Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 2803/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 273/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 2009 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Insolvenzgeld.
Die Klägerin ist 1972 geboren worden. Am 29. Juni 2005 schloss sie mit Wirkung ab 1. Juli 2005 einen Anstellungsvertrag mit der Firma "A GmbH" in B; ein Betrieb dieses Namens war jedenfalls bis zum 9. September 2005 nicht in das Handelsregister eingetragen (Auskunft des Amtsgerichts C an die Beklagte von diesem Tag). Als Arbeitsentgelt wurde ein monatliches Bruttogehalt von 4.200,- EUR zuzüglich umsatz- und gewinnabhängige Sondervergütungen vereinbart. Mit einem Schreiben vom 17. August 2005, in dem in der Fußzeile die Firmenbezeichnung "A W- und M GmbH i. G." verwendet wurde (für einen Betrieb dieses Namens wurde am 1. September 2005 beim Bezirksamt M von B ein Gewerbe angemeldet; Auskunft des Bezirksamts an die Beklagte vom 17. Oktober 2005), wurde der Klägerin die fristlose, hilfsweise die fristgemäße Kündigung ausgesprochen. Arbeitsentgelt war ihr bis dahin nicht ausgezahlt worden. Während der Zeit ihrer Beschäftigung bezog sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Schriftsatz ihrer arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten vom 30. August 2005 erhob die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Berlin Klage gegen die "A W- und M GmbH i. G.", deren Geschäftsführerin A W und den als "Handlungsbevollmächtigten" auftretenden N K auf Feststellung eines durch die fristlose Kündigung nicht beendeten Arbeitsverhältnisses und auf Zahlung von Arbeitsentgelt. Nachdem das Arbeitsgericht Berlin durch Versäumnisurteil vom 16. Januar 2006 entsprechend den Anträgen der Klägerin entschieden hatte (Az. 26 Ca 19245/05), rügten die verurteilten Beklagten zunächst die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte. Der Zwischenstreit wurde durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 5. Mai 2006 (Az. 7 Ta 704/06), das Klageverfahren in der Hauptsache anschließend durch das Versäumnisteil- und Schlussurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. August 2006 beendet. In der Folgezeit verstarb der Beklagte N K am 8. September 2006 während einer Untersuchungshaft durch Selbsttötung, die beklagte Firma war unter ihrer Ladungsanschrift nicht mehr zu erreichen. Die von der Klägerin daraufhin betriebene Zwangsvollstreckung in das Vermögen der beklagten A W blieb fruchtlos (Mitteilung der Gerichtsvollzieherin B, S, vom 11. Januar 2007). Zu dem anschließend gestellten Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung teilte das Amtsgericht Strausberg den arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch Schreiben vom 9. Februar 2007 (Eingang bei den Bevollmächtigten am 13. Februar 2007) mit, dass diese Beklagte am 9. Januar 2007 auf Antrag einer anderen Gläubigerin die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Über das Vermögen der A W wurde auf ihren Antrag vom 2. Mai 2008 hin am 9. September 2008 das reguläre Insolvenzverfahren – kein Verbraucherinsolvenzverfahren – eröffnet (Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder), Az. 3 IN 319/08). Die Beklagte hatte wegen eines Antrags auf Insolvenzgeld des Arbeitnehmers F erstmals im September 2005 Ermittlungen zu einer Insolvenz der A W- und M GmbH i. G. wegen Anträgen auf Insolvenzgeld eingeleitet, ohne dass sich ein Insolvenztatbestand ergeben hatte. Im Besonderen hatte die Arbeitgeberin der Beklagten am 12. Oktober 2005 selbst mitgeteilt, dass "die Gesellschaft weiter existent ist, es keine Insolvenzabsichten gibt, bzw. keine Insolvenz angemeldet wurde". Im April 2006 nahm die Beklagte die Ermittlungen wieder auf, nachdem erneut Anträge auf Insolvenzgeld gestellt worden waren. Nachdem die A W- und M GmbH i. G. noch am 8. Mai 2006 auf eine Anfrage der Beklagten geantwortet hatte, dass die "Firma existiert und bleibt existent" und dass die Eintragung in das Handelsregister laufe, ergaben die weiteren Ermittlungen, dass zum 31. März 2006 den meisten Mitarbeitern der Firma gekündigt worden war und der letzte am 12. April 2006 seine Tätigkeit beendet hatte. Bis zum 10. Oktober 2006 war ein Insolvenzantrag für die A W- und M GmbH i. G. noch nicht gestellt worden (Auskunft des Amtsgerichts Charlottenburg vom selben Tag). Die Beklagte ging in der Folge von einem Insolvenzereignis am 13. April 2006 aus und gewährte verschiedenen Arbeitnehmern auf deren Antrag hin Insolvenzgeld. Die Klägerin beantragte am 17. Oktober 2007 bei der Beklagten Insolvenzgeld für ausgefallenes Arbeitsentgelt der Monate Juli bis September 2005. Zu dem Antrag gab sie an, dass sie nach dem Urteil des Arbeitsgerichts intensiv, aber ohne Erfolg die Vollstreckung betrieben habe. Es habe für sie außer Frage gestanden, dass die Firma in Insolvenz gehen könne. Sie habe mehrmals Einsicht in das Handelsregister genommen, und die Firma sei zu keinem Zeitpunkt dort eingetragen gewesen. Nun habe sie am 8. Oktober 2007 den Hinweis erhalten, dass einem ehemaligen Mitarbeiter der Firma Insolvenzgeld genehmigt worden sei, da ein Insolvenzverfahren der "A GmbH" eingeleitet worden sei. Sie wisse noch immer nicht, wann dies geschehen sei und ob es zur Versäumung der Ausschlussfrist geführt habe, hoffe aber, dass ihr Antrag Erfolg habe. Zu ihrem Antrag reichte sie Unterlagen aus dem arbeitsgerichtlichen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren ein. Durch Bescheid vom 14. