L 12 AS 5820/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 2944/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5820/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung.

Der 1977 geborene Antragsteller bewohnte eine Wohnung im Dreifamilienhaus seiner Eltern. Die Erdgeschosswohnung in diesem Haus ist vermietet, die Wohnung im ersten Stock bewohnen die Eltern des Antragstellers, die Wohnung im zweiten Stock bewohnte der Antragsteller, der sich seit 13. Dezember 2010 in Haft befindet. Zu dieser Wohnung gehören noch zwei Zimmer im Dachgeschoss, die leer stehen bzw. vom Vater des Antragstellers als Abstellräume genutzt werden.

Der Antragsteller legte im Jahr 2004 einen Mietvertrag vom 26. März 2004 vor über eine 3-Zimmerwohnung mit 72 qm zu einer Kaltmiete von 420 EUR und Nebenkosten von 120 EUR mit Mietbeginn zum 1. April 2004. Der Antragsteller bewohnte die Wohnung zunächst mit seiner Ehefrau und dem 2004 geborenen Sohn bis zum Auszug der beiden im Jahr 2008. Im Januar 2010 legte der Antragsteller eine Mietbescheinigung vom 18. Januar 2010 über eine 2-Zimmerwohnung (Wohnfläche 60 qm) zu einer Kaltmiete von 245 EUR und Nebenkosten von 75 EUR vor sowie einen Mietvertrag vom 15. März 2003, in dem als Mietbeginn der 1. April 2003 und eine Wohnfläche von 44 qm angegeben wird. Mit Schreiben vom 24. Februar 2010 erklärte der Vater des Antragstellers, die Miete für Januar und Februar 2010 nicht erhalten zu haben. Bei einem Besuch des Außendienstes der Antragsgegnerin am 25. März 2010 erklärte der Antragsteller, die Erdgeschosswohnung zu bewohnen, die jedoch zu diesem Zeitpunkt offensichtlich leer stand, bzw. renoviert wurde. Anschließend teilte der Antragsteller mit, er sei bei dem Besuch des Außendienstmitarbeiters in Panik geraten, da er ihn für den Gerichtsvollzieher gehalten habe und habe ihm daraufhin die falsche Wohnung gezeigt.

Mit Änderungsbescheid vom 8. April 2010 hob die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung für die Zeit von Mai bis Juli 2010 in Höhe von 840 EUR auf, da Unterkunftskosten nicht anzuerkennen seien. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde nach Durchführung einer zweiten Außendienstprüfung mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2010 zurückgewiesen, ein Klageverfahren ist diesbezüglich vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) anhängig (S 3 AS 2281/10).

Mit Bescheid vom 8. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2010 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Zeitraum 1. August 2010 bis 31. Januar 2011 Leistungen nur in Höhe der Regelleistung von 359 EUR. Auch diesbezüglich ist ein Klageverfahren anhängig (S 3 AS 3100/10).

Am 18. August 2010 hat der Antragsteller beim SG einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, ab dem Tag der Antragstellung weitere Leistungen von monatlich 667,53 EUR zu erhalten. Nachdem er über kein eigenes Konto verfüge, habe er die Miete monatlich bar bezahlt, nachdem das Geld von der Antragsgegnerin auf ein Konto seiner Mutter ausbezahlt worden sei. Es bestehe ein Mietrückstand von vier Monatsraten, bei weiterer Nichtzahlung drohe die Kündigung. Die Gasabschläge würden seit Mai 2010 darlehensweise von E. K. erbracht. Weiter hat der Antragsteller Quittungen über Mietzahlungen für September 2009 bis durchgehend April 2010 vorgelegt.

Das SG hat im Erörterungstermin am 21. Oktober 2010 den Vater des Antragstellers sowie E. K. (Cousin des Antragstellers) als Zeugen vernommen. Nachdem der in diesem Termin geschlossene Vergleich von der Antragsgegnerin fristgerecht widerrufen worden war, hat das SG mit Beschluss vom 13. Dezember 2010 die Antragsgegnerin verpflichtet, für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 31. Januar 2011 pro vollem Monat 65 EUR für Heizung abzüglich der Warmwasserpauschale von 6,47 EUR zu gewähren und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Die hier allein in Betracht kommende Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei, soweit sich das Begehren auf Übernahme der Kaltmiete sowie der Nebenkostenvorauszahlung richte abzulehnen, weil sich das Gericht nicht davon habe überzeugen können, dass ein Anordnungsanspruch bestehe. Leistungen für Unterkunft und Heizung würden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen seien. Ausreichend sei, dass der Hilfebedürftige einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Die Kriterien, die der Bundesfinanzhof zum Fremdvergleich entwickelt habe, seien insoweit nicht anzuwenden. Zwar seien vom Antragsteller stets Mietverträge vorgelegt worden, die Angaben in Mietverträgen bzw. Mietbescheinigungen wichen jedoch bezüglich des Mietbeginns (April 2003 oder 2004) sowie der Wohnfläche voneinander ab. Nicht nachvollzogen werden könne, weshalb der Vater des Antragstellers mit Schreiben vom 24. Februar 2010 erklärt habe, er habe die Miete für Januar und Februar nicht erhalten, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch Quittungen über entsprechende Mietzahlungen vorgelegt worden seien. Außerdem sei aus den Kontoauszügen über das vom Antragsteller verwendete Konto seiner Mutter kein Hinweis dafür ersichtlich, dass dieser Mietzahlungen an den Vater erbringe. Es seien keine Überweisungen oder Barabhebungen ersichtlich, welche annähernd die Höhe der Mietzahlung erreichten. Der Vortrag des Antragstellers im Erörterungstermin, er habe jeweils zu Monatsanfang einen größeren Betrag abgehoben, je nachdem, wie viel er noch in der Tasche gehabt habe, sei nicht glaubhaft. Der Antragsteller sei ausweislich seiner Einlassungen anlässlich des ersten Hausbesuchs bereits damals verschuldet gewesen und habe Vollstreckungsmaßnahmen befürchtet. Dass er in dieser Situation noch so viel Geld in der Tasche gehabt habe, dass insgesamt ausreichende Mittel zur Mietzahlung vorhanden gewesen seien, erscheine nicht nachvollziehbar. Außerdem habe der Vater des Antragstellers auch seine beiden Neffen längere Zeit mietfrei in seiner Wohnung wohnen lassen, die Erdgeschosswohnung habe vor der jetzigen Vermietung sechs Monate leer gestanden. Wären die Mieteinnahmen wesentliches Mittel zum Bestreiten des Lebensunterhalts der Eltern, könne dies nicht nachvollzogen werden. Außerdem seien keinerlei Mieteinnahmen zur Steuerveranlagung beim Finanzamt gemeldet worden. Das SG komme daher zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller jedenfalls im streitigen Zeitraum keiner ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt gewesen sei.

