1. April 2008 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie hat geltend gemacht, sie sei seit 1985 beruflichem Lärm ausgesetzt. Bei der Firma Sch. habe sie von 1985 bis 1990 an Strickmaschinen gearbeitet und sei dem Lärm von ca. sechs bis sieben Strickmaschinen ausgesetzt gewesen. Von 1990 bis 1995 sei sie bei der Firma R. dem Lärm von Druck- und Färbemaschinen ausgesetzt gewesen. Auch bei der Tätigkeit seit 1995 bei der Firma H. B. als Lackiererin bzw. Retuschiererin sei sie Lärm ausgesetzt. Ihre Lärmschwerhörigkeit sei auf diese Einwirkungen zurückzuführen und bedinge eine MdE um mindestens 20 vH.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Klägerin trage im Wesentlichen nichts Neues vor.

Das SG hat die Ärztin für HNO-Heilkunde K.-G. schriftlich als sachverständige Zeugin gehört, die über von ihr seit 2. Januar 2006 erhobenen Befunde berichtet und Arztbriefe aus der Zeit seit 12. Juli 2007 vorgelegt hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die - näher dargelegten - Voraussetzungen für die Feststellung einer BK 2301 und die Gewährung von Leistungen seien nicht erfüllt, da bereits eine berufliche Lärmbelastung, die geeignet sei, eine Lärmschwerhörigkeit zu verursachen, nicht nachgewiesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid verwiesen.

Gegen den am 5. Juli 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 8. Juli 2010 Berufung eingelegt und an ihrem Begehren festgehalten. Wegen der Einzelheiten wird auf ihre schriftliche Berufungsbegründung verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Juni 2010 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2008 zu verurteilen, eine Schwerhörigkeit und einen Tinnitus als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und ihr deswegen Verletztenrente nach eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Vollbeweis einer potenziell gehörschädigenden Lärmexposition sei nicht erbracht.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten ersten und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin begehrte Feststellung bzw. Anerkennung einer BK 2301 sowie die Gewährung von Verletztenrente dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass diese Voraussetzungen bei der Klägerin schon deshalb nicht erfüllt sind, weil nicht nachgewiesen ist, dass sie potenziell gehörschädigendem Berufslärm ausgesetzt war. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist anzumerken, dass der erforderliche Vollbeweis von potenziell gehörschädigenden berufsbedingten Lärmeinwirkungen nicht erbracht ist. Dies ergibt sich bezüglich der ersten beiden Arbeitgeber, der Firmen Sch. und R., aus der Auskunft der TBBG, jetzt BGETF, bzw. von deren Präventionsdienst. Danach sind konkrete Messungen an den Arbeitsplätzen der Klägerin in den Jahren 1985 bis 1990 sowie 1990 bis 1995 nicht mehr möglich. Angesichts dessen und in Ermangelung weiterer Aufklärungsmöglichkeiten ist es zulässig, auf die von der BGETF mitgeteilten Erfahrungswerte zurückzugreifen, nach denen eine potenziell gefährdende Lärmbelastung von wenigstens 85 dB (A) an diesen Arbeitsstätten nicht angenommen werden kann. Der Nachweis einer entsprechenden höheren Lärmbelastung ist jedenfalls nicht erbracht. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass bei der Klägerin gemäß dem vorliegenden Tonaudiogramm vom 12. März 1996 noch eine annähernde Normalhörigkeit bestand.

Hinsichtlich der Lärmbelastung bei der Firma H. B. liegen die im Lärmkataster festgehaltenen Ergebnisse von Lärmmessungen in dieser Firma vor. Danach bestand 1996 eine Lärmbelastung zwischen 74 und 77 dB (A). Der Nachweis, dass die Klägerin höheren Lärmbelastungen ausgesetzt war, ist nicht erbracht. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, die Ergebnisse der Lärmmessung in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen hat die Klägerin am 10. September 2007 auch selbst angegeben, dass sie ab 1995 auch Gehörschutz erhalten und getragen hat.

Damit ist der Nachweis einer Belastung durch potenziell gehörschädigenden beruflichen Lärm nicht erbracht.

Im Übrigen spricht die Seitendifferenz. des Hörverlustes im Audiogramm vom 30. Oktober 2007 gegen eine lärmbedingte Schädigung des Gehörs. Damit hat die Klägerin weder einen Anspruch auf Feststellung bzw. Anerkennung einer BK 2301 noch auf die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen einer solchen BK.

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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