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin habe ihn nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem festgestellten Insolvenzereignis (13. April 2006) gestellt. Sie habe sich auch nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie in der Zeit des arbeitsgerichtlichen Verfahrens bis Februar 2007 keine Kenntnis über die Gründung der GmbH oder aber deren Insolvenz erlangt habe. Erst am 8. Oktober 2007 habe sie davon erfahren, worauf hin sie umgehend den Antrag auf Insolvenzgeld gestellt habe. Durch Widerspruchsbescheid vom 10. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe nicht die gebotene Sorgfalt beachtet. Aus den von ihr eingereichten Unterlagen ergebe sich, dass ihr bereits im Januar und Februar 2007 aufgrund der erfolglosen Vollstreckung die Zahlungsschwierigkeiten ihrer ehemaligen Arbeitgeberin bekannt geworden seien. Mit der Klage hat die Klägerin den Anspruch weiterverfolgt. Über ihren bisherigen Vortrag hinaus hat sie vorgetragen, dass ihr im Januar 2007 jedenfalls nicht alle Tatsachen bekannt gewesen seien, die ein Insolvenzereignis begründeten. Hieran ändere sich nichts dadurch, dass die Vollstreckung erfolglos geblieben und die GmbH nicht in das Handelsregister eingetragen gewesen sei. Ihr sei eine Nachfrist einzuräumen. Sie hat unter anderem ein Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 9. Mai 2007 an Herrn A F sowie eine eigene "eidesstattliche Versicherung" vom 25. April 2008 eingereicht, in der sie angegeben hat, "dass ich von der Insolvenz der A GmbH erst am 08.10.2007 durch den Hinweis von Herrn G Kenntnis erlangt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nichts über eine Gründung oder Insolvenz der A GmbH". Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung geblieben. Nachdem der für die Arbeitgeberin auftretende Herr K 2006 verstorben sei, sei die Geschäftsführerin W die einzige Person gewesen, die für die Arbeitgeberin noch habe auftreten können. Ihre Vermögenslosigkeit habe deshalb mehr als hinreichend Anlass geben müssen, Insolvenzgeld zu beantragen. In der Folgezeit hat die Klägerin noch ein Schreiben des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. September 2006 an ihre arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten (in einem anderen Rechtsstreit) zur Akte gereicht, dem ein Auszug des Handelsregisters des Amtsgerichts B-C betreffend die "a M GmbH & Co. KG" beigefügt war. Hieraus ergebe sich, dass das Arbeitsgericht noch im September 2006 versucht habe, Post an die Arbeitgeberin zuzustellen. Es sei nicht klar gewesen, wann die Betriebstätigkeit geendet habe. Durch Urteil vom 15. Mai 2009 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin "für die Monate Juni bis September 2005 Insolvenzgeld auf der Grundlage des Arbeitsgerichtsurteils zu gewähren". Der Klägerin sei eine Nachfrist zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei die Regelung über die Ausschlussfrist für Insolvenzgeld nicht zu beanstanden, müsse aber arbeitnehmerfreundlich ausgelegt werden. Es bestünden zunächst keine Zweifel daran, dass die Klägerin sich ausreichend um ihre Entgeltansprüche bemüht habe. Ihr könne nicht vorgehalten werden, dass sie nach Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Frau W wenigstens vorsorglich habe Insolvenzgeld beantragen müssen. Angesichts der sehr undurchsichtigen Geschäfte des Firmenkonglomerats A sei in europarechtskonformer Auslegung der Fristenregelung eine Nachfrist zu gewähren. Allein die Vermögenslosigkeit der Frau W führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Sie habe keine echten Befugnisse über die Firma gehabt und es hätten Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Geschäfte fortdauerten. Lange Zeit sei eher von Zahlungsunwilligkeit als von -unfähigkeit auszugehen gewesen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung. Die Klägerin habe die Antragsfrist aus Gründen versäumt, die von ihr zu vertreten seien. Bei einem fruchtlosen Vollstreckungsversuch habe es sich geradezu aufdrängen müssen, dass beim Arbeitgeber ein Insolvenzereignis eingetreten sei. Die Klägerin habe es stattdessen dem Zufall überlassen, von einer Insolvenz Kenntnis zu erlangen. Es stelle sich auch die Frage, warum die arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten keinen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt werden. Die Klägerin müsse sich deren etwaiges Versäumnis zurechnen lassen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und wiederholt im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Vollstreckung gegen Frau W sei wegen ihrer Haftung für die noch nicht eingetragene GmbH versucht worden. Dagegen sei sie nicht Partei des Arbeitsvertrags gewesen, sodass aus ihrer privaten Insolvenz auch nicht auf eine Betriebsaufgabe geschlossen werden könne.