Hinsichtlich der Heizkosten sei das von der F.E. GmbH bezogene Gas nicht vom Vermieter getragen worden. Jede Wohnung verfüge über einen eigenen Gaszähler. Lediglich für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 21. September 2009 sei die Mutter des Antragstellers, danach dieser selbst oder seine Cousins als Vertragskunden gemeldet gewesen, zuletzt E. K ... Für die Zeit ab 1. Oktober 2010 sei der Antragsteller wieder selbst Vertragskunde, für diese Zeit habe die Antragsgegnerin die Abschläge von 65 EUR monatlich abzüglich des pauschalen Warmwasserabzugs zu übernehmen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 20. Dezember 2010 eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Der Vermieter habe im Erörterungstermin glaubhaft ausgesagt, dass er vom Antragsteller eine monatliche Miete verlange und zumindest bis April 2010 auch erhalten habe. Der vermeintliche Widerspruch zwischen der Erklärung, im Januar und Februar 2010 keine Miete erhalten zu haben und den vorgelegten Quittungen habe sich insoweit auch klären lassen. Der Antragsteller habe Ende Februar und Anfang März 2010 Barauszahlungen der Antragsgegnerin erhalten, zuvor habe er die Miete nicht bezahlen können. Die Quittungen seien nach dem tatsächlichen Erhalt bedauerlicherweise zurück datiert worden. Der vom SG angestrengte Vergleich zwischen dem Mietverhältnis des Antragstellers und der Unterkunft seiner Cousins gehe fehl, da diese keinen räumlich getrennten, abgeschlossenen Bereich zur Verfügung hätten, sondern in der Wohnung des Vaters untergebracht seien. Auch die Tatsache, dass die Mieteinkünfte des Vermieters gegenüber dem Finanzamt nicht angegeben worden seien, könne den Beweiswert von dessen Aussage nicht erschüttern. So seien die Einkünfte der dritt-vermieteten Erdgeschosswohnung ebenfalls nicht gemeldet worden. Da sich der Antragsteller voraussichtlich für weniger als sechs Monate in Haft befinde, greife der Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II.

Die Antragsgegnerin hat unter Beifügung einer entsprechenden Mitteilung der JVA Rottenburg mitgeteilt, dass der Antragsteller am 13. Dezember 2010 inhaftiert worden sei und sich voraussichtlich bis 12. Juni 2011 in Haft befinde. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2010 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. Januar 2011 hat sie die Leistungsbewilligung für die Zeit ab 13. Dezember 2010 aufgehoben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere wäre im Hinblick auf die geltend gemachten Leistungen auch in der Hauptsache die Berufung zulässig, da die Berufungssumme von 750 EUR überschritten würde (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde indes unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl., Rdnr. 259 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze teilt der Senat die Auffassung des SG, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist und schon daher der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht kommt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug und weist die Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Auch die Ausführungen im Beschwerdeverfahren erklären die aufgetretenen Widersprüche und Ungereimtheiten nicht vollständig und führen in der Gesamtbeurteilung zu keinem anderen Ergebnis.

Darüber hinaus hat der Antragsteller seit dem 13. Dezember 2010 schon wegen seiner Inhaftierung in der JVA Rottenburg keinen Leistungsanspruch mehr, denn insoweit greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhält Leistungen nach diesem Buch u.a. nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist (Satz 1). Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II ist dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Die Inhaftierung in der JVA Rottenburg steht daher dem Leistungsbezug entgegen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Inhaftierung voraussichtlich weniger als sechs Monate andauert, denn nach § 7 Abs. 4 SGB II in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung (Gesetz vom 20. Juli 2006, BGBl. I S. 1706) greift der Leistungsausschluss vom ersten Tag der Aufnahme in eine Einrichtung ein (vgl. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17. Juni 2010 - L 15 AS 143/10 - (juris); zur früheren Rechtslage: Bundessozialgericht (BSG), SozR 4-4200 § 7 Nr. 5 und BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 9/08 R - (juris)). Die Dauer des Aufenthalts ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II nur bei einem Aufenthalt in einem Krankenhaus erheblich (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Nichts anderes ergibt sich aus der vom Bevollmächtigten des Antragstellers vorgelegten Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit (Ziff. 7.37b und 7.38 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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