Der Senat hat mit Einverständnis der Klägerin deren Leistungsakte nach dem SGB II beim JobCenter F-K beigezogen und hieraus Kopien zur Gerichtsakte genommen.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld.
Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und für die einem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Insolvenzereignisse sind die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III) und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit in Deutschland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III).Maßgeblich ist stets das erste Insolvenzereignis, das gegenüber etwaigen späteren eine Sperrwirkung entfaltet (allgemeine Meinung, s. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B11 AL 27/00 R und zusammenfassend Krodel in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, § 183 Rn. 34). Die Klägerin hatte für die Gesamtzeit ihres Arbeitsverhältnisses, also vom 1. Juli 2005 bis zum 30. September 2005 (Ende des Arbeitsverhältnisses aufgrund der nicht von ihr angefochtenen ordentlichen Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses, § 7 Abs. 1 Satz 2 des Anstellungsvertrags i. V. mit § 622 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch) kein Arbeitsentgelt von ihrem Arbeitgeber erhalten. Es kann hierbei offenbleiben, ob der Arbeitgeber entsprechend dem Anstellungsvertrag die "A GmbH" oder aber die im arbeitsgerichtlichen Verfahren beklagte, ebenfalls existent gewesene A W- und M GmbH i. G. war, da Letztere jedenfalls rechtskräftig zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtet worden ist. Auch ein Insolvenzereignis ist eingetreten, was der Senat unabhängig davon selbst zu prüfen hatte, dass die Beklagte anderen Arbeitnehmern aus Anlass der Insolvenz der A W- und M GmbH i. G. bereits Insolvenzgeld gewährt hat. Die Beklagte hat keine Verwaltungsentscheidung über das Vorliegen eines Insolvenzereignisses an sich getroffen, die Tatbestandswirkung für die Ansprüche der einzelnen Arbeitnehmer entfalten würde. Die Voraussetzungen für das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III waren am 13. April 2006 erfüllt. Über das Vermögen der A W- und M GmbH i. G. war jedenfalls bis dahin weder ein Insolvenzverfahren eröffnet noch ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt worden, die Insolvenzereignisse nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III somit nicht eingetreten (zur Insolvenzfähigkeit der Vor-GmbH s. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - IX ZB 34/03, DB 2003, 2542). Vollständig eingestellt wurde die Betriebstätigkeit am 13. April 2006. Unabhängig von den Angaben, die frühere "leitende" Mitarbeiter der Firmengruppe A gegenüber der Beklagten gemacht haben, ergibt sich dies aus den Angaben der Arbeitnehmer, die bei der Beklagten ebenfalls Insolvenzgeld beantragt hatten. Danach war über den 31. März 2006 hinaus nur noch ein Mitarbeiter beschäftigt, dessen letzter Arbeitstag der 12. April 2006 war. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es danach noch einmal zu einer Betriebstätigkeit gekommen sein könnte. Aus den Angaben, welche die A W- und M GmbH i. G. am 8. Mai 2006 gegenüber der Beklagten gemacht hatte, ergibt sich nur, dass die "Firma" als solche zu diesem Zeitpunkt noch existent gewesen sein könnte, nicht aber, dass sie auch noch ihrem Betriebszweck dienende Aufgaben verrichtet hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wofür vieles spricht - offensichtliche Masselosigkeit auch bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Betriebseinstellung (s. BSG, Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R - mit Bezug auf BSG SozR 4100 § 141b Nr. 11) bestanden hat. "Offensichtlichkeit" liegt bereits dann vor, wenn für einen unvoreingenommenen Betrachter alle äußeren Tatsachen (und insofern der Anschein) für Masseunzulänglichkeit sprechen (BSG, Urteil vom 4. März 1999 a.a.O.). Es ergibt sich im vorliegenden Fall nichts dafür, dass die Arbeitgeberin in diesem Zeitpunkt nur zahlungs"unwillig" gewesen wäre, auch wenn sie die Verweigerung der Entgeltzahlungen nicht ausdrücklich mit ihrer Zahlungsunfähigkeit begründet hat (s. dazu auch BSG SozR 4100 § 141b Nr. 21). Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass am 13. April 2006 das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III eingetreten ist, so hat sie keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Sie hat die Leistung erst im Oktober 2007 und damit nicht innerhalb der kalendermäßig ohne Rücksicht auf die Kenntnis eines Insolvenzereignisses ablaufende (BSG, Urteil vom 30. April 1996 – 10 RAr 8/94, NZA-RR 1997, 270) Frist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis beantragt (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Ihr kommt auch keine sogenannte Nachfrist zugute. Dies setzte gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III voraus, dass sie die Frist aus Gründen versäumt hätte, die sie nicht zu vertreten hat; Insolvenzgeld wird in diesem Fall geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Zu vertreten hat die Klägerin die Versäumung der Frist, wenn sie sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Der Antrag auf Insolvenzgeld ist nach diesen Maßstäben nicht rechtzeitig gestellt (s. zur Vereinbarkeit des § 324 Abs. 3 SGB III mit dem Recht der Europäischen Union BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2007 - B 11a 75/07 B, SozR 4-4300 § 324 Nr. 4). Dahingestellt bleiben kann, ob die arbeitsgerichtlichen Bevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der Versäumung der ursprünglichen Frist trifft. Sofern dies der Fall wäre - was sich nach dem Umfang des ihnen erteilten Auftrags richtet -, wäre ihr deren Verschulden zuzurechnen (s. BSG SozR 4100 § 141e Nr. 2). Ein solches läge vor. Einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Prüfung der Durchsetzbarkeit von Entgeltansprüchen nicht wenigstens zu prüfen, wenn der Arbeitgeber beharrlich die Zahlung verweigert, begründet gegenüber einem Rechtsanwalt jedenfalls den Vorwurf sorgfaltswidrigen Handelns. Sollte sich der Auftrag an die arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten dagegen darauf beschränkt haben, arbeitsrechtliche Ansprüche durchzusetzen, hätte die Klägerin eine ihr einzuräumende Nachfrist selbst schuldhaft versäumt. Es kann dabei zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass sie sich jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sie im Februar 2007 von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch die einzige als Vollstreckungsschuldnerin noch in Betracht kommende Person erfahren hat, mit der gebotenen Sorgfalt um ihre Ansprüche bemüht hat. Spätestens dann begann aber die zweimonatige Nachfrist, so dass der Antrag auf Insolvenzgeld vom Oktober 2007 auch nicht innerhalb dieser Frist gestellt worden war. Dass die Klägerin nach ihrem Vortrag erst durch ein Gespräch am 8. Oktober 2007 von einem Insolvenzereignis bei ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin positive Kenntnis erhalten hat, führt noch nicht dazu, dass ihr eine weitergehende Nachfrist einzuräumen wäre. Für die Gewährung einer Nachfrist kommt es nicht darauf an, ob ein Arbeitnehmer durch ein sorgfältiges "Bemühen" Kenntnis vom Insolvenzfall erlangt hätte (s. schon BSG, Urteil vom 30. April 1996 – 10 RAr 8/94, NZA-RR 1997, 270, zur Vorgänger-Regelung in § 141e Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes). Entscheidend ist, ob er sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Dies kann hier nicht festgestellt werden. Nach Februar 2007 hat die Klägerin keine erkennbaren Bemühungen mehr unternommen, ihre Entgeltansprüche noch durchzusetzen. Es gab keine Rechtfertigung dafür, danach für geraume Zeit – nämlich bis zu dem Antrag auf Insolvenzgeld im Oktober 2007 – nichts mehr zu unternehmen. Ob und wo ihre ehemalige Arbeitgeberin noch existierte, war ihr nach ihren eigenen Angaben nicht bekannt. Davon abgesehen hatte sie von Beginn ihrer Beschäftigung an kein Arbeitsentgelt erhalten und ihren Lebensunterhalt weiterhin - allemal ohne dass das zuständige Jobcenter von dem Beschäftigungsverhältnis wusste – durch die bedürftigkeitsabhängigen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bestritten. Eine solche nur vorsichtige Verfolgung offener Entgeltansprüche rechtfertigt den Vorwurf, sich nicht (mehr) ausreichend darum bemüht zu haben. Denn ausgeschiedene Arbeitnehmer müssen sich bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht mehr um Zurückhaltung bemühen, um den Arbeitsplatz zu sichern (s. Niesel/Stratmann, SGB III, 5. Auflage 2010, § 324 Rn. 23).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Insolvenzgeld.
Die Klägerin ist 1972 geboren worden. Am 29. Juni 2005 schloss sie mit Wirkung ab 1. Juli 2005 einen Anstellungsvertrag mit der Firma "A GmbH" in B; ein Betrieb dieses Namens war jedenfalls bis zum 9. September 2005 nicht in das Handelsregister eingetragen (Auskunft des Amtsgerichts C an die Beklagte von diesem Tag). Als Arbeitsentgelt wurde ein monatliches Bruttogehalt von 4.200,- EUR zuzüglich umsatz- und gewinnabhängige Sondervergütungen vereinbart. Mit einem Schreiben vom 17. August 2005, in dem in der Fußzeile die Firmenbezeichnung "A W- und M GmbH i. G." verwendet wurde (für einen Betrieb dieses Namens wurde am 1. September 2005 beim Bezirksamt M von B ein Gewerbe angemeldet; Auskunft des Bezirksamts an die Beklagte vom 17. Oktober 2005), wurde der Klägerin die fristlose, hilfsweise die fristgemäße Kündigung ausgesprochen. Arbeitsentgelt war ihr bis dahin nicht ausgezahlt worden. Während der Zeit ihrer Beschäftigung bezog sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Schriftsatz ihrer arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten vom 30. August 2005 erhob die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Berlin Klage gegen die "A W- und M GmbH i. G.", deren Geschäftsführerin A W und den als "Handlungsbevollmächtigten" auftretenden N K auf Feststellung eines durch die fristlose Kündigung nicht beendeten Arbeitsverhältnisses und auf Zahlung von Arbeitsentgelt. Nachdem das Arbeitsgericht Berlin durch Versäumnisurteil vom 16. Januar 2006 entsprechend den Anträgen der Klägerin entschieden hatte (Az. 26 Ca 19245/05), rügten die verurteilten Beklagten zunächst die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte. Der Zwischenstreit wurde durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 5. Mai 2006 (Az. 7 Ta 704/06), das Klageverfahren in der Hauptsache anschließend durch das Versäumnisteil- und Schlussurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. August 2006 beendet. In der Folgezeit verstarb der Beklagte N K am 8. September 2006 während einer Untersuchungshaft durch Selbsttötung, die beklagte Firma war unter ihrer Ladungsanschrift nicht mehr zu erreichen. Die von der Klägerin daraufhin betriebene Zwangsvollstreckung in das Vermögen der beklagten A W blieb fruchtlos (Mitteilung der Gerichtsvollzieherin B, S, vom 11. Januar 2007). Zu dem anschließend gestellten Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung teilte das Amtsgericht Strausberg den arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch Schreiben vom 9. Februar 2007 (Eingang bei den Bevollmächtigten am 13. Februar 2007) mit, dass diese Beklagte am 9. Januar 2007 auf Antrag einer anderen Gläubigerin die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Über das Vermögen der A W wurde auf ihren Antrag vom 2. Mai 2008 hin am 9. September 2008 das reguläre Insolvenzverfahren – kein Verbraucherinsolvenzverfahren – eröffnet (Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder), Az. 3 IN 319/08). Die Beklagte hatte wegen eines Antrags auf Insolvenzgeld des Arbeitnehmers F erstmals im September 2005 Ermittlungen zu einer Insolvenz der A W- und M GmbH i. G. wegen Anträgen auf Insolvenzgeld eingeleitet, ohne dass sich ein Insolvenztatbestand ergeben hatte. Im Besonderen hatte die Arbeitgeberin der Beklagten am 12. Oktober 2005 selbst mitgeteilt, dass "die Gesellschaft weiter existent ist, es keine Insolvenzabsichten gibt, bzw. keine Insolvenz angemeldet wurde". Im April 2006 nahm die Beklagte die Ermittlungen wieder auf, nachdem erneut Anträge auf Insolvenzgeld gestellt worden waren. Nachdem die A W- und M GmbH i. G. noch am 8. Mai 2006 auf eine Anfrage der Beklagten geantwortet hatte, dass die "Firma existiert und bleibt existent" und dass die Eintragung in das Handelsregister laufe, ergaben die weiteren Ermittlungen, dass zum 31. März 2006 den meisten Mitarbeitern der Firma gekündigt worden war und der letzte am 12. April 2006 seine Tätigkeit beendet hatte. Bis zum 10. Oktober 2006 war ein Insolvenzantrag für die A W- und M GmbH i. G. noch nicht gestellt worden (Auskunft des Amtsgerichts Charlottenburg vom selben Tag). Die Beklagte ging in der Folge von einem Insolvenzereignis am 13. April 2006 aus und gewährte verschiedenen Arbeitnehmern auf deren Antrag hin Insolvenzgeld. Die Klägerin beantragte am 17. Oktober 2007 bei der Beklagten Insolvenzgeld für ausgefallenes Arbeitsentgelt der Monate Juli bis September 2005. Zu dem Antrag gab sie an, dass sie nach dem Urteil des Arbeitsgerichts intensiv, aber ohne Erfolg die Vollstreckung betrieben habe. Es habe für sie außer Frage gestanden, dass die Firma in Insolvenz gehen könne. Sie habe mehrmals Einsicht in das Handelsregister genommen, und die Firma sei zu keinem Zeitpunkt dort eingetragen gewesen. Nun habe sie am 8. Oktober 2007 den Hinweis erhalten, dass einem ehemaligen Mitarbeiter der Firma Insolvenzgeld genehmigt worden sei, da ein Insolvenzverfahren der "A GmbH" eingeleitet worden sei. Sie wisse noch immer nicht, wann dies geschehen sei und ob es zur Versäumung der Ausschlussfrist geführt habe, hoffe aber, dass ihr Antrag Erfolg habe. Zu ihrem Antrag reichte sie Unterlagen aus dem arbeitsgerichtlichen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren ein. Durch Bescheid vom 14. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin habe ihn nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem festgestellten Insolvenzereignis (13. April 2006) gestellt. Sie habe sich auch nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie in der Zeit des arbeitsgerichtlichen Verfahrens bis Februar 2007 keine Kenntnis über die Gründung der GmbH oder aber deren Insolvenz erlangt habe. Erst am 8. Oktober 2007 habe sie davon erfahren, worauf hin sie umgehend den Antrag auf Insolvenzgeld gestellt habe. Durch Widerspruchsbescheid vom 10. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe nicht die gebotene Sorgfalt beachtet. Aus den von ihr eingereichten Unterlagen ergebe sich, dass ihr bereits im Januar und Februar 2007 aufgrund der erfolglosen Vollstreckung die Zahlungsschwierigkeiten ihrer ehemaligen Arbeitgeberin bekannt geworden seien. Mit der Klage hat die Klägerin den Anspruch weiterverfolgt. Über ihren bisherigen Vortrag hinaus hat sie vorgetragen, dass ihr im Januar 2007 jedenfalls nicht alle Tatsachen bekannt gewesen seien, die ein Insolvenzereignis begründeten. Hieran ändere sich nichts dadurch, dass die Vollstreckung erfolglos geblieben und die GmbH nicht in das Handelsregister eingetragen gewesen sei. Ihr sei eine Nachfrist einzuräumen. Sie hat unter anderem ein Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 9. Mai 2007 an Herrn A F sowie eine eigene "eidesstattliche Versicherung" vom 25. April 2008 eingereicht, in der sie angegeben hat, "dass ich von der Insolvenz der A GmbH erst am 08.10.2007 durch den Hinweis von Herrn G Kenntnis erlangt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nichts über eine Gründung oder Insolvenz der A GmbH". Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung geblieben. Nachdem der für die Arbeitgeberin auftretende Herr K 2006 verstorben sei, sei die Geschäftsführerin W die einzige Person gewesen, die für die Arbeitgeberin noch habe auftreten können. Ihre Vermögenslosigkeit habe deshalb mehr als hinreichend Anlass geben müssen, Insolvenzgeld zu beantragen. In der Folgezeit hat die Klägerin noch ein Schreiben des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. September 2006 an ihre arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten (in einem anderen Rechtsstreit) zur Akte gereicht, dem ein Auszug des Handelsregisters des Amtsgerichts B-C betreffend die "a M GmbH & Co. KG" beigefügt war. Hieraus ergebe sich, dass das Arbeitsgericht noch im September 2006 versucht habe, Post an die Arbeitgeberin zuzustellen. Es sei nicht klar gewesen, wann die Betriebstätigkeit geendet habe. Durch Urteil vom 15. Mai 2009 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin "für die Monate Juni bis September 2005 Insolvenzgeld auf der Grundlage des Arbeitsgerichtsurteils zu gewähren". Der Klägerin sei eine Nachfrist zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei die Regelung über die Ausschlussfrist für Insolvenzgeld nicht zu beanstanden, müsse aber arbeitnehmerfreundlich ausgelegt werden. Es bestünden zunächst keine Zweifel daran, dass die Klägerin sich ausreichend um ihre Entgeltansprüche bemüht habe. Ihr könne nicht vorgehalten werden, dass sie nach Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Frau W wenigstens vorsorglich habe Insolvenzgeld beantragen müssen. Angesichts der sehr undurchsichtigen Geschäfte des Firmenkonglomerats A sei in europarechtskonformer Auslegung der Fristenregelung eine Nachfrist zu gewähren. Allein die Vermögenslosigkeit der Frau W führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Sie habe keine echten Befugnisse über die Firma gehabt und es hätten Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Geschäfte fortdauerten. Lange Zeit sei eher von Zahlungsunwilligkeit als von -unfähigkeit auszugehen gewesen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung. Die Klägerin habe die Antragsfrist aus Gründen versäumt, die von ihr zu vertreten seien. Bei einem fruchtlosen Vollstreckungsversuch habe es sich geradezu aufdrängen müssen, dass beim Arbeitgeber ein Insolvenzereignis eingetreten sei. Die Klägerin habe es stattdessen dem Zufall überlassen, von einer Insolvenz Kenntnis zu erlangen. Es stelle sich auch die Frage, warum die arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten keinen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt werden. Die Klägerin müsse sich deren etwaiges Versäumnis zurechnen lassen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und wiederholt im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Vollstreckung gegen Frau W sei wegen ihrer Haftung für die noch nicht eingetragene GmbH versucht worden. Dagegen sei sie nicht Partei des Arbeitsvertrags gewesen, sodass aus ihrer privaten Insolvenz auch nicht auf eine Betriebsaufgabe geschlossen werden könne.
Der Senat hat mit Einverständnis der Klägerin deren Leistungsakte nach dem SGB II beim JobCenter F-K beigezogen und hieraus Kopien zur Gerichtsakte genommen.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld.
Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und für die einem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Insolvenzereignisse sind die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III) und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit in Deutschland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (§ 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III).Maßgeblich ist stets das erste Insolvenzereignis, das gegenüber etwaigen späteren eine Sperrwirkung entfaltet (allgemeine Meinung, s. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B11 AL 27/00 R und zusammenfassend Krodel in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, § 183 Rn. 34). Die Klägerin hatte für die Gesamtzeit ihres Arbeitsverhältnisses, also vom 1. Juli 2005 bis zum 30. September 2005 (Ende des Arbeitsverhältnisses aufgrund der nicht von ihr angefochtenen ordentlichen Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses, § 7 Abs. 1 Satz 2 des Anstellungsvertrags i. V. mit § 622 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch) kein Arbeitsentgelt von ihrem Arbeitgeber erhalten. Es kann hierbei offenbleiben, ob der Arbeitgeber entsprechend dem Anstellungsvertrag die "A GmbH" oder aber die im arbeitsgerichtlichen Verfahren beklagte, ebenfalls existent gewesene A W- und M GmbH i. G. war, da Letztere jedenfalls rechtskräftig zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtet worden ist. Auch ein Insolvenzereignis ist eingetreten, was der Senat unabhängig davon selbst zu prüfen hatte, dass die Beklagte anderen Arbeitnehmern aus Anlass der Insolvenz der A W- und M GmbH i. G. bereits Insolvenzgeld gewährt hat. Die Beklagte hat keine Verwaltungsentscheidung über das Vorliegen eines Insolvenzereignisses an sich getroffen, die Tatbestandswirkung für die Ansprüche der einzelnen Arbeitnehmer entfalten würde. Die Voraussetzungen für das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III waren am 13. April 2006 erfüllt. Über das Vermögen der A W- und M GmbH i. G. war jedenfalls bis dahin weder ein Insolvenzverfahren eröffnet noch ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt worden, die Insolvenzereignisse nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III somit nicht eingetreten (zur Insolvenzfähigkeit der Vor-GmbH s. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - IX ZB 34/03, DB 2003, 2542). Vollständig eingestellt wurde die Betriebstätigkeit am 13. April 2006. Unabhängig von den Angaben, die frühere "leitende" Mitarbeiter der Firmengruppe A gegenüber der Beklagten gemacht haben, ergibt sich dies aus den Angaben der Arbeitnehmer, die bei der Beklagten ebenfalls Insolvenzgeld beantragt hatten. Danach war über den 31. März 2006 hinaus nur noch ein Mitarbeiter beschäftigt, dessen letzter Arbeitstag der 12. April 2006 war. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es danach noch einmal zu einer Betriebstätigkeit gekommen sein könnte. Aus den Angaben, welche die A W- und M GmbH i. G. am 8. Mai 2006 gegenüber der Beklagten gemacht hatte, ergibt sich nur, dass die "Firma" als solche zu diesem Zeitpunkt noch existent gewesen sein könnte, nicht aber, dass sie auch noch ihrem Betriebszweck dienende Aufgaben verrichtet hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wofür vieles spricht - offensichtliche Masselosigkeit auch bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Betriebseinstellung (s. BSG, Urteil vom 4. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R - mit Bezug auf BSG SozR 4100 § 141b Nr. 11) bestanden hat. "Offensichtlichkeit" liegt bereits dann vor, wenn für einen unvoreingenommenen Betrachter alle äußeren Tatsachen (und insofern der Anschein) für Masseunzulänglichkeit sprechen (BSG, Urteil vom 4. März 1999 a.a.O.). Es ergibt sich im vorliegenden Fall nichts dafür, dass die Arbeitgeberin in diesem Zeitpunkt nur zahlungs"unwillig" gewesen wäre, auch wenn sie die Verweigerung der Entgeltzahlungen nicht ausdrücklich mit ihrer Zahlungsunfähigkeit begründet hat (s. dazu auch BSG SozR 4100 § 141b Nr. 21). Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass am 13. April 2006 das Insolvenzereignis nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III eingetreten ist, so hat sie keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Sie hat die Leistung erst im Oktober 2007 und damit nicht innerhalb der kalendermäßig ohne Rücksicht auf die Kenntnis eines Insolvenzereignisses ablaufende (BSG, Urteil vom 30. April 1996 – 10 RAr 8/94, NZA-RR 1997, 270) Frist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis beantragt (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Ihr kommt auch keine sogenannte Nachfrist zugute. Dies setzte gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III voraus, dass sie die Frist aus Gründen versäumt hätte, die sie nicht zu vertreten hat; Insolvenzgeld wird in diesem Fall geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Zu vertreten hat die Klägerin die Versäumung der Frist, wenn sie sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Der Antrag auf Insolvenzgeld ist nach diesen Maßstäben nicht rechtzeitig gestellt (s. zur Vereinbarkeit des § 324 Abs. 3 SGB III mit dem Recht der Europäischen Union BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2007 - B 11a 75/07 B, SozR 4-4300 § 324 Nr. 4). Dahingestellt bleiben kann, ob die arbeitsgerichtlichen Bevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der Versäumung der ursprünglichen Frist trifft. Sofern dies der Fall wäre - was sich nach dem Umfang des ihnen erteilten Auftrags richtet -, wäre ihr deren Verschulden zuzurechnen (s. BSG SozR 4100 § 141e Nr. 2). Ein solches läge vor. Einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Prüfung der Durchsetzbarkeit von Entgeltansprüchen nicht wenigstens zu prüfen, wenn der Arbeitgeber beharrlich die Zahlung verweigert, begründet gegenüber einem Rechtsanwalt jedenfalls den Vorwurf sorgfaltswidrigen Handelns. Sollte sich der Auftrag an die arbeitsgerichtlichen Prozessbevollmächtigten dagegen darauf beschränkt haben, arbeitsrechtliche Ansprüche durchzusetzen, hätte die Klägerin eine ihr einzuräumende Nachfrist selbst schuldhaft versäumt. Es kann dabei zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass sie sich jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sie im Februar 2007 von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch die einzige als Vollstreckungsschuldnerin noch in Betracht kommende Person erfahren hat, mit der gebotenen Sorgfalt um ihre Ansprüche bemüht hat. Spätestens dann begann aber die zweimonatige Nachfrist, so dass der Antrag auf Insolvenzgeld vom Oktober 2007 auch nicht innerhalb dieser Frist gestellt worden war. Dass die Klägerin nach ihrem Vortrag erst durch ein Gespräch am 8. Oktober 2007 von einem Insolvenzereignis bei ihrer ehemaligen Arbeitnehmerin positive Kenntnis erhalten hat, führt noch nicht dazu, dass ihr eine weitergehende Nachfrist einzuräumen wäre. Für die Gewährung einer Nachfrist kommt es nicht darauf an, ob ein Arbeitnehmer durch ein sorgfältiges "Bemühen" Kenntnis vom Insolvenzfall erlangt hätte (s. schon BSG, Urteil vom 30. April 1996 – 10 RAr 8/94, NZA-RR 1997, 270, zur Vorgänger-Regelung in § 141e Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes). Entscheidend ist, ob er sich mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Dies kann hier nicht festgestellt werden. Nach Februar 2007 hat die Klägerin keine erkennbaren Bemühungen mehr unternommen, ihre Entgeltansprüche noch durchzusetzen. Es gab keine Rechtfertigung dafür, danach für geraume Zeit – nämlich bis zu dem Antrag auf Insolvenzgeld im Oktober 2007 – nichts mehr zu unternehmen. Ob und wo ihre ehemalige Arbeitgeberin noch existierte, war ihr nach ihren eigenen Angaben nicht bekannt. Davon abgesehen hatte sie von Beginn ihrer Beschäftigung an kein Arbeitsentgelt erhalten und ihren Lebensunterhalt weiterhin - allemal ohne dass das zuständige Jobcenter von dem Beschäftigungsverhältnis wusste – durch die bedürftigkeitsabhängigen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bestritten. Eine solche nur vorsichtige Verfolgung offener Entgeltansprüche rechtfertigt den Vorwurf, sich nicht (mehr) ausreichend darum bemüht zu haben. Denn ausgeschiedene Arbeitnehmer müssen sich bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht mehr um Zurückhaltung bemühen, um den Arbeitsplatz zu sichern (s. Niesel/Stratmann, SGB III, 5. Auflage 2010, § 324 Rn. 23).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